BVerwG 11. Senat, Beschluss vom 13.02.2024, AZ 11 VR 2/24, ECLI:DE:BVerwG:2024:130224B11VR2.24.0
§ 50 Abs 1 Nr 6 VwGO, § 80 Abs 5 S 1 VwGO, § 6 S 1 BBPlG, Anl 3 § 1 Abs 1 BBPlG, § 44 Abs 1 EnWG
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 3 750 € festgesetzt.
Gründe
I
1
Der Antragsteller begehrt Eilrechtsschutz gegen eine Anordnung zur Duldung von Vorarbeiten für eine Höchstspannungsleitung.
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Die Beigeladene ist im vorliegenden Abschnitt Vorhabenträgerin für den Neubau der 380 kV-Höchstspannungs-Gleichstromleitung „Brunsbüttel – Großgartach“ (sog. SuedLink). Das Vorhaben ist als Nr. 3 der Anlage zum Bundesbedarfsplangesetz (BBPlG) in den Bedarfsplan nach § 1 Abs. 1 BBPlG aufgenommen. Der Antragsteller widmet sich als Verein dem Schutz von Pferden und Eseln und ist Eigentümer eines als Pferdekoppel genutzten Grundstücks, auf dem die Beigeladene eine Kleinrammbohrung zur Bodenerkundung durchführen lassen möchte.
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Nach erfolglosen Versuchen einer gütlichen Einigung ordnete die Bundesnetzagentur mit Bescheid vom 20. Dezember 2023 gegenüber dem Antragsteller unter anderem die Duldung dieser Bohrung einschließlich dafür erforderlicher Nebenarbeiten auf dem Grundstück an und drohte für den Fall der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld an.
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Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines gegen die Duldungsanordnung erhobenen Widerspruchs. Die Antragsgegnerin und die Beigeladene treten dem Antrag entgegen.
II
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Über den Antrag entscheidet das Bundesverwaltungsgericht als Gericht der Hauptsache, weil die Duldungsanordnung der Vorbereitung eines Vorhabens dient, dessen Planfeststellung nach § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO i. V. m. § 6 Satz 1 BBPlG und Nr. 3 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BBPlG in die sachliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts fällt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Juni 2023 – 4 VR 3.23 – UPR 2023, 392 Rn. 6).
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Die von dem Antragsteller binnen der Begründungsfrist (§ 44 Abs. 4 Satz 2 EnWG) vorgetragenen Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist, führen nicht zum Erfolg des Antrags. Er ist unbegründet. Die im Rahmen von § 80a Abs. 3 Satz 2, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung geht zu Lasten des Antragstellers aus. Das Vollzugsinteresse der Allgemeinheit und der Beigeladenen überwiegt das Interesse des Antragstellers, von dem Vollzug der Kleinrammbohrung und der Nebenarbeiten einstweilen verschont zu bleiben.
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1. Die Einwände des Antragstellers gegen die Duldungsverfügung greifen weit überwiegend nicht durch.
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a) Nach § 44 Abs. 1 EnWG haben Eigentümer und sonstige Nutzungsberechtigte zur Vorbereitung der Planung und der Baudurchführung eines Vorhabens oder von Unterhaltungsmaßnahmen notwendige Vermessungen, Boden- und Grundwasseruntersuchungen einschließlich der vorübergehenden Anbringung von Markierungszeichen, bauvorbereitende Maßnahmen zur bodenschonenden Bauausführung, Kampfmitteluntersuchungen und archäologische Voruntersuchungen einschließlich erforderlicher Bergungsmaßnahmen sowie sonstige Vorarbeiten durch den Träger des Vorhabens oder von ihm Beauftragte zu dulden. Nach § 44 Abs. 2 Satz 2 EnWG soll die Planfeststellungsbehörde auf Antrag des Trägers des Vorhabens die Duldung der Vorarbeiten anordnen.
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Die zu duldende Kleinrammbohrung (PA9-KRB-Rav-0827) einschließlich dafür erforderlicher Nebenarbeiten sind Vorarbeiten im Sinne des § 44 Abs. 1 EnWG. Sie dienen der Vorbereitung der Planung und Baudurchführung des Vorhabens, denn sie bezwecken die Erkundung der Bodenverhältnisse für eine Verlegung von Erdkabelleitungen.
