BVerwG 2. Senat, Urteil vom 11.04.2024, AZ 2 A 6/23, ECLI:DE:BVerwG:2024:110424U2A6.23.0
Leitsatz
1. Das gemäß § 126 Abs. 3 BRRG, § 126 Abs. 2 Satz 1 BBG i. V. m. §§ 68 ff. VwGO in allen beamtenrechtlichen Streitverfahren vor der Klageerhebung durchzuführende Vorverfahren kann als Sachurteilsvoraussetzung noch während des Prozesses nachgeholt werden.
2. Die Regelung über den Verfall des Urlaubs in § 7 Abs. 2 EUrlV ist von der Verordnungsermächtigung des § 89 Satz 2 BBG gedeckt.
3. Der Verfall des Mehrurlaubs tritt nach § 7 Abs. 2 EUrlV unabhängig davon ein, ob der Kläger von seinem Dienstherrn über diesen Umstand belehrt worden ist. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zu den Belehrungspflichten des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer zum Verfall des Urlaubsanspruchs betrifft ausschließlich den unionsrechtlich gewährleisteten Mindesturlaub, nicht hingegen einen darüber hinausgehenden Mehrurlaub.
Tenor
Soweit die Beteiligten das Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu 1/3 und die Beklagte zu 2/3.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Tatbestand
1
Der Kläger ist Bundesbeamter und wird beim Bundesnachrichtendienst (BND) verwendet. Er begehrt, seinen Erholungsurlaub aus dem Jahr 2021 seinem aktuellen Urlaubskonto gutzuschreiben.
2
Im Jahr 2020 wurde der Kläger für den Aufstieg in den höheren nichttechnischen Verwaltungsdienst zugelassen. Von Januar 2021 bis Januar 2023 absolvierte er das hierfür erforderliche Studium; ab Juli 2022 schrieb er in Vollzeit seine Masterarbeit. In den Jahren 2021 und 2022 hat der Kläger keinen Erholungsurlaub genommen.
3
Mit E-Mail des BND vom 22. November 2022 bekam der Kläger die Mitteilung, dass er für die Jahre 2021 und 2022 jeweils einen Gesamturlaubsanspruch von 20 Tagen habe, und den Hinweis: „Achtung: Die 20 Urlaubstage aus 2021 verfallen mit Ablauf des 31.12.2022 ersatzlos!“ Der Kläger erkundigte sich noch am selben Tag ebenfalls per E-Mail, warum er für das Jahr 2022 nur 20 Tage Urlaub habe und ob er die Urlaubstage jetzt noch nehmen und dafür die Abgabe seiner Masterarbeit nach hinten verschieben könne.
4
Auf seine Erinnerung vom 16. Januar 2023 erhielt der Kläger noch am selben Tag vom Rechtsreferat des BND die Mitteilung, dass sein Erholungsurlaubsanspruch aus dem Jahr 2021 mit Ablauf des 31. Dezember 2022 endgültig verfallen sei. Der BND komme als Dienstherr seiner diesbezüglichen Aufklärungspflicht durch die Abwesenheitskarten nach, die seit dem Jahr 2019 zu Beginn jedes Kalenderjahres den Mitarbeitern zur Unterschrift vorgelegt würden. Auch sei der Kläger mit der E-Mail vom 22. November 2022 auf den drohenden Verfall seines Urlaubsanspruchs hingewiesen worden.
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Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 27. Juli 2023 hat der Kläger Klage erhoben. Mit Bescheid vom 28. September 2023 lehnte der BND die Übertragung des Erholungsurlaubs aus dem Jahr 2021 in das Jahr 2023 ab.
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Auf den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers hob der BND mit Widerspruchsbescheid vom 4. Januar 2024 den Bescheid vom 28. September 2023 teilweise auf und stellte fest, dass der im Jahr 2021 entstandene Anspruch auf Erholungsurlaub im Umfang von 20 Tagen nicht mit Ablauf des 31. Dezember 2022 verfallen ist; im Übrigen wies er den Widerspruch zurück.
