BVerwG 7. Senat, Beschluss vom 07.05.2024, AZ 7 B 23/23, ECLI:DE:BVerwG:2024:070524B7B23.23.0
Verfahrensgang
vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 27. April 2023, Az: 3a A 12/23, Urteil
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 27. April 2023 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 15 000 € festgesetzt.
Gründe
I
1
Der Kläger, eine im Land Brandenburg anerkannte Umweltvereinigung, wendet sich gegen eine der Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung einer Windkraftanlage. Er macht unter anderem geltend, dass das Schwarzfärben eines Rotorblatts der Windkraftanlage das Mortalitäts- und Verletzungsrisiko für Seeadler erheblich mindere und als Schutzmaßnahme anzuordnen sei.
2
Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Die naturschutzfachliche Einschätzung des Beklagten, dass eine signifikante Erhöhung des Tötungs- und Verletzungsrisikos für Brutvögel nicht bestehe, sei nicht zu beanstanden. Aus § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BNatSchG ergebe sich dann keine Pflicht, Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Die Revision gegen sein Urteil hat das Oberverwaltungsgericht nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.
II
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1. Die allein auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die Rechtssache hat nicht die ihr vom Kläger beigemessene grundsätzliche Bedeutung.
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Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt werden, dass und inwiefern diese Voraussetzungen vorliegen (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 27. Oktober 2023 – 7 B 10.23 – juris Rn. 7). Dies ist nicht der Fall; es fehlt an der Entscheidungserheblichkeit der vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfrage.
5
Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob
„§ 44 Abs. 5 S. 2 Nr. 1 BNatSchG selbst dann zur Ergreifung zusätzlicher Vermeidungsmaßnahmen verpflichtet, wenn ein Vorhaben auch ohne Schutzmaßnahmen die Schwelle der Signifikanz unterschreitet“.
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Die Rechtsfrage kann nicht zur Zulassung der Revision führen, weil Tatsachen, die vorliegen müssten, damit die mit der Nichtzulassungsbeschwerde angesprochenen Fragen sich in einem Revisionsverfahren stellen könnten, von der Vorinstanz nicht festgestellt worden sind (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 5. September 1996 – 9 B 387.96 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 12 S. 20, vom 17. März 2000 – 8 B 287.99 – BVerwGE 111, 61 <62> und vom 19. Februar 2014 – 4 B 40.13 – juris Rn. 9). Das Oberverwaltungsgericht hat keine tatsächlichen Feststellungen dazu getroffen, ob die Schwarzfärbung eines der Rotorblätter der Windkraftanlage eine fachlich anerkannte Schutzmaßnahme im Sinne des § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BNatSchG zum Schutz von Seeadlern darstellt. Damit bleibt offen, ob sich die von der Beschwerde aufgeworfene Frage in einem Revisionsverfahren überhaupt stellen würde. Ziel der Grundsatzrevision ist es indes, die Rechtseinheit in ihrem Bestand zu erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 – 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90 <91>). Dem würde es widersprechen, die Revision in Bezug auf Fragen zuzulassen, deren Entscheidungserheblichkeit nicht feststeht (BVerwG, Beschluss vom 21. Januar 2016 – 4 BN 36.15 – juris Rn. 12). Der Rechtsstreit müsste zur Klärung dieser Frage daher an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen werden, wenn die als grundsätzlich aufgeworfene Frage im Sinne des Klägers beantwortet würde (vgl. BVerwG, Urteile vom 10. April 2013 – 4 C 3.12 – BVerwGE 146, 176 Rn. 10 und 31 und vom 19. Dezember 2013 – 4 C 14.12 – BVerwGE 149, 17 Rn. 4 und 29; vgl. zum Ganzen auch BVerwG, Beschluss vom 28. April 2020 – 4 B 49.18 – juris Rn. 6).