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b) Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist die Kleinrammbohrung trotz bereits erfolgter Bohrungen auf anderen Grundstücken notwendig.
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Der Antragsteller beruft sich darauf, dass in geringer Entfernung auf dem Nachbargrundstück schon eine Kleinrammbohrung (PA9-KRB-Rav-0826) erfolgt sei und zwischen den anderen Kleinrammbohrungen größere Abstände lägen. Die Beigeladene ist diesem Einwand überzeugend entgegengetreten. Die Flurstücke weisen trotz ihres engen räumlichen Zusammenhangs unterschiedliche Bodentypen auf. Das ist anhand der von der Beigeladenen vorgelegten Karte („Lageplan Wegerecht Bodenkunde PFA E2“) nachvollziehbar. Danach soll die streitgegenständliche Bohrung im Bereich des Bodentyps „i46“ erfolgen. Die Bohrung auf dem Nachbargrundstück (PA9-KRB-Rav-0826) befand sich hingegen im Bereich des Bodentyps „i38“. Nach der Bodenkarte Baden-Württemberg (Bl. 107 der Verwaltungsakte) handelt es sich bei dem Bodentyp i38 um Parabraunerde und Terra fusca-Parabraunerde aus Fließerden, bei dem Bodentyp i46 hingegen um Pseudogley-Parabraunerde aus Lösslehm. Eine weitere, ebenfalls in der Nähe durchgeführte Bohrung (PA9-BK-Rav-0074) betraf zwar den gleichen Bodentyp wie die streitgegenständliche Bohrung (i46), sie lag jedoch in einem stärker verdichteten Bereich. Eine weitergehende Substantiierung der Bodenverhältnisse war nicht erforderlich, da genauere Erkenntnisse durch die streitgegenständliche Bohrung erst gewonnen werden sollen.
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c) Der Antragsteller befürchtet eine Beeinträchtigung eines gesetzlich geschützten Biotops auf dem Grundstück (§ 30 Abs. 2 Satz 2 BNatSchG i. V. m. § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 NatSchG BW). Die Vereinbarkeit der zu duldenden Maßnahme mit dem Biotopschutz ist indessen nicht Regelungsgegenstand der Duldungsanordnung. Denn deren Regelungsgehalt erschöpft sich darin, entgegenstehende Eigentümerrechte zu überwinden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Dezember 2020 – 4 VR 4.20 – juris Rn. 29). Dass die zu duldende Kleinrammbohrung aus naturschutzrechtlichen Gründen von vornherein ausgeschlossen sein könnte, ist angesichts der Entfernung zwischen dem Bohrpunkt und der Doline bzw. Erdfall von 190 m nicht ersichtlich (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Oktober 2020 – 7 VR 4.20 – Buchholz 442.09 § 17 AEG Nr. 2 Rn. 14).
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d) Erfolglos bleibt der Einwand des Antragstellers, sein Grundstück könne wegen der durch die Kleinrammbohrung möglicherweise entstehenden Bodenvibrationen nicht mehr als Pferdekoppel genutzt werden, da die Pferde empfindlich reagierten; die Tiere könnten außer Kontrolle geraten und sich und andere gefährden. Es gehört zum Inhalt der Duldungspflicht und ist dem Antragsteller ohne Weiteres zumutbar, die Pferde für die überschaubare Dauer der Bohrung unter Kontrolle zu halten bzw. gegebenenfalls nicht auf die Koppel zu lassen.
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2. Das Suspensivinteresse des Antragstellers überwiegt auch nicht im Hinblick auf Gefahren, die nach seiner Auffassung für die auf seinem Grundstück befindliche Doline bestehen. Seine Sorgen sind unbegründet. Von der von der Beigeladenen beabsichtigten Maßnahme gehen solche Gefahren nicht aus.
