BVerwG 1. Wehrdienstsenat, Beschluss vom 23.11.2022, AZ 1 WB 20/22, ECLI:DE:BVerwG:2022:231122B1WB20.22.0
§ 17 Abs 1 WBO, § 21 Abs 1 WBO
Tenor
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Tatbestand
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Mit dem Antrag wendet sich der Beurteiler gegen eine Weisung des Abteilungsleiters Personal (P) des Bundesministeriums der Verteidigung zur Einhaltung von Richtwertvorgaben bei Beurteilungen.
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Der Antragsteller ist Berufssoldat. Seine Dienstzeit wird voraussichtlich mit dem März … enden. Im März … wurde er zum Oberstleutnant befördert und zum Januar … in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 14 eingewiesen. Seit April … wird der Antragsteller als Leiter Studienfachbereich … an der … verwendet.
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In dieser Funktion ist er als Zweitbeurteiler zuständig für die Erstellung der planmäßigen Beurteilung zum Stichtag 31. Juli 2021 für einen Hauptmann, der der Vergleichsgruppe der Offiziere des militärfachlichen Dienstes der Dotierungsebene A 9 bis A 11 im Dienstgrad Hauptmann/Kapitänleutnant mit Leitungsfunktion an der … angehört. Diesem wurde am 17. Februar 2022 eine planmäßige Beurteilung zum Stichtag 31. Juli 2021 mit dem Gesamturteil C+ eröffnet.
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Nachdem die nachgeordneten Dienststellen – darunter die … – dem Abteilungsleiter P im Bundesministerium der Verteidigung als dem Gesamtverantwortlichen im Organisationsbereich für die Einhaltung der Vorgaben des § 3 Abs. 3 und Abs. 4 SLV die Abstimmungsergebnisse für die Vergleichsgruppe der Offiziere des militärfachlichen Dienstes der Dotierungsebene A 9 bis A 11 mit Leitungsfunktion gemeldet hatten, teilte dieser der Präsidentin der … unter dem 22. September 2021 mit, dass sich zur Einhaltung der Richtwertvorgaben Nachbesserungsbedarf ergebe und übersandte eine Liste mit notwendigen Änderungen. Mit „Weisung Nr. 1 zur Gewährleistung eines hierarchieebenenübergreifenden vergleichbaren Beurteilungsmaßstabs im Organisationsbereich Personal“ des Abteilungsleiters P des Bundesministeriums der Verteidigung vom 5. Oktober 2021 wurde die fehlende Einhaltung der Vorgaben des § 3 Abs. 3 SLV in einzelnen Vergleichsgruppen festgestellt und festgelegt, dass in der Vergleichsgruppe der Offiziere des militärfachlichen Dienstes der Dotierungsebene A 9 bis A 11 im Dienstgrad Hauptmann/Kapitänleutnant mit Leitungsfunktion an der … bei vier Vergleichsgruppenmitgliedern ein Gesamturteil C, aber keine Gesamturteile A oder B vergeben werden dürfe.
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Nachdem im Ergebnis einer dienststellenübergreifenden Verständigung Anfang Dezember für die genannte Vergleichsgruppe an der … zwei Gesamturteile C vergeben wurden, erließ der Abteilungsleiter Personal im Bundesministerium der Verteidigung unter dem 10. Dezember 2021 die „Weisung Nr. 2 zur Gewährleistung eines hierarchieebenenübergreifenden vergleichbaren Beurteilungsmaßstabs im Organisationsbereich Personal“. Diese hob die Weisung Nr. 1 auf und billigte zur Sicherstellung der Einhaltung der Vorgaben aus § 3 Abs. 3 SLV den in einer Anlage dargestellten, verbindlich anzuwendenden hierarchieebenenübergreifend vergleichbaren Beurteilungsmaßstab, nach dem für die … in der Vergleichsgruppe der Offiziere des militärfachlichen Dienstes der Dotierungsebene A 9 bis A 11 im Dienstgrad Hauptmann/Kapitänleutnant mit Leitungsfunktion die Vergabe von zwei Gesamturteilen C vorgesehen war.
