BVerwG 9. Senat, Beschluss vom 30.05.2024, AZ 9 VR 1/24, 9 VR 1/24 (9 A 2/24), ECLI:DE:BVerwG:2024:300524B9VR1.24.0
Tenor
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragsteller gegen den Planfeststellungsbeschluss vom 20. Dezember 2023 wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 30 000 € festgesetzt.
Gründe
I
1
Die Antragsteller, zwei nach § 3 UmwRG anerkannte Vereinigungen, wenden sich gegen den Planfeststellungsbeschluss der Antragsgegnerin vom 20. Dezember 2023 betreffend den Neubau der Bundesautobahn A 26-Ost, Bauabschnitt 6a (Verkehrseinheit 7051) von der A 7/Autobahnkreuz Hamburg-Hafen (Bau-km 0-350.000) bis zu der Anschlussstelle Hamburg-Moorburg (Bau-km 1+950.000). Die Antragsgegnerin hat auf Antrag der beigeladenen Vorhabenträgerin den Plan für das vorstehend bezeichnete Vorhaben festgestellt; im Planfeststellungsbeschluss hat sie unter Bezugnahme auf § 19 WHG auch die erforderlichen wasserrechtlichen Erlaubnisse und Bewilligungen erteilt und gemäß § 16 BImSchG den Umbau der Behandlungsanlage für Baggergut Entwässerungsfelder Moorburg-Mitte genehmigt.
2
Das Gesamtprojekt des Neubaus der A 26 einschließlich des streitgegenständlichen Bauabschnitts 6a ist in der Anlage 1 zu § 1 Abs. 1 Satz 2 FStrAbG unter der lfd. Nr. 507 als Vorhaben des Vordringlichen Bedarfs eingeordnet. Die Antragsteller haben am 26. Februar 2024 Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss erhoben und am 5. März 2024 Eilrechtsschutz beantragt. Zur Begründung ihres Eilantrags machen sie insbesondere Zuständigkeitsmängel, Verstöße gegen Wasser- und Artenschutzrecht, unzutreffende Annahmen zum verkehrlichen Bedarf, eine fehlerhafte Trassenwahl und eine unzureichende Berücksichtigung der Klimaschutzbelange geltend.
3
Die Antragsteller beantragen,
die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss anzuordnen,
hilfsweise, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss mit Ausnahme der vorläufigen Vollziehung von artenschutzrechtlichen Vermeidungsmaßnahmen (CEF-Maßnahmen) und etwaig erforderlichen bauvorbereitenden Maßnahmen anzuordnen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
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Sie tritt unter Vorlage eines von der Beigeladenen erstellten Bauablaufplans dem Vorbringen der Antragsteller entgegen.
6
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
II
7
Der Antrag, für dessen Entscheidung das Bundesverwaltungsgericht zuständig ist, bleibt ohne Erfolg.
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Ausgehend vom Beschleunigungsgrundsatz des § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO unterfallen dem Anwendungsbereich dieser Norm auch Verfahren, die – wie hier in Bezug auf die Kampfmittelsondierungen – Maßnahmen zur Vorbereitung der Baudurchführung nach § 16a Abs. 1 FStrG, namentlich zur Vorbereitung der Ausschreibung und Ausführungsplanung, zum Gegenstand haben (BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 2014 – 9 VR 3.14 – Buchholz 407.4 § 16a FStrG Nr. 5 Rn. 2 m. w. N.). Eine Streitigkeit ist nur dann nach § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO eine Streitigkeit zu einem Planfeststellungsverfahren im Sinne von § 17e Abs. 1 FStrG, wenn sie Teil der genehmigungsrechtlichen Bewältigung des Vorhabens ist. Deshalb fällt der Streit darüber, ob sich die konkrete Bauausführung – insbesondere nach Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses – in dessen Rahmen hält (planabweichende Bauausführung), nicht in den Anwendungsbereich der Nr. 6 (BVerwG, stRspr, vgl. nur Beschlüsse vom 27. September 2018 – 9 VR 5.18 – juris Rn. 3 f. und vom 29. Oktober 2020 – 4 VR 7.20 – Buchholz 451.17 § 43e EnWG Nr. 4 Rn. 13 jeweils zur früheren Fassung von § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO). In Grenzfällen, in denen es um Fragen der Ausführung und zugleich der Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses geht, ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber für die Bewertung der Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung nur eine Instanz vorgesehen hat (BVerwG, Beschluss vom 27. September 2018 – 9 VR 5.18 – juris Rn. 4).
