Fahrtenbuchauflage; Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers bei Mitteilung am Tag vor Eintritt der Verjährung (Beschluss des BVerwG 3. Senat)

BVerwG 3. Senat, Beschluss vom 07.05.2024, AZ 3 B 6/23, ECLI:DE:BVerwG:2024:070524B3B6.23.0

§ 26 Abs 3 StVG, § 31a Abs 1 S 1 StVZO, § 31 Abs 3 OWiG, § 46 Abs 1 OWiG, § 43 Abs 2 StPO

Leitsatz

Die Feststellung eines Fahrzeugführers war auch dann im Sinne des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO unmöglich, wenn der Fahrzeughalter sich zur Frage, wer das Fahrzeug geführt hat, so spät geäußert hat, dass die Behörde die erforderlichen Maßnahmen zur Ahndung der Zuwiderhandlung vor Eintritt der Verjährung nicht mehr in zumutbarer Weise ergreifen konnte.

Verfahrensgang

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, 8. Dezember 2022, Az: 5 LB 17/22, Urteil
vorgehend Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, 13. März 2019, Az: 3 A 44/18, Urteil

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 8. Dezember 2022 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 3 600 € festgesetzt.

Gründe

I

1

Die Klägerin, ein Unternehmen in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, wendet sich gegen eine Fahrtenbuchauflage. Mit ihrem Fahrzeug wurde am 23. Juni 2017 innerhalb einer geschlossenen Ortschaft die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 27 km/h überschritten. Auf ihre Befragung teilte sie am Freitag, 22. September 2017, um 17.34 Uhr den Namen der Fahrzeugführerin mit. Der Beklagte stellte das Verfahren ein und ordnete mit Verfügung vom 14. November 2017 das Führen eines Fahrtenbuchs für die Dauer von neun Monaten an.

2

Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid aufgehoben. Eine Fahrtenbuchauflage sei möglich, wenn der Fahrzeugführer vor Ablauf der Verjährungsfrist nicht bekannt sei oder so knapp bekannt werde, dass eine Verfolgung nicht mehr erfolgreich habe stattfinden können. Das sei hier nicht der Fall. Die Verjährungsfrist sei an sich am Samstag, 23. September 2017, abgelaufen, ende jedoch nach der gemäß § 46 Abs. 1 OWiG sinngemäß anwendbaren Sonnabend-, Sonn- und Feiertagsregelung des § 43 Abs. 2 StPO erst mit Ablauf des nachfolgenden Montags. An diesem Montag habe der Beklagte die Verjährung noch unterbrechen können, z. B. durch Anordnung der Vernehmung der Fahrzeugführerin (§ 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG).

3

Das Oberverwaltungsgericht hat das Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Dem Beklagten sei die Feststellung der Fahrzeugführerin trotz angemessener Bemühungen nicht rechtzeitig möglich gewesen. Der Tag der Mitteilung sei der Tag gewesen, an dem die Verjährungsfrist abgelaufen sei. Eine zielführende Bearbeitung an diesem Tag sei dem Beklagten nicht mehr zumutbar gewesen.

II

4

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

5

1. Die Rechtssache hat nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Eine solche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine fallübergreifende, bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Frage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder einer Weiterentwicklung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf und die für die Entscheidung des Revisionsgerichts erheblich sein wird. Das ist in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise darzulegen. Ein Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist oder mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Normauslegung oder auf der Grundlage der bestehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig beantwortet werden kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Dezember 2020 – 3 B 34.19 – NVwZ-RR 2022, 86 Rn. 28 m. w. N.).

6

Die Klägerin meint, von grundsätzlicher Bedeutung sei die Frage, ob die Fahrzeugführerin rechtzeitig benannt wurde. Das Berufungsgericht habe sich mit der Thematik nicht auseinandergesetzt und lediglich darauf abgestellt, dass die Fahrzeugführerin so rechtzeitig bekannt gegeben werden müsse, dass die begangene Verkehrsordnungswidrigkeit mit Aussicht auf Erfolg geahndet werden könne. Die Inanspruchnahme von Fristen sei zulässig und könne ihr nicht entgegengehalten werden. Es liege in der Sphäre des Empfängers (rechtzeitig) zu handeln, was durch eine Mitwirkungsobliegenheit nicht aufgeweicht werden dürfe.

