BSG, Urteil vom 18.04.2024, AZ B 5 R 10/23 R, ECLI:DE:BSG:2024:180424UB5R1023R0
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 21. Februar 2023 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
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Der Kläger begehrt die Vormerkung von Kindererziehungszeiten und weiteren Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung in der gesetzlichen Rentenversicherung.
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Der 1958 geborene Kläger und die 1974 geborene U (im Folgenden: Kindsmutter) lebten zunächst in häuslicher Gemeinschaft mit ihrer 2001 geborenen Tochter. Eine übereinstimmende Erklärung zur Zuordnung der Erziehungszeit gaben sie nicht ab. Bei einer 2002 durchgeführten Kontenklärung machte der Kläger keine Kindererziehungszeiten geltend. Er war nach der Geburt der Tochter weiterhin in Vollzeit beschäftigt. Die Kindsmutter, die bis knapp fünf Wochen vor der Geburt der Tochter geringfügig beschäftigt gewesen war, nahm kurz vor deren sechsten. Geburtstag wieder eine geringfügige Beschäftigung auf. Am 10.11.2008 zog sie aus der gemeinsamen Wohnung aus und lebt seitdem vom Kläger und der Tochter dauerhaft getrennt. Am 18.4.2009 meldete sie sich von ihrem letzten Wohnsitz in Deutschland ins Ausland ab, ihr Aufenthalt seitdem ist unbekannt. Das Ruhen ihrer elterlichen Sorge wurde familiengerichtlich festgestellt.
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Auf Antrag des Klägers vom 28.4.2017 merkte die sein Versichertenkonto führende Beklagte die Zeit vom 10.11.2008 bis zum 18.7.2011 als Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung vor. Die Vormerkung von Kindererziehungszeiten für die Zeit vom 1.8.2001 bis zum 31.7.2004 lehnte sie ab, ebenso die Vormerkung von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung für die Zeit vom 19.7.2001 bis zum 9.11.2008
(Bescheid vom 25.9.2017; Widerspruchsbescheid vom 30.1.2018).
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Das SG hat die dagegen erhobene Klage abgewiesen, nachdem es den Kläger zum Umfang der Erziehungsanteile der Eltern befragt und Auskünfte bei dem von der Tochter besuchten Kindergarten, bei ihrer Grundschule sowie ihrer Kinderärztin eingeholt hatte; eine schriftliche Erklärung eines Kollegen des Klägers sowie Korrespondenz mit seinem Arbeitgeber haben vorgelegen
(Urteil vom 9.3.2020). Die Berufung des Klägers hat das LSG mit Urteil vom 21.2.2023 zurückgewiesen. Für den streitbefangenen Zeitraum vor dem Auszug der Kindsmutter sei von einer gemeinsamen Erziehung der Tochter durch die Eltern auszugehen. Die Zuordnung der Kindererziehungszeiten orientiere sich daher vorrangig am übereinstimmenden Elternwillen. Da dieser hier nicht erklärt worden sei, werde die überwiegende Erziehungsleistung maßgeblich. Es habe sich jedoch kein überwiegender Erziehungsanteil des Klägers bereits im streitbefangenen Zeitraum nachweisen lassen. Bezogen auf den Teilzeitraum von der Geburt der Tochter bis zur Aufnahme in den Kindergarten habe der Kläger nichts vorgetragen. Es bestünden auch sonst keine Anhaltspunkte dafür, dass er die Tochter im Baby- und Kleinkindalter neben seiner Vollzeittätigkeit versorgt habe, während die Kindsmutter in diesem Teilzeitraum keiner Berufstätigkeit nachgegangen sei. Ebenso wenig lasse sich feststellen, dass während der Kindergarten- und Grundschulzeit sein Erziehungsanteil gegenüber demjenigen der Kindsmutter überwogen habe. Die Erziehungszeit sei daher gemäß § 56 Abs 2 Satz 9 Teilsatz 1 SGB VI der Kindsmutter zuzuordnen. Die Regelung, die auch nach der zum 1.1.2019 erfolgten Neufassung des § 56 Abs 2 Satz 8 bis 10 SGB VI bloß als widerlegliche Vermutung anzuwenden sei, verstoße nicht gegen Verfassungsrecht. Die Zuordnung der Erziehungszeit orientiere sich, um keine überkommenen Rollenbilder festzuschreiben und die erziehenden Väter nicht zu diskriminieren, vorrangig am gemeinschaftlichen Willen der Eltern und, wenn dieser nicht erklärt worden sei, an der überwiegenden Erziehungsleistung. Erst nachrangig erfolge eine Zuordnung bei der Mutter. Die Regelung, die auch nach der Gesetzesänderung zum 1.1.2019 beibehalten worden sei, diene der eigenständigen sozialen Sicherung von Frauen. Die nunmehr in § 56 Abs 2 Satz 10 SGB VI vorgesehene Regelung zur Aufteilung der Erziehungszeiten im kalendermonatlichen Wechsel zwischen den Elternteilen komme nur zur Anwendung, wenn bei gleichgeschlechtlichen Eltern keine Zuordnung der Elternzeit nach Satz 9 möglich sei.
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Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner vom LSG zugelassenen Revision. Er rügt ua eine Verletzung der gleichheitsrechtlichen Anforderungen aus Art 3 Abs 3 Satz 1 iVm Art 3 Abs 2 Satz 1 GG. Er werde aufgrund seines Geschlechts benachteiligt. Das hinter der Zuordnungsregelung in § 56 Abs 2 Satz 9 Teilsatz 1 SGB VI stehende Rollen- und Familienbild entspreche auch nicht mehr der gesellschaftlichen Realität. Eine an das Geschlecht anknüpfende Benachteiligung liege ferner darin, dass bei gleichgeschlechtlichen Elternpaaren in vergleichbarer Situation die Kindererziehungszeiten zu gleichen Teilen zwischen den Elternteilen aufgeteilt würden.
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- Der Kläger beantragt,
- die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 21. Februar 2023 und des Sozialgerichts Darmstadt vom 9. März 2020 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung ihres Bescheids vom 25. September 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Januar 2018 zu verpflichten, für den Kläger Kindererziehungszeiten vom 1. August 2001 bis zum 31. Juli 2004 und weitere Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung vom 19. Juli 2001 bis zum 9. November 2008 vorzumerken.
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- Die Beklagte beantragt,
- die Revision des Klägers zurückzuweisen.
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Sie erachtet das angegriffene Urteil als zutreffend.
Entscheidungsgründe
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A. Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Revision des Klägers ist unbegründet und daher zurückzuweisen
(§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG).
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I. Gegenstand der revisionsrechtlichen Überprüfung ist neben den vorinstanzlichen Entscheidungen der Bescheid vom 25.9.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.1.2018, soweit die Beklagte darin die Vormerkung der Zeit vom 1.8.2001 bis zum 31.7.2004 als Kindererziehungszeit und der Zeit vom 19.7.2001 bis zum 9.11.2008 als weitere Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung ablehnte. Es handelt sich um einen außerhalb eines Kontenklärungsverfahrens
(§ 149 Abs 4 und 5 SGB VI) ergangen Vormerkungsbescheid
(sog ausgelagerter Vormerkungsbescheid; vgl hierzu BSG Urteil vom 16.6.2021 – B 5 RE 5/20 R – BSGE 132, 198 = SozR 4-2400 § 26 Nr 5, RdNr 15). Der Kläger verfolgt sein auf den Erlass eines geänderten Vormerkungsbescheids gerichtetes Begehren zutreffend mit einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage
(§ 54 Abs 1 Satz 1 Alt 1 iVm Alt 2, § 56 SGG).