7
Der Kläger begründet seine Klage damit, dass der Dienstherr seiner Mitwirkungsobliegenheit zur tatsächlichen Inanspruchnahme des Erholungsurlaubs im Kalenderjahr 2021 nicht hinreichend nachgekommen sei. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Bundesarbeitsgerichts verfalle Erholungsurlaub nur, wenn der Arbeitgeber seine Mitwirkungspflichten erfülle. Die Aushändigung der Abwesenheitskarte habe hierfür nicht genügt. Es sei außerdem fraglich, ob die Erholungsurlaubsverordnung (EUrlV) überhaupt taugliche Grundlage für den Verfall von (Mindest- oder Mehr-)Urlaub sein könne, wenn – wie hier – das Dienstverhältnis noch nicht beendet sei. In der Rechtsverordnungsermächtigung des § 89 BBG sei der Verfall nicht ausdrücklich genannt und werde – anders als in § 3 Abs. 1 BUrlG – nicht zwischen Mindest- und Mehrurlaub unterschieden. Der Mehrurlaub möge nicht dem europarechtlichen Schutzregime unterliegen; Art. 15 RL 2003/88/EG erlaube den Mitgliedstaaten aber ausdrücklich die Anwendung oder den Erlass günstigerer Rechts- und Verwaltungsvorschriften. Hiervon sei mit der Erholungsurlaubsverordnung Gebrauch gemacht worden, jedenfalls aber sei kein Verfall des Mehrurlaubs geregelt worden, soweit er bei Dienstfähigkeit genommen werden könne. § 7 Abs. 3 EUrlV und § 10 EUrlV knüpften an eine vorübergehende Dienstunfähigkeit an. Auch nach Sinn und Zweck des Erholungsurlaubs erstreckten sich die Mitwirkungsobliegenheiten der Dienststelle auf den vollen Erholungsurlaub, wenn er tatsächlich noch genommen werden könne; der Erholungszweck und der Freizeitgewährungszweck könnten bei nicht dauerhaft dienstunfähigen Beamten auch später noch erfüllt werden. Sollten Gesetz- oder Verordnungsgeber dies anders sehen, bedürfe es einer deutlichen Unterscheidung im Normtext nach Mindest- und Mehrurlaub. Auch im Beamtenrecht sei deshalb mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts von einem Gleichlauf von Mindest- und Mehrurlaub auszugehen, sofern nichts anderes geregelt sei.
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Nach dem gerichtlichen Hinweis in der mündlichen Verhandlung, dass dem Begehren des Klägers bezüglich des Mindesturlaubs von 20 Tagen bereits durch den Widerspruchsbescheid Rechnung getragen sei, haben die Beteiligten übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache insoweit für erledigt erklärt.
9
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, dem Urlaubskonto des Klägers zehn weitere Arbeitstage aus dem Kalenderjahr 2021 gutzuschreiben und den Bescheid des Bundesnachrichtendienstes vom 28. September 2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Januar 2024 auch insoweit aufzuheben,
sowie die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
10
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Sie ist der Ansicht, die Rechtsverordnungsermächtigung in § 89 Satz 2 BBG erfasse auch die Regelung zum Verfall des Erholungsurlaubs in § 7 EUrlV. § 7 Abs. 2 EUrlV unterscheide nicht zwischen Mindest- und Mehrurlaub und regele auch nicht die Mitwirkungsobliegenheiten des Dienstherrn; allerdings sei diese Bestimmung unionsrechtskonform so auszulegen, dass erst die Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheit seitens des Dienstherrn den Mindesturlaub wirksam befriste. Auch §§ 5a, 7 Abs. 3 und § 10 EUrlV unterschieden zwischen Mindest- und Mehrurlaub. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gebe für das Beamtenrecht nichts her, denn die seiner Rechtsprechung zugrundeliegenden Normen unterschieden anders als die Erholungsurlaubsverordnung nicht zwischen Mindest- und Mehrurlaub.
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Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung waren.
Entscheidungsgründe
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Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren entsprechend § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.
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Im Übrigen ist die Klage abzuweisen. Die Klage ist zulässig (1.), aber unbegründet (2.).
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1. Die Klage ist ungeachtet dessen, dass das Widerspruchsverfahren erst nach Klageerhebung durchgeführt worden ist, zulässig.
