Beschluss des BVerwG 7. Senat vom 25.01.2024, AZ 7 VR 2/24

BVerwG 7. Senat, Beschluss vom 25.01.2024, AZ 7 VR 2/24, ECLI:DE:BVerwG:2024:250124B7VR2.24.0

Tenor

Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den geänderten Planfeststellungsbeschluss des Bergamtes Stralsund für die Errichtung und den Betrieb der Gasversorgungsleitung „Ostsee-Anbindungs-Leitung (OAL) Seeabschnitt Lubmin bis KP 26“ vom 21. August 2023 anzuordnen, soweit der Planänderungsbeschluss vom 8. Januar 2024 die Bauzeitenbeschränkung vom 1. Januar bis zum 29. Februar 2024 für die Durchführung einer naturschutzrechtlichen Nebenbestimmung aufhebt, wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen trägt der Antragsteller.

Der Streitwert wird auf 10 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1

Der Antragsteller, eine nach § 3 UmwRG anerkannte Umweltvereinigung, begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage (BVerwG 7 A 11.23) gegen den geänderten Planfeststellungsbeschluss des Bergamtes Stralsund für die Errichtung und den Betrieb der Gasversorgungsleitung „Ostsee-Anbindungs-Leitung (OAL) Seeabschnitt Lubmin bis KP 26“ vom 21. August 2023/8. Januar 2024, soweit darin die Bauzeitenbeschränkung vom 1. Januar bis zum 29. Februar 2024 für die Durchführung einer naturschutzrechtlichen Nebenbestimmung aufgehoben wird.

2

Mit Planfeststellungsbeschluss vom 21. August 2023 ließ der Antragsgegner die Errichtung und den Betrieb des ersten Seeabschnitts Lubmin bis KP 26 zu. Über die ursprünglich hiergegen erhobene Klage des Antragstellers hat der Senat noch nicht entschieden. Den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung dieser Klage hat der Senat mit Beschluss vom 15. September 2023 (BVerwG 7 VR 6.23) abgelehnt.

3

Der Planfeststellungsbeschluss vom 21. August 2023 enthielt die naturschutzrechtliche Nebenbestimmung A.3.7.2, wonach die in der Antragsunterlage benannten Vermeidungs- und Minderungsmaßnahmen (vgl. LBP Anlage 2) mit folgenden Modifikationen umzusetzen sind: „Die seeseitigen Bautätigkeiten (inkl. der Nutzung der Umlagerungsflächen und des marinen Zwischenlagers) im seeseitigen Bereich der OAL-Trasse (bis KP 26), also vor allem im Greifswalder Bodden und im Südwesten der Pommerschen Bucht, sind auf den Zeitraum vom 15.05.2023 bis 31.12.2023 beschränkt (vgl. Maßnahme M5)“.

4

Nach der Nebenbestimmung A.3.2.1 des Planänderungsbeschlusses vom 8. Januar 2024 findet die Nebenbestimmung A.3.7.2 nunmehr mit der Maßgabe Anwendung, dass die Bauzeitenbeschränkung vom 1. Januar 2024 bis zum 29. Februar 2024 für die Wiederherstellung des Oberbodens im Kreuzungsbereich mit den 50Hertz Netzanbindungen (KP 5,2 bis KP 6,2) mittels Diffusor innerhalb von ca. sieben Arbeitstagen – Abschluss der Arbeiten im Januar 2024, die Wiederherstellung des Oberbodens im Bereich der Boddenrandschwelle (KP 14,7 bis KP 17) mittels Diffusor innerhalb von ca. 20 Arbeitstagen – Abschluss der Arbeiten im Februar 2024 und die Wiederherstellung der Steinbedeckung in den Riffabschnitten (ca. 3,5 km zwischen KP 5,6 und KP 26) innerhalb von ca. 40 Arbeitstagen – Abschluss der Arbeiten im Februar 2024 aufgehoben wird.