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II. Einer Sachentscheidung des Senats steht nicht entgegen, dass eine Beiladung der Kindsmutter unterblieben ist. Zwar ist in einem Rechtsstreit um die Anrechnung von Kindererziehungszeiten bei einem Elternteil grundsätzlich der andere Elternteil notwendig beizuladen nach § 75 Abs 2 Alt 1 SGG
(stRspr; vgl zB BSG Urteil vom 27.6.1990 – 5 RJ 6/90 – SozR 3-1500 § 75 Nr 3 S 6; BSG Urteil vom 29.10.2002 – B 4 RA 6/02 R – SozR 3-2600 § 71 Nr 3 S 31; BSG Urteil vom 5.4.2023 – B 5 R 36/21 R – SozR 4-6710 Art 4 Nr 3 <vorgesehen> RdNr 14). Das Unterlassen einer notwendigen Beiladung ist ein im Revisionsverfahren von Amts wegen zu berücksichtigender Verfahrensverstoß
(stRspr; vgl zB BSG Urteil vom 11.5.2011 – B 5 R 22/10 R – juris RdNr 18 mwN), der, wenn die Beiladung nicht im Revisionsverfahren nach § 168 Satz 2 SGG nachgeholt wird, regelmäßig zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung führt. Dass der Aufenthalt der Kindsmutter unbekannt ist, steht ihrer Beiladung nicht entgegen. Insoweit wäre vom LSG und bereits vom SG eine öffentliche Zustellung des Beiladungsbeschlusses nach § 75 Abs 3 Satz 1, § 63 Abs 2 Satz 1 SGG iVm § 185 Nr 1 ZPO in Betracht zu ziehen gewesen
(vgl zu den Voraussetzungen einer öffentlichen Zustellung zB BSG Beschluss vom 14.12.2023 – B 4 AS 72/23 B – juris RdNr 7 mwN). Eine unterbliebene notwendige Beiladung zieht jedoch dann keine Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung nach sich, wenn sich im Revisionsverfahren ergibt, dass die Klage in jedem Fall abgewiesen werden muss
(vgl grundlegend BSG Urteil vom 18.1.1990 – 4 RA 4/89 – BSGE 66, 144, 146 = SozR 3-5795 § 6 Nr 1 S 3; BSG Urteil vom 6.4.2006 – B 7a AL 56/05 R – BSGE 96, 190 = SozR 4-4300 § 421g Nr 1, RdNr 20; BSG Urteil vom 23.2.2011 – B 11 AL 15/10 R – SozR 4-3250 § 51 Nr 2 RdNr 15; BSG Urteil vom 5.4.2023 – B 5 R 36/21 R – SozR 4-6710 Art 4 Nr 3 <vorgesehen> RdNr 14). So ist es hier. Wie sogleich auszuführen ist, besteht der geltend gemachte Anspruch des Klägers nicht. Verzichtbar gewesen ist deswegen auch eine Nachholung der Beiladung im Revisionsverfahren
(vgl hierzu zB B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl 2023, § 168 RdNr 3d mwN).
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III. Zu Recht hat das LSG die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und beschwert ihn daher nicht iS des § 54 Abs 2 Satz 1 SGG.
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1. Der Kläger kann die Vormerkung weiterer rentenrechtlicher Zeiten wegen der Erziehung der Tochter nicht beanspruchen. Als einzige Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch kommt § 149 Abs 5 Satz 1 SGB VI in Betracht. Danach setzt der Versicherungsträger nach Klärung des Versicherungskontos die im Versicherungsverlauf enthaltenen und nicht bereits festgestellten Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurückliegen, durch Bescheid fest
(vgl zum Umfang zulässiger Feststellungen im Vormerkungsbescheid BSG Urteil vom 21.3.2018 – B 13 R 19/14 R – SozR 4-2600 § 149 Nr 5 RdNr 16, 22). Der Rentenversicherungsträger ist befugt, aber nicht verpflichtet, auf Antrag auch außerhalb eines Kontenklärungsverfahrens die Sozialdaten, die in den Versicherungsverlauf iS des § 149 Abs 3 SGB VI aufzunehmen sind, festzustellen. Die Befugnis zum Erlass eines ausgelagerten Vormerkungsbescheids besteht hinsichtlich solcher geklärten Daten, die noch keine sechs Jahre zurückliegen
(vgl speziell zur Vormerkung rentenrechtlicher Zeiten wegen der Erziehung von Kindern bereits BSG Urteil vom 28.2.1991 – 4 RA 76/90 – BSGE 68, 171, 174 = SozR 3-2200 § 1227a Nr 7 S 14, juris RdNr 18; aus jüngerer Zeit zB BSG Urteil vom 21.3.2018 – B 13 R 19/14 R – SozR 4-2600 § 149 Nr 5 RdNr 15; BSG Urteil vom 21.10.2021 – B 5 R 28/21 R – BSGE 133, 64 = SozR 4-2600 § 56 Nr 11, RdNr 14). Sie besteht gleichermaßen bezüglich geklärter Daten, die, wie hier, bereits mehr als sechs Jahre in der Vergangenheit liegen
(vgl ebenfalls speziell zur Vormerkung rentenrechtlicher Zeiten wegen der Erziehung von Kindern BSG Urteil vom 17.11.1992 – 4 RA 15/91 – BSGE 71, 227 = SozR 3-2600 § 56 Nr 4, juris RdNr 21 und BSG Urteil vom 16.11.1993 – 4 RA 39/92 – juris RdNr 16). Entscheidet der Rentenversicherungsträger gesondert über die Vormerkung rentenrechtlicher Zeiten, muss er einen inhaltlich zutreffenden Vormerkungsbescheid erlassen
(aaO). Das trifft auf den Bescheid vom 25.9.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.1.2018 zu, soweit er hier angegriffen ist. Die Beklagte lehnte es darin in Übereinstimmung mit den rechtlichen Vorgaben ab, die Zeit vom 1.8.2001 bis zum 31.7.2004 als Kindererziehungszeit und die Zeit vom 19.7.2001 bis zum 9.11.2008 als weitere Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung für den Kläger vorzumerken.
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a) Ob die Beklagte zur Vormerkung der streitbefangenen Zeiten verpflichtet ist, hat der Senat hier nach dem im Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgeblichen Recht zu beurteilen. Inhalt der feststellenden Regelung eines Vormerkungsbescheids ist, ob ein vom Versicherten geltend gemachter „Vorleistungstatbestand“ nach seinen tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen nach dem zum Zeitpunkt des Erlasses des Vormerkungsbescheids geltenden materiellen Recht erfüllt ist, sodass die Möglichkeit besteht, dass er in einem künftigen Leistungsfall rentenrechtlich relevant werden kann
(stRspr; vgl zuletzt BSG Urteil vom 5.4.2023 – B 5 R 4/22 R – SozR 4 <vorgesehen> RdNr 17 mwN). Die Beklagte zog daher im Verwaltungsverfahren zutreffend das bei Bescheiderlass geltende Recht heran
(§ 300 Abs 1 SGB VI). Im sozialgerichtlichen Verfahren beurteilen sich Ansprüche aus § 149 Abs 5 Satz 1 SGB VI dementsprechend nach dem im Zeitpunkt der gerichtlichen Überprüfung geltenden materiellen Recht, denn gestritten wird über die Vormerkung von Tatbeständen, die in der Zukunft rentenerheblich sein können
(vgl BSG Urteil vom 24.10.1996 – 4 RA 108/95 – SozR 3-2600 § 58 Nr 9 S 50, juris RdNr 23; BSG Urteil vom 3.4.2001 – B 4 RA 89/00 R – SozR 3-2600 § 56 Nr 15 S 81 f, juris RdNr 14 mwN).
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b) § 56 Abs 1 SGB VI in der hier demnach maßgeblichen aktuellen Fassung der Neubekanntmachung vom 19.2.2002
(BGBl I 754) definiert Kindererziehungszeiten als Zeiten der Erziehung eines Kindes in dessen ersten drei Lebensjahren
(Satz 1). Für einen Elternteil wird eine Kindererziehungszeit angerechnet, wenn 1. die Erziehungszeit diesem Elternteil zuzuordnen ist, 2. die Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist oder einer solchen gleichsteht und 3. der Elternteil nicht von der Anrechnung ausgeschlossen ist
(Satz 2). Nach § 57 Satz 1 SGB VI, der aktuell ebenfalls in der Fassung der Neubekanntmachung vom 19.2.2002 gilt, ist die Zeit der Erziehung eines Kindes bis zu dessen vollendetem zehnten Lebensjahr bei einem Elternteil eine Berücksichtigungszeit, soweit die Voraussetzungen für die Anrechnung einer Kindererziehungszeit auch in dieser Zeit vorliegen.
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c) Gemessen daran sind für den Kläger im streitbefangenen Zeitraum keine rentenrechtlichen Zeiten wegen der Erziehung der Tochter anzurechnen. Die Erziehungszeit vor dem 10.11.2008 ist ihm nicht iS des § 56 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB VI zuzuordnen.