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a) Allerdings bestehen auf dem Grundstück besondere Bodenverhältnisse. Ausweislich einer E-Mail des Landesamts für Geologie, Rohstoffe und Bergbau (LGRB) im Regierungspräsidium Freiburg vom 14. Juli 2023 befindet sich in ca. 190 m Entfernung von dem Untersuchungspunkt eine Doline (Erdfall). Die Doline wurde als solche in die Ingenieurgeologische Gefahrenhinweiskarte von Baden-Württemberg (IGHK50) aufgenommen. Es handelt sich um eine Verkarstungsstruktur in den Gesteinen des Oberen Muschelkalks, die von holozänen Abschwemmmassen unbekannter Mächtigkeit überdeckt werden. Die Kalksteine des Oberen Muschelkalks sind anfällig für Verkarstungserscheinungen (Karbonatkarst). Auch ist es möglich, dass sich Verkarstungsprozesse aus dem unterlagernden Mittleren Muschelkalk (Sulfatkarst/Gipskarst) bis an die Geländeoberfläche durchpausen. Nach den Angaben des LGRB befinden sich ausweislich der Gefahrenhinweiskarte in der weiteren Umgebung (im Umkreis von ein bis zwei Kilometern) bereits mehrere vermutete Verkarstungsstrukturen.
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Trotz dieser besonderen Bodenverhältnisse hält es der Senat für ausgeschlossen, dass die Doline sich durch eine Kleinrammbohrung von zwei Metern Tiefe und einem Durchmesser von 6 cm verändern, geschweige denn, dass sie einstürzen, sich vergrößern oder weitere Dolinen aufwerfen könnte. Die Doline liegt ca. 190 m vom Bohrpunkt entfernt. In ähnlicher Entfernung hat die Beigeladene bereits erheblich tiefere Bohrungen durchgeführt (vgl. z. B. PA9-BK-Rav-0074: Kernbohrung auf 4,5 m Tiefe, siehe Bl. 108 der Verwaltungsakte), ohne dass sich dies auf die Verkarstungsstruktur des Bodens ausgewirkt hat. Zudem befindet sich der Bohrpunkt neben der befestigten Zufahrt und damit zugleich in einem Bereich des Grundstücks, den das LGRB in seiner E-Mail vom 14. Juli 2023 als nicht gefährdet angesehen hat. Für weitere, bislang unbekannte Dolinen auf dem Grundstück bestehen keine Anhaltspunkte. Im Gegenteil sprechen die Nutzung als Pferdekoppel und die in geringerem Abstand zu der Doline vorhandenen Gebäude für Bodenverhältnisse, die durch eine Bohrung von maximal zwei Metern Tiefe nicht gefährdet werden können.
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b) Die Beigeladene hat im Eilverfahren mit Schreiben vom 9. Februar 2024 zugesagt, von der Duldungsverfügung nur im Umfang einer Bohrtiefe von bis zu ca. 2 m Gebrauch zu machen, und damit zugleich auf eine weitergehende Inanspruchnahme des klägerischen Eigentums verzichtet. Etwaige Unklarheiten zur Reichweite der Inanspruchnahme der Duldungsanordnung sind damit zwischen den Beteiligten ausgeräumt.
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Hiervon ausgehend bedarf keiner Entscheidung, ob die Duldungsverfügung den Anforderungen genügt, die § 37 Abs. 1 VwVfG BW an die inhaltliche Bestimmtheit von Verwaltungsakten stellt. Die Anforderungen an die erforderliche Konkretisierung einer Duldungsanordnung bestimmen sich nach § 44 EnWG in erster Linie nach dem Informationsinteresse des Betroffenen. Erforderlich sind die genaue Bezeichnung des Grundstücks, die Angabe des voraussichtlichen Beginns und der voraussichtlichen Dauer der Vorarbeiten sowie mindestens überschlägige Angaben zu deren Art und Umfang. Eine genaue Angabe etwa zu einzelnen Bohrpunkten oder der konkreten Fahrstrecke ist nicht erforderlich (BVerwG, Beschluss vom 4. Dezember 2020 – 4 VR 4.20 – juris Rn. 19). Angaben zur Bohrtiefe sind regelmäßig nicht geschuldet, wenn diese jedenfalls in ihrer Größenordnung erkennbar ist und im Übrigen eine gewisse Bandbreite verbleibt (ebd. Rn. 21). Ob angesichts der besonderen Bodenverhältnisse eine nähere Bestimmung der Bohrtiefe in der Duldungsanordnung notwendig gewesen wäre, kann aber im Eilverfahren ebenso offen bleiben wie die Frage, ob eine solche Bestimmung dem Bescheid durch Auslegung seiner Begründung und der übrigen Umstände entnommen werden könnte. Denn jedenfalls ist die Beigeladene gehindert, von der Duldungsanordnung über die Zusage im Eilverfahren hinaus Gebrauch zu machen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und orientiert sich an Nr. 34.2.6 und Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.