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Unter dem 13. Januar 2022 erhob der Antragsteller „Beschwerde“ gegen die Weisung Nr. 2. Durch die Herabsetzung der Notenstufe des von ihm beurteilten Hauptmannes von B auf C werde unzulässig in seine Befugnisse als Zweitbeurteiler eingegriffen. Die Weisung schließe die Vergabe der Noten A oder B für die fragliche Vergleichsgruppe an der … aus. Dies halte zwar die Maßstäbe der Anlage 15.4 Punkt 2.2 der AR A-1340/50 ein. Die Weisung verstoße gegen § 3 Abs. 4 Satz 3 SLV. Der Abteilungsleiter P kenne die zu beurteilenden Soldaten selbst nicht und könne daher nicht ausschließen, dass diese eine höhere Note als C verdient hätten. Durch seine Vorgaben würde das Ziel, die Beurteilung näher an die Soldaten zu bringen, um die Personenkenntnis in den Vordergrund zu stellen, konterkariert.
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Das Bundesministerium der Verteidigung hat die Beschwerde als Antrag auf gerichtliche Entscheidung gewertet und den Antrag mit seiner Stellungnahme vom 22. März 2022 dem Senat vorgelegt.
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Der Antragsteller macht geltend, sein Rechtsbehelf sei unzutreffend als Antrag auf gerichtliche Entscheidung gewertet worden. Die Weisung sei nicht im Auftrag der Ministerin ergangen, vielmehr durch den Abteilungsleiter P in eigener Zuständigkeit. Sie sei daher zunächst in einem Beschwerdeverfahren zu prüfen. Wenn man seinen Rechtsbehelf als Antrag auf gerichtliche Entscheidung werte, sei dieser zulässig und begründet. Es handele sich um eine unmittelbar anfechtbare Anordnung die ihn in eigenen Rechten verletze. Faktisch sei ihm vorgegebenen worden, dem von ihm zu beurteilenden Hauptmann nur ein C zu geben. Damit werde in seine dienstlichen Befugnisse eingegriffen in dem ihm vorgegeben werde, wie er diese auszuüben habe. Er werde gezwungen, seine Beurteilungsbefugnis in einer seinen Überzeugungen widersprechenden Weise auszuüben, entgegen § 13 Abs. 1 SG unwahre Angaben zu machen und seine Pflichten als Vorgesetzter und Beurteiler einem unterstellten Soldaten aus Nr. 905 AR A-1340/50 sowie die Fürsorgepflicht diesem gegenüber zu verletzen. Er habe das eigene Recht, sich rechtskonform zu verhalten. Daher sei die Weisung auch rechtswidrig. Sie greife in Nr. 533 AR A-1340/50 ein, da er nicht mehr frei in seinen Wertungen sei. Es handele sich nicht um eine bloße Empfehlung, sondern die unmittelbare Verpflichtung zu einer konkreten Handlung. Es gehe ihm nicht um das Bedürfnis, nur rechtmäßige Befehle ausführen zu wollen. Er werde konkret gezwungen, gegen seine Dienstpflichten zu verstoßen.
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Der Antragsteller beantragt,
die „Weisung Nr. 2 zur Gewährleistung eines hierarchieebenenübergreifenden vergleichbaren Beurteilungsmaßstabs im Organisationsbereich Personal“ vom 10. Dezember 2021 des Abteilungsleiters Personal im Bundesministerium der Verteidigung aufzuheben.
