Urteil des BPatG München 4. Senat vom 26.10.2022, AZ 4 Ni 42/21

BPatG München 4. Senat, Urteil vom 26.10.2022, AZ 4 Ni 42/21, ECLI:DE:BPatG:2022:261022U4Ni42.21.0

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das deutsche Patent DE 10 2006 027 636

hat der 4. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 26. Oktober 2022 durch die Vorsitzende Richterin Grote-Bittner sowie die Richter Dipl.-Ing. Univ. Richter, Dr. Meiser, die Richterin Dipl.-Ing. Univ. Schenk und den Richter Dipl.-Ing. Dr. Herbst

für Recht erkannt:

I. Das deutsche Patent 10 2006 027 636 wird für nichtig erklärt.

II. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

III. Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Nichtigerklärung des deutschen Patents 10 2006 027 636 (im Folgenden: Streitpatent). Der Beklagte ist Inhaber des Streitpatents mit der Bezeichnung „Magnetischer Schwingungsdämpfer“, das am 13. Juni 2006 angemeldet und dessen Erteilung am 27. März 2014 veröffentlicht worden ist.

2

Das Streitpatent umfasst in seiner erteilten Fassung nach der B4-Schrift, nachfolgend als SPS bezeichnet, einen einzigen Anspruch und zeigt in der Zeichnung eine Ausführungsform; in der Offenlegungsschrift (A1-Schrift) enthält das angemeldete Streitpatent noch zwölf Ansprüche mit einem unabhängigen Anspruch 1 und auf diesen rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 12 sowie fünf Ausführungsformen.

3

Der erteilte einzige Patentanspruch 1 lautet in gegliederter Fassung wie folgt (Änderungen gegenüber der Fassung gemäß Offenlegungsschrift sind durch Streichungen/Unterstreichungen kenntlich gemacht):

4

M1 Stoß- und Schwingungsdämpfer für ein aus zwei Massen
und einer Feder bestehendes Schwingungssystem,

5

M2
von denen die eine Masse feststeht, die andere Masse rotierend schwingt

6

M3
und bei denen an jeder der gegeneinander schwingenden Massen mindestens ein Magnet befestigt ist, der auf den anderen Magneten Kräfte ausübt,

7

dadurch gekennzeichnet,

8

dass an jeder der gegeneinander schwingenden Massen ein Magnet befestigt ist, der auf den anderen Magneten Kräfte ausübt.

9

M4.1
dass die Magnete paarweise an einander zugekehrten Seiten einer rotierbaren und einer feststehenden Scheibe

10

M4.2
an geometrisch gleichen Orten der Scheiben angeordnet sind.

11

Die Klägerin macht die Nichtigkeitsgründe der unzulässigen Erweiterung und der mangelnden Patentfähigkeit geltend.

12

Sie meint, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 in der erteilten Fassung über den Offenbarungsgehalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinausgehe. Dies sei zum einen infolge der Streichung der geforderten Feder als weiterer Bestandteil des Systems in Merkmal M1 der Fall, zum anderen seien das Merkmal M2 wie auch die weiteren Merkmale M4.1 und M4.2 weder in der ursprünglichen Anmeldung noch in der ursprünglichen Beschreibung offenbart. Bei dem Merkmal M3 handele es sich um eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung.

13

Die Klägerin stützt die mangelnde Neuheit des Gegenstands des erteilten Anspruchs 1 auf die Entgegenhaltungen

14

NK3 EP 1 444 767 B1

15

NK4 JP 2000-240726 A (mit Maschinenübersetzung NK4T)

16

NK5 US 3,573,517 A

17

NK6 JP H4-308195 A (mit Maschinenübersetzung NK6T)

18

sowie die mangelnde erfinderische Tätigkeit u.a. auf eine Kombination mit der

19

NK7 JP 2002-286094 A (mit Maschinenübersetzung NK7T).

20

Sie führt zur fehlenden Patentfähigkeit weiter aus.

21

Der Senat hat den Parteien einen qualifizierten Hinweis vom 11. April 2022 sowie einen weiteren rechtlichen Hinweis in der mündlichen Verhandlung erteilt.

22

Die Klägerin beantragt,

23

das deutsche Patent 10 2006 027 636 für nichtig zu erklären.

24

Der Beklagte beantragt,

25

die Klage abzuweisen.

26

Er tritt der Klägerin in allen Punkten entgegen. Er ist der Auffassung, dass die Merkmale des erteilten Anspruchs nicht über die ursprüngliche Offenbarung hinausgehen und dessen Gegenstand durch den vorgelegten Stand der Technik weder neuheitsschädlich vorweggenommen noch durch die von der Klägerin vorgelegten Kombinationen von Entgegenhaltungen nahegelegt werde. Die Klägerin gehe von einer unzutreffenden Auslegung der Merkmale sowie falscher Sichtweise der Entgegenhaltungen, insbesondere der NK3 und NK5, aus.