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Fehlende tatrichterliche Feststellungen können einer Beschwerde lediglich dann nicht entgegengehalten werden, wenn eine in der Vorinstanz ordnungsgemäß beantragte Sachverhaltsaufklärung nur deswegen unterblieben ist, weil das Tatsachengericht eine als rechtsgrundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage anders als der Beschwerdeführer beantwortet und deswegen die Beweisaufnahme als nicht entscheidungserheblich abgelehnt hat (BVerwG, Beschlüsse vom 17. März 2000 – 8 B 287.99 – BVerwGE 111, 61 <62>, vom 19. August 2013 – 9 BN 1.13 – Buchholz 401.68 Vergnügungssteuer Nr. 56 Rn. 7, vom 21. April 2015 – 4 B 8.15 – juris Rn. 3 und vom 21. Januar 2016 – 4 BN 36.15 – juris Rn. 13). Ein solcher Fall liegt indes nicht vor, weil der durch einen Rechtslehrer ordnungsgemäß vertretene Kläger vor dem Oberverwaltungsgericht Anträge zur Sachverhaltsaufklärung nicht gestellt hat und auch nichts dafür ersichtlich ist, dass auf das Erfordernis eines (unbedingten) Beweisantrages ausnahmsweise verzichtet werden konnte (vgl. zum Ganzen auch BVerwG, Beschluss vom 28. April 2020 – 4 B 49.18 – juris Rn. 8 f.).
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2. Ungeachtet dessen ist die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BNatSchG zur Ergreifung von Schutzmaßnahmen verpflichtet, wenn ein Vorhaben auch ohne solche Maßnahmen nicht zu einer signifikanten Erhöhung des Tötungs- und Verletzungsrisikos für Exemplare der betroffenen Arten führt, mit dem Oberverwaltungsgericht zu verneinen. Mit der Neufassung des § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BNatSchG durch das Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes vom 15. September 2017 (BGBl. I S. 3434) hat der Bundesgesetzgeber mit Wirkung vom 29. September 2017 den in der Praxis bewährten Signifikanzansatz nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bestätigt (vgl. BT-Drs. 18/11939 S. 17). Nach dem Wortlaut der Vorschrift liegt ein Verstoß gegen das Tötungs- und Verletzungsverbot nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG nicht vor, wenn die Beeinträchtigung durch den Eingriff oder das Vorhaben das Tötungs- und Verletzungsrisiko für Exemplare der betroffenen Arten nicht signifikant erhöht und diese Beeinträchtigung bei Anwendung der gebotenen, fachlich anerkannten Schutzmaßnahmen nicht vermieden werden kann.
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Das Signifikanzerfordernis und die gesetzgeberischen Überlegungen zur Neufassung des § 44 BNatSchG beruhen auf dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und dienen der Vermeidung unverhältnismäßiger Folgen für die Vorhabenzulassung bei der Anwendung des artenschutzrechtlichen Tötungsverbots (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. November 2018 – 9 A 8.17 – BVerwGE 163, 380 Rn. 101). § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BNatSchG bezieht sich hierbei von vornherein auf Beeinträchtigungen, denen in Anwendung des § 15 Abs. 1 BNatSchG nicht mit zumutbaren bzw. verhältnismäßigen Mitteln abgeholfen werden kann. Vor diesem Hintergrund ist die Regelung – ungeachtet ihres nicht ganz eindeutigen Wortlauts – über die Kodifizierung des Signifikanzerfordernisses hinaus lediglich als nochmalige Bekräftigung des ohnehin beachtlichen Vermeidungsgebots und im Übrigen so zu verstehen, dass einem signifikant erhöhten Tötungs- und Verletzungsrisiko mit fachwissenschaftlich anerkannten Vermeidungsmaßnahmen zu begegnen ist (in diesem Sinne auch Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand September 2023, § 44 BNatSchG Rn. 52; ähnlich Lau, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, 3. Aufl. 2021, § 44 Rn. 70; a. A. BayVGH, Beschluss vom 27. November 2017 – 22 CS 17.1574 – juris Rn. 32; OVG Koblenz, Urteil vom 31. Oktober 2019 – 1 A 11643/17 – NVwZ-RR 2020, 726 Rn. 67; Schütte/Gerbig, in: Schlacke, GK-BNatSchG, 3. Aufl. 2024, § 44 Rn. 55d).
10
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.