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aa) Zur Zuordnung der Erziehungszeit bestimmt § 56 Abs 2 SGB VI in der seit dem 1.1.2019 geltenden Fassung des RV-Leistungsverbesserungs- und Stabilisierungsgesetzes vom 28.11.2018
(BGBl I 2016), dass, wenn mehrere Elternteile das Kind gemeinsam erzogen haben, die Erziehungszeit einem Elternteil zugeordnet wird
(Satz 2). Haben die Eltern ihr Kind gemeinsam erzogen, können sie durch eine übereinstimmende Erklärung bestimmen, welchem Elternteil sie zuzuordnen ist
(Satz 3); die Sätze 4 bis 7 enthalten Regelungen zur Abgabe, zum Inhalt und zu den Rechtsfolgen einer solchen Erklärung. Haben die Eltern eine übereinstimmende Erklärung nicht abgegeben, wird die Erziehungszeit dem Elternteil zugeordnet, der das Kind überwiegend erzogen hat
(Satz 8). Liegt eine überwiegende Erziehung durch einen Elternteil nicht vor, erfolgt die Zuordnung zur Mutter, bei gleichgeschlechtlichen Elternteilen zum Elternteil nach den §§ 1591 oder 1592 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, oder, wenn es einen solchen nicht gibt, zu demjenigen Elternteil, der seine Elternstellung zuerst erlangt hat
(Satz 9). Ist eine Zuordnung nach den Sätzen 8 und 9 nicht möglich, werden die Erziehungszeiten zu gleichen Teilen im kalendermonatlichen Wechsel zwischen den Elternteilen aufgeteilt, wobei der erste Kalendermonat dem älteren Elternteil zuzuordnen ist
(Satz 10).
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Für den Begriff „Elternteil“ verweist § 56 Abs 1 Satz 2 SGB VI auf § 56 Abs 1 Satz 1 Nr 3 und Abs 3 Nr 2 und 3 SGB I. Die Begriffe „gemeinsame Erziehung“ und „überwiegende Erziehung“ sind nicht gesetzlich definiert. Beim weit zu verstehenden Begriff der gemeinsamen Erziehung wirken die Elternteile in Ausübung ihres Elternrechts zusammen, sodass für denselben Erziehungszeitraum Erziehungsanteile und -beiträge der mehreren Elternteile vorliegen
(vgl BSG Urteil vom 16.12.1997 – 4 RA 60/97 – SozR 3-2600 § 56 Nr 10 S 46, juris RdNr 14; vgl auch Fichte in Hauck/Noftz SGB VI, 4. Ergänzungslieferung 2023, § 56 RdNr 35). Die häusliche Gemeinschaft mit dem Kind ist hierfür ein gewichtiges Indiz
(vgl Gürtner in BeckOGK, SGB VI, § 56, Stand 1.12.2018, RdNr 25; Schuler-Harms in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 3. Aufl 2021, Stand 1.4.2021, § 56 RdNr 34). Unter „überwiegender Erziehung“ wird die Erziehungsleistung desjenigen Elternteils verstanden, der sich dem Kind in dem Sinne in höherem Maß zuwendet, dass er sich der Förderung dessen körperlicher, geistiger und seelischer Entwicklung in größerem Ausmaß und höherer Intensität widmet
(vgl BSG Urteil vom 16.12.1997 – 4 RA 60/97 – SozR 3-2600 § 56 Nr 10 S 46, juris RdNr 15 f). Dies beurteilt sich nicht nach dem jeweiligen erzieherischen Einfluss, sondern einem Vergleich der Erziehungsbeiträge nach objektiven Maßstäben, insbesondere danach, in wessen Haushalt das Kind aufgenommen ist und welcher Elternteil sich ihm in zeitlich größerem Umfang widmet
(BSG Urteil vom 28.2.1991 – 4 RA 76/90 – BSGE 68, 171 = SozR 3-2200 § 1227a Nr 7, juris RdNr 29; BSG Urteil vom 17.4.2008 – B 13 R 131/07 R – SozR 4-2600 § 56 Nr 5 RdNr 15; vgl auch die Entwurfsbegründung zum HEZG, BT-Drucks 10/2677 S 33; vgl dazu, dass auch im Unterhaltsvorschussrecht die Betreuungsleistung der Elternteile nicht qualitativ zu beurteilen ist, sondern anhand der auf sie jeweils entfallenden Zeitanteile, BVerwG Urteil vom 12.12.2023 – 5 C 9.22 – juris RdNr 14 mwN zur Gegenmeinung). Zu würdigen ist dabei auch das jeweilige Ausmaß der Berufstätigkeit der Elternteile
(vgl zu diesem Gesichtspunkt bereits BSG Urteil vom 31.8.2000 – B 4 RA 28/00 R – juris RdNr 24; BSG Urteil vom 3.4.2001 – B 4 RA 89/00 R – SozR 3-2600 § 56 Nr 15 S 90, juris RdNr 30).
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Wer im Einzelfall nach objektiven Gesichtspunkten das Kind überwiegend erzogen hat, ist vom Rentenversicherungsträger zu ermitteln
(§ 20 SGB X) und im Streitfall durch die Gerichte
(§ 103 SGG – vgl hierzu BSG Urteil vom 31.8.2000 – B 4 RA 28/00 R – juris RdNr 16; BSG Urteil vom 3.4.2001 – B 4 RA 89/00 R – SozR 3-2600 § 56 Nr 15 S 82 f, juris RdNr 17). Dabei müssen die Tatsachen, die für die Anrechnung von Kindererziehungszeiten beim Betroffenen erheblich sind, zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen
(vgl dazu, dass nur für Kindererziehungszeiten vor dem 1.1.1986 eine Glaubhaftmachung ausreicht, § 249 Abs 5 SGB VI).
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bb) Ausgehend von den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG
(§ 163 SGG) wurde die Tochter im streitbefangenen Zeitraum vom Kläger und der Mutter gemeinsam erzogen, ohne dass die Eltern eine übereinstimmende Erklärung zur Zuordnung der Erziehungszeit abgegeben haben. Die Zuordnung der streitbefangenen Erziehungszeit zum Kläger setzt mithin voraus, dass er die Tochter bereits vor dem 10.11.2008 iS des § 56 Abs 2 Satz 8 SGB VI überwiegend erzog. Die tatsächlichen Feststellungen des LSG, die auf den umfangreichen Ermittlungen im sozialgerichtlichen Verfahren beruhen, tragen seine Beurteilung, dass sich dies für den streitbefangenen Zeitraum nicht erweisen lasse.
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cc) Auf die Regelung in § 56 Abs 2 Satz 10 SGB VI, wonach die Erziehungszeiten im monatlichen Wechsel zwischen den Elternteilen aufgeteilt werden, kann der Kläger sich von vornherein nicht berufen. Es handelt sich um eine weitere Auffangregelung, die nicht zur Anwendung kommt, wenn die Erziehung, wie hier, durch verschiedengeschlechtliche Elternteile und dabei auch durch die Mutter erfolgt
(im Ergebnis ebenso Dankelmann in Kreikebohm/Roßbach, SGB VI, 6. Aufl 2021, § 56 RdNr 15; Fiebig in Reinhardt/Silber, SGB VI, 5. Aufl 2021, § 56 RdNr 13; Kreikebohm/Jassat in BeckOK Sozialrecht, 71. Ed 1.12.2023, § 56 SGB VI RdNr 12; aA Fichte in Hauck/Noftz, SGB VI, 4. Ergänzungslieferung 2023, § 56 RdNr 37; Schuler-Harms in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 3. Aufl 2021, Stand 1.4.2021, § 56 RdNr 40, 42). Das ergibt sich im Wege der Auslegung der Vorschrift.
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(1) Nach seinem Wortlaut („Ist eine Zuordnung nach den Sätzen 8 und 9 nicht möglich“) regelt § 56 Abs 2 Satz 10 SGB VI die Zuordnung von Erziehungszeiten ausschließlich für Konstellationen, in denen keine Zuordnung anhand der beiden vorherigen Sätze erfolgen kann. Dass es sich bei der Regelung in Satz 10 um eine bloße Auffangregelung handelt, wird durch die Systematik des § 56 Abs 2 SGB VI gestützt, nach der Satz 10 an letzter Stelle des Absatzes steht.
