Beschluss des BPatG München 26. Senat vom 29.11.2022, AZ 26 W (pat) 560/20

BPatG München 26. Senat, Beschluss vom 29.11.2022, AZ 26 W (pat) 560/20, ECLI:DE:BPatG:2022:291122B26Wpat560.20.0

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2019 233 216.8

hat der 26. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 29. November 2022 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Kortge sowie der Richter Kätker und Dr. von Hartz

beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Das Wortzeichen

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Rheinstoff

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ist am 14. Oktober 2019 unter der Nummer 30 2019 233 216.8 zur Eintragung als Marke in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register angemeldet worden für Waren der

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Klasse 33: Weine.

5

Mit Beschluss vom 26. März 2020 hat die mit einem Beamten des gehobenen Dienstes besetzte Markenstelle für Klasse 33 des DPMA die Anmeldung wegen fehlender Unterscheidungskraft gemäß §§ 37 Abs. 1, 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass sich das Anmeldezeichen in werbemäßig anpreisender Form auf eine rein sachbezogene Angabe ohne erkennbaren herkunftshinweisenden Gehalt beschränke. Der Bestandteil „Rhein“ sei eine geografische Herkunftsangabe und „Stoff“ bezeichne in der Jugendsprache Getränke. Rein linguistische Überlegungen zum Bedeutungsgehalt des – anders geschriebenen – Begriffs „Reinstoff“ aus der Chemie seien nicht entscheidungsrelevant, da keine Chemikalien, sondern „
Weine“ beansprucht würden, die am Rhein, einem bekannten Weinanbaugebiet, hergestellt würden. Das Anmeldezeichen sei daher nur ein betriebsneutraler Hinweis auf bestimmte Eigenschaften dieser Waren. Bei Einwortmarken sei auf die Rechtsprechung zu Werbeslogans nicht einzugehen. Die angeführten Voreintragungen entfalteten keine Bindungswirkung.

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Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Anmelderin. Sie ist der Ansicht, der Begriff „Stoff“ habe in der deutschen Sprache zahlreiche Bedeutungen. Er werde in der Umgangssprache zwar für eine illegale Rausch-Droge verwendet, jedoch weder für alkoholische Getränke noch für Wein. Dies möge in den Siebzigerjahren noch anders gewesen sein, nicht jedoch heute bzw. zum Anmeldezeitpunkt. Dies widerlegten auch zahlreiche Voreintragungen mit dem Bestandteil „Stoff“, wie die Wortmarken „ALSTERSTOFF“ (30 2016 011 3478), „Spreestoff“ (30 2016 011 348) und „RHEINSTOFF“ (30 2019 206 302), jeweils u. a. eingetragen für Biere und alkoholische Getränke, belegten. Selbst wenn „Stoff“ ein in der Jugendsprache gängiger Ausdruck für Getränke wäre, handelte es sich bei der Wortkombination „Rheinstoff“ als fehlerhafte Schreibweise des in der Chemie gebräuchlichen Begriffs „Reinstoff“ um ein vom Durchschnittsverbraucher in mehreren gedanklichen Schritten erkanntes Wortspiel, das über zahlreiche Indizien für die Unterscheidungskraft verfüge, nämlich Kürze, eine gewisse Originalität, Prägnanz, Mehrdeutigkeit und Interpretationsbedürftigkeit. Ferner genüge es, wenn es praktische bedeutsame und naheliegende Möglichkeiten gebe, das angemeldete Zeichen bei den Waren so zu verwenden, dass es vom Verkehr als Marke verstanden werde.

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Die Anmelderin beantragt sinngemäß,

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den Beschluss der Markenstelle für Klasse 33 des DPMA vom 26. März 2019 aufzuheben.

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Mit gerichtlichem Schreiben vom 16. Mai 2022 unter Beifügung von Recherchebelegen (Anlagen 1 bis 4, Bl. 27 – 65 GA) ist die Beschwerdeführerin auf die Schutzunfähigkeit des Anmeldezeichens hingewiesen worden.