27

Der Anspruch 1 sei ausschließlich im Sinne des einen in der Streitpatentschrift noch enthaltenen Ausführungsbeispiels auszulegen, nämlich dahingehend, dass der Stoß- und Schwingungsdämpfer nur ein Schwingungssystem mit einer feststehenden Masse und einer rotierend schwingenden, freien (Dämpfer-) Masse umfasse. Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 werde daher von keiner der von der Klägerin angeführten Entgegenhaltungen neuheitsschädlich getroffen, sie erfüllten alle die Merkmale M1, M2, M3 und M4.1 nicht. So sei etwa die Scheibe 7 der Vorrichtung der NK3 wie auch die Scheibe 50 der Vorrichtung der NK5 keine rotierend schwingende Masse im Sinne des Anspruchsmerkmals M2. Der NK4 sei das Merkmal M3 nicht zu entnehmen. Die Dämpferscheibe weise dort keine gegenphasige Drehschwingung auf, zudem zeige die NK4 kein Magnet-Dämpfer-Element. Das System der NK6 basiere anders als der streitpatentgemäße Anspruch auf feststehenden Massen. Die NK7 zeige mit einem Wirbelstromdämpfer ein gänzlich anderes physikalisches Prinzip als der anspruchsgemäße Stoß- und Schwingungsdämpfer.

28

Der Beklagte, der in der mündlichen Verhandlung drei Schriftsätze vom 26. Oktober 2022 (bezeichnet als Anzeigen 1, 2, 3) eingereicht hat, beantragt nach seinen mündlichen Ausführungen am Ende der mündlichen Verhandlung, ihm Schriftsatzfrist zu gewähren.

29

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und den weiteren Inhalt der Akte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

30

Die Nichtigkeitsklage, mit der die Nichtigkeitsgründe der mangelnden Patentfähigkeit und unzulässigen Erweiterung geltend gemacht werden (§ 22 Abs. 1 i.V.m. § 21 Abs. 1 Nr. 1, 4 PatG), ist zulässig und begründet. Denn das Streitpatent erweist sich in der erteilten Fassung als nicht patentfähig, mithin als nicht rechtsbeständig.

I.

31

1. Das Patent betrifft einen Stoß- und Schwingungsdämpfer für ein aus zwei Massen bestehendes Schwingungssystem, von denen die eine Masse feststeht, die andere schwingt und bei denen an jeder der gegeneinander schwingenden Massen ein Magnet befestigt ist, der auf den anderen Magneten Kräfte ausübt (vgl. Abs. [0001] SPS).

32

Die in den Absätzen [0002] bis [0009] SPS gewürdigten Stoß- und Schwingungsdämpfer wirkten nach Abs. [0010] lediglich in linearer Richtung und seien nicht geeignet, Drehschwingungen zu dämpfen.

33

In Absatz [0011] SPS wird als Aufgabe angegeben, einen Stoß- und Schwingungsdämpfer für Torsionsschwingungen, also Drehschwingungen, zu schaffen.

34

Diese Aufgabe wird mit einem Stoß- und Schwingungsdämpfer mit den Merkmalen des (einzigen) Anspruchs 1 gelöst (siehe oben sowie Abs. [0012] SPS).

35

2. Maßgeblicher Fachmann ist ein Diplom-Ingenieur (FH/HAW oder TU) der Fachrichtung Maschinenbau mit mehrjähriger Berufserfahrung auf dem Gebiet der Konstruktion und Entwicklung von Schwingungsdämpfern.

36

3. Nach ständiger Rechtsprechung erfordert die Prüfung der Patentfähigkeit regelmäßig eine Auslegung des Patentanspruchs, bei der dessen Sinngehalt in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der Erfindung liefern, zu bestimmen sind (vgl. BGH GRUR 2012, 1124 – Polymerschaum I). Dazu ist zu ermitteln, was sich aus der Sicht des angesprochenen Fachmanns aus den Merkmalen des Patentanspruchs im Einzelnen und in ihrer Gesamtheit als unter Schutz gestellte technische Lehre ergibt, wobei der Fachmann auch die Beschreibung und Zeichnung heranzuziehen hat (vgl. BGH GRUR 2007, 559 – Informationsübermittlungsverfahren). Dies darf allerdings weder zu einer inhaltlichen Erweiterung noch zu einer sachlichen Einengung des durch den Wortlaut des Patentanspruchs festgelegten Gegenstands führen (vgl. BGH GRUR 2004, 1023 – Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung). Auch darf aus Ausführungsbeispielen nicht auf ein engeres Verständnis des Patentanspruchs geschlossen werden, als es dessen Wortlaut für sich genommen nahelegt (vgl. BGH GRUR 2008, 779 – Mehrgangnabe; BGH, Urteil vom 29. Juli 2014, X ZR 5/13, juris Rn. 20; Schulte, PatG, 11. Aufl. 2022, § 14 Rn. 41), eine Auslegung unterhalb des Sinngehalts des Anspruchs ist nicht zulässig (vgl. BGH GRUR 2007, 309 –; 313 – Schussfädentransport). Begriffe in den Patentansprüchen sind deshalb so zu deuten, wie sie der angesprochene Fachmann nach dem Gesamtinhalt der Patentschrift und Berücksichtigung der in ihr objektiv offenbarten Lösung bei unbefangener Erfassung der im Anspruch umschriebenen Lehre zum technischen Handeln versteht (vgl. BGH GRUR 2006, 311 – Baumscheibenabdeckung; GRUR 2004, 845 – Drehzahlermittlung). Das Verständnis des Fachmanns wird sich dabei entscheidend an dem in der Patentschrift zum Ausdruck gekommenen Zweck dieses Merkmals orientieren (vgl. BGH GRUR 2001, 232 – Brieflocher), es ist deshalb maßgeblich, was der angesprochene Fachmann – auch unter Einbeziehung seines Vorverständnisses (vgl. BGH GRUR 2008, 878 – Momentanpol II) – danach bei unbefangener Betrachtung dem Patentanspruch als Erfindungsgegenstand entnimmt.