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(2) Einer solchen Auffangregelung bedarf es nicht, wenn ein Kind von verschiedengeschlechtlichen Elternteilen einschließlich der Mutter erzogen wird. Die Erziehungszeit lässt sich in diesen Fällen zumindest anhand der Regelung in Satz 9 Teilsatz 1 zuordnen.
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In der Auslegung, die § 56 Abs 2 SGB VI in der Rechtsprechung des BSG erfahren hat, unterscheidet die Vorschrift drei Kategorien von Erziehung: die Alleinerziehung, die gemeinsame Erziehung und die überwiegende Erziehung
(vgl BSG Urteil vom 16.12.1997 – 4 RA 60/97 – SozR 3-2600 § 56 Nr 10 S 46, juris RdNr 13; BSG Urteil vom 3.4.2001 – B 4 RA 89/00 R – SozR 3-2600 § 56 Nr 15 S 82 f, juris RdNr 17). Zwischen Alleinerziehung einerseits und gemeinsamer und überwiegender Erziehung andererseits besteht ein Verhältnis der Exklusivität, während sich die Tatbestände der gemeinsamen und überwiegenden Erziehung nicht ausschließen
(vgl BSG Urteil vom 16.12.1997 – 4 RA 60/97 – SozR 3-2600 § 56 Nr 10 S 46, juris RdNr 13; vgl auch BSG Urteil vom 3.4.2001 – B 4 RA 89/00 R – SozR 3-2600 § 56 Nr 15 S 82 f, juris RdNr 17; anders noch BSG Urteil vom 17.11.1992 – 4 RA 15/91 – BSGE 71, 227, 229 = SozR 3-2600 § 56 Nr 4 S 13, juris RdNr 24). Um die abgestuften Zuordnungsregelungen in § 56 Abs 2 SGB VI zur Anwendung zu bringen, ist zunächst danach zu differenzieren, ob ein Elternteil das Kind allein erzogen hat oder ob mehrere Elternteile das Kind erzogen haben. Im ersteren Fall wird nach Satz 1 die Kindererziehungszeit dem erziehenden Elternteil zugeordnet. Im Fall der Erziehung durch mehrere Elternteile ist weiter zu prüfen, ob ein Elternteil das Kind überwiegend erzogen hat. Nach der Grundregelung im jetzigen Satz 8 wird diesem die Kindererziehungszeit zugeordnet. Haben die mehreren Elternteile, wie regelmäßig, das Kind gemeinsam erzogen
(aA Fichte in Hauck/Noftz, SGB VI, 4. Ergänzungslieferung 2023, § 56 RdNr 38, demzufolge Alternativität zwischen einer „gemeinsamen Erziehung“ und einer „Erziehung durch mehrere Elternteile“ bestehe), besteht allerdings die Möglichkeit, durch eine übereinstimmende Erklärung iS des Satz 3 zu bestimmen, welchem Elternteil die Erziehungszeit zuzuordnen ist. Eine solche Erklärung des Elternwillens ist von der Verwaltung und den Gerichten zwingend zu beachten, ohne dass überprüft würde, ob ihr Inhalt der tatsächlichen Erziehungssituation entspricht
(vgl BSG Urteil vom 16.12.1997 – 4 RA 60/97 – SozR 3-2600 § 56 Nr 10 S 47, juris RdNr 16). Fehlt eine übereinstimmende Erklärung und lässt sich eine überwiegende Erziehung durch einen Elternteil nicht ermitteln, ist nach der Regelung im jetzigen Satz 9 Teilsatz 1 bei verschiedengeschlechtlichen Elternteilen die Erziehungszeit der Mutter zuzuordnen. Es handelt sich zwar lediglich um eine Auffangregelung, die eine widerlegliche Vermutung enthält
(vgl BSG Urteil vom 16.11.1993 – 4 RA 39/92 – juris RdNr 17; BSG Urteil vom 25.1.1994 – 4 RA 48/92 – juris RdNr 37; BSG Urteil vom 3.4.2001 – B 4 RA 89/00 R – SozR 3-2600 § 56 Nr 15 S 90, juris RdNr 30; BSG Urteil vom 23.10.2003 – B 4 RA 15/03 R – BSGE 91, 245 = SozR 4-2600 § 56 Nr 1 RdNr 16; BSG Urteil vom 17.4.2008 – B 13 R 131/07 R – SozR 4-2600 § 56 Nr 5 RdNr 17). Hierüber ist jedoch eine abschließende Zuordnung der Kindererziehungszeit in allen Fällen möglich, in denen, wie hier, das Kind auch durch die Mutter erzogen wurde und die vorrangigen Zuordnungsregelungen in Satz 3 und 8 nicht greifen.
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(3) Dass § 56 Abs 2 Satz 10 SGB VI unanwendbar ist in Konstellationen wie hier, entspricht auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift, wie er sich aus den Gesetzesmaterialien erschließt.
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Der Satz 10 wurde mit Wirkung zum 1.1.2019 durch das RV-Leistungsverbesserungs- und Stabilisierungsgesetz vom 28.11.2018
(BGBl I 2016) angefügt. Zugleich wurden die bisherigen Sätze 8 und 9 in ihrer Reihenfolge vertauscht sowie jeweils geändert. Den Materialien ist zu entnehmen, dass mit der Umstellung der bisherigen Sätze 8 und 9 besser abgebildet werden sollte, dass die Zuordnung von Kindererziehungszeiten anhand eines gestuften Regelungssystems erfolgt
(„aus rechtssystematischen Gründen“, vgl die Entwurfsbegründung zum RV-Leistungsverbesserungs- und Stabilisierungsgesetz BT-Drucks 19/4668 S 32 zu Art 1 Nr 2). Die inhaltliche Änderung der jetzigen Sätze 8 und 9 sowie die Anfügung von Satz 10 erfolgten in erster Linie im Hinblick auf gleichgeschlechtliche Elternteile, die keine übereinstimmende Erklärung zur Zuordnung der Kindererziehungszeit abgegeben haben und bei denen keine überwiegende Erziehung durch einen Elternteil vorliegt. Auf Grundlage der bisherigen Regelungen konnte die Erziehungszeit nicht in sämtlichen dieser Fälle zugeordnet werden
(vgl die Entwurfsbegründung zum RV-Leistungsverbesserungs- und Stabilisierungsgesetz BT-Drucks 19/4668 S 31 f zu Art 1 Nr 2). Die Auffangregelung im jetzigen Satz 9 wurde deswegen für gleichgeschlechtliche Elternteile dahin erweitert, dass die Zuordnung der Erziehungszeit zur leiblichen Mutter iS des § 1591 oder zum Vater iS des § 1592 BGB erfolgt
(Teilsatz 2); wenn es keinen solchen Elternteil gibt, zum Elternteil, der bei einer Sukzessivadoption seine Elternstellung zuerst erlangt hat
(Teilsatz 3). Ferner wurde im neuen Satz 10 eine weitere Auffangregelung geschaffen für die Fälle, bei denen selbst die erweiterte Regelung in Satz 9 keine Zuordnung der Erziehungszeit ermöglicht. Danach wird die Erziehungszeit im kalendermonatlichen Wechsel zwischen den Elternteilen aufgeteilt.
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Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob die weitere Auffangregelung in Satz 10, die nach dem Wortlaut keine Erziehung durch gleichgeschlechtliche Elternteile voraussetzt, besondere Fallgestaltungen der Erziehung durch verschiedengeschlechtliche Elternteile erfasst, in denen eine Zuordnung der Erziehungszeit nach den Regelungen in den Sätzen 8 und 9 im Einzelfall versagt. Es spricht jedenfalls nichts dafür, dass die neu angefügte weitere Auffangregelung in Satz 10 für die Erziehung durch verschiedengeschlechtliche Elternteile und dabei auch durch die Mutter gelten soll. Mit einem solchen Verständnis wäre die Auffangregelung im jetzigen Satz 9 Teilsatz 1 überflüssig geworden, die der Gesetzgeber im Zuge der Änderung des § 56 Abs 2 SGB VI aber gerade beibehalten hat.
