Beschluss des BSG vom 24.04.2024, AZ B 1 KR 84/23 B

BSG, Beschluss vom 24.04.2024, AZ B 1 KR 84/23 B, ECLI:DE:BSG:2024:240424BB1KR8423B0

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 12. Oktober 2023 wird als unzulässig verworfen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3842,14 Euro festgesetzt.

Gründe

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I. Die Beteiligten streiten über die weitere Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung und in diesem Zusammenhang über die Kodierung des Operationen- und Prozedurenschlüssels (OPS, Version 2016) 8-98f.11
(aufwendige intensivmedizinische Komplexbehandlung, 369 bis 552 Aufwandspunkte).

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Das klagende Krankenhaus behandelte im Jahr 2016 eine Versicherte der beklagten Krankenkasse vollstationär und intensivmedizinisch. Radiologische Leistungen der Magnetresonanztomografie (MRT) und Computertomografie (CT) wurden der Klägerin hierbei auf der Grundlage von Kooperationsverträgen von einer an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden radiologischen Gemeinschaftspraxis zur Verfügung gestellt, deren Räumlichkeiten sich im Gebäude des Krankenhauses befanden. Das LSG hat auf die Berufung der beklagten Krankenkasse das stattgebende Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die vom OPS 8-98f.11 geforderte radiologische Diagnostik mittels CT, Digitaler Subtraktionsangiographie oder MRT „im eigenen Klinikum“ könne nicht durch eine Kooperation mit einem klinikfremden Dritten sichergestellt werden. Zudem sei die „24-stündige Verfügbarkeit“ der radiologischen Leistungen durch die bestehenden Verträge zwischen der Klägerin und der Gemeinschaftspraxis rechtlich nicht hinreichend gesichert gewesen. Die Beklagte sei mit ihren Einwendungen auch nicht deshalb ausgeschlossen gewesen, weil sie keine Einzelfallprüfung eingeleitet habe
(Urteil vom 12.10.2023).

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Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.

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II. Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung
(§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).

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1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist
(vgl zB BSG vom 17.4.2012 – B 13 R 347/11 B – SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 14.4.2010 – 1 BvR 2856/07 – SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 ff mwN). Dem wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.

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  • a) Die Klägerin formuliert zunächst folgende Rechtsfragen:
  • „1.1. Kann die 24-stündige Verfügbarkeit der radiologischen Diagnostik mittels CT, DSA oder MRT im eigenen Klinikum im Rahmen einer Kooperation, beispielsweise mit einer Berufsausübungsgemeinschaft niedergelassener Radiologen, sichergestellt werden?
  • 1.2 Ist der unbestimmte Rechtsbegriff ‚Im eigenen Klinikum‘ nach seinem allgemeinsprachlichen Begriffskern eigentumsbezogen oder ortsbezogen auszulegen?
  • 1.3 Ist zur Erfüllung der 24-stündigen Verfügbarkeit des Verfahrens radiologische Diagnostik mittels CT, DSA oder MRT im eigenen Klinikum eine in einem schriftlichen Kooperationsvertrag geregelte 24-stündige Vor-Ort-Bereitschaft Voraussetzung?“

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b) Sie legt jedoch die grundsätzliche Bedeutung dieser Fragen nicht ausreichend dar.

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Für einzelne Kodierfragen im DRG-basierten Vergütungssystem der Krankenhausfinanzierung gelten besondere Darlegungsanforderungen
(vgl hierzu ausführlich BSG vom 19.7.2012 – B 1 KR 65/11 B – SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 10 ff mwN; BSG vom 12.8.2020 – B 1 KR 46/19 B – juris RdNr 7 f). Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage erwächst daraus, dass ihre Klärung nicht nur für den Einzelfall, sondern im Interesse der Fortbildung des Rechts oder seiner einheitlichen Auslegung erforderlich ist
(vgl BSG vom 7.10.2005 – B 1 KR 107/04 B – SozR 4-1500 § 160a Nr 9 RdNr 7 mwN). Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist eine Rechtsnorm, bei der es sich wie hier (OPS 2016) um ausgelaufenes Recht handelt, deshalb regelmäßig nicht von grundsätzlicher Bedeutung
(vgl BSG vom 15.3.2012 – B 3 KR 13/11 R – BSGE 110, 222 = SozR 4-2500 § 116b Nr 3, RdNr 17). Im Falle des DRG-basierten Vergütungssystems kommt hinzu, dass es vom Gesetzgeber als jährlich weiter zu entwickelndes
(§ 17b Abs 2 Satz 1 Krankenhausfinanzierungsgesetz – KHG; siehe ferner § 17b Abs 7 Satz 1 Nr 1 und 2 KHG) und damit als ein „lernendes“ System angelegt ist. Bei zutage tretenden Unrichtigkeiten oder Fehlsteuerungen sind in erster Linie die Vertragsparteien berufen, diese mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen
(vgl zum Ganzen BSG vom 25.11.2010 – B 3 KR 4/10 R – BSGE 107, 140 = SozR 4-2500 § 109 Nr 21, RdNr 18; vgl für die Zeit ab dem 1.1.2020 auch die Regelungen des § 19 KHG über den Schlichtungsausschuss auf Bundesebene, dessen Aufgabe nach Abs 2 der Vorschrift die verbindliche Klärung von Kodier- und Abrechnungsfragen von grundsätzlicher Bedeutung ist). Dieser Anpassungsmechanismus betrifft auch die Begriffsbestimmungen im OPS
(vgl dazu BSG vom 19.7.2012 – B 1 KR 65/11 B – SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 11 f).