37

Grundlage der Auslegung eines Patents ist allein die Patentschrift. Der Patentanspruch darf nicht nach dem Sinngehalt der Ursprungsunterlagen ausgelegt werden (vgl. BGH GRUR 2011, 701, Rn. 25 – Okklusionsvorrichtung; BGH GRUR 2012, 1124, Rn. 28 – Polymerschaum I).

38

a) Ausgehend hiervon legt der maßgebliche Fachmann den Merkmalen des Anspruchs folgendes Verständnis zugrunde:

39

Nach
Merkmal M1 wird ein Stoß- und Schwingungsdämpfer
für ein aus zwei Massen bestehendes Schwingungssystem beansprucht. Das besagt, dass der Stoß- und Schwingungsdämpfer dafür
geeignet sein muss, in einem aus zwei Massen bestehenden Schwingungssystem verwendet werden zu können, es besagt aber nicht, dass der Stoß- und Schwingungsdämpfer ausschließlich aus einem Schwingungssystem mit zwei Massen bestehen muss. Letzteres ist zwar mit umfasst, – siehe das Ausführungsbeispiel –, allerdings werden entsprechend dem Anspruchswortlaut auch Stoß- und Schwingungsdämpfer beansprucht, die in einem aus zwei Massen bestehenden Schwingungssystem, z.B. innerhalb eines Antriebsstrangs, zur Schwingungsdämpfung eingebunden sind.

40

Bei den allgemein, d.h. im physikalischen Sinn und ohne körperliche Vorgaben beanspruchten
Massen kann es sich auch um aus mehreren Teilen bestehende Baugruppen handeln, die in ihrer Gesamtheit schwingungstechnisch jeweils eine trägheitsbehaftete Masse darstellen. So bilden im Ausführungsbeispiel einerseits die über Verbindungsbolzen 10 verbundenen Dämpfermassen 6, 7 eine der beiden (Trägheits-)Massen, während andererseits die Mitnehmerscheibe 1 über eine Befestigung auf der angeregten Achse fest mit der anregenden Vorrichtung verbunden ist und zusammen mit dieser (Achse) die andere (Trägheits-)Masse bildet.

41

Das
Merkmal M2 legt zudem fest, dass eine der beiden Massen „
feststeht“, während die andere Masse „
rotierend schwingt“. Dabei wird der Fachmann das „Feststehen“ der einen Masse selbstverständlich nicht als statisch unbeweglich ansehen, da dann überhaupt keine Bewegung, insbesondere keine Schwingung, vorliegen würde. Vielmehr wird er es im streitpatentgemäßen Kontext so verstehen, dass diese Masse fest mit einer schwingungsbehafteten Vorrichtung, deren Schwingungen gedämpft werden sollen, verbunden ist und gegenüber dieser somit feststeht. Dieses Verständnis von „feststehend“ ergibt sich bei Berücksichtigung des einzigen Ausführungsbeispiels des Streitpatents und der zugehörigen Beschreibung. Dabei wird die Mitnehmer
scheibe 1, die der „feststehenden“ Scheibe nach Merkmal M4.1 entspricht und auf Grund derselben Funktionalität der (ersten) „feststehenden“ Masse zuzuordnen ist, auf einer „zu Torsionsschwingungen angeregten Achse befestigt“, womit diese dann selbst Drehschwingungen ausführt (s. Abs. [0014], 1. Satz). Die andere Masse „schwingt rotierend“, d.h. sie führt eine Drehbewegung („rotierend“) aus, wobei die Drehbewegung zudem periodische Schwingungen („schwingt“) aufweist und damit insgesamt betrachtet eine Drehschwingung ausführt. Da es sich entsprechend
Merkmal M3 bei den beiden Massen um
gegeneinanderschwingende Massen handelt, führt die „rotierend schwingende“ Masse eine Drehschwingung
relativ zur bzw. gegenüber der ersten „feststehenden“ Masse aus. Dabei wirkt die eine „rotierend schwingende“ Masse der Bewegung der anderen, feststehenden Masse entgegen, wodurch diese abgebremst bzw. gedämpft wird. Außer den vorgenannten kinematischen Vorgaben ergeben sich hieraus keine weiteren Einschränkungen für die rotierend schwingende Masse, insbesondere auch nicht im Sinne des Beklagten, demnach die rotierend schwingende Masse eine reine „Dämpfermasse“ darstelle, die sich nicht in einem Kraftfluss befinde bzw. über die keine Drehmomentübertragung stattfinde (siehe hierzu weitere Ausführungen unter Punkt 3.b). Der Fachmann entnimmt den in den Merkmalen M2 und M3 beanspruchten Bewegungen der gegeneinander schwingenden Massen, dass es sich bei dem Stoß- und Schwingungsdämpfer nach Merkmal M1 um einen sogenannten Torsionsschwingungsdämpfer zur Dämpfung von Dreh- bzw. Torsionsschwingungen in Schwingungssystemen handelt (s.a. Abs. [0010], [0011] und [0013]).