10

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

11

Die gemäß §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 MarkenG statthafte Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

12

Der Eintragung des angemeldeten Wortzeichens „
Rheinstoff“ als Marke steht für die beanspruchten Waren „
Weine“ der Klasse 33 das Schutzhindernis der fehlenden Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG entgegen. Die Markenstelle hat die Anmeldung daher zu Recht zurückgewiesen (§ 37 Abs. 1 MarkenG).

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1. a) Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese Waren oder Dienstleistungen somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet (EuGH GRUR 2015, 1198 Rdnr. 59 f. – Nestlé/Cadbury [Kit Kat]; BGH GRUR 2018, 932 Rdnr. 7 – #darferdas? I; GRUR 2018, 301 Rdnr. 11 – Pippi-Langstrumpf-Marke; GRUR 2016, 934 Rdnr. 9 – OUI). Denn die Hauptfunktion der Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen zu gewährleisten (EuGH GRUR 2010, 228 Rdnr. 33 – Audi AG/HABM [Vorsprung durch Technik]; BGH a. a. O. – #darferdas? I; a. a. O. – OUI). Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden (BGH a. a. O. – Pippi-Langstrumpf-Marke). Ebenso ist zu berücksichtigen, dass der Verkehr ein als Marke verwendetes Zeichen in seiner Gesamtheit mit allen seinen Bestandteilen so aufnimmt, wie es ihm entgegentritt, ohne es einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (EuGH GRUR 2004, 428 Rdnr. 53 – Henkel; BGH a. a. O. Rdnr. 15 – Pippi-Langstrumpf-Marke).

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Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft zum relevanten Anmeldezeitpunkt (BGH GRUR 2013, 1143 Rdnr. 15 – Aus Akten werden Fakten) sind einerseits die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen und andererseits die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise, wobei auf die Wahrnehmung des Handels und/oder des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers der fraglichen Waren oder Dienstleistungen abzustellen ist (EuGH GRUR 2006, 411 Rdnr. 24 – Matratzen Concord/Hukla; BGH GRUR 2014, 376 Rdnr. 11 – grill meister).

15

Ausgehend hiervon besitzen Wortzeichen dann keine Unterscheidungskraft, wenn ihnen die angesprochenen Verkehrskreise lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen (EuGH GRUR 2004, 674, Rdnr. 86
– Postkantoor; BGH a. a. O. Rdnr. 8 – #darferdas? I; GRUR 2012, 270 Rdnr. 11

– Link economy) oder wenn diese aus gebräuchlichen Wörtern oder Wendungen der deutschen Sprache oder einer bekannten Fremdsprache bestehen, die vom Verkehr – etwa auch wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung
– stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werden (BGH a. a. O. – #darferdas? I; a. a. O. Rdnr. 12 – OUI; GRUR 2014, 872 Rdnr. 21 – Gute Laune Drops). Darüber hinaus besitzen keine Unterscheidungskraft vor allem auch Angaben, die sich auf Umstände beziehen, die die beanspruchte Ware oder Dienstleistung zwar selbst nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird und deshalb die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Verkehr den beschreibenden Begriffsinhalt ohne weiteres erfasst und in der Bezeichnung kein Unterscheidungsmittel für deren Herkunft sieht (BGH a. a. O. – #darferdas? I; a. a. O. – Pippi-Langstrumpf-Marke). Hierfür reicht es aus, dass ein Wortzeichen, selbst wenn es bislang für die beanspruchten Waren und Dienstleistungen nicht beschreibend verwendet wurde oder es sich gar um eine sprachliche Neuschöpfung handelt, in einer seiner möglichen Bedeutungen ein Merkmal dieser Waren und Dienstleistungen bezeichnen kann (EuGH GRUR 2004, 146 Rdnr. 32 – DOUBLEMINT; BGH GRUR 2014, 569 Rdnr. 18 – HOT); dies gilt auch für ein zusammengesetztes Zeichen, das aus mehreren Begriffen besteht, die nach diesen Vorgaben für sich genommen schutzunfähig sind. Der Charakter einer Sachangabe entfällt bei der Zusammenfügung beschreibender Begriffe jedoch dann, wenn die beschreibenden Angaben durch die Kombination eine ungewöhnliche Änderung erfahren, die hinreichend weit von der Sachangabe wegführt (EuGH MarkenR 2007, 204 Rdnr. 77 f. – CELLTECH; BGH GRUR 2014, 1204 Rdnr. 16 – DüsseldorfCongress).