28
2. Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass die hier zur Anwendung kommende Auffangregelung in § 56 Abs 2 Satz 9 Teilsatz 1 SGB VI den Kläger in seinen Grundrechten verletzt. Der 13. Senat des BSG hat bezogen auf Kindererziehungszeiten bis 1992 bereits entschieden, dass die seinerzeit in Satz 8 enthaltene Regelung, wonach eine Erziehungszeit im Zweifel der Mutter zugeordnet wird, nicht gegen Verfassungsrecht verstößt
(BSG Urteil vom 17.4.2008 – B 13 R 131/07 R – SozR 4-2600 § 56 Nr 5 RdNr 17 ff; vgl auch BSG Beschluss vom 25.2.2020 – B 13 R 284/18 B – juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 22.12.2021 – B 5 R 163/21 B – juris RdNr 11). Der Senat schließt sich dem, bezogen auf den hier betroffenen Zeitraum bis 2011 und darüber hinaus, an und überträgt die Erwägungen auf die seit dem 1.1.2019 geltende Rechtslage.
29
a) Die Auffangregelung in § 56 Abs 2 Satz 9 Teilsatz 1 SGB VI verletzt nicht die gleichheitsrechtlichen Anforderungen aus Art 3 Abs 3 Satz 1 iVm mit Abs 2 Satz 1 GG, indem sie Mütter begünstigt.
30
aa) Nach Art 3 Abs 2 Satz 1 GG sind Männer und Frauen gleichberechtigt. Damit sollen Diskriminierungen wegen des Geschlechts ausgeschlossen werden, die auch Art 3 Abs 3 Satz 1 GG verbietet
(vgl, auch zum Folgenden, BVerfG Urteil vom 28.1.1992 – 1 BvR 1025/82 ua – BVerfGE 85, 191, juris RdNr 53; BVerfG Beschluss vom 16.11.1993 – 1 BvR 258/86 – BVerfGE 89, 276, juris RdNr 37; BVerfG <Kammer> Beschluss vom 1.6.2022 – 1 BvR 75/20 – juris RdNr 21 mwN). Gleichzeitig stellt Art 3 Abs 2 GG ein Gleichberechtigungsgebot auf und erstreckt dieses auch auf die gesellschaftliche Wirklichkeit. Der Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ will nicht nur Rechtsnormen beseitigen, die Vor- oder Nachteile an Geschlechtsmerkmale anknüpfen, sondern für die Zukunft Gleichberechtigung der Geschlechter durchsetzen. Er zielt auf eine Angleichung der Lebensverhältnisse. Durch die Anfügung von Satz 2 in Art 3 Abs 2 GG ist ausdrücklich klargestellt worden, dass sich das Gleichberechtigungsgebot auf die gesellschaftliche Wirklichkeit erstreckt
(vgl BVerfG Beschluss vom 14.4.2010 – 1 BvL 8/08 – BVerfGE 126, 29, juris RdNr 65 mwN). Aus Art 3 Abs 2 und Abs 3 GG wird auch das allgemeinere Verbot abgeleitet, tradierte Rollenzuweisungen zulasten von Frauen durch mittelbare rechtliche Einwirkungen zu verfestigen
(vgl hierzu Nußberger in Sachs, GG, 9. Aufl 2021, Art 3 RdNr 255 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des BVerfG).
31
Vor diesem Hintergrund darf das Geschlecht grundsätzlich nicht als Anknüpfungspunkt für eine rechtliche Ungleichbehandlung herangezogen werden. An das Geschlecht anknüpfende differenzierende Regelungen sind nur ausnahmsweise mit Art 3 Abs 3 Satz 1 iVm Abs 2 Satz 1 GG vereinbar, soweit sie zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur entweder bei Männern oder bei Frauen auftreten können, zwingend erforderlich sind, oder wenn sie sich im Wege einer Abwägung mit kollidierendem Verfassungsrecht ausnahmsweise legitimieren lassen
(vgl BVerfG Urteil vom 28.1.1992 – 1 BvR 1025/82 ua – BVerfGE 85, 191, juris RdNr 55, 61; BVerfG Beschluss vom 24.1.1995 – 1 BvL 18/93 ua – BVerfGE 92, 91, juris RdNr 68; BVerfG <Kammer> Beschluss vom 7.10.2003 – 2 BvR 2118/01 – BVerfGK 2, 36; juris RdNr 27; BVerfG Beschluss vom 25.10.2005 – 2 BvR 524/01 – BVerfGE 114, 357, juris RdNr 25; BVerfG <Kammer> Beschluss vom 7.11.2008 – 2 BvR 1870/07 – BVerfGK 14, 381, juris RdNr 26).
32
Aus dem durch Art 6 Abs 2 Satz 1 GG geschützten Elternrecht der Väter ergibt sich hier kein strengerer Maßstab. Leitbild des Art 3 Abs 2 Satz 1 GG iVm Art 6 Abs 2 Satz 1 GG ist eine Gleichberechtigung beider Elternteile
(vgl BVerfG Beschluss vom 25.10.2005 – 2 BvR 524/01 – BVerfGE 114, 357, juris RdNr 39 mwN). Der Gesetzgeber ist aber befugt, bei der Ausgestaltung der konkreten Rechte beider Elternteile die unterschiedlichen tatsächlichen Verhältnisse zu berücksichtigen
(aaO juris RdNr 41).
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bb) Ausgehend von diesem Maßstab verstößt die Mütter bevorzugende Auffangregelung in § 56 Abs 2 Satz 9 Teilsatz 1 SGB VI jedenfalls derzeit nicht gegen gleichheitsrechtliche Anforderungen. Zwar bewirkt die Regelung in ihrem Anwendungsbereich eine unmittelbare Benachteiligung aller anderen im konkreten Einzelfall erziehenden Elternteile, die nicht Mutter
(§ 1591 BGB) des erzogenen Kinds sind, und damit auch eine unmittelbare Benachteiligung des Kindsvaters. Die Regelung dient auch nicht zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur entweder bei Männern oder bei Frauen auftreten können. Die Frage, wem die Kindererziehung zwecks Anerkennung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung im Zweifel zuzuordnen ist, betrifft Elternteile jedweden Geschlechts. Die durch die Auffangregelung in § 56 Abs 2 Satz 9 Teilsatz 1 SGB VI bewirkte unmittelbare Benachteiligung von Männern ist jedoch durch das ebenfalls aus Art 3 Abs 2 GG abgeleitete Gleichstellungsgebot noch gerechtfertigt. Dieses berechtigt den Gesetzgeber, faktische Nachteile, die typischerweise Frauen treffen, durch begünstigende Regelungen auszugleichen
(vgl BVerfG Beschluss vom 28.1.1987 – 1 BvR 455/82 – BVerfGE 74, 163, juris RdNr 46; BVerfG Beschluss vom 24.1.1995 – 1 BvL 18/93 ua – BVerfGE 92, 91, juris RdNr 68). Indem die Auffangregelung die Erziehungszeit im Zweifel der Mutter zuordnet, werden Nachteile ausgeglichen, die infolge der Erziehungsleistung beim Erwerb von Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung bestehen und die Frauen weiterhin deutlich häufiger betreffen als Männer.
34
(1) Die Anerkennung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung bezweckte von Anfang an auch eine Schließung der Versorgungslücken, die aufgrund der Kindererziehung entstehen können
(vgl hierzu bereits BSG Urteil vom 17.4.2008 – B 13 R 131/07 R – SozR 4-2600 § 56 Nr 5 RdNr 17). Bereits bei Einführung der Vorgängerregelungen zu § 56 SGB VI durch das Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetz (HEZG) vom 11.7.1985
(BGBl I 1450) mWv 1.1.1986 wurde dem Umstand Rechnung getragen, dass in Familien mit kleinen Kindern vielfach ein Ehegatte keine oder nur eingeschränkte eigene Rentenansprüche aufbauen kann
(vgl die Entwurfsbegründung zum HEZG in BT-Drucks 10/2677 S 28 zu B.I). Der damalige Gesetzgeber ging davon aus, dass dies häufig Frauen betrifft. Die Anrechnung von Kindererziehungszeiten wurde daher von Anfang an als Beitrag zur Verbesserung der eigenständigen sozialen Sicherung von Frauen konzipiert
(aaO). Das ist ein legitimer Zweck.