5

Der Antragsteller, der den Planänderungsbeschluss in seine anhängige Klage einbezogen hat, begehrt in der Hauptsache die Aufhebung, hilfsweise die Feststellung der Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit des geänderten Planfeststellungsbeschlusses, auch soweit darin die Bauzeitenbeschränkung vom 1. Januar bis 29. Februar 2024 aufgehoben wird. Auf die Anordnung der Aussetzung dieser Regelung beschränkt er seinen vorläufigen Rechtsschutzantrag. Er beanstandet, dass eine Umweltverträglichkeitsprüfung und eine Beteiligung anerkannter Naturschutzvereinigungen unterblieben seien. Auch verstoße die Bauzeitenerweiterung gegen den naturschutzrechtlichen Habitatschutz.

II

6

Der Antrag ist zulässig (1.), aber unbegründet (2.).

7

1. a) Die erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts ergibt sich aus § 12 Satz 1 LNGG i. V. m. § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO. Gemäß § 12 Satz 1 LNGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht im ersten und letzten Rechtszug über sämtliche Streitigkeiten über Vorhaben nach § 2 dieses Gesetzes. Bei der Errichtung und dem Betrieb der Gasversorgungsleitung „Ostsee-Anbindungs-Leitung (OAL) Seeabschnitt Lubmin bis KP 26“ handelt es sich um ein Vorhaben nach § 2 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 LNGG i. V. m. Nr. 4.2 der Anlage zum LNGG. Die Zuständigkeitsbestimmung umfasst auch Streitigkeiten über Änderungen dieses Vorhabens.

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b) Der Antrag ist statthaft.

9

aa) Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 LNGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen eine Zulassungsentscheidung für die Vorhaben nach § 2 LNGG keine aufschiebende Wirkung. Durch diese Bestimmung wird die gesetzliche Anordnung der sofortigen Vollziehung des § 43e Abs. 1 Satz 1 EnWG, wonach Widerspruch und Anfechtungsklage u. a. gegen einen Planfeststellungsbeschluss für Errichtung und Betrieb einer LNG-Anbindungsleitung nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 EnWG keine aufschiebende Wirkung haben, auf alle Entscheidungen im Zusammenhang mit Vorhaben nach § 2 LNGG ausgedehnt (vgl. BT-Drs. 20/1742 S. 37).

10

bb) Die unverändert bleibenden Regelungsbestandteile des ursprünglichen Planfeststellungsbeschlusses und die durch den Änderungsbeschluss neu hinzutretenden Regelungsbestandteile sind hier inhaltlich teilbar. Die Ausweitung des Bauzeitenfensters, die der Antragsteller vorliegend angreift, betrifft nicht die Errichtung der LNG-Anbindungsleitung als solche, sondern die zeitliche Umsetzung der Nebenbestimmung über Vermeidungs- und Minderungsmaßnahmen im Rahmen des geänderten planfestgestellten Vorhabens. Deshalb kann sich der Eilrechtsschutzantrag hierauf beschränken (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO „soweit“).

11

c) Als eine nach § 3 UmwRG anerkannte Umweltvereinigung ist der Antragsteller gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1, § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG i. V. m. § 2 Abs. 6 Nr. 1 UVPG antragsbefugt.

12

Bei dem angefochtenen Planänderungsbeschluss handelt es sich um eine sonstige behördliche Entscheidung über die Zulässigkeit von Vorhaben, die in einem Verwaltungsverfahren getroffen wurde, im Sinne des § 2 Abs. 6 Nr. 1 UVPG. Der Planänderungsbeschluss vom 8. Januar 2024 ist auch tauglicher Gegenstand einer Verbandsklage nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG. Soweit deren Zulässigkeit danach voraussetzt, dass für die angefochtene Zulassungsentscheidung eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bestehen kann, genügt zwar nicht, dass die Möglichkeit einer solchen Pflicht nicht von vornherein auszuschließen ist. Jedoch ist diese Voraussetzung erfüllt, wenn für das Vorhaben bzw. dessen Änderung – wie hier – eine Vorprüfung durchzuführen ist, ohne dass es auf deren Ergebnis ankommt (stRspr, vgl. nur BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2022 – 9 A 18.21 – BVerwGE 177, 279 Rn. 12).