7

Eine grundsätzlich klärungsbedürftige Frage ergibt sich aus diesem Vorbringen nicht.

8

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass die Feststellung eines Fahrzeugführers – wie in § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO vorausgesetzt – nicht möglich war, wenn die Behörde nicht in der Lage war, den Täter zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 1982 – 7 C 3.80 – Buchholz 442.16 § 31a StVZO Nr. 12 = juris Rn. 7; Beschlüsse vom 9. Dezember 1993 – 11 B 113.93 – juris Rn. 4 und vom 23. Dezember 1996 – 11 B 84.96 – juris Rn. 3). Die Feststellung des Fahrzeugführers zielt darauf, die Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften mit Aussicht auf Erfolg ahnden und auf dieser Grundlage die im Interesse der Verkehrssicherheit gebotenen Maßnahmen ergreifen zu können. Das erfordert, dass der verantwortliche Fahrzeugführer rechtzeitig vor Ablauf der maßgeblichen Verjährungsfrist – hier: von drei Monaten (§ 26 Abs. 3 StVG) – bekannt wird (BVerwG, Beschluss vom 1. März 1977 – 7 B 31.77 – Buchholz 442.16 § 31a StVZO Nr. 4 und Urteil vom 17. Dezember 1982 – 7 C 3.80 – Buchholz 442.16 § 31a StVZO Nr. 12). Unbeschadet eines Rechts, die Auskunft oder das Zeugnis in einem Ordnungswidrigkeitsverfahren zu verweigern, ist der Fahrzeughalter gehalten, an der Feststellung des Fahrzeugführers mitzuwirken, will er von einer Fahrtenbuchauflage verschont bleiben. In diesem Sinne ist der Fahrzeughalter zur Mitwirkung verpflichtet (BVerwG, Beschlüsse vom 14. Mai 1997 – 3 B 28.97 – juris Rn. 3 f. und vom 11. August 1999 – 3 B 96.99 – NZV 2000, 385). Konnte der Fahrzeugführer nicht rechtzeitig festgestellt werden, so kann eine Fahrtenbuchauflage verhängt werden. Das gilt unabhängig davon, ob der Fahrzeughalter die Aussage verweigert (BVerwG, Beschluss vom 22. Juni 1995 – 11 B 7.95 – Buchholz 442.16 § 31a StVZO Nr. 22) oder sich so spät erklärt hat, dass die Behörde die erforderlichen Maßnahmen zur Ahndung der Zuwiderhandlung vor Eintritt der Verjährung nicht mehr in zumutbarer Weise ergreifen konnte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Februar 1980 – 7 B 179.79 – Buchholz 442.16 § 31a StVZO Nr. 6).

9

Auf der Grundlage dieser gefestigten Rechtsprechung lässt die Beschwerde einen weiteren fallübergreifenden Klärungsbedarf nicht erkennen. Mit ihr ist geklärt, dass ein Fahrzeughalter – entgegen der Vorstellung der Klägerin – jedenfalls nicht ohne das Risiko der Anordnung einer Fahrtenbuchauflage mit der Auskunft des Fahrzeugführers zuwarten kann, bis die Verjährungsfrist fast abgelaufen ist.

10

2. Ein Verfahrensmangel ist nicht in der erforderlichen Weise dargetan bzw. liegt nicht vor (§ 132 Abs. 2 Nr. 3, § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).

11

a) Die Klägerin beanstandet, das Berufungsgericht habe ihre mündlich und schriftsätzlich vorgetragenen Erwägungen „im Hinblick auf die Handhabung dieser Sache und Fristen im Allgemeinen und Besonderen“ ignoriert, diese zumindest nicht einmal erwähnt.