42

Die weiteren Merkmale von M3 sowie M4 betreffen die Kopplung der beiden Massen über Magnete sowie deren Anordnung:

43

Nach
Merkmal M3 ist auf jeder der gegeneinander schwingenden Massen mindestens ein Magnet befestigt, die jeweils aufeinander (magnetische) Kräfte ausüben, d.h. mittels dieser Kräfte des mindestens einen Magnetpaares werden die beiden Massen gekoppelt.

44

Aus dem
Merkmal M4.1 ergibt sich für den Fachmann i.V.m. den Merkmalen M2 und M3 auf Grund der Befestigung des mindestens einen Magneten an jeweils einer der Massen sowie der identischen Funktionalitäten „feststehend“ und „rotierend schwingend / rotierbar“, dass die „feststehende“ Scheibe des Stoß- und Schwingungsdämpfers der „feststehenden“ Masse nach Merkmal M2 und eine „rotierbare“ Scheibe der „rotierend schwingenden“ Masse nach Merkmal M2 zugeordnet sind bzw. diese jeweils zusammengehören. Der Stoß- und Schwingungsdämpfer umfasst somit zwei über zumindest ein Paar von Magneten gekoppelte Scheiben, die jeweils mit einer Masse des Schwingungssystems verbunden bzw. zugehörig sind; die Massen des Schwingungssystems sind allerdings nicht auf die Scheiben beschränkt (s. Ausführungen zu Merkmalen M1 und M2).

45

Die Anordnung der Magnete erfolgt paarweise an einander zugekehrten Seiten der beiden Scheiben, wobei sie sich gemäß
Merkmal M4.2 an „geometrisch gleichen“ Orten der Scheiben befinden. Die Angabe „an gleichen Orten“ wird der Fachmann dabei nicht als identischen Ort verstehen, sondern sinnvollerweise so, dass ein Magnet des mindestens einen Magnetpaars die gleichen Polarkoordinaten wie der auf der gegenüberliegenden Scheibe befestigte Magnet aufweist. Damit befinden sich die Magnete jeweils im selben radialen Abstand und Umfangswinkel auf der jeweiligen Scheibe und liegen sich somit (paarweise) auf radial gleicher Höhe direkt mit einem axialen Abstand gegenüber.

46

Auf Grund der relativen Verdrehbarkeit der Scheiben zueinander (Merkmale M2, M4.1) i.V.m. der elastischen Kopplung durch die Magnetkräfte (Merkmale M3) beinhaltet ein derartig aufgebauter Torsionsschwingungsdämpfer grundsätzlich auch die Funktionalität eines
Stoßdämpfers, d.h. die Fähigkeit zur Aufnahme eines kurzen Drehimpulses; weitergehende bzw. darüber hinausgehende Anforderungen bzw. Ausgestaltungen ergeben sich aus dieser Zweckbezeichnung nicht.

47

Zusammenfassend betrachtet wird damit ein Stoß- und Schwingungsdämpfer für ein aus zwei Massen bestehendes Schwingungssystem beansprucht, wobei

48

– der Stoß- und Schwingungsdämpfer zwei Scheiben aufweist, die über anspruchsgemäß angeordnete Magnete magnetisch gekoppelt werden,

49

– jede Scheibe jeweils einer Masse des Schwingungssystems zugeordnet ist und damit (schwingungstechnisch) zu dieser Masse gehört oder diese Masse bildet,

50

– die eine Masse/Scheibe als „feststehende“ Masse/Scheibe mit einer schwingungsbehafteten Vorrichtung fest verbunden ist, und

51

– die andere Masse/Scheibe gegenüber der „feststehenden“ Scheibe/Masse Drehschwingungen ausführt, so dass die beiden Massen/Scheiben gegeneinander schwingen.

52

Unter Zugrundelegung dieser Auslegung ergeben sich u.a. folgende Modellschemata (mit Km für magnetische Kopplung, K1 bzw. K2 für eine eingangs- bzw. ausgangsseitige Kopplung der Masse m / Scheibe S sowie den Indizes „fest“ für „feststehend“ und „rot“ für „rotierbar“,), wobei der Stoß- und Schwingungsdämpfer beispielsweise in einem Schwingungssystem innerhalb eines Antriebsstrangs integriert ist, sowie entsprechend dem Ausführungsbeispiel als Schwingungstilger (ohne weitere Kopplung K2):

AbbildungAbbildung in Originalgröße in neuem Fenster öffnen

53

b) Der Beklagte hat dieser bereits im qualifizierten Hinweis dargelegten Auslegung in seinen Schriftsätzen und in der Verhandlung in wesentlichen Punkten, insb. hinsichtlich der Merkmale M1 und M2, widersprochen.

54

Seine Argumentation lässt hierbei erkennen, dass er bei der Auslegung vom Ausführungsbeispiel ausgeht und den Anspruchswortlaut nur unter diesem Aspekt betrachtet. Dies führt allerdings zu einem unzutreffenden, nicht streitpatentgemäßen engeren Verständnis des Anspruchswortlauts, worauf der Senat mehrfach hingewiesen hat.