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Der Antrag nach § 80a Abs. 3 Satz 2, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss hat keinen Erfolg. Das Gericht ist bei seiner Prüfung auf die fristgerecht dargelegten Gründe beschränkt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. April 2023 – 4 VR 6.22 – juris Rn. 10 m. w. N.). Hiervon ausgehend war die Antragsgegnerin nicht gehalten, die gesetzlich vorgesehene Vollziehbarkeit von Amts wegen auszusetzen (1.). Auch die vom Gericht vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Lasten der Antragsteller aus. Bei summarischer Prüfung ist davon auszugehen, dass einzelne von den Antragstellern erhobene Einwände gegen den Planfeststellungsbeschluss nicht zu einem Erfolg in der Hauptsache führen werden (2.). Soweit der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen erscheint, geht die gebotene Interessenabwägung zu Lasten der Antragsteller aus (3.).
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1. Entgegen der Auffassung der Antragsteller musste die Antragsgegnerin die Aussetzung der Vollziehung nicht von Amts wegen anordnen.
11
a) Allerdings kann die Behörde verpflichtet sein, die Vollziehung nach § 80 Abs. 4 Satz 1 VwGO auszusetzen, um unnötigen Rechtsschutzverfahren vorzubeugen, die ansonsten wegen der Fristbindung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (§ 17e Abs. 2 Satz 1 FStrG) eingeleitet werden. Dies wird insbesondere dann angenommen, wenn für die Behörde absehbar ist, dass der Vorhabenträger innerhalb der Zeit vor dem voraussichtlichen Entscheidungstermin in der Hauptsache keine Vollziehung in Betracht zieht (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 13. Juni 2013 – 9 VR 2.13 – Buchholz 310 § 80 VwGO Nr. 89 und vom 9. Juni 2023 – 9 VR 1.23 – juris Rn. 5). Gleiches gilt, wenn der angefochtene Planfeststellungsbeschluss mit der aufschiebenden Bedingung versehen ist, dass die vorgesehenen Maßnahmen erst nach Unanfechtbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses zu einem anderen Abschnitt des Gesamtvorhabens realisiert werden dürfen (BVerwG, Beschlüsse vom 1. März 2012 – 9 VR 7.11 – NVwZ 2012, 571 Rn. 6 und vom 13. Juni 2013 – 9 VR 3.13 – NVwZ 2013, 1019 Rn. 3 m. w. N.).
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Dass hier ein vergleichbarer Fall fehlender Dringlichkeit vorliegt, haben die Antragsteller nicht dargelegt. Die Antragsgegnerin hat unter Beifügung des von der Beigeladenen erstellten detaillierten Bauablaufplans die innerhalb des kommenden Jahres vorgesehenen Maßnahmen aufgezählt und dabei jeweils präzisiert, wie die einzelnen Aktivitäten zeitlich ineinandergreifen und warum aus Sicht der Beigeladenen die Durchführung in einem jeweils genau bestimmten Zeitraum geboten ist. Die als Aktivität Nr. 1 bezeichneten ersten Kampfmittelsondierungen sind in verschiedenen Bereichen des Baufeldes bereits erfolgt. Der Beigeladenen ist daher ersichtlich an einem zügigen Beginn bzw. einer weiteren Durchführung der einzelnen Maßnahmen gelegen.