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Das Bundesministerium der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
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Der Antrag sei mangels persönlicher Beschwer des Antragstellers bereits unzulässig. Aus Nr. 104 AR A-1340/50 werde deutlich, dass Beurteilen kein subjektives Recht eines Vorgesetzten, sondern eine Führungsaufgabe darstelle. Der Antrag sei auch unbegründet. Durch die Weisungen Nr. 1 und Nr. 2 habe der zuständige Gesamtverantwortliche gemäß § 3 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 4 Nr. 3 SLV, Nr. 403, Nr. 913 Satz 7 AR A-1340/57 Weisungen an unterstellte Erst- und Zweitbeurteilter erteilt. Eine konkrete Leistung eines einzelnen Soldaten sei nicht bewertet worden. Die Vorgaben aus § 3 Abs. 3 SLV seien für den Gesamtverantwortlichen zwingend umzusetzen. Die Garantie vergleichbarer und hierarchieebenenübergreifender Maßstabskriterien für alle Vergleichsgruppen diene der Beurteilungsgerechtigkeit. Es handele sich nicht um eine Abstimmung nach Nr. 531 AR A-1340/50. Die Billigung nach § 3 Abs. 4 SLV könne nur der Abteilungsleiter P erteilen.
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Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bundesministeriums der Verteidigung und die Personalgrundakte des Antragstellers haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.
Entscheidungsgründe
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Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat keinen Erfolg.
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1. Das Bundesministerium der Verteidigung hat den Rechtsbehelf des Antragstellers vom 13. Januar 2022 zutreffend als Antrag auf gerichtliche Entscheidung gewertet. Entgegen der Einschätzung des Antragstellers steht die Zeichnung durch den Abteilungsleiter Personal des Bundesministeriums der Verteidigung ohne den Zusatz „im Auftrag“ der Annahme einer Maßnahme des Bundesministers der Verteidigung nicht entgegen. Eine Entscheidung oder Maßnahme des Bundesministers der Verteidigung im Sinne von § 21 Abs. 1 WBO liegt auch dann vor, wenn dieser nicht unmittelbar in eigener Person tätig geworden ist; es reicht insoweit aus, wenn Angehörige des Bundesministeriums der Verteidigung in einer Weise gehandelt haben, die dem Minister zuzurechnen ist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 23. Februar 1972 – 1 WB 1.70 – BVerwGE 43, 308 <309> und vom 9. November 2005 – 1 WB 27.05 – Buchholz 236.1 § 29 SG Nr. 7 S. 8 m. w. N.). Hierfür ist maßgeblich, ob der handelnde Entscheidungsträger von einer ihm als Angehörigen des Ministeriums zugewiesenen Kompetenz Gebrauch gemacht hat und nicht, ob eine interne Weisung ausdrücklich „im Auftrag“ gezeichnet wurde. Nach § 3 Abs. 4 Nr. 3 SLV liegt die Gesamtverantwortung dafür, dass im Beurteilungsverfahren die Richtwertvorgaben des § 3 Abs. 3 SLV hierarchieübergreifend eingehalten werden, für die zivilen und militärischen Organisationsbereiche bei deren Leiter. Da der Antragsteller und der von ihm beurteilte Soldat als Angehörige der … auch Angehörige des vom Abteilungsleiter P des Bundesministeriums der Verteidigung geleiteten Organisationsbereiches sind, machte dieser beim Erlass der in Rede stehenden Weisung von dieser Kompetenz Gebrauch. Sein Handeln ist damit dem Bundesministerium der Verteidigung zuzurechnen, da er gerade als Abteilungsleiter P des Bundesministeriums der Verteidigung Leiter des Organisationsbereiches P ist und die Weisung Nr. 2 zudem auch dem Briefkopf des Bundesministeriums der Verteidigung als dessen Abteilungsleiter erlassen hat.
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2. Der Antrag ist aber unzulässig. Denn ihm fehlt mangels eines möglichen Eingriffes in eigene Rechte des Antragstellers jedenfalls die Antragsbefugnis.
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Der Antragsteller macht geltend, als Zweitbeurteiler durch die angegriffene Weisung zu einer Verletzung von Rechten des beurteilten Soldaten verpflichtet zu werden. Aus der Pflicht, innerdienstliche Anweisungen beachten zu müssen, folgt aber kein im Wehrbeschwerdeverfahren durchsetzbares Recht darauf, nur im Verhältnis zu Dritten rechtmäßige innerdienstliche Anordnungen befolgen zu müssen. Ein solches Recht würde die Wehrbeschwerde zu einem abstrakten Kontrollverfahren über die Rechtmäßigkeit innerdienstlicher Weisungen umformen und damit seinen Zweck als Rechtsinstitut des Individualrechtsschutzes verfehlen (BVerwG, Beschluss vom 28. Februar 2019 – 1 WB 16.18 – Buchholz 450.1 § 17 WBO Nr. 103 Rn. 15). Um Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit einer dienstlichen Anordnung geltend zu machen, steht dem Antragsteller das Remonstrationsrecht nach § 11 Abs. 3 SG i. V. m. § 63 BBG zur Verfügung.