13

2. Die Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage steht im Ermessen des Gerichts der Hauptsache (§ 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die in diesem Rahmen vorzunehmende Abwägung zwischen dem Vollziehungsinteresse des Antragsgegners sowie der Beigeladenen und dem Suspensivinteresse des Antragstellers geht zu dessen Lasten aus. Dies beruht vor allem darauf, dass sich die Klage bei summarischer Prüfung ihrer Erfolgsaussichten als voraussichtlich unbegründet erweist.

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a) Die Annahme des Antragsgegners, eine Umweltverträglichkeitsprüfung sei vor Erlass des Planänderungsbeschlusses nicht durchzuführen gewesen, führt voraussichtlich nicht auf einen Verfahrensmangel nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG. Denn in der Sache dürfte die erforderliche Vorprüfung des Einzelfalls im Wesentlichen erfolgt sein.

15

aa) Der Antragsgegner geht im Planänderungsbeschluss zutreffend davon aus, dass das streitgegenständliche Änderungsvorhaben – die Erweiterung des Bauzeitenfensters für die Vermeidungs- und Minderungsmaßnahmen – nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 7 Abs. 1 Satz 1 UVPG i. V. m. Ziff. 19.12.3 der Anlage 1 zum UVPG der Pflicht zur Durchführung einer allgemeinen Vorprüfung des Einzelfalls unterliegt. Nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UVPG besteht, wenn ein Vorhaben geändert wird, für das keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt worden ist, für das Änderungsvorhaben die UVP-Pflicht, wenn das geänderte Vorhaben einen in Anlage 1 angegebenen Prüfwert für die Vorprüfung erneut erreicht und eine Vorprüfung ergibt, dass die Änderung erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen hervorrufen kann. Der ohne Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung am 21. August 2023 planfestgestellte erste Seeabschnitt der OAL unterliegt mit einer Länge von ca. 26 km und einem Durchmesser von 1 200 mm der Regelung in Ziff. 19.12.3 Sp. 2 der Anlage 1 zum UVPG und erreicht als geändertes Vorhaben demnach weiterhin bzw. erneut die Prüfwerte für die Vorprüfung. Für das Änderungsvorhaben, die Änderung einschließlich der Erweiterung der Durchführung einer sonstigen in Natur und Landschaft eingreifenden Maßnahme (§ 2 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. c UVPG) besteht mithin eine UVP-Vorprüfungspflicht.

16

bb) Gemäß § 4 Abs. 1 LNGG hat, abweichend von § 1 Abs. 4 UVPG die für die Zulassungsentscheidung zuständige Behörde bei Vorhaben nach – wie hier – § 2 Abs. 1 Nr. 3 LNGG das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung nicht anzuwenden, wenn eine beschleunigte Zulassung des konkreten Vorhabens geeignet ist, einen relevanten Beitrag zu leisten, um eine Krise der Gasversorgung zu bewältigen oder abzuwenden.