16

b) Diesen Anforderungen an die Unterscheidungskraft im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG genügt das Wortzeichen „
Rheinstoff“ nicht. Denn die angesprochenen inländischen Verkehrskreise haben es zum maßgeblichen Anmeldezeitpunkt, dem 14. Oktober 2019, nur als schlagwortartige, umgangssprachliche Sachaussage über die geografische Herkunft und Art der beanspruchten „
Weine“ der Klasse 33 aufgefasst, nicht aber als Hinweis auf ein bestimmtes Unternehmen wahrgenommen.

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aa) Von der betroffenen Ware „
Weine“ werden breite inländische Verkehrskreise angesprochen, nämlich sowohl der normal informierte, angemessen aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher als auch der Getränke- und Weinfachhandel sowie der Gastronomiefachverkehr.

18

bb) Das Anmeldezeichen setzt sich erkennbar aus den beiden geläufigen Alltagswörtern „Rhein“ und „Stoff“ zusammen.

19

aaa) Der vorangestellte Bestandteil „Rhein“ ist der Name eines ca. 1.232 km langen Stroms in West- und Mitteleuropa und eine der verkehrsreichsten Wasserstraßen der Welt (https://de.wikipedia.org/wiki/Rhein). Er gilt als längster Fluss innerhalb Deutschlands, weil rund 865 Kilometer durch Deutschland fließen (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/2280/umfrage/die-laengsten-fluesse-in-deutschland/). Der Natur- und Kulturraum des Rheins wird durch Weinanbau geprägt, was zum präsenten Allgemeinwissen des Durchschnittsverbrauchers gehört. Landschaftsnamen wie der weltbekannte Rheingau, Rheinhessen oder Mittelrhein sind gleichzeitig Weinanbaugebiete (https://de.wikipedia.org/wiki/Rhein
; Anlagenkonvolut 1 zum gerichtlichen Hinweis). Für die beanspruchte Ware „
Weine“ stellt der Bestandteil „Rhein“ daher eine geografische Herkunftsangabe dar.

20

bbb) Das Substantiv „Stoff “ bezeichnet in der Alltagssprache in erster Linie ein aus Garn gewebtes, gewirktes, gestricktes Erzeugnis und eine in chemisch einheitlicher Form vorliegende Materie, Substanz bzw. Masse. In einer seiner weiteren Bedeutungen bezeichnet „Stoff“ in der Umgangssprache auch „Alkohol“ (Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 3. Aufl. 1999, Band 8, S. 3753, Stichwort: „Stoff“, Ziff. 3. a); Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 8. Aufl. 2006, S. 1421, Stichwort: „Stoff“, Ziff. 6.1, Anlagenkonvolut 2 zum gerichtlichen Hinweis). Aus den im Duden genannten Verwendungsbeispielen „unser Stoff geht aus; neuen Stoff aus dem Keller holen; wir haben keinen Stoff mehr“ geht hervor, dass mit „Stoff“ auch alkoholische Getränke bezeichnet werden. Bei den vorliegend beanspruchten Waren „
Weine“, bei denen es sich um klassische alkoholische Getränke handelt, steht dieser Bedeutungsgehalt daher klar im Vordergrund. Der Senat hat zahlreiche Verwendungsbeispiele, bei denen Wein vor dem maßgeblichen Anmeldetag, dem 14. Oktober 2019, als „Stoff“ bezeichnet worden ist, ermitteln können (vgl. Anlagenkonvolut 3a zum gerichtlichen Hinweis):

21

– „Die Wein Punks … Das soll auch der Firmenname „Geile Weine“ deutlich machen: „Wenn Winzer über einen Wein sprechen, sagen sie nicht, wie blumig er im Abgang ist, sondern dass sie „geilen
Stoff“ im Keller haben. Daran haben wir uns orientiert“, so Aktas. …“ (09.02.2017; https://www.businessinsider.de/gruenderszene/allgemein/geile-weine-mainz-portraet/);