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Entgegen der Einschätzung des Antragstellers gilt dies nicht allein für innerdienstliche Empfehlungen an Vorgesetzte etwa für den diskriminierungsfreien Sprachgebrauch, sondern auch für verbindliche innerdienstliche Anweisungen. Die Fürsorgepflicht des Antragstellers zugunsten der ihm unterstellten Soldaten gibt ihm kein eigenes Recht, gerichtlich überprüfen zu lassen, ob dieser damit seiner Leistung, Eignung und Befähigung gemäß Art. 33 Abs. 2 GG entsprechende Regelbeurteilung enthält. Es obliegt dem beurteilten Soldaten selbst, die Rechtmäßigkeit seiner Beurteilung im Wege der Beschwerde und des Antrages auf gerichtliche Entscheidung überprüfen zu lassen, wenn er eine Verletzung seiner Rechte beanstandet. In diesem Rahmen ist inzident auch zu prüfen, ob Richtwertvorgaben und Anweisungen zu ihrer Umsetzung den gesetzlichen Rahmen wahren. Der Beurteiler kann diese Rechte des Beurteilten nicht stellvertretend für diesen geltend machen. Seiner Fürsorgepflicht gegenüber dem Beurteilten korrespondiert kein entsprechendes subjektiv-öffentliches Recht, den Anspruch des Beurteilten aus Art. 33 Abs. 2 GG gleichsam prozessstandschaftlich geltend zu machen. Auch dies würde dem Charakter der Wehrbeschwerde und des Antrages auf gerichtliche Entscheidung als Instrumente des Individualrechtsschutzes widersprechen. Individualrechtsschutz ist durch den Träger des unmittelbar verletzten Rechts in Anspruch zu nehmen und nicht durch dritte Personen, denen Fürsorgepflichten für diese übertragen sind.
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Der Antragsteller wird durch die von ihm beanstandete Weisung im Übrigen nicht zu einer Verletzung der Wahrheitspflicht aus § 13 Abs. 1 SG gezwungen. Da nur Tatsachen einem Wahrheitsbeweis zugänglich sind, kann sich die Wahrheitspflicht nur auf Tatsachen beziehen (Metzger, in: Eichen/Metzger/Sohm, Soldatengesetz, 4. Aufl. 2021, § 13 Rn. 25). Die Weisung enthält zwar keine Vorgaben für die Abfassung einer konkreten einzelnen Beurteilung. Sie schließt die Vergabe einer besseren Gesamtnote als C für einen Soldaten der Vergleichsgruppe des fraglichen Hauptmannes an der … aber aus und enthält damit die Vorgabe, bessere Noten auch in einem der erfassten Einzelfälle nicht zu vergeben. Die Vergabe einer Gesamtnote stellt ein Werturteil und keine Tatsachenangabe dar. Daher wird durch eine Weisung, eine bestimmte Note zu vergeben, selbst dann keine Wahrheitspflichtverletzung erzwungen, wenn der Angewiesene die angewiesene Wertung nicht teilt. Zudem unterliegt die Vergabe von Noten nach dem Beurteilungssystem der AR A-1340/50 der Einhaltung von Richtwertvorgaben. Die Vergabe einer Note nach Maßgabe dieses Systems sagt daher nicht aus, dass der Beurteiler die Note auch ohne die geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen für angemessen halten würde. Daher behauptet ein Beurteiler, der eine entsprechende Weisung umsetzt, auch nicht konkludent, dass er persönlich diese Note auch ohne die Richtwertvorgaben steuernden Erwägungen für angemessen hält.