17

(1) Der Planänderungsbeschluss geht in dem für die Beurteilung seiner Rechtmäßigkeit maßgeblichen Zeitpunkt seines Erlasses am 8. Januar 2024 zu Recht weiterhin von einer Krise der Gasversorgung aus. Zur näheren Begründung wird auf die Ausführungen im Beschluss des Senats vom 15. September 2023 – 7 VR 6.23 – (juris Rn. 14 – 18) betreffend den Planfeststellungsbeschluss für die Errichtung und den Betrieb der OAL Seeabschnitt Lubmin bis KP 26 vom 21. August 2023 Bezug genommen. Die Gasversorgungskrise ist zwischenzeitlich nicht entfallen. Das ist erst dann der Fall, wenn die Versorgung durch andere neu hinzugekommene sichere Bezugsquellen dauerhaft gesichert ist (BVerwG, Beschlüsse vom 12. September 2023 – 7 VR 4.23 – N&R 2023, 313 Rn. 13 und vom 15. September 2023 – 7 VR 6.23 – juris Rn. 14). Daran fehlt es nach wie vor. Die gravierende Reduktion von Gasströmen an wichtigen Einspeisungspunkten durch den Ausfall russischen Gases hält weiterhin an und eine Wiederaufnahme ist – abgesehen von den dafür notwendigen technischen Vorbereitungen – nicht wahrscheinlich. Auch die gefüllten Gasspeicher und die tagesaktuell stabile Lage der Gasversorgung ändert an dem Vorhandensein einer Gasmangellage im Sinne der Verordnung (EU) 2017/1938 vom 25. Oktober 2017 über Maßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 994/2010, zuletzt geändert durch Verordnung (EU) 2022/1032 vom 29. Juni 2022 (ABl. L 173, S. 17, ber. L 245 S. 70) nichts. Die an verschiedenen Standorten vorgesehenen und aufgrund der laufenden Planfeststellungsverfahren bereits konkret absehbaren Anlandungen mittels FSRU sind nicht geeignet, die aufgrund des Ausfalls der Gaslieferungen aus Russland entstehende Lücke bei der Deckung des deutschen Gasbedarfs aufzufangen (BVerwG, Beschlüsse vom 12. September 2023 – 7 VR 4.23 – N&R 2023, 313 Rn. 14 f. und vom 15. September 2023 – 7 VR 6.23 – juris Rn. 15 f.). Die Notwendigkeit der Inbetriebnahme des ersten Seeabschnitts der OAL im Hinblick sowohl auf die kommenden Heizperioden als auch auf das Winterhalbjahr 2023/2024, wie sie im Planfeststellungsbeschluss (S. 61 f.) dargelegt wurde, bleibt daher erhalten. Aus den vom Antragsteller in Bezug genommenen Berichten und Stellungnahmen der Bundesnetzagentur lässt sich bei summarischer Prüfung nichts Gegenteiliges schließen. Zunächst handelt es sich jeweils um Momentaufnahmen, die auf dem aktuellen Füllstand der Gasspeicher und dem Gasverbrauch beruhen, jedoch noch nichts über die dauerhafte Sicherung der Gasversorgung aussagen. Abgesehen davon weisen auch die genannten Lagebewertungen gewichtige Einschränkungen auf. Laut Bundesnetzagentur (Stand: 2. Januarwoche) „verbleiben Restrisiken“ (schon) für den Winter 2023/2024.

18

Der Antragsgegner durfte im Planänderungsbeschluss auch annehmen, dass der erste Seeabschnitt der OAL noch in der laufenden Heizperiode – in Deutschland üblicherweise bis zum 30. April – in Betrieb geht. Aus der durch den ersten Änderungsbeschluss festgestellten ergänzenden Stellungnahme der Vorhabenträgerin zur Erweiterung des Bauzeitenfensters vom 7. Dezember 2023 ergibt sich, dass die OAL von Lubmin bis KP 46 am 6. Dezember 2023 fertig verlegt war und nach damaligem Planungsstand die Erstbefüllung aller Voraussicht nach Mitte Februar abgeschlossen sein werde. Dabei geht die Beigeladene davon aus, dass die sichere Inbetriebnahme der OAL unabhängig vom Abschluss der Wiederherstellungsarbeiten möglich sei. Allein aus der Erweiterung des Bauzeitenfensters für naturschutzrechtliche Vermeidungs- und Minderungsmaßnahmen, die nach dem Planfeststellungsbeschluss vor der Inbetriebnahme der OAL erfolgen müssen, auf die Monate Januar und Februar 2024 lässt sich nichts Gegenteiliges für eine Inbetriebnahme der Leitung am 1. März 2024 schließen.