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Zunächst war vorgesehen, dass bei einer gemeinsamen Erziehung durch Mutter und Vater die Kindererziehungszeiten bei Ersterer angerechnet werden, wenn nicht die Eltern eine anderslautende übereinstimmende Erklärung abgeben
(vgl § 1227a Abs 2 Satz 1 RVO; § 27 Abs 1 Buchst c AVG). Durch das RRG 1992 vom 18.12.1989
(BGBl I 2261) wurden mit Wirkung zum 1.1.1992 die inhaltlich geänderten Zuordnungsregelungen in § 56 Abs 2 SGB VI überführt. Weiterhin erfolgte die Zuordnung der Kindererziehungszeiten in der Regel bei der Mutter. Die Möglichkeit der Eltern, durch übereinstimmende Erklärung die Erziehungszeit dem Vater zuzuordnen, wurde allerdings ausgeweitet
(vgl die Entwurfsbegründung zum RRG 1992 in BR-Drucks 120/89 S 166 zu § 56).
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Die individuellen finanziellen Nachteile im Altersvorsorgesystem, deren Ausgleich die Anrechnung von Kindererziehungszeiten bezweckt, treffen weiterhin mehr Frauen als Männer. Die tatsächlichen Lebensverhältnisse von Familien sind zwar häufiger als früher von einer vorrangigen oder ausschließlichen Betreuung des Kindes durch den Vater geprägt
(vgl BVerfG Beschluss vom 25.10.2005 – 2 BvR 524/01 – BVerfGE 114, 357, juris RdNr 40 mwN in Bezug auf aufenthaltsrechtliche Regelungen). Auch sind die Erwerbstätigenquote und teilweise der zeitliche Umfang der Erwerbstätigkeit von Müttern gestiegen. Sie bleiben aber immer noch deutlich hinter denjenigen der Väter zurück.
37
So waren im Jahr 2012, dem Jahr unmittelbar nach Ende des streitbefangenen Zeitraums, 31,7 Prozent der Mütter mit einem im Haushalt lebenden Kind unter drei Jahren erwerbstätig, wobei 29,6 Prozent dieser erwerbstätigen Mütter in Vollzeit tätig waren. Demgegenüber betrug die Erwerbstätigenquote der entsprechenden Väter 82,2 Prozent bei einem Anteil an Vollzeittätigkeit von 93,7 Prozent
(Statistisches Bundesamt, Wirtschaft und Statistik, Dezember 2013, Vereinbarkeit von Familie und Beruf – Ergebnisse des Mikrozensus 2012, S 865 Tabelle 1). Innerhalb von Partnerschaften schränkten Mütter den Umfang ihrer Erwerbstätigkeit häufiger ein als ihre männlichen Partner: Von den gemischtgeschlechtlichen verheirateten oder unverheirateten Paaren, die 2012 mit mindestens einem minderjährigen Kind im Haushalt lebten und in denen beide Partner einer Erwerbstätigkeit nachgingen, waren bei 69,9 Prozent der Vater in Vollzeit und die Mutter in Teilzeit tätig
(Statistisches Bundesamt, Wirtschaft und Statistik, Dezember 2013, Vereinbarkeit von Familie und Beruf – Ergebnisse des Mikrozensus 2012, S 871 Tabelle 4). 67,6 Prozent der Frauen des Jahrgangs 1974 in den alten Bundesländern, zu denen die Kindsmutter im hier zu entscheidenden Fall gehört, bzw 74,3 Prozent der Frauen dieses Jahrgangs in den neuen Bundesländern haben in ihrer Versichertenbiografie Zeiten der Nichterwerbstätigkeit von zwölf Monaten und mehr wegen Kindererziehung einschließlich Schwangerschafts- und Mutterschutzzeiten. Dies trifft nur auf 2,3 bzw 1,0 Prozent der Männer desselben Jahrgangs zu und auf 2,8 bzw 1,6 Prozent der Männer des Jahrgangs 1958, dem der Kläger angehört
(Lebensverläufe und Altersvorsorge der Personen der Geburtsjahrgänge 1957 bis 1976 und ihrer Partner, München, November 2018, DRV-Schriftenreihe Bd 115, S 27 f Tabellen 4-1 und 4-2; die Werte beziehen sich auf das Jahr 2016).
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Zwar erhöhte sich in den Folgejahren die Erwerbsbeteiligung von Frauen. Bis zum Jahr 2019 stieg die Erwerbstätigenquote von Müttern mit einem Kind von unter drei Jahren im Haushalt gegenüber derjenigen des Jahres 2012 aber um lediglich 5,3 Prozentpunkte auf 37 Prozent
(Statistisches Bundesamt <Destatis>, Datenreport 2021, S 62 Abb 13). Bei den Vätern lag sie im Jahr 2019 bei 90 Prozent
(aaO). Die Aufteilung von Erwerbsarbeit und Kindererziehung in gemischtgeschlechtlichen Partnerschaften blieb nahezu unverändert gegenüber 2012. Bei Ehepaaren, die mit mindestens einem Kind unter 15 Jahren in einem Haushalt lebten, waren in 71 Prozent der Fälle der Vater in Vollzeit und die Mutter in Teilzeit erwerbstätig, bei den entsprechenden eheähnlichen Lebensgemeinschaften waren es 55 Prozent
(aaO, S 63 f).
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Diese Aufteilung veränderte sich infolge der Einführung des Elterngeldes nur in sehr geringem Umfang, obwohl mit der Leistung auch eine Überwindung der Rollenteilung zwischen Männern und Frauen bezweckt war
(vgl die Entwurfsbegründung zum Gesetz zur Einführung des Elterngeldes in BT-Drucks 16/1889, S 14). Im Zeitraum von 2007 bis 2022, dh in den ersten 15 Jahren nach Einführung der neuen Leistung, sank der Anteil an gemischtgeschlechtlichen Paaren mit einem Kind unter drei Jahren im Haushalt, bei denen der Mann in Vollzeit und die Frau in Teilzeit arbeitet, lediglich um 4 Prozentpunkte von 69 Prozent auf 65 Prozent
(Statistisches Bundesamt, WISTA 4, 2023, S 96 f). Erhöht hat sich allerdings der Umfang der Teilzeitarbeit der Mütter
(aaO, S 94, 97).
40
(2) Frauen bei der Anerkennung von kinderbezogenen Versicherungszeiten zu bevorzugen, ist eine grundsätzlich geeignete Maßnahme zur Verbesserung ihrer sozialen Absicherung. Datenauswertungen zeigen, dass die Unterschiede in der durchschnittlichen Höhe der Rentenanwartschaften von Männern und Frauen in der gesetzlichen Rentenversicherung („gender pension gap“) im Zeitverlauf geringer werden. Der soziale Ausgleich innerhalb des Versicherungssystems, der nicht auf einer eigenen Beitragsleistung beruht, zB durch die Anerkennung von Kindererziehungszeiten, trägt hierzu maßgeblich bei
(vgl Czaplicki/Frommert/Zanker, Deutsche Rentenversicherung 2019, S 25, 37 f). Der Effekt würde weniger stark ausfallen, wenn die kinderbezogenen Zeiten in Zweifelsfällen bei beiden Elternteilen hälftig anerkannt würden, wie es der Kläger befürwortet
(vgl zu diesem Gesichtspunkt bereits BSG Urteil vom 17.4.2008 – B 13 R 131/07 R – SozR 4-2600 § 56 Nr 5 RdNr 17).