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b) Es ist auch nicht erkennbar, dass finanzielle Gründe einer Verwirklichung des geplanten Vorhabens entgegenstehen. Die Antragsgegnerin hat mitgeteilt, dass sämtliche im Bauablaufplan aufgeführten Maßnahmen und Aktivitäten nach den Angaben der Beigeladenen finanziell und haushaltsrechtlich abgesichert sind. Soweit die Antragsteller die Finanzierbarkeit des Gesamtprojekts unter Hinweis auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Nichtigkeit des zweiten Nachtragshaushalts 2021 in Frage stellen, vermag dieses nicht näher konkretisierte Vorbringen das anerkannte Regel-Ausnahme-Verhältnis nicht in Frage zu stellen. Ist ein Straßenbauvorhaben – wie hier – in die Dringlichkeitsstufe des „vordringlichen Bedarfs“ eingestuft, kann regelmäßig nicht angenommen werden, dass dessen Finanzierung aus Mitteln des Bundeshaushalts bis zum Außerkrafttreten des Planfeststellungsbeschlusses ausgeschlossen ist (stRspr, vgl. nur BVerwG, Urteile vom 24. November 2011 – 9 A 23.10 – BVerwGE 141, 171 Rn. 28 und vom 3. November 2020 – 9 A 12.19 – BVerwGE 170, 33 Rn. 134; jeweils m. w. N.). Diese im Rahmen der Planrechtfertigung entwickelten Grundsätze sind auch für die Frage der behördlichen Aussetzung des Sofortvollzugs relevant (BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 2014 – 9 VR 3.14 – Buchholz 407.4 § 16a FStrG Nr. 5 Rn. 4). Anhaltspunkte, warum hier dem Verkehrsprojekt A 26-Ost unüberwindbare finanzielle Schranken entgegenstehen sollten, sind weder von den Antragstellern dargelegt noch sonst ersichtlich. Für ein Tätigwerden der Antragsgegnerin von Amts wegen nach § 80 Abs. 4 Satz 1 VwGO bestand daher insoweit keine Veranlassung.
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2. Nach summarischer Prüfung hat das Vorbringen der Antragsteller betreffend die fehlende Zuständigkeit zur Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Änderungsgenehmigung für die Entwässerungsfelder Moorburg keinen Erfolg. Unabhängig von der Frage, ob die Antragsteller insoweit überhaupt rügebefugt sind, greifen die von ihnen geltend gemachten Zuständigkeitsbedenken nach derzeitigem Sach- und Streitstand jedenfalls nicht durch.
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a) Die Antragsgegnerin hat in Nr. 1.1 (Tenor) des Planfeststellungsbeschlusses den Plan für das Vorhaben Neubau der Bundesautobahn A 26-Ost, Bauabschnitt 6a festgestellt und mit dem Planfeststellungsbeschluss antragsgemäß nach § 16 BImSchG den „Umbau der Behandlungsanlage für Baggergut Entwässerungsfelder Moorburg-Mitte genehmigt“. Der Umbau wurde, wie von den Antragstellern vermutet und von der Antragsgegnerin im Gerichtsverfahren bestätigt, als notwendige Folgemaßnahme im Sinne des § 75 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 VwVfG eingestuft. Eine solche Maßnahme ist für eine angemessene Entscheidung über die durch die anlassgebende Maßnahme aufgeworfenen Konflikte erforderlich; dabei darf sie nicht wesentlich über Anschluss und Anpassung hinausgehen und unterliegt insoweit räumlichen und sachlichen Beschränkungen. Eine Folgemaßnahme ist abzugrenzen von anderen Maßnahmen, die ein umfassendes Planungskonzept benötigen und daher in der Kompetenz des anderen Planungsträgers verbleiben müssen (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteile vom 11. Juli 2019 – 9 A 13.18 – BVerwGE 166, 132 Rn. 35 und vom 24. August 2023 – 7 A 1.22 – UPR 2024, 35 Rn. 22; jeweils m. w. N.; Kment, NVwZ 2023, 123 <124 f.>; Deutsch, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 75 Rn. 29 ff.).
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b) Bei summarischer Prüfung bestehen weder Bedenken gegen die Einstufung als notwendige Folgemaßnahme noch gegen den damit verbundenen gesetzlichen Zuständigkeitswechsel von der Immissionsschutz- zur Planfeststellungsbehörde. Ausweislich des Planfeststellungsbeschlusses wird der Neubau der A 26-Ost über den südwestlichen Teil der Baggergutbehandlungsanlage geführt und greift damit in den Bestand der Anlage ein. Dies macht zur Konfliktbewältigung eine Teilstilllegung (Stilllegung einzelner Entwässerungsfelder), den Umbau und die Umgestaltung eines Teils der verbleibenden Entwässerungsfelder sowie eine Änderung des Entwässerungssystems der Anlage erforderlich (vgl. im Einzelnen Planfeststellungsbeschluss S. 297 ff. sowie die Auflistung der Bauwerke in der planfestgestellten Unterlage 16; vgl. des Weiteren die Nebenbestimmung in Nr. 2.20 des Planfeststellungsbeschlusses). Der unmittelbare räumliche und funktionale Zusammenhang zum planfeststellungspflichtigen Vorhabenkern ist gegeben, ein umfassendes Planungskonzept für den Umbau der Behandlungsanlage ist nicht erforderlich.