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Bezogen auf die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung bedeutet dies, dass im Streit über die Anwendbarkeit einer bestimmten OPS-Nr darzulegen ist: (1) Die betroffene Einzelvorschrift hat im konkreten Fall auf die zur Ermittlung der DRG durchzuführende Groupierung Einfluss. (2) Die betroffene Einzelvorschrift gilt in späteren Vergütungsregelungen im Wortlaut unverändert erlöswirksam für die Groupierung fort. (3) Ein sich daraus in einer Vielzahl von Behandlungsfällen bereits ergebender und zukünftig zu erwartender Streit konnte von den am Abschluss der Vergütungsregelungen mitwirkenden Vertragsparteien bislang nicht einvernehmlich gelöst werden. In Fortführung dieser Rechtsprechung erwägt der Senat, in diesen Fällen eine grundsätzliche Bedeutung auch dann anzunehmen, wenn eine – hier nicht vorgetragene – uneinheitliche obergerichtliche Rechtsprechung bei einer Vielzahl noch zu entscheidender Behandlungsfällen besteht. (4) Alternativ ist darzulegen, dass der Auslegungsstreit über eine Einzelvorschrift eine strukturelle Frage des Vergütungssystems betrifft, deren Beantwortung – ungeachtet der Fortgeltung der konkret betroffenen Vorschrift – über die inhaltliche Bestimmung der Einzelvorschrift hinaus für das Vergütungssystem als Ganzes oder für einzelne Teile zukünftig von struktureller Bedeutung ist
(vgl BSG vom 19.7.2012 – B 1 KR 65/11 B – SozR 4-1500 § 160a Nr 32).

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An entsprechenden Darlegungen fehlt es im vorliegenden Fall. Die Klägerin zeigt weder auf, dass sich das Problem auch tatsächlich für andere Krankenhäuser stelle, noch führt sie an, dass es nicht gelungen sei, dieses Problem unter den Vertragsparteien einvernehmlich zu lösen. Anlass zu entsprechenden Darlegungen hätte vorliegend schon deshalb bestanden, weil der streitige OPS 8-98f zum Jahr 2021 dahingehend geändert worden ist, dass die dort genannten Verfahren jetzt nicht mehr „im eigenen Klinikum“ verfügbar sein müssen, sondern „am Standort des Krankenhauses“
(vgl dazu auch Thüringer LSG vom 17.8.2023 – L 2 KR 8/22 – juris RdNr 56; Makoski, jurisPR-MedizinR 10/2021 Anm 3).

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Die Klägerin legt auch nicht dar, dass ein strukturelles Problem des Vergütungssystems insgesamt betroffen sei. Ihr Verweis darauf, dass die aufgeworfenen Fragen „die Erbringung und Abrechnung aufwendiger intensivmedizinischer Komplexbehandlungen zwischen Krankenhäusern und Krankenkassenkassen in Deutschland jährlich zigtausendfach“ betrifft, genügt hierfür nicht.

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Hinsichtlich der Frage, ob die 24-stündige Verfügbarkeit der radiologischen Verfahren durch einen Kooperationsvertrag abzusichern ist
(Frage 1.3), setzt sich die Klägerin zudem nicht mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats auseinander, wonach eine Kooperationspartnerschaft als Strukturmerkmal nicht nur erfordert, dass Leistungen tatsächlich erbracht werden, sondern darüber hinaus, dass eine rechtlich verfestigte Kooperationsbeziehung besteht
(vgl BSG vom 19.6.2018 – B 1 KR 39/17 R – SozR 4-5562 § 9 Nr 10 RdNr 26). Dass diese vom LSG zugrunde gelegte und auch von der Klägerin (nur) zitierte Rechtsprechung auf die vorliegende Fallgestaltung – sofern man für die 24-stündige Verfügbarkeit im eigenen Klinikum eine Kooperation grundsätzlich ausreichen lässt – nicht übertragbar sein sollte, legt die Klägerin nicht dar.

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2. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab
(§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

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  • 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO, diejenige über den Streitwert auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG.
  • Estelmann
  • Matthäus
  • Bockholdt
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