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Das gemäß § 126 Abs. 3 BRRG, § 126 Abs. 2 Satz 1 BBG i. V. m. §§ 68 ff. VwGO in allen beamtenrechtlichen Streitverfahren vor der Klageerhebung durchzuführende Vorverfahren kann als Sachurteilsvoraussetzung noch während des Prozesses nachgeholt werden (BVerwG, Urteile vom 9. Februar 1967 – 1 C 49.64 – BVerwGE 26, 161 <165> und vom 17. Februar 1981 – 7 C 55.79 – BVerwGE 61, 360 <363>; Wöckel, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 68 Rn. 20, 22; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 29. Aufl. 2023, § 68 Rn. 3 ff.; Glaser, in: Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 68 Rn. 61); anders ist dies bei einem ein Verwaltungsverfahren erst einleitenden Antrag auf eine begehrte Leistung, der eine nicht nachholbare Klagevoraussetzung ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Juni 2020 – 2 C 20.19 – BVerwGE 168, 236 Rn. 38 m. w. N.).
17
Im vorliegenden Fall konnte das Widerspruchsverfahren auch noch nach Klageerhebung eingeleitet und durchgeführt werden. Der Kläger hat bereits mit seiner E-Mail-Anfrage vom 22. November 2022 und mit seiner Erinnerung vom 16. Januar 2023 sein Interesse deutlich gemacht, die ihm für das Jahr 2021 zustehenden Urlaubstage nehmen zu wollen. Nicht erforderlich war, einen Urlaubsantrag für konkrete Kalendertage zu stellen.
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2. Die Klage ist aber unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass der – allein noch streitgegenständliche – über den unionsrechtlich gewährleisteten Mindesturlaubsanspruch hinausgehende Mehrurlaub von zehn Tagen aus dem Jahr 2021 seinem Urlaubskonto gutgeschrieben wird, denn dieser Urlaub ist verfallen. Die Regelung über den Verfall des Urlaubs in § 7 Abs. 2 EUrlV ist von der Verordnungsermächtigung des § 89 Satz 2 BBG gedeckt (a). Der Verfall des Mehrurlaubs tritt unabhängig davon ein, ob der Kläger von seinem Dienstherrn über diesen Umstand belehrt worden ist. Die Verpflichtung zur Belehrung über den Verfall des Urlaubsanspruchs beschränkt sich auf den unionsrechtlich gewährleisteten Mindesturlaubsanspruch (b).
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a) Die Regelung über den Verfall des Urlaubs in § 7 Abs. 2 EUrlV ist von der Verordnungsermächtigung des § 89 Satz 2 BBG gedeckt. Entgegen der Annahme des Klägers ist unschädlich, dass § 89 Satz 2 BBG ausdrücklich nur Bewilligung, Dauer und Abgeltung, nicht aber den Verfall des Erholungsurlaubs nennt.
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Die Anforderungen an die Bestimmtheit einer Verordnungsermächtigung stehen in engem Zusammenhang mit dem Wesentlichkeitsgrundsatz. Danach verpflichten das Rechtsstaatsprinzip und das Demokratiegebot den parlamentarischen Gesetzgeber, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen im Wesentlichen selbst zu treffen. Die Bestimmtheit der Ermächtigungsnorm muss der Grundrechtsrelevanz der Regelung entsprechen. Je erheblicher diese in die Rechtsstellung der Betroffenen eingreift, desto höhere Anforderungen müssen an den Bestimmtheitsgrad der Ermächtigung gestellt werden (BVerfG, Beschlüsse vom 1. April 2014 – 2 BvF 1, 3/12 – BVerfGE 136, 69 Rn. 102 und vom 21. April 2015 – 2 BvR 1322/12 u. a. – BVerfGE 139, 19 Rn. 52 ff. <55> m. w. N.). Mit der Ermächtigung soll der parlamentarische Gesetzgeber die Gesetzgebungsmacht der Exekutive so genau umreißen, dass schon aus der Ermächtigung erkennbar und vorhersehbar ist, was dem Bürger gegenüber zulässig sein soll (BVerfG, Beschlüsse vom 27. Januar 1976 – 1 BvR 2325/73 – BVerfGE 41, 251 <266> und vom 25. November 1980 – 2 BvL 7/76 u. a. – BVerfGE 55, 207 <226>). Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG untersagt damit der Legislative eine „maß“-lose Delegation ihrer Rechtsetzungsgewalt; die durch die Verordnungsermächtigung vorgegebene Regelungsdichte muss eine willkürliche Handhabung durch die Exekutive ausschließen (BVerwG, Urteile vom 22. Januar 2015 – 10 C 12.14 – BVerwGE 151, 200 Rn. 24 f. und vom 15. Dezember 2016 – 2 C 31.15 – BVerwGE 157, 54 Rn. 21).