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Warum in der kraft Gesetzes eintretenden Kompetenzverlagerung, wie die Antragsteller meinen, ein Zuständigkeitsproblem bezüglich der Beigeladenen liegen sollte, erschließt sich nicht. Weder ist infolge der Einstufung als Folgemaßnahme eine von der Antragstellerseite unterstellte „originäre Abwägungsermächtigung“ auf die Beigeladene übergegangen, noch ist ersichtlich, worin der von den Antragstellern monierte Abwägungsmangel liegen sollte. Eine ausdrückliche Regelung der Folgemaßnahme im Planfeststellungsbeschluss ist erforderlich (vgl. Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2023, § 75 Rn. 8), aber – wie hier im Tenor durch Erteilung der Änderungsgenehmigung erfolgt – auch ausreichend. Einer expliziten Bezeichnung als Folgemaßnahme oder eines Hinweises auf § 75 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 VwVfG im verfügenden Teil des Planfeststellungsbeschlusses bedarf es nicht; vorliegend findet sich im Übrigen eine kurze Erwähnung der Folgemaßnahme im begründenden Teil auf S. 46. Dass die – an zwingenden materiell-rechtlichen Vorgaben zu messende – immissionsschutzrechtliche Änderungsgenehmigung inhaltlich fehlerhaft wäre, wird von den Antragstellern nicht geltend gemacht.
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3. Hinsichtlich der übrigen von den Antragstellern erhobenen Rügen sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache derzeit nicht hinreichend verlässlich abschätzbar. Die Vereinbarkeit des Vorhabens mit Wasser-, Arten- und Klimaschutzrecht sowie die Annahmen zum verkehrlichen Bedarf und zur Alternativenprüfung werfen teils schwierige Tatsachen- und Rechtsfragen auf, deren Prüfung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten ist. Dies gilt etwa für die von den Antragstellern problematisierte Regelungstechnik im Planfeststellungsbeschluss, die „erforderlichen wasserrechtlichen Erlaubnisse“ ausweislich des Tenors unbeschränkt, laut Nebenbestimmung 2.5 aber nur „dem Grunde nach“ zu erteilen. Bei der insoweit offenen Folgenabwägung überwiegt indes das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug des Planfeststellungsbeschlusses das gegenläufige Interesse der Antragsteller.
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a) Nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3a VwGO, der den früheren § 17e Abs. 2 Satz 1 FStrG abgelöst hat, stellt der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung für Rechtsbehelfe gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege zum Gegenstand haben, den gesetzlichen Regelfall dar. Diese gesetzgeberische Wertung entspricht dem Ziel einer beschleunigten Umsetzung von Planfeststellungsbeschlüssen, wie es auch in § 80c Abs. 2 bis 4 VwGO zum Ausdruck kommt, der unter anderem für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Verfahren nach § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO – also auch das streitgegenständliche Straßenbauprojekt – ergänzend gilt. Entscheidet das Gericht – wie hier ganz überwiegend – im Rahmen einer Vollzugsfolgenabwägung, soll es gemäß § 80c Abs. 3 Satz 1 VwGO die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in der Regel auf diejenigen Maßnahmen des angefochtenen Verwaltungsakts beschränken, bei denen dies erforderlich ist, um anderenfalls drohende irreversible Nachteile zu verhindern. Maßnahmen, die nicht zu irreversiblen Nachteilen führen, also wieder rückgängig gemacht werden können, sollen bereits vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens umgesetzt werden können.
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b) Hieran gemessen hat das Interesse an der sofortigen Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses Vorrang gegenüber dem Aussetzungsinteresse der Antragsteller. Würde die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller angeordnet, hätte diese aber keinen Erfolg, so würde sich die Realisierung des Projekts erheblich verzögern, wie die Antragsgegnerin plausibel dargelegt hat. Das Projekt ist vom Gesetzgeber als Vorhaben des vordringlichen Bedarfs eingestuft und damit bereits kraft Gesetzes mit einem besonderen öffentlichen Interesse an beschleunigter Umsetzung ausgestattet (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 2014 – 9 VR 3.14 – Buchholz 407.4 § 16a FStrG Nr. 5 Rn. 4 und vom 17. März 2020 – 3 VR 1.19 – NVwZ 2020, 1051 Rn. 27). Demgegenüber sind zum jetzigen Zeitpunkt keine irreversiblen Nachteile für die Belange der Antragsteller erkennbar, wenn vorläufiger Rechtsschutz versagt wird, die Klage aber später Erfolg hat.