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(2) Allerdings ist nicht ohne Weiteres ersichtlich, dass der Verzicht auf die UVP-Vorprüfung hinsichtlich der Erweiterung des Bauzeitenfensters für Vermeidungs- und Minderungsmaßnahmen geeignet ist, die Zulassung des konkreten Vorhabens, der OAL (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 LNGG i. V. m. Nr. 4.2 der Anlage zum LNGG), zu beschleunigen (zum Tatbestandsmerkmal der „beschleunigten Zulassung“ in § 4 Abs. 1 LNGG, vgl. Kment, JZ 2023, 1087 <1090 f.>). Dies hätte der Antragsgegner im Planänderungsbeschluss belegen müssen.

20

cc) Allerdings wirkt sich das Verkennen der UVP-Vorprüfungspflicht voraussichtlich nicht aus. Denn der Sache nach lagen dem Antragsgegner mit der von der Vorhabenträgerin vorgelegten Umweltfachlichen Stellungnahme des Instituts für Angewandte Ökosystemforschung GmbH (IfAÖ) vom 5. Dezember 2023 zur Erweiterung des Bauzeitenfensters, die für die Vorprüfung erforderlichen Unterlagen vor. Die Untersuchung beschreibt den bisherigen Bauverlauf, den erreichten Arbeitsstand, die aufgrund des Sturmereignisses Viktor erforderlich gewordene aktualisierte Planung sowie die für die Arbeiten vorgesehenen Baufahrzeuge und den Zeitablauf. Sodann befasst sie sich in der umweltfachlichen Stellungnahme im Einzelnen mit den Wirkfaktoren, dem Untersuchungsraum und den Umweltauswirkungen auf die Schutzgüter des § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 UVPG und bewertet die Auswirkungen des Vorhabens mit Blick auf die Bewirtschaftungsziele der Wasserrahmenrichtlinie und der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie. Ferner wird eine Eingriffsbilanzierung vorgenommen und der Biotopschutz erörtert. In einem umfangreichen Anlagenanhang wird schließlich insbesondere die Verteilung verschiedener Rastvogelarten dargestellt. Damit ist bei summarischer Prüfung eine dem § 7 UVPG genügende „überschlägige Prüfung“ der möglichen Umweltauswirkungen erfolgt und im Ergebnis das Erreichen der Erheblichkeitsschwelle für eine Umweltverträglichkeitsprüfung verneint worden. Dadurch ist die Vorprüfung des Einzelfalls inhaltlich im Wesentlichen abgearbeitet, so dass für eine Aufhebung der Entscheidung kein Bedürfnis bestehen dürfte (vgl. Fellenberg/​Schiller, in: Landmann/​Rohmer, Umweltrecht, Stand September 2023, § 4 UmwRG Rn. 30). Abgesehen davon ist eine Fehlerheilung – auch mit Blick auf die Anforderungen des § 5 Abs. 2 UVPG – im Laufe des gerichtlichen Verfahrens noch zulässig (vgl. EuGH, Urteil vom 26. Juli 2017 – C-196/16 u. a. [ECLI:​EU:​C:​2017:​589], Comune di Corridonia u. a. – Rn. 43).

21

b) Gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 BNatSchG i. V. m. § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG kann von einer Beteiligung einer anerkannten Naturschutzvereinigung abgesehen werden, wenn eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint. Davon ist bei Vorhaben nach § 2 LNGG unter Berücksichtigung der gesetzlichen Wertung in § 3 LNGG voraussichtlich auszugehen. Dies gilt auch dann, wenn – wie hier – aufgrund des nur sehr geringen Umfangs der erforderlichen UVP-Vorprüfung, diese nicht nach § 4 Abs. 1 LNGG hätte unterbleiben dürfen.

22

c) Die Planänderung ist bei summarischer Prüfung mit Habitatschutzrecht vereinbar.