22

– „UNSERE MOSEL-LIEBLINGE … Können Weinhändler überhaupt Lieblingsweine haben? Und wenn, sind das nicht immer die besten und teuersten, die 100+ Punkte-Weine oder der Freak
stoff, den nicht einmal Herr Parker versteht? … Bei aller feingeistigen Anschauung bleibt nach dem Absetzen des Glases aber auch eine simple körperliche Erkenntnis: ungemein süffiger
Stoff! …“ (20.06.2015; https://www.koelner-weinkeller.de/weinblog/unsere-mosel-lieblinge/);

23

– „Ein Hochamt für edlen
Stoff – Drei deutsche Klassiker und erstmals auch die Trend-Rebsorte Sauvignon Blanc – beim Finale des 5. FOCUS-Weintests kürte eine hochkarätige Jury … die besten Tropfen“ (FOCUS 49/2015, S. 134);

24

– „RIESLING KABINETT HIMMELREICH … Alles nur in einer Flasche. Zugreifen, denn der
Stoff ist schnell vergriffen. … Ernte: 25.09.2019“ (https://www.vagabundweine.de/weine-1/);

25

– „Mosel, Saar und Ruwer … Im Mund ist er trotz Goldkapsel schlank, extrem fein, pikant, dicht mit Aromen von kandierter Zitrone, salzigen und tonischen Anklängen. Das ist göttlicher
Stoff.“ (17.10.2016; https://www.originalverkorkt.de/2016/10/mosel-saar-und-ruwer-vorsprung-durch-klassik/);

26

– „… Spannende Blaufränkische, gereifte Bordeauxs und eine Reihe weiterer
Stoff bescherten uns einen richtig tollen Abend. … Marco und ich entschieden uns gegen 02:00 Uhr für eine Spätlese von Thomas Ludwig – und wir konnten mit dem Genießen nicht aufhören. War das ein geiler
Stoff! …“ (30. Juli 2017; https://bjrlebouquet.com/mythos-mosel-2017/);

27

– „… Wir verkosteten einen 2006 Weißburgunder Brut, der seit 2007 auf der Hefe liegt: Großartiger
Stoff! …“ (18.01.2010; https://drunkenmonday.wordpress.com/2010/01/18/zu-besuch-auf-dem-weingut-k-j-thul-thornich-mosel/);

28

– „… Wunderbare Spätburgunder, Sauvignon blancs und Rieslinge – besonders der Riesling … blieb mir in Erinnerung – ich schmecke den kristallklaren
Stoff heute noch auf der Zunge, da muss Magie im Spiel sein!“ (30.12.2018; https://www.nikos-weinwelten.de/beitrag/top_10_der_wein_gourmetwelten_die_kollektionen_des_jahres/);

29

– „2016 Rosé trocken „Welch ein
Stoff“ Nr. 8“ (https://www.wein-fitz-schneider.de/weine/detail?id=24);

30

– „Weißer
Stoff 2017, Pulker“ (https://www.wein-hinterecker.de/Weisser_Stoff_2017_Pulker.html);

31

– „Weinwissen für Anfänger: endlich alt genug für guten
Stoff (30.05.2017; https://www.40-something.de/weinwissen-fuer-anfaenger/);

32

– „… Die Qualität der deutschen Spätburgunder der letzten Jahre ist enorm gestiegen, gerade im Bereich der Basisweine kann man unter 10 € reichlich guten
Stoff finden. …“ (28.12.2017; https://www.weingood.de/blogs/news/wir-stellen-vor-der-pinot-noir-spatburgunder#: …).

33

Wie die vorgenannten Belege zeigen, ist das Wort „Stoff“ entgegen der Ansicht der Anmelderin nicht nur in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein Synonym für alkoholische Getränke gewesen, sondern ist jedenfalls bei Wein auch bis ins Jahr der Anmeldung 2019 so benutzt worden.