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aa) Bei den vorgesehenen Kampfmittelsondierungen und Baugrunderkundungen (Maßnahmen Nr. 2, 4, 5, 7 und 9 des Bauablaufplans) handelt es sich um Vorarbeiten im Sinne des § 16a FStrG, also um Maßnahmen, bei denen der Gesetzgeber grundsätzlich von einer geringen Eingriffsintensität ausgeht (BVerwG, Beschluss vom 17. August 2017 – 9 VR 2.17 – NVwZ 2018, 268 Rn. 14 unter Hinweis auf BT-Drs. 16/54 S. 27) und für die unabhängig von der sofortigen Vollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses und einem etwaigen Erfolg im Klageverfahren eine gesetzliche Duldungspflicht gelten soll (BVerwG, Beschluss vom 1. März 2012 – 9 VR 7.11 – NVwZ 2012, 571 Rn. 11). Anhaltspunkte dafür, dass mit den hier konkret vorgesehenen Maßnahmen ausnahmsweise besondere Eingriffe in die Natur verbunden sein könnten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
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bb) Die Herstellung von Ersatzgewässern für den Moorfrosch und der Aufbau der Amphibienschutzzäune einschließlich des Absammelns des Moorfrosches (Maßnahmen Nr. 6, 10 und 11 im Bauablaufplan) beeinträchtigen die von den Antragstellern verfolgten Ziele des Naturschutzes nicht; sie sollen den Naturschutz im Gegenteil stärken. Sämtliche Maßnahmen sind in den planfestgestellten Maßnahmenblättern unter 4.4 ACEF (Ersatzgewässer) und 1.4 VCEF (Amphibienschutzzaun) näher beschrieben. Hierauf wird im tabellarischen Bauablaufplan bezüglich der Ersatzgewässer unter Angabe der genauen Fundstelle (Unterlage 9.3 B S. 96 ff.) zutreffend hingewiesen. Danach ist für die Ersatzgewässer eine „Begrünung durch natürliche Sukzession“ vorgesehen. Hinsichtlich der Funktionskontrolle heißt es: „In mind. 3 Folgejahren nach der Herstellung wiederkehrende Prüfungen, ob sich die angestrebten Lebensräume so entwickelt haben, dass sie zur Ansiedlung der Arten geeignet sind.“ Die Wortfolge „zur Ansiedelung“ dürfte es nahelegen, dass es regelmäßig eines dreijährigen Vorlaufs vor der Umsiedlung bedarf (vgl. dahingehend auch Landesbetrieb Mobilität Rheinland-Pfalz, Leitfaden CEF-Maßnahmen 2021, Anlage 4, dort: Maßnahmensteckbrief Nr. 3.8 <https://lbm.rlp.de/fileadmin/lbm/Themen/Landespflege/Dokumente/2021-02-09_Leitfaden_CEF-Massnahmen.pdf> sowie https://artenschutz.naturschutzinformationen.nrw.de/artenschutz/de/arten/gruppe/amph_rept/massn/102331#massn_1). Auch hinsichtlich der Amphibienschutzzäune enthält das entsprechende Maßnahmenblatt konkrete Vorgaben, insbesondere werden spezielle Anforderungen an den Zaun im Bereich des Moorfrosch-Vorkommens (etwa Bau-km 0+800 bis 1+470) formuliert.
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Die Beigeladene hat sich an all diese Vorgaben zu halten und kann sie nicht, wovon Antragsgegnerin und Beigeladene – offenbar aus Beschleunigungsgründen – ausgehen, einfach durch andere Maßnahmen (hier etwa: Einbringen von Vegetationssoden durch eine vorsichtige Entnahme bereits auf der Fläche befindlicher amphibischer Vegetation) ersetzen. Eine solche Abweichung kann insbesondere nicht auf die Umweltbaubegleitung gestützt werden (vgl. Maßnahme Nr. 1.11 V), denn diese soll „sicherstellen, dass (…) die
vorgesehenen landschaftspflegerischen Maßnahmen fachgerecht umgesetzt werden“ (Hervorh. nicht im Original). Nur wenn hierbei „unvorhersehbare Konflikte“ auftreten, hat sie ggf. vor geplanten umweltrelevanten Abweichungen von der Planfeststellung die zuständige Naturschutzbehörde zu informieren. Um einen solchen Fall eines unvorhersehbaren Konflikts geht es hier offensichtlich nicht. Denn die planfestgestellte Maßnahme (Begrünung durch natürliche Sukzession, Funktionskontrolle nach drei Jahren) wurde durch das von der Beigeladenen beauftragte Planungsbüro aus der konkreten Konfliktsituation abgeleitet und im Planfeststellungsbeschluss (S. 192) sowie im Artenschutzbeitrag näher begründet (vgl. Unterl. 19.2 B S. 123). Soll nunmehr – gestützt auf die Expertise eines anderen Gutachters – ein abweichendes Konzept zur Anlage von Ersatzgewässern verfolgt werden, müsste zuvor das planfestgestellte Maßnahmenblatt geändert werden.