23

aa) Der Senat hat im Beschluss vom 15. September 2023 – 7 VR 6.23 – (juris Rn. 30) erkannt, dass die FFH-Verträglichkeitsprüfungen des Vorhabens voraussichtlich nicht deshalb im Ergebnis fehlerhaft sind, weil sie eine erhebliche Beeinträchtigung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG verneinen, obwohl – was unstreitig ist – im Bereich von Riffen (LRT 1170) insoweit keine vollständige Wiederherstellung der ursprünglichen Strukturen erfolgt, als ausbeißender Geschiebemergel durch Block- und Steingründe ersetzt wird. Der Planfeststellungsbeschluss geht davon aus, dass die Flächeninanspruchnahme vorübergehend ist, da die abiotischen Habitateigenschaften (Hydrographie, Morphologie und Substarteigenschaften) im Zuge der Verfüllung des Rohrgrabens nach Verlegung der Pipeline binnen eines Zeitraums von maximal sechs Monaten bezogen auf die einzelne Lokalität vollständig renaturiert werden. Die Dauer der Beeinträchtigung der Fläche betrage ortsbezogen weniger als sechs Monate (PFB S. 95). Hieran knüpft der Planänderungsbeschluss an, wenn dort ausgeführt wird, die Riff- und Oberbodenwiederherstellung erfolge weiterhin im Winter, somit vor Beginn der Fortpflanzungsperiode der benthischen Organismen. Die um zwei Monate verschobene Riff- und Oberbodenwiederherstellung habe somit keinen Einfluss auf die Erhaltungsziele des Schutzgebiets (PÄB S. 14). Da die Bauarbeiten für die Leitung Ende August/​Anfang September 2023 begonnen haben, wird die bis Ende Februar 2024 geplante Wiederherstellung innerhalb von sechs Monaten abgeschlossen sein.

24

bb) Eine erhebliche Beeinträchtigung der für das FFH-Gebiet „Greifswalder Bodden, Teile des Strelasundes und Nordspitze Usedom“ (DE 1747-301) charakteristischen Art Hering (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG) durch die Planänderung hat der Antragsteller im Eilrechtsschutzverfahren nicht glaubhaft gemacht.

25

Der Antragsgegner weist zutreffend darauf hin, dass die Bauzeitenerweiterung durch den Planänderungsbeschluss nicht den gesamten 1. Seeabschnitt betrifft. Die Planänderung lässt die Rückverfüllung auf 3,3 km und die Wiederherstellung der Steinbedeckung in den Riffabschnitten auf ca. 3,5 km, insgesamt also auf 6,8 km, zu. Weiter stellt er klar, dass sich die Sassnitzer Rinne, in der laut Reisebericht des Thünen-Instituts im Dezember 2023 größere Vorkommen von Vorlaichern mit frühjahrslaichendem Hering festgestellt wurden (eingereicht im Verfahren BVerwG 7 VR 1.24 als Anlage ASt 10), nicht im ersten Seeabschnitt, sondern vor Rügen bei Sassnitz, befindet.