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§ 89 Satz 2 BBG lässt Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung (Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG) erkennen und erfasst auch den Verfall des Urlaubs. Regelungen zum Verfall des Urlaubs sind von der Befugnis zur Regelung der Bewilligung des Urlaubs erfasst. Wegen der geringen Grundrechtsrelevanz von Urlaubsverfallsregelungen ist eine ausdrückliche Benennung oder eine detailliertere Vorgabe im Parlamentsgesetz nicht erforderlich.
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b) Der Verfall des Mehrurlaubs tritt nach § 7 Abs. 2 EUrlV unabhängig davon ein, ob der Kläger von seinem Dienstherrn über diesen Umstand belehrt worden ist.
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aa) Zwölf Monate nach dem Ende des Urlaubsjahres nicht in Anspruch genommener Urlaub verfällt, § 7 Abs. 2 EUrlV. Bei wegen vorübergehender Dienstunfähigkeit nicht in Anspruch genommenem Urlaub verlängert sich die Verfallsfrist um drei Monate auf 15 Monate, § 7 Abs. 3 EUrlV. Urlaubsjahr ist das Kalenderjahr, § 1 Satz 1 EUrlV.
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Der Wortlaut des § 7 Abs. 2 EUrlV unterscheidet nicht zwischen Mindest- und Mehrurlaub und erfasst daher beide Urlaubsarten. Dass die Erholungsurlaubsverordnung an mehreren anderen Stellen zwischen Mindest- und Mehrurlaub unterscheidet (§ 5a Abs. 1, § 7 Abs. 3, § 10 Abs. 1 EUrlV), führt entgegen der Annahme des Klägers nicht zu einem anderen Ergebnis; im Gegenteil spricht dieser systematische Aspekt eher für den Umkehrschluss, dass § 7 Abs. 2 EUrlV jedweden (Erholungs-)Urlaub – also auch den Mehrurlaub – erfasst. Auch nach Sinn und Zweck der Verfallsregelung – Gewährleistung des Erholungszwecks und demnach auch des Gesundheitsschutzes sowie des Freizeitzwecks durch zeitnahe Urlaubsgewährung – ist eine Beschränkung der Verfallsregelung auf den Mindesturlaub nicht veranlasst.
25
Auf der Grundlage des § 7 Abs. 2 EUrlV ist somit der Anspruch des Klägers auf Mehrurlaub für das Jahr 2021 zum Jahresende 2022, spätestens aber zum 31. März 2023 verfallen.
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bb) Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus Unionsrecht. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu den Belehrungspflichten des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer zum Verfall des Urlaubsanspruchs betrifft ausschließlich den unionsrechtlich gewährleisteten Mindesturlaub, nicht hingegen einen darüber hinausgehenden Mehrurlaub.