34

ccc) Zwar können das Nomen „Stoff“ und das Adjektiv „stoffig“ im Zusammenhang mit Wein zumindest vom Fachverkehr auch im Sinne von geschmackliche Fülle und Kraft alkohol- und extraktreicher Weine verstanden werden (vgl. Anlagenkonvolut 4 zum gerichtlichen Hinweis), aber diese ebenfalls warenbeschreibende Bedeutung dürfte bei der angemeldeten Wortkombination „Rheinstoff“ nicht im Vordergrund stehen, da bei Weinbeschreibungen zwar von Weinen „mit Stoff“ bzw. mit viel oder wenig Stoff die Rede ist, hierbei aber nicht weiter nach Art des „Stoffs“ oder gar mit vorangestellten Flussnamen nach der geografischen Herkunft des „Stoffs“ im Sinne geschmacklicher Fülle und Körperreichtum unterschieden wird. Bei der vorliegend beanspruchten Verbindung der vorangestellten Fluss- und Weinanbaugebietsbezeichnung „Rhein“ mit dem Wort „-stoff“ passt jedoch allein das Verständnis von „Stoff“ im Sinne eines alkoholischen Getränks.

35

cc) In seiner Gesamtheit erschließt sich das angemeldete Wortzeichen „Rheinstoff“ daher ohne weiteres im Sinne von alkoholischen Getränken, die vom Rhein stammen bzw. am Rhein hergestellt werden.

36

dd) Aus Sicht der angesprochenen Verkehrskreise hat das Anmeldezeichen am 14. Oktober 2019 daher nur den schlagwortartigen, umgangssprachlichen Sachhinweis vermittelt, dass die so gekennzeichneten „
Weine“ der Klasse 33 als alkoholische Getränke im Rheingebiet angebaut und produziert worden sind. Damit hat es sich in einer saloppen Sachaussage über die Herkunft und Art der beanspruchten Ware als alkoholische Weine aus der Rheingegend erschöpft, womit es im Wesentlichen dasselbe bezeichnet wie die gleichartig aufgebaute Bezeichnung „Rheinwein“.

37

aaa) Der inhaltlich mit dem Anmeldezeichen identische Gesamtbegriff „Rheinwein“ ist vor dem maßgeblichen Anmeldetag zur Bezeichnung von Weinen mit dieser Herkunft auch verwendet worden (Duden, a. a. O., Band 7, S. 3195.; Wahrig, a. a. O., S. 1232; https://falstaff.de/nd/wein-am-rhein-europas-hauptschlagader/; vgl. Anlagenkonvolut 1 zum gerichtlichen Hinweis). Tatsächlich sind vor dem Prioritätszeitpunkt auch sog. Rheinweine als „Stoff“ bezeichnet worden (vgl. Anlagenkonvolut 3b zum gerichtlichen Hinweis):

38

– „Klassiker vom Rhein …Während in der Nachbarschaft billig-süßer
Stoff aus Rheinhessen strömte, schenkten die Bacharacher schon frühzeitig herben Riesling von eigenen Lagen aus (02.06.2006; https://www.handelsblatt.com/arts_und_style/lifestyle/falkensteins-weinmacher/weinprobe-klassiker-vom-rhein/2662010.html);

39

– „… dreamweaver – 2016, 2014, 2011, 2010 – träumen und genießen – Ein (Riesling-)
Stoff, aus dem man Träume webt, der in guter Gesellschaft neue Netzwerke knüpft. …“ (https://www.werk2weine.de/werkstoff/);

40

– „… Einer der Einstiegs-Spätburgunder von der Gemarkung Weil am Rhein wird im Gault & Millau wie folgt beschrieben: „Sehr puristisch und geradlinig, dabei delikat und balanciert, ein
Stoff, aus dem Träume geschneidert werden“. Dabei handelt es um eine Verkostungsnotiz des Ortsweins 2017 Weiler Spätburgunder …“ (https://www.verlagshaus-jaumann.de/inhalt.weil-am-rhein-qualitäetsbestrebungen-honoriert. … );

41

– „… und bei dem der Winzer, bei dem wir noch eine Stunde zuvor zu Gast waren, ausgerufen hätte: „ganz geiler
Stoff“, nein, beeindruckt durch die Präsenz, …“ (22.06.2009; https://magazin.wein.plus/rheinhessenhatlandschaftlichnichtszutunmitdem-was-manunterrheinromantik-versteht-carl-zuckmayer-der-froehliche-weinberg …).