26

Nach der Nebenbestimmung A.3.1 hat die Beigeladene tägliche Messungen der Wassertemperatur im Greifswalder Bodden in einer Tiefe von mindestens 1 m unter der Wasseroberfläche vor Arbeitsbeginn vorzunehmen. Die Messergebnisse sind tagesaktuell der Planfeststellungsbehörde zu übermitteln. Sobald an zwei aufeinander folgenden Tagen die Wassertemperatur einen Wert von ≥ +3,5 °C erreicht hat, sind alle seeseitigen Arbeiten unverzüglich einzustellen, sofern die beiden nachfolgenden Kriterien kumulativ erfüllt sind: In einem – exakt beschriebenen – Stellnetz, welches im nahen Umfeld des Hafens Stahlbrode so nahe wie möglich an der Fahrrinne (mindestens auf der 7 m-Tiefenlinie) vor 8.00 Uhr aufzustellen ist, werden innerhalb von 3 unmittelbar aufeinanderfolgenden Hols à 30 Minuten insgesamt mehr als 50 Heringe gefangen und von den so gefangenen Heringen weisen 50% das Reifestadium 5 (nach der Reifegradtabelle für Hering, Ostsee nach Fr. Heincke, verändert) oder höher auf. Die Kontrollfänge sind mindestens 2x je Woche in einem Abstand von drei Tagen durchzuführen. Sinkt die Wassertemperatur nach kumulativer Erfüllung der genannten Kriterien auf < + 3,5 °C kann mit der beschriebenen Methode festgestellt werden, ob das Laichgeschehen unterbrochen wurde. Ist bei zwei aufeinander folgenden Kontrollfängen eines der genannten Kriterien nicht erfüllt, können die seeseitigen Arbeiten wiederaufgenommen werden. Die Erfüllung bzw. Nichterfüllung der genannten Kriterien ist der Planfeststellungsbehörde nachzuweisen.

27

Die Nebenbestimmung A.3.1 erscheint danach grundsätzlich geeignet, die Änderung der Nebenbestimmung im Planfeststellungsbeschluss, nach der die Bauausführung auf den Zeitraum vom 15. Mai bis 31. Dezember 2023 beschränkt war, auszugleichen und dadurch eine erhebliche Beeinträchtigung des Ostseeherings auszuschließen. Hierauf bezieht sich auch die Begründung des Planänderungsbeschlusses (S. 14 f.). Angesichts der detaillierten Regelung im Planänderungsbeschluss reicht es nicht aus, wenn der Antragsteller geltend macht, die Prüfung der Wassertemperatur allein sei kein sachgerechtes Kriterium zur Feststellung des Beginns der Laichzeit. Hierauf beschränkt sich die Nebenbestimmung gerade nicht. Die Stellungnahmen der Träger öffentlicher Belange, u. a. des Thünen-Instituts, aus dem Dezember 2023, auf die der Antragsteller sich beruft, können die erstmals im Planänderungsbeschluss vom 8. Januar 2024 getroffene Regelung nicht berücksichtigen. Weshalb der Antragsteller die ausführliche, oben zitierte Nebenbestimmung A.3.1 als zu unbestimmt bezeichnet, erschließt sich nicht. Dies gilt umso mehr, als die Beigeladene plausibel dargelegt hat, dass es auf den genauen Messpunkt im Bodden nicht ankomme und die Messungen mit dem Thünen-Institut abgestimmt werden. Das Thünen-Institut hat im Übrigen in einer E-Mail vom 9. Januar 2024 an den Antragsteller im Verfahren BVerwG 7 VR 1.24 bestätigt, dass die Nebenbestimmung A.3.1 das Potential hat, die möglichen Auswirkungen der Bauzeitverlängerung auf den Herings-Rekrutierungserfolg zu reduzieren (eingereicht im Verfahren BVerwG 7 VR 1.24 als Anlage ASt 6). Soweit in dieser E-Mail weiter ausgeführt wird, dass das Risiko nur dann auf Null gesenkt werde, wenn die Bauarbeiten ab 31. Dezember eingestellt werden, verfehlt dies schon den Maßstab der FFH-Prüfung, die gerade nicht auf die Feststellung eines Nullrisikos ausgerichtet ist (BVerwG, Urteil vom 7. Juli 2022 – 9 A 1.21 – BVerwGE 176, 94 Rn. 53).