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Im Nachgang zu seinen Entscheidungen vom 6. November 2018 – C-619/16 – Kreuzinger (NJW 2019, 36) und – C-684/16 – Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (NJW 2019, 495), in denen er seine Rechtsprechung zu unionsrechtlichen Belehrungspflichten bezüglich des drohenden Verfalls des unionsrechtlichen Mindesturlaubs entwickelt hat, hat der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 19. November 2019 – C-609/17 u. a. – TSN, AKT (NJW 2020, 35 Rn. 33 ff.) ausdrücklich bekräftigt, dass die RL 2003/88/EG lediglich Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung entfällt und das Recht der Mitgliedstaaten, für den Schutz der Arbeitnehmer günstigere nationale Vorschriften anzuwenden, unberührt bleibt. In solchen Fällen sind über das in Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG vorgesehene Mindestmaß hinausgehende Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub nicht durch die Richtlinie geregelt, sondern durch das nationale Recht, außerhalb der Regelung der Richtlinie. Es ist daher Sache der Mitgliedstaaten, zu entscheiden, ob sie den Arbeitnehmern einen über die in Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG garantierte Mindestdauer von vier Wochen hinausgehenden Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub zuerkennen und gegebenenfalls die Bedingungen für die Gewährung und das Erlöschen solcher zusätzlicher Urlaubstage festzulegen, ohne dass sie insoweit an die Schutzregeln gebunden sind, die der Gerichtshof der Europäischen Union in Bezug auf die Mindestdauer des bezahlten Jahresurlaubs herausgearbeitet hat.
28
Der Gerichtshof der Europäischen Union beansprucht die Geltung seiner Rechtsprechung zu Art. 7 RL 2003/88/EG folglich nur für den unionsrechtlich gewährleisteten Mindesturlaub. Der darüberhinausgehende Mehrurlaub ist rein nationalrechtlich zu beurteilen. Das entspricht auch der Einordnung in der Rechtsprechung (BVerfG, Kammerbeschluss vom 15. Mai 2014 – 2 BvR 324/14 – NVwZ 2014, 1160 Rn. 12 ff.; BVerwG, Urteile vom 31. Januar 2013 – 2 C 10.12 – Buchholz 232.3 § 1 EUrlV Nr. 1 Rn. 18 und vom 19. November 2015 – 2 C 3.15 – Buchholz 232.01 § 44 BeamtStG Nr. 1 Rn. 9; OVG Lüneburg, Beschluss vom 26. Juni 2013 – 5 LA 119/22 – NVwZ-RR 2023, 1004 Rn. 22 ff. Das Bundesarbeitsgericht vertritt keine hierzu abweichende Rechtsprechung, sondern kommt lediglich aufgrund anderer normativer Regelungen im Bundesurlaubsgesetz und in Tarifverträgen teilweise zu dem Ergebnis, dass sich Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers auch auf tarifvertragliche Urlaubsregelungen erstrecken (BAG, Urteile vom 19. Februar 2019 – 9 AZR 423/16 – BAGE 165, 376 Rn. 12 ff., vom 7. September 2021 – 9 AZR 3/21 (A) – NZA 2022, 107 Rn. 22 ff. und vom 28. März 2023 – 9 AZR 488/21 – NZA 2023, 826 Rn. 28).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO.
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Über die Kosten des für erledigt erklärten Teils des Verfahrens war gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands zu entscheiden. Es entspricht billigem Ermessen, die Kosten des Verfahrens der Beklagten aufzuerlegen, weil sie bezüglich des Mindesturlaubs im Widerspruchsbescheid dem Klagebegehren entsprochen und sich damit selbst in die Position des Unterlegenen begeben hat.
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Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war gem. § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO für notwendig zu erklären. Die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten ist unter Würdigung der jeweiligen Verhältnisse vom Standpunkt einer verständigen Partei aus zu beurteilen. Maßgebend ist, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwalts bedient hätte. Notwendig ist die Zuziehung eines Rechtsanwalts dann, wenn es der Partei nach ihren persönlichen Verhältnissen und wegen der Schwierigkeit der Sache nicht zuzumuten war, das Vorverfahren selbst zu führen. Die Notwendigkeit der Zuziehung wird auch durch die Bedeutung der Streitsache für den Betroffenen bestimmt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Bevollmächtigung (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 9. Mai 2012 – 2 A 5.11 – juris Rn. 2 m. w. N. und vom 21. August 2018 – 2 A 6.15 – Buchholz 310 § 162 VwGO Nr. 57 Rn. 5). Im vorliegenden Fall war es dem Kläger wegen der Schwierigkeit der Streitsache im Hinblick auf die unionsrechtliche Einordnung nicht zuzumuten, das Vorverfahren selbst zu führen.