55

Zwar wird der Fachmann zum Verständnis des Patents und des beanspruchten Gegenstands das Ausführungsbeispiel als mögliche Ausgestaltung des Patents heranziehen, jedoch darf allein aus dem Ausführungsbeispiel nicht auf ein engeres Verständnis des Anspruchs geschlossen werden, als es dessen Wortlaut für sich genommen nahelegt (s. BGH GRUR 2004, 1023, Rn. 25ff. – Bodenseitige Vereinzelungsvorrichtung).

56

Auch der weiteren Argumentation des Beklagten zur Auslegung folgt der Senat nicht.

57

Der Beklagte meint, dass das Merkmal M1 in der Weise auszulegen sei, dass der Stoß- und Schwingungsdämpfer selbst ein abgeschlossenes, aus zwei Massen bestehendes Schwingungssystem sei, wobei der Stoß- und Schwingungsdämpfer aus zwei Massen bestehe. Bei dem „für“ handele es sich um eine rein funktionale Zweckangabe, die so zu verstehen sei, dass der Zweck des Stoß- und Schwingungsdämpfers darin bestehe, ein (eigenes) Schwingungssystem zu bilden; dabei entfalte die reine Zweckangabe keine schutzbeschränkende Wirkung, wozu er u. a. auf die BGH-Entscheidung „Schießbolzen“ verweist (s. BGH GRUR, 1979, 149 – Schießbolzen). Die Auslegung des Senats führe zu einer „Verstümmelung“ des Ausführungsbeispiels, da damit zwei Schwingungssysteme vorhanden seien, nämlich einmal das vom Stoß- und Schwingungsdämpfer gebildete Schwingungssystem sowie das zu dämpfende Schwingungssystem; im Patent werde jedoch nur das vom Stoß- und Schwingungsdämpfer gebildete Schwingungssystem beansprucht.

58

Diese Argumentation überzeugt den Senat bereits deshalb nicht, weil die Präposition „für“ eindeutig nur eine Eignung für ein Schwingungssystem verlangt („Wofür?“), nicht aber eine funktionale Zweckangabe („zum“) oder eine körperliche Ausgestaltung im Sinne von „mit“ beansprucht, worauf im weiteren rechtlichen Hinweis ebenfalls hingewiesen worden ist. Zwar mag der Stoß- und Schwingungsdämpfer des Ausführungsbeispiels selbst ein aus zwei Massen bestehendes Schwingungssystem darstellen bzw. bilden (siehe Figur in der SPS), jedoch ergibt sich zumindest daraus keine Veranlassung, das Merkmal M1 entgegen seinem breiteren Wortlaut auf diese konkrete Ausführungsform zu beschränken. Hierfür findet sich in der Patentschrift kein entsprechender Anhalt oder Hinweis. So wird dort nicht
ausschließlich auf die spezielle Ausführungsform des Ausführungsbeispiels, die üblicherweise als „Schwingungstilger“ und vom Beklagten als „freier Schwinger“ oder „Zusatzschwinger“ bezeichnet wird, abgestellt oder diese hervorgehoben, sondern im Hinblick auf seinen Aufbau sogar nur der breitere, allgemeine Begriff „Torsionsschwingungsdämpfer“ verwendet (s. Abs. [0013] SPS).

59

Eine Einschränkung dieser allgemeinen Eignung für ein Schwingungssystem mit zwei Massen gemäß Merkmal M1 ergibt sich erst aus dem Gesamtkontext des Anspruchs, wobei aus der Verknüpfung bzw. Vermengung gemäß den nachfolgenden Merkmalen M2 und M3, insb. mit den Massen des Schwingungssystems, die Verwendung des anspruchsgemäßen Stoß- und Schwingungsdämpfers
innerhalb eines (nicht abgeschlossenen) Schwingungssystems folgt. Wie das obige Schemabild zur senatsseitigen Auslegung des Anspruchs in seiner Gesamtheit verdeutlicht, führt diese nicht zu zwei Schwingungssystemen, so dass die diesbezüglichen Ausführungen des Beklagten nicht greifen (siehe insb. „Anzeige 1“ des Beklagten).

60

Ein weiterer Unterschied zwischen den Auslegungen besteht bezüglich der Merkmale M2 bzw. M4.1. Laut Beklagtem sei beim anspruchsgemäßen Stoß- und Schwingungsdämpfer eine Drehmomentübertragung ausgeschlossen, da es sich bei der rotierenden Masse/ Scheibe um eine
frei schwingende (Dämpfer-)Masse gemäß dem Ausführungsbeispiel handele (siehe Ausführungsbeispiel bzw. obiges rechtes Schemabild).