41
(3) Die Mütter bevorzugende Auffangregelung in § 56 Abs 2 Satz 9 Teilsatz 1 SGB VI ist auch verhältnismäßig im engeren Sinn
(vgl dazu, dass nur eine verhältnismäßige Fördermaßnahme eine an das Geschlecht anknüpfende Ungleichbehandlung ausnahmsweise rechtfertigen kann, Nußberger in Sachs, GG, 9. Aufl 2021, Art 3 RdNr 261). Sie ist zwar durchaus geeignet, tradierte Rollenzuweisungen an Männer und Frauen gleichermaßen zu verfestigen
(vgl allgemein zur Vermittlung von Rollenstereotypen durch sozialrechtliche Regelungen Felix, SGb 2024, 1, 3 f). Diesem Gesichtspunkt kommt in den von § 56 Abs 2 Satz 9 Teilsatz 1 SGB VI erfassten Fallgestaltungen jedoch kein so großes Gewicht zu, dass der Gesetzgeber von Verfassungs wegen zu einer geschlechtsneutralen Ausgestaltung selbst der Auffangregelung gehalten wäre. Die differenzierende Ausgestaltung der Zuordnungsregelungen in § 56 Abs 2 SGB VI in der Auslegung, die sie inzwischen durch das BSG erfahren haben, lässt in weiten Bereichen Raum für eine Zuordnung der Erziehungszeit an einen männlichen Elternteil
(so bereits BSG Urteil vom 17.4.2008 – B 13 R 131/07 R – SozR 4-2600 § 56 Nr 5 RdNr 18). Die Zuordnung erfolgt grundsätzlich anhand der tatsächlichen Lebensverhältnisse im Einzelfall
(Satz 8) und berücksichtigt, soweit vorhanden, vorrangig den übereinstimmenden Zuordnungswillen der gemeinsam erziehenden Elternteile
(Satz 3). Übernimmt ein Vater die Erziehung überwiegend, wird ihm auch die Erziehungszeit zugeordnet. Gleiches gilt im Fall gemeinsamer Erziehung, wenn die Eltern dies durch eine übereinstimmende Willenserklärung bestimmen. Erst wenn eine Zuordnung über diese geschlechtsneutralen Regelungen nicht möglich ist, gibt Satz 9 Teilsatz 1 eine Zuordnung der Erziehungszeit zur Mutter vor. Dies ist durch das überwiegende Gleichberechtigungsgebot gerechtfertigt. Die mit der Ausgestaltung der Auffangregelung verbundene Bevorzugung von Frauen ist ein legitimer Ausgleich für die Versorgungsnachteile in der gesetzlichen Rentenversicherung, die für sie typischerweise infolge der Mutterschaft immer noch eintreten. Bei den Vätern hat die Geburt eines Kindes hingegen nach wie vor kaum Einfluss auf das Erwerbsverhalten
(Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Väterreport. Update 2021, S 31).
42
Verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber der abstrakt-generellen Auffangregelung in § 56 Abs 2 Satz 9 SGB VI folgen ebenso wenig daraus, dass nach dem Vortrag des Klägers die Kindsmutter bislang keine Erziehungszeiten beansprucht. Über den geltend gemachten Anspruch ist allein mit Blick auf ihn zu entscheiden
(vgl zu besonderen Fallgestaltungen, in denen sich Kindererziehungszeiten keinem Elternteil zuordnen lassen, BSG Urteil vom 3.4.2001 – B 4 RA 89/00 R – SozR 3-2600 § 56 Nr 15 S 90, juris RdNr 30; BSG Beschluss vom 25.2.2020 – B 13 R 284/18 B – juris RdNr 7). Soweit der Kläger vorbringt, er sei aufgrund der Kindererziehung an einem Berufswechsel gehindert gewesen, stellt er schon keinen nachvollziehbaren Zusammenhang zwischen den mit seiner Berufswahl verbundenen Erwerbsmöglichkeiten und den rechtlichen Vorgaben für die Anerkennung von Kindererziehungszeiten her.
43
b) Soweit der Kläger eine Ungleichbehandlung gegenüber Vätern geltend macht, die als Teil eines gleichgeschlechtlichen Elternpaars ein Kind erziehen, wird er ebenfalls nicht in Grundrechten aus Art 3 GG verletzt. Eine geschlechtsbezogene Differenzierung zulasten des Klägers scheidet unter diesem Aspekt von vornherein aus. Es ist keine Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts, wenn eine gesetzliche Regelung Rechte oder Pflichten nicht vom Geschlecht einer Person, sondern von der Geschlechtskombination einer Personenverbindung abhängig macht
(vgl BVerfG Urteil vom 17.7.2002 – 1 BvF 1/01 ua – BVerfGE 105, 313, juris RdNr 106; BVerfG <Kammer> Beschluss vom 8.11.2007 – 2 BvR 2466/06 – juris RdNr 13). Ob die Auffangregelung in § 56 Abs 2 Satz 9 Teilsatz 1 SGB VI zumindest mittelbar an die sexuelle Orientierung des erziehenden Elternteils anknüpft, kann dahinstehen. Die sexuelle Orientierung zählt nicht zu den von Art 3 Abs 3 Satz 1 GG erfassten Unterscheidungsmerkmalen
(vgl BVerfG <Kammer> Beschluss vom 8.11.2007 – 2 BvR 2466/06 – juris RdNr 14). Unter dem Gesichtspunkt einer Ungleichbehandlung des Klägers gegenüber vergleichbaren Versicherten, die ein Kind als einer von mehreren gleichgeschlechtlichen Elternteilen erziehen, muss sich die Auffangregelung in § 56 Abs 2 Satz 9 Teilsatz 1 SGB VI allein am allgemeinen Gleichheitsgebot
(Art3 Abs 1 GG) messen lassen. Dieses wird nicht verletzt.
44
aa) Der allgemeine Gleichheitssatz verbietet, eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders zu behandeln, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten
(vgl BVerfG Urteil vom 17.7.2002 – 1 BvF 1/01 ua – BVerfGE 105, 313,juris RdNr 108 mwN). Verboten ist auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis aber vorenthalten wird
(vgl BVerfG Urteil vom 26.5.2020 – 1 BvL 5/18 – BVerfGE 153, 358 RdNr 94). Art 3 Abs 1 GG verwehrt dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Diese bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Dabei gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen. Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den die Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten, auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können. Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben
(stRspr; vgl aus jüngerer Zeit BVerfG Beschluss vom 26.3.2019 – 1 BvR 673/17 – BVerfGE 151, 101 RdNr 64; BVerfG Beschluss vom 8.7.2021 – 1 BvR 2237/14 ua – juris RdNr 111).
45
Bei aus Bundesmitteln zum sozialen Ausgleich gewährten Leistungen wie den Kindererziehungszeiten besteht ein besonders großer Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers
(vgl BSG Urteil vom 16.10.2019 – B 13 R 14/18 R – BSGE 129, 192 = SozR 4-2600 § 70 Nr 3, RdNr 38 unter Bezugnahme auf BVerfG <Kammer> Nichtannahmebeschluss vom 11.1.2016 – 1 BvR 1687/14 – juris RdNr 12 mwN; BSG Urteil vom 21.10.2021 – B 5 R 28/21 R – BSGE 133, 64 = SozR 4-2600 § 56 Nr 11, RdNr 34; BSG Urteil vom 26.7.2023 – B 5 R 46/21 R – in SozR 4 <vorgesehen> RdNr 44). Hinzu kommt, dass ein ebenfalls weiter – freilich nicht unbegrenzter – Spielraum des Gesetzgebers für generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen im Bereich der Massenverwaltung besteht, zu dem auch das Leistungsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung zählt
(vgl BSG Urteil vom 20.1.2021 – B 13 R 5/20 R – BSGE 131, 202 = SozR 4-2600 § 88 Nr 4, RdNr 40 mwN; BSG Urteil vom 21.10.2021 – B 5 R 28/21 R – BSGE 133, 64 = SozR 4-2600 § 56 Nr 11, RdNr 34). Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers ist bei bevorzugenden Typisierungen besonders groß
(vgl BSG Urteil vom 28.6.2018 – B 5 R 25/17 R – BSGE 126, 128 = SozR 4-2600 § 51 Nr 2, RdNr 91; BSG Urteil vom 21.10.2021 – B 5 R 28/21 R – BSGE 133, 64 = SozR 4-2600 § 56 Nr 11, RdNr 34).
46
bb) Danach ist die Ausgestaltung der Mütter bevorzugenden Auffangregelung in § 56 Abs 2 Satz 9 Teilsatz 1 SGB VI nicht zu beanstanden. Der Kläger verkennt bereits, dass die von ihm favorisierte Zuordnungsregelung in § 56 Abs 2 Satz 10 SGB VI ebenso wenig für Väter zur Anwendung kommt, die ein Kind als Teil eines gleichgeschlechtlichen Elternpaars erziehen. Im gestuften Regelungssystem des § 56 Abs 2 SGB VI sind auch bei einer Erziehung durch mehrere Elternteile desselben Geschlechts zunächst die geschlechtsneutralen Zuordnungsregelungen in Satz 3 und 8 heranzuziehen. Ermöglichen diese keine Zuordnung der Erziehungszeit, kommt als nächstes die Auffangregelung in Satz 9 Teilsatz 2 zur Anwendung, wonach die Erziehungszeit der leiblichen Mutter
(§ 1591 BGB) oder dem Vater iS des § 1592 BGB zugeordnet wird. Demgemäß wird in dem vom Kläger skizzierten Vergleichsfall, dass ein Vater ein Kind als Teil eines gleichgeschlechtlichen Elternpaars erzieht, keine übereinstimmende Erklärung nach Satz 3 abgegeben worden ist und eine iS des Satzes 8 überwiegende Erziehung durch den Vater sich nicht feststellen lässt, die Erziehungszeit gemäß Satz 9 Teilsatz 2 vollständig dem Vater zugeordnet. Anknüpfungspunkt ist in dem Fall seine Vaterschaft.