28

Auch die weiteren Nebenbestimmungen zum Planänderungsbeschluss, wonach die Anzahl von drei Wanderbaustellen nicht überschritten werden darf (A.3.2.3), in Abstimmung mit einem anderen Vorhabenträger in den Natura 2000-Gebieten nie mehr als zehn Arbeitsschiffe bezogen auf die dort insgesamt vorhandenen seeseitigen Baustellen eingesetzt werden dürfen (A.3.2.4) und die Tätigkeiten im Bereich der Boddenrandschwelle vorrangig durchzuführen sind (A.3.2.5), erscheinen grundsätzlich dazu geeignet, die vom Antragsteller befürchteten großflächigen und langanhaltenden Trübungsfahnen möglichst gering zu halten. Auf diese Nebenbestimmungen geht die Antragsbegründung nicht ein. Zudem verhält sich der Antragsteller nicht dazu, dass die durch die Wiederverfüllungsarbeiten zu erwartenden Trübungen geringer sein dürften, als diejenigen durch die vorangegangenen Baggerarbeiten bei der Herstellung der Rohrleitung.

29

cc) Auch für das betroffene EU-Vogelschutzgebiet „Greifswalder Bodden und südlicher Strelasund“ (DE 1747-402) ist eine erhebliche Beeinträchtigung durch den Planänderungsbeschluss nicht glaubhaft gemacht.

30

Nachdem von einer erheblichen Beeinträchtigung des Laichgeschehens des Herings bei summarischer Prüfung nicht auszugehen ist, kann auch ein Verlust des Nahrungsangebotes für Rastvögel hier nicht angenommen werden.

31

Im Übrigen hat der Planänderungsbeschluss die Auswirkungen des baubedingt verlängerten Schiffsverkehrs auf die Winterrast maßgeblicher Vogelarten berücksichtigt. Bereits im Planfeststellungsbeschluss, der nicht Gegenstand dieses Eilverfahrens ist, wurde angenommen, dass die betroffenen Bereiche (Fahrrinne und Ansteuerung des Landtiefs) nur eine geringe Bedeutung für das Rastgeschehen von Bergenten aufweisen (PFB S. 87). Zudem umfassen laut Planänderungsbeschluss die potentiell vergrämten Individuen für alle Arten stets weniger als 1% der Rastbestände im Schutzgebiet. Der Schiffsverkehr wird durch die Nebenbestimmung A.3.2.4 zum Planänderungsbeschluss begrenzt. Nach Nebenbestimmung A.3.7.3 zum Planfeststellungsbeschluss ist durch die Vorhabenträgerin sicherzustellen, dass u. a. Vogelrastplätze bei der Wahl von Anfahrtswegen zum Baufeld gemieden werden, die Inanspruchnahme des Gewässers zeitlich und räumlich auf das unabdingbare Maß reduziert und Sedimentverfrachtungen und Trübstofffahnen durch die Nutzung geeigneter Technik minimiert werden. Sämtliche Bauverkehre haben dabei soweit wie möglich in bzw. in der Nähe von betonnten Fahrwassern stattzufinden und die Wege von den Fahrwassern zur Baustelle bzw. zu Zwischenlagern und Umlagerungsflächen so kurz wie möglich zu halten (A.3.7.4 zum PFB). Schließlich hat die Vorhabenträgerin nach Nebenbestimmung A.3.2.2 zum Planänderungsbeschluss u. a. das betroffene EU-Vogelschutzgebiet täglich auf Eisgang zu kontrollieren, die Kontrollergebnisse in geeigneter Weise zu dokumentieren und auf Verlangen der Planfeststellungsbehörde vorzulegen. Bei Eisgang sind die Arbeiten in dem betroffenen Natura 2000-Gebiet einzustellen, so dass in diesem Fall optische und akustische Reize nicht eintreten.

32

Die im Planfeststellungs- und Planänderungsbeschluss getroffenen detaillierten Regelungen sind nach vorläufiger Prüfung geeignet, eine erhebliche Beeinträchtigung des EU-Vogelschutzgebietes durch die Erweiterung des Bauzeitenfensters auszuschließen. Dieser Eindruck wird durch die pauschalen Angriffe in den Schriftsätzen des Antragstellers nicht erschüttert.

33

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 52 Abs. 1 i. V. m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

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