61

Wie unter I.3.a ausgeführt, erfordern die Merkmale M2 bzw. M4.1, dass die eine Masse/Scheibe „feststeht“; wogegen die andere Masse/Scheibe [gegenüber der feststehenden Masse] „rotierend schwingt“ bzw. „rotierbar“ ist. Damit wird in kinematischer Hinsicht offensichtlich nur eine Verdrehbarkeit bzw. Schwingungsfähigkeit gegenüber der „feststehenden“ Masse/Scheibe beansprucht, was bei konventionellen Torsionsschwingungsdämpfern eine grundlegende Funktionalität darstellt und den hier vorliegenden Stoß- und Schwingungsdämpfer als solchen kennzeichnet. Eine beschränkende Auslegung in dem Sinne, dass aus der bloßen Bewegungsangabe „rotierend schwingend“ bzw. „rotierbar“ und/oder auf Grund der Gegenüberstellung von „feststehend“ und „rotierend“ zwingend gefolgert werden könne, dass die rotierend schwingende Masse/Scheibe
ausschließlich über die Magnetkräfte gekoppelt werde
und damit eine Drehmomentübertragung ausgeschlossen sei, ergibt sich nicht aus dem Patent. Die Tatsache, dass dies beim Ausführungsbeispiel der Fall ist, rechtfertigt jedenfalls nicht eine Beschränkung auf die engere Lehre des Ausführungsbeispiels. So wird auch bei einem Stoß- und Schwingungsdämpfer gemäß der breiteren Auslegung unter Punkt 3.a), bei dem gemäß dem obigen linken Schema eine Drehmomentübertragung stattfindet, das streitpatentgemäße Ziel der Dämpfung von Drehschwingungen durch magnetisch gekoppelte, gegeneinander schwingende Massen erreicht (s. obiges linkes Schema). Damit ergibt sich für den Fachmann nicht die Notwendigkeit, sich auf die Lehre des Ausführungsbeispiels zu beschränken, da dieses nicht die einzig mögliche Ausführungsform zur Erzielung des technischen Erfolgs mit den im Anspruch bezeichneten Mitteln darstellt (s. BGH GRUR 2008, 779, Rn. 37 – Mehrgangnabe).

62

4. Der Gegenstand des Patents geht in der erteilten Fassung entgegen der Auffassung der Klägerin nicht über den Inhalt der Anmeldung hinaus.

63

Der erteilte Anspruch beruht auf dem ursprünglichen eingereichten Anspruch 1, der einen Stoß- und Schwingungsdämpfer für ein aus zwei Massen
und einer Feder bestehendes Schwingungssystem zum Gegenstand gehabt hat; in der erteilten Fassung erfolgt die Kopplung der beiden Massen nur noch über anspruchsgemäß angeordnete Magnete (s.a. Merkmalsgliederung im Tatbestand, Merkmal M1). Eine patentgemäße Ausführungsform ohne eine Feder ist jedoch bereits in dem Ausführungsbeispiel gemäß der ursprünglichen Figur 4 gezeigt, das im zugehörigen Beschreibungsabsatz [0029] der Offenlegungsschrift, nachfolgend als OS bezeichnet, beschrieben wird. Die Ausführung eines patentgemäßen Stoß- und Schwingungsdämpfers für ein Schwingungssystem ohne Feder ist zudem auch ausdrücklich in Abs. [0018] OS, letzter Satz, offenbart (Unterstreichung diesseits):

64

„Magnet-Dämpfer-Elementeohne integrierte Federkönnen als Stoßdämpfer und mit einer Dämpfermasse versehen als Schwingungsdämpfer bei elastischen Strukturen (z.B. zur Reduzierung von Torsionsschwingungen in Antriebssystemen oder von Biegeschwingungen) angewendet werden.

65

Damit ist eine Ausführungsform des Stoß- und Schwingungsdämpfers mit dem Merkmal M1 auch ohne die Übernahme der Feder als zur Erfindung gehörend ursprünglich offenbart.

66

Das neu formulierte Merkmal M2 bringt die Zuordnung zwischen den funktionell beanspruchten Massen aus Merkmal M1 mit den konkret ausgebildeten Scheiben des Stoß- und Schwingungsdämpfers nach Merkmal M4.1 zum Ausdruck. Dabei ist bereits im ursprünglichen Anspruch 1 offenbart, dass die Magnete jeweils auf einer der beiden Massen befestigt sind; da gemäß Merkmal M4.1 (siehe unten) dieselben Magnete an den Scheiben angeordnet sind, ergeben sich daraus zwangsläufig für die Massen die entsprechenden Eigenschaften der Scheiben, so dass einerseits die feststehende Masse der feststehenden Scheibe und andererseits die rotierend schwingende Masse der rotierbaren Scheibe zugeordnet sind. Das Merkmal M2 ergibt sich somit aus der Zusammenschau der ursprünglich offenbarten Merkmale M1, M3 und M4.1 und führt zu keinem weiteren Verständnis des beanspruchten Gegenstands. Die Ergänzung in Merkmal M2, dass im Unterschied zur
rotierbaren Scheibe des Merkmals M4.1 die
rotierende Masse nach Merkmal M2 zusätzlich auch
schwingt, führt bei einer Gesamtbetrachtung des Anspruchs ebenfalls zu keiner Erweiterung, da im nachfolgenden Merkmal M3, das bereits im ursprünglichen Anspruch 1 enthalten war, bereits gegeneinander schwingende Massen beansprucht worden sind.

67

Die sachliche Änderung in Merkmal 3, dass im Unterschied zur ursprünglichen Fassung, bei der
ein Magnet an jeder der Massen befestigt war, nunmehr
mindestens ein Magnet und damit eine beliebige Anzahl beansprucht wird, ist durch den Beschreibungsabsatz [0029] OS bzw. die ursprüngliche Beschreibungsseite 7 abgedeckt. Dort ist nämlich offenbart, dass „bei Bedarf eine andere Zahl [als die vier Dauermagneten des Ausführungsbeispiels] möglich ist“. Somit ist der Patentgegenstand nicht auf einen Magnet pro Masse/Scheibe oder auf einen anderen festen Wert beschränkt, sondern deren Anzahl richtet sich nach dem konkreten Bedarf.