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cc) Demgegenüber können durch die geplanten Maßnahmen Nr. 3, 8 und 12 (Baufeldfreimachung und Bau der neuen Gasdruckregelanlage mit anschließendem Gasleitungsbau), insbesondere wegen der hiermit möglicherweise verbundenen Baumfällungen und Gehölzreduzierungen, die von den Antragstellern vertretenen Naturschutzbelange in nicht unerheblichem Umfang beeinträchtigt werden; betroffen sind bis zu 200 Bäume mit Altersstufen von 10 bis 65 Jahren.
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Diese Maßnahmen werden durchgängig mit Umweltbaubegleitung durchgeführt (vgl. Maßnahme 1.11 V). Hierdurch ist sichergestellt, dass sie nur in dem zwingend erforderlichen Umfang erfolgen; so sollen einige der Bäume ggf. gar nicht oder nicht ganz gefällt, sondern nur gestutzt werden. Sämtliche Maßnahmen sind aber im naturwissenschaftlichen und damit ohne Weiteres auch im rechtlichen Sinne reversibel. Sollten sich die bis zu einer – für Frühjahr/Frühsommer 2025 vorgesehenen – Hauptsacheentscheidung des Senats durchgeführten Maßnahmen als rechtswidrig erweisen, ließen sich die eingetretenen Folgen im Wege des Rückbaues und der Wiederbepflanzung gerodeter Flächen beseitigen bzw. rückgängig machen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19. Dezember 2019 – 7 VR 7.19 – juris Rn. 13, vom 28. Oktober 2020 – 7 VR 2.20 – juris Rn. 13 f. und vom 22. Februar 2024 – 11 VR 4.24 – juris Rn. 44). Dass Neuanpflanzungen nach einer Wiederbepflanzung gerodeter Flächen vor dem Erreichen des ursprünglichen Zustands zunächst noch eine Anwachsphase durchlaufen müssen, steht dem nicht entgegen (BVerwG, Beschluss vom 19. Dezember 2019 – 7 VR 7.19 – juris Rn. 14 unter Hinweis auf BVerwG, Beschluss vom 16. Februar 2017 – 9 VR 2.16 – juris Rn. 33). Der Gesetzgeber nimmt im Rahmen der Kompensation von Eingriffen in Natur und Landschaft (vgl. § 15 Abs. 2 BNatSchG) eine vorübergehende Verschlechterung des ökologischen Zustands hin (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. November 2012 – 9 A 17.11 – Buchholz 451.91 Europ. UmwR Nr. 52 Rn. 149 m. w. N.). Dies muss für eine Rückgängigmachung von Eingriffen in Natur und Landschaft entsprechend gelten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Oktober 2020 – 7 VR 2.20 – juris Rn. 14).
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Auch bezüglich dieser Maßnahmen hat die Beigeladene allerdings die planfestgestellten Maßnahmenblätter zu berücksichtigen und kann nicht – wie schriftsätzlich angekündigt – die konkret abgeleitete Maßnahme 1.20 VCEF (Absuchen der Bestände von Weidenröschen und Nachtkerzen im Baufeld; Baufeldfreiräumung ab September bis zum April des Folgejahres) durch eine andere Maßnahme (Vergrämung des Nachtkerzenschwärmers) ersetzen, zumal die neuen Überlegungen auf der spekulativen Annahme beruhen, dass die Nachtkerzenschwärmer aufgrund des sehr milden Frühjahres 2024 bis Ende Mai geschlüpft sind (vgl. AG 3).
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 Satz 1 VwGO i. V. m. § 100 Abs. 1 ZPO sowie aus § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 34.4, Nr. 1.1.3 und Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.