42

bbb) Zwar hat sich die angemeldete Wortkombination „Rheinstoff“ selbst nicht belegen lassen, jedoch konnte mehrfach die parallele Variante „Moselstoff“ als Bezeichnung von Moselweinen aufgefunden werden (vgl. Anlagenkonvolut 3c zum gerichtlichen Hinweis):

43

– „Vinocamp 2012 – eine Abrechnung … Ich habe großartige Weine probiert – gereifte Rieslinge, …
Moselstoff – und viele spannende Sessions mitgemacht. …“ (2012; https://utecht.wordpress.com/2012/03/19/vinocamp-2012-eine-abrechnung/amp/);

44

– „… MIC SAGT: Erster Eindruck: lecker
Moselstoff!“ (10. FEBRUAR 2017 UM 21:18 UHR, https://www.weinamlimit.de/folge-294-der-29-livestream-das-fio-riesling-paket-von-niepoort-und-klettern/);

45

– „… Neuer
Moselstoff! Julian Haart aus Piesport …“ (05.07.2013, weinhaus-bluhm2070.overblog.com);

46

– „Fritz Haag Riesling 2018. … Toller ausgewogener
Moselstoff. …“ (https://www.fassstark.de/…).

47

ee) Auch wenn es sich bei der verfahrensgegenständlichen Wortkombination um eine Wortneuschöpfung handelt, fehlt es an Besonderheiten in syntaktischer oder semantischer Hinsicht und damit an einer ungewöhnlichen Änderung, die hinreichend weit von der Sachangabe wegführt, weil sie sprachüblich aus zwei Substantiven gebildet ist, einen sinnvollen, beschreibenden Gesamtbegriff bildet und sich, wie bereits dargelegt, in vergleichbare deutsche Wortverbindungen einreiht (vgl. EuGH GRUR 2004, 146 Rdnr. 32 – DOUBLEMINT; GRUR 2004, 680 Rdnr. 38 – BIOMILD).

48

ff) Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die angesprochenen Verkehrskreise in dem Anmeldezeichen ein Wortspiel mit dem in der Chemie gebräuchlichen Begriff „Reinstoff“ erkennen.

49

aaa) Als Reinstoff bezeichnet man in der Chemie einen Stoff, der einheitlich aus nur einer chemischen Verbindung oder einem chemischen Element zusammengesetzt ist im Gegensatz zu einem Gemisch. Ein Reinstoff kann auch einen „isotopen-reinen“ Stoff, etwa reines schweres Wasser, oder eine in einer definierten Position völlig isotopen-markierte Verbindung bezeichnen (https://de.wikipedia.org/wiki/Reinstoff).

50

bbb) Abgesehen davon, dass das verfahrensgegenständliche Wortzeichen für die Ware „Weine“ und nicht für chemische Substanzen beansprucht wird, ist weder dem Durchschnittsverbraucher noch dem hier angesprochenen Fachverkehr aus dem Getränke-, Wein- und Gastronomiebereich dieser chemische Fachbegriff bekannt. Die Verkehrsteilnehmer werden daher die angemeldete Wortverbindung nicht als Wortspiel mit einem „Reinstoff“ im chemischen Sinne verstehen.

51

ccc) Im Zusammenhang mit Weinen steht bei dem Anfangswort „Rhein“ allein die geografische Herkunftsbezeichnung im Vordergrund. Auch die belegte Verwendung der Gesamtbegriffe „Rheinwein“ – klanglich identisch mit „Reinwein“ – und „Moselstoff“ spricht gegen ein Verständnis als Wortspiel.