68

Die weiteren Merkmale M.4.1 und M4.2 finden ihre Stütze in dem ursprünglich eingereichten Anspruch 11, der auf den ursprünglichen Anspruch 1 rückbezogen ist und sich nur auf die Anordnung der Magnete, nicht aber auf die Feder bezogen hat.

69

Damit führt der erteilte Anspruch nicht zu einer unzulässigen Erweiterung.

70

5. Der Gegenstand des erteilten Anspruchs ist mangels Neuheit nicht patentfähig.

71

Unter Zugrundelegung der unter Punkt 3.a dargelegten Auslegung wird der Gegenstand des erteilten Anspruchs durch die Druckschriften
NK3 und
NK5 neuheitsschädlich vorweggenommen, wohingegen die weiteren von der Klägerin angeführten Druckschriften
NK4 und
NK6 der Neuheit nicht entgegenstehen.

72

5.1 EP 1 444 767 B1 (NK3)

73

Die NK3 betrifft entsprechend ihrem Titel eine „Vorrichtung zur Dämpfung von Drehschwingungen“, d.h. einen Torsionsschwingungsdämpfer. Dieser weist einerseits eine an der Motorausgangswelle 70 angeflanschte Scheibe „antreibende Riemenscheibe 4“ auf (in obiger Figur grün hervorgehoben), womit die Scheibe 4 (als Teil) der „feststehenden“ Masse zugeordnet werden kann (vgl. [Abs. 0014] SPS, Satz 1). Gegenüber der Scheibe 4 ist die über das Lager 5 rotierbar gelagerte (zweiteilige) Scheibe „Gegenscheibe / abtreibende Riemenscheibe 7“ vorgesehen, die zusammen mit der Eingangswelle 71 die rotierend schwingende, andere Masse (gelb dargestellt) bildet. Damit ist der Schwingungsdämpfer (4, 7, 16, 17) zwischen der Motorausgangswelle 70 und der Eingangswelle 70 des zu dämpfenden Schwingungssystems angeordnet und dient der Dämpfung von Schwingungen in diesem System (
Merkmale M1, M2).

74

Die Wirkungsweise wird dabei insb. in Absatz [0008] wie folgt beschrieben (Unterstreichungen diesseits vorgenommen):

75

„Die erfindungsgemäße Vorrichtung zur Dämpfung von Drehschwingungen sieht zwei begrenztgegeneinander verdrehbare, eine gemeinsame geometrische Drehachse aufweisende Bauteile vor, welche an gegenüberliegenden Flächen Magnete aufweisen, die gemeinsam mit dem jeweiligen Bauteilgegeneinander verdrehbarsind. Durch die begrenzteVerdrehbarkeit der Bauteile gegeneinanderweisen diese zueinander ein Spiel bzw. einen begrenzten Freilauf auf, in dem zwischen diesen kein mechanischer Kontakt in eine Drehrichtung oder eineGegendrehrichtungbesteht. In diesem Toleranzbereich bestimmen allein die zwischen den Magneten wirkenden Kräfte das Verhalten der Bauteile in Bezug auf eine Drehung um die gemeinsame geometrische Drehachse. Hierdurch ist zwischen den Bauteilen eine verschleißfreie, berührungslose Kopplung erreicht, welchedurch die bei einem Verdrehen der Bauteile provozierten Rückstellkräfte der zusammenwirkenden Magnete schwingungsdämpfende Eigenschaften hat.“

76

Somit wird die Schwingungsdämpfung wie beim Streitpatent durch „gegeneinander schwingende Massen“ bewirkt, wobei an jeder der gegeneinander schwingenden Massen mindestens ein Magnet befestigt ist (s. Figuren 6, 8, Bez. 16, 17, i.V.m. Abs. [0008];
Merkmal M3).

77

An den beiden Massen bzw. den diesen zugeordneten Scheiben 4, 7 sind jeweils Magnete „Dauermagnete 17, 16“ befestigt, die aufeinander Kräfte ausüben (s. Figur 8, Bz. 20, 21). Wie in den Figuren 6 und 8 dargestellt, sind die Magnete 16, 17 paarweise an einander zugekehrten Seiten der „rotierbaren“ Scheibe 7 und der „feststehenden“ Scheibe 4 an geometrisch gleichen Orten der Scheiben 4, 7 angeordnet und werden durch den Luftspalt 48 getrennt (siehe Figuren 6 und 8, Sp. 13, Z. 49, bis Sp.14, Z.7, sowie Anspruch 1;
Merkmale M3, M4.1 und M4.2).

78

Damit nimmt die Vorrichtung zur Schwingungsdämpfung nach der NK3 alle Merkmale des Anspruchs 1 neuheitsschädlich vorweg.