47
Soweit bezogen auf die vom Kläger herangezogene Vergleichsgruppe überhaupt von einer Ungleichbehandlung auszugehen ist, wird das allgemeine Gleichheitsgebot nicht verletzt. Das gilt selbst dann, wenn man zugunsten des Klägers eine Betroffenheit des Familiengrundrechts aus Art 6 Abs 1 GG unterstellt. Es bestehen hinreichend gewichtige Sachgründe, dass der Gesetzgeber für Fallgestaltungen, in denen wie hier die Erziehung durch die leiblichen Eltern erfolgt, keine gesetzliche Regelung zur Zuordnung der Erziehungszeit im monatlichen Wechsel zwischen den Elternteilen vorgesehen hat. Die Regelung in Satz 10 kommt nur zur Anwendung, wenn insbesondere die Auffangregelungen in Satz 9 Teilsatz 2 und 3 nicht greifen. Bei der Erziehung durch gemischtgeschlechtliche Elternteile einschließlich der Mutter des Kindes besteht für eine solche weitere Auffangregelung kein Bedarf. Eine Zuordnung kann in diesen Fällen zumindest über Satz 9 Teilsatz 1 erfolgen, indem die Erziehungszeit der Mutter zugeordnet wird.
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Bei der Erziehung durch gleichgeschlechtliche Elternteile war hingegen für die verbleibenden Fallgestaltungen, die auch vom geänderten Satz 9 nicht erfasst werden, eine weitere Auffangregelung erforderlich, um die Erziehung entsprechend § 56 Abs 2 Satz 2 SGB VI einem Elternteil zuordnen zu können. Nach ihrem Sinn und Zweck soll die weitere Auffangregelung in Satz 10 alle verbliebenen Zweifelsfälle erfassen. Das war, wie ausgeführt
(s unter A.III.1.c>cc>), auch erklärtes Ziel der Gesetzesänderung
(vgl erneut die Entwurfsbegründung zum RV-Leistungsverbesserungs- und Stabilisierungsgesetz BT-Drucks 19/4668 S 31 f zu Art 1 Nr 2). Angesichts der Vielgestaltigkeit von Familien ließe sich dieses Ziel mit personenbezogenen Zuordnungskriterien ähnlich derjenigen, an die die Regelung in Satz 9 anknüpft, schwerlich erreichen. Gleiches würde für Zuordnungskriterien gelten, die an bestimmte objektive Umstände der Erziehung anknüpfen. Die gesetzgeberische Zielsetzung der Auffangregelung in Satz 9 Teilsatz 1, nämlich die Frauen gegenüber Männern weitaus häufiger betreffenden Nachteile beim Anwartschaftserwerb auszugleichen, kann bei einer Erziehung durch mehrere Elternteile des gleichen Geschlechts keine Rolle spielen.
49
Dass keine entsprechende gesetzliche Zuordnungsregelung für Fallgestaltungen existiert, in denen die Erziehung durch gemischtgeschlechtliche Elternteile einschließlich der Mutter des Kindes erfolgt, belastetet die betroffenen Elternteile nicht unzumutbar. Ihnen bleibt bei gemeinsamer Erziehung die Möglichkeit, durch übereinstimmende Erklärung nach § 56 Abs 2 Satz 3 SGB VI zu bestimmen, dass und welche Teile der Erziehungszeit den einzelnen Elternteilen zuzuordnen ist. Diese würde bei einer entsprechenden Erklärung sogar eine Zuordnung im monatsweisen Wechsel ermöglichen
(vgl BSG Urteil vom 16.12.1997 – 4 RA 60/97 – SozR 3-2600 § 56 Nr 10 S 46, juris RdNr 14).
50
c) Die Anwendung der Mütter bevorzugenden Auffangregelung in § 56 Abs 2 Satz 9 Teilsatz 1 SGB VI auf den streitbefangenen Vormerkungsanspruch verletzt den Kläger auch nicht in seinen Grundrechten aus Art 6 GG. Auf den von Art 6 Abs 4 GG gewährleisteten Mutterschutz kann sich der Kläger von vornherein nicht berufen, weil Väter durch dieses Grundrecht nicht geschützt werden
(vgl zB Brosius-Gersdorf in Dreier, GG, 4. Aufl 2023, Art 6 RdNr 440 mwN). Von Art 6 Abs 1 GG geschützte Grundrechte sind nicht verletzt. Die Auffangregelung in § 56 Abs 2 Satz 9 Teilsatz 1 SGB VI bewirkt keinen Eingriff in die Ehe, weil sie, wie § 56 Abs 2 SGB VI insgesamt, nicht zwischen verheirateten und unverheirateten Elternteilen differenziert
(vgl bereits BSG Urteil vom 17.4.2008 – B 13 R 131/07 R – SozR 4-2600 § 56 Nr 5 RdNr 21).
51
Ebenso wenig wird in die durch Art 6 Abs 1 GG geschützte Familie eingegriffen. Als Familie geschützt ist die dauerhafte Verantwortungsgemeinschaft von Eltern mit Kindern
(vgl zB BVerfG Beschluss vom 9.4.2003 – 1 BvR 1493/96 ua – BVerfGE 108, 82, juris RdNr 74 mwN). Art 6 Abs 1 GG garantiert als Abwehrrecht die Freiheit, über die Art und Weise der Gestaltung des familiären Zusammenlebens selbst zu entscheiden
(vgl, auch zum Folgenden, BVerfG Beschluss vom 10.11.1998 – 2 BvR 1057/91 ua – BStBl II 1999, 182 = BVerfGE 99, 216, juris RdNr 63 mwN). Eltern dürfen ihr familiäres Leben nach ihren Vorstellungen planen und verwirklichen und insbesondere in ihrer Erziehungsverantwortung entscheiden, ob und in welchem Entwicklungsstadium das Kind überwiegend von einem Elternteil allein, von beiden Eltern in wechselseitiger Ergänzung oder von einem Dritten betreut werden soll. Es ist nicht ersichtlich, dass die Auffangregelung in § 56 Abs 2 Satz 9 Teilsatz 1 SGB VI das Zusammenleben der Familie des Klägers oder die Ausgestaltung der Erziehung der Tochter betroffen haben könnte. Konkrete Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen lassen sich aus Art 6 Abs 1 GG nicht herleiten
(vgl BVerfG Beschluss vom 7.2.2012 – 1 BvL 14/07 – BVerfGE 130, 240, 251 f = SozR 4-7835 Art 1 Nr 1 RdNr 38).
52
d) Die vom Kläger zudem gerügte Verletzung seiner allgemeinen Handlungsfreiheit
(Art 2 Abs 1 GG) vermag der Senat nicht zu erkennen. Es ist auch insoweit nicht nachvollziehbar, inwiefern im Begünstigungsausschluss, den die Anwendung der Auffangregelung in § 56 Abs 2 Satz 9 Teilsatz 1 SGB VI hier für ihn bewirkt, zugleich ein Eingriff liegen könnte. Dass es zu seinen Lasten geht, dass sich eine überwiegende Erziehung der Tochter durch ihn nicht hat erweisen lassen, folgt allein aus den Regeln der Beweislastverteilung im sozialgerichtlichen Verfahren. Danach trägt derjenige, der ein Recht für sich in Anspruch nimmt, im Zweifel die Beweislast für die rechtsbegründenden Tatsachen
(vgl zB BSG Urteil vom 21.10.2021 – B 5 R 1/21 R – SozR 4-2600 § 53 Nr 2 RdNr 25 mwN).
53
- B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 183 Satz 1, § 193 Abs 1 und 4 SGG.
- Düring
- Hahn
- Hannes