12

Eine Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) ergibt sich daraus nicht. Die Klägerin zeigt nicht auf, welches entscheidungserhebliche Vorbringen das Berufungsgericht nicht gesehen und in Erwägung gezogen haben sollte. Das genügt den Darlegungsanforderungen nicht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Januar 2016 – 2 B 34.14 – NVwZ-RR 2016, 428 Rn. 59).

13

b) Des Weiteren trägt die Klägerin vor, das Berufungsgericht habe die Entscheidung der Vorinstanz völlig ignoriert. Das trifft ausweislich des Urteilstatbestandes (UA S. 4 f.) nicht zu. Auch soweit die Rüge auf die Begründungspflicht (§ 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO) zielt, ist ein Verstoß nicht hinreichend dargetan (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) und im Übrigen auch nicht ersichtlich.

14

Das Berufungsgericht ist unter Bezugnahme auf Kommentierungen zu § 31 Abs. 3 Satz 1 OWiG davon ausgegangen, dass die dreimonatige Verjährungsfrist am Freitag, 22. September 2017, ablief. Folglich musste es sich mit der das Urteil des Verwaltungsgerichts tragenden, auf § 46 Abs. 2 OWiG gestützten Anwendung der Sonnabend-, Sonn- und Feiertagsregelung des § 43 Abs. 2 StPO nicht auseinandersetzen. Dass das Berufungsgericht an der Richtigkeit der Bestimmung der Verjährungsfrist gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 OWiG ernstliche Zweifel hegte, hatte es zudem bereits in der Zulassung der Berufung zum Ausdruck gebracht. Die Klägerin hat dies nicht zum Anlass genommen, auf diese Frage weiter einzugehen.

15

Zu der danach nicht entscheidungserheblichen Anwendung der Sonnabend-, Sonn- und Feiertagsregelung ist im Übrigen anzumerken, dass § 43 StPO auf die Verjährung der Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten seit jeher keine Anwendung findet (RG, Urteil vom 19. Oktober 1885 – 2138/85 – RGSt 13, 57 <59>). Das ist – soweit ersichtlich – auch unverändert einhellige Auffassung der straf-, strafprozess- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Kommentierungen. Ihr liegt zugrunde, dass Verjährungsfristen unbeschadet ihrer dogmatischen Einordnung nicht mit Fristen für Verfahrenshandlungen gleichzusetzen sind. Entsprechend führt auch die in § 46 Abs. 1 OWiG vorgesehene sinngemäße Anwendung der Vorschriften der allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren, namentlich der Strafprozessordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes und des Jugendgerichtsgesetzes nicht zu einer Anwendung von § 43 Abs. 2 StPO. § 46 OWiG soll in seinem Anwendungsbereich die Zweigleisigkeit von Bußgeld- und Strafverfahren im Interesse der Rechtsvereinheitlichung beseitigen (BT-Drs. 5/1269 S. 31). Die Anwendung von § 43 Abs. 2 StPO auf die Verjährung von Ordnungswidrigkeiten würde zum Gegenteil führen. Der Wortlaut der Vorschrift zwingt hierzu entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht.

16

c) Schließlich rügt die Beschwerde, die Richterin, die im Einverständnis der Beteiligten als Berichterstatterin im Berufungsverfahren entschieden hat, habe bereits in der Vorinstanz einen Beschluss erlassen. Gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 41 Nr. 6 ZPO ist ein Richter von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen, wenn er in einem früheren Rechtszug bei dem Erlass der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat. Den Akten lässt sich zwar entnehmen, dass die Richterin im erstinstanzlichen Verfahren zunächst Berichterstatterin war und den dortigen Streitwertbeschluss erlassen hat. Damit hat sie jedoch nicht an der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung mitgewirkt. Einer ausdehnenden Auslegung ist die Vorschrift nicht zugänglich (BGH, Beschlüsse vom 30. April 1998 – III ZB 2/98 – juris Rn. 2 und vom 18. Januar 2017 – XII ZB 602/15 – FamRZ 2017, 557 Rn. 11 f., jeweils m. w. N.).

17

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.

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