79

Der Einwand des Beklagten, dass die NK3 keinen streitpatentgemäßen Stoß- und Schwingungsdämpfer betreffe, weil die NK3 eine Vorrichtung zur Drehmomentübertragung sei, greift nicht. Eine Drehmomentübertragung ist nämlich weder vom Anspruchswortlaut ausgeschlossen (siehe Ausführungen unter I.3.b) noch schließen sich Dämpfung und Drehmomentübertragung aus anderen Gründen gegenseitig aus. So wird in Absatz [0001] der NK3 eine Vorrichtung zur Drehmomentübertragung
und Drehschwingungsdämpfung bei Kraftfahrzeugen und Booten, insb. zum Antrieb von Nebenaggregaten, angeführt. Dabei erfolgt nach Anspruch 1 die Drehmomentübertragung im Wesentlichen über mechanische Mitnehmer (und nicht über die Magnetkräfte), kann aber auch in vorteilhafter Weise je nach Dimensionierung der Magnete im Leerlauf- oder Teillastbetrieb von den Magneten des Schwingungsdämpfers übernommen werden (s. Anspruch 5 sowie Abs. [0011]).

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5.2 US 3,573,517 (NK5)

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Die NK5 betrifft einen Magnetantrieb, bei dem insbesondere Mittel zum Dämpfen oder „Behindern“ einer Relativbewegung zwischen gegenüberliegend angeordneten Magnetpolen auf einem Antriebselement und einem Abtriebselement des Magnetantriebs vorgesehen sind (s. Sp. 1, Z. 11 bis 14; Unterstreichungen hinzugefügt):

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“this invention relates to a meansfor damping or opposing relative movementbetweenoppositely facing magnetic poles on a driven member and a driving member of the magnetic drive.”

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Damit offenbart die NK5 in den Figuren 1 und 3 einen mit Magneten „magnetic rings“ 28, 30/„ceramic magnets“ 46, 49 ausgebildeten Schwingungsdämpfer für ein Schwingungssystem, wobei das Schwingungssystem aus den Massen des Antriebselements „driving member“ 8/48 (grün koloriert) und des Abtriebselements „driven member“ 10/51 (gelb koloriert) besteht (s. Figuren 1 und 3;
Merkmal M1). Das Antriebselement 8/48, dem eine Scheibe „disc portion“ 12/47 zugeordnet und das auf der Antriebswelle „shaft“ 16 des Motors 4 befestigt ist, entspricht der anspruchsgemäß „feststehenden“ Masse, gegenüber der das gelb dargestellte Abtriebselement 10/51 als „rotierend schwingende“ Masse, dem die Scheibe „disc portion“ 20/50 zugeordnet ist, schwingen kann (
Merkmal 2). In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass im dargestellten Anwendungsfall einer Turbomolekularpumpe der angetriebene Rotor 7a, 7b keine weitere starre bzw. elastische Kopplung aufweist und schwingungstechnisch somit als Teil der schwingend rotierenden Masse im Sinne eines freien Schwingers angesehen werden kann (s. Sp. 2, Z. 57 – 65). Damit vermag sogar unter Berücksichtigung der Auslegung des Beklagten dessen Argumentation, dass der NK5 keine rotierend schwingende Scheibe bzw. Masse entnehmbar sei, nicht zu überzeugen. Der Schwingungsdämpfer umfasst somit wie bei NK3 zwei anspruchsgemäße Scheiben mit sich gegenüberliegend angeordneten Magneten, die zur Dämpfung von Schwingungen zwischen den Massen des Schwingungssystems angeordnet sind. Das „Gegeneinanderschwingen“ der rotierend schwingenden Masse 10/51 gegenüber der „feststehenden“ Masse 8/48 gemäß
Merkmal 3 ergibt sich für den Fachmann aus der oben zitierten Passage („
opposing relative movement between oppositely facing magnetic poles on a driven member and a driving member“; s. Sp. 1, Z. 10 bis 14). An diesen (im Falle von auftretenden Torsionsschwingungen) gegeneinander schwingenden Massen bzw. an den diesen Massen zugeordneten Scheiben sind Magnete 28, 30 bzw. 46, 49 paarweise an einander zugekehrten Seiten der „rotierbaren“ Scheibe 20/50 und der „feststehenden“ Scheibe 12/47 – also im Wortlaut des erteilten Anspruchs: an geometrisch gleichen Orten – angeordnet (siehe obige Figur 3, Sp.4, Z. 62 bis Sp.5, Z. 2;
Merkmale M3 bis M4.2).

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Da die Vorrichtung der NK5 somit alle Merkmale des Anspruchs aufweist, ist auch diese Entgegenhaltung neuheitsschädlich.

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5.3 Der weitere Stand der Technik nach der JP 2000-240726 A (NK4 mit Übersetzung NK4T) oder JP H04-308195 (NK6 mit englischer Übersetzung NK6T) steht der Neuheit allerdings nicht entgegen.

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Figur 3 der NK4, koloriert Figur 4 der NK4

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Die NK4 betrifft eine dynamische Dämpfungsvorrichtung („Dynamic Damper Device“, „damper“ 10) nach Art des streitpatentgemäßen Ausführungsbeispiels. Dabei ist auf einer Welle „rotating shaft“ 15 eine „feststehende“ Masse „shaft mounting body“ 16, 16b, 18, 18a (grün dargestellt) befestigt, gegenüber der eine rotierbare Scheibe 17 (gelb dargestellt) als frei schwingende Dämpfermasse „inertial body“ bzw. Schwingungstilger