52

ddd) Sollte der Verkehr das Zeichenwort bei der akustischen Wahrnehmung tatsächlich dennoch als „Reinstoff“ verstehen, so würde er es in Verbindung mit den so gekennzeichneten Weinen ebenfalls als rein beschreibende Angabe, nämlich als Bezeichnung eines „reinen Stoffs“, also eines unverpanschten und/oder unvermischten Weines auffassen. In diesem – unwahrscheinlichen – Fall könnte allein der Umstand, dass dem Anmeldezeichen verschiedenen Bedeutungen zukommen, keine Schutzfähigkeit begründen, weil dann alle möglichen Deutungen beschreibend und damit zur Erfüllung einer Herkunftsfunktion ungeeignet wären. Der allein durch die verschiedenen Deutungsmöglichkeiten hervorgerufene Interpretationsaufwand des Verkehrs reicht für die Bejahung der Unterscheidungskraft nicht aus (EuGH a. a. O. – DOUBLEMINT; a. a. O. – BIOMILD; BGH GRUR 2014, 872 Rdnr. 25 – Gute Laune Drops; GRUR 2014, 569 Rdnr. 18 – HOT; GRUR 2013, 522 Rdnr. 13 – Deutschlands schönste Seiten).

53

2. Die Schutzunfähigkeit des Anmeldezeichens zum Anmeldezeitpunkt besteht auch unabhängig vom Anbringungsort.

54

a) Bei der Prüfung, ob das Schutzhindernis der fehlenden Unterscheidungskraft besteht, ist auf die Kennzeichnungsgewohnheiten im maßgeblichen Warensektor abzustellen (vgl. EuGH GRUR 2019, 1194 Rdnr. 24 und 33 – AS/DPMA [#darferdas?]; BGH GRUR 2020, 411 Rdnr. 13 – #darferdas? II; GRUR 2018, 932 Rdnr. 18
– #darferdas? I, m. w. N.). Hierzu rechnen die Art und Weise, in der Kennzeichnungsmittel bei den betreffenden Waren üblicherweise verwendet, und insbesondere die Stelle, an der sie angebracht werden. Die Antwort auf die Frage, ob der Verkehr ein auf der Ware angebrachtes Zeichen als Hinweis auf die Herkunft oder als bloß beschreibendes oder dekoratives Element auffasst, kann nach der Art und der Platzierung des Zeichens variieren (vgl. BGH a. a. O. – #darferdas? II; a. a. O. – #darferdas? I, m. w. N.). Dabei muss die Unterscheidungskraft eines als Marke angemeldeten Zeichens unter Berücksichtigung aller relevanten Tatsachen und Umstände, einschließlich sämtlicher wahrscheinlicher Verwendungsarten der angemeldeten Marke geprüft werden (vgl. EuGH a. a. O. Rdnr. 33 – AS/DPMA [#darferdas?]; BGH a. a. O. Rdnr. 15 – #darferdas? II). Sind in der maßgeblichen Branche mehrere Verwendungsarten praktisch bedeutsam, müssen bei der Prüfung der Unterscheidungskraft alle diese verschiedenen Verwendungsarten berücksichtigt werden, um zu klären, ob der Durchschnittsverbraucher der erfassten Waren oder Dienstleistungen das Zeichen als Hinweis auf ihre betriebliche Herkunft wahrnehmen kann (vgl. EuGH a. a. O. Rdnr. 25 – AS/DPMA [#darferdas?; BGH a. a. O. – #darferdas? II]).

55

b) Auch unter Berücksichtigung sämtlicher praktisch bedeutsamer und daher wahrscheinlicher Verwendungsarten auf den Etiketten oder Verpackungen der beanspruchten „Weine“ ist das Anmeldezeichen von den angesprochenen inländischen Verkehrskreisen wegen seines ausschließlich beschreibenden Charakters auch schon zum maßgeblichen Anmeldezeitpunkt nicht als betriebliches Unterscheidungsmittel aufgefasst worden.

56

3. Da schon das Schutzhindernis nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG vorliegt, kann dahinstehen, ob das angemeldete Wortzeichen für die in Rede stehende Ware zum maßgeblichen Anmeldezeitpunkt auch gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG freihaltebedürftig gewesen ist.

57

4. Die von der Anmelderin angeführten Voreintragungen rechtfertigen keine andere Beurteilung. Wegen der Einzelheiten wird auf den gerichtlichen Hinweis vom 16. Mai 2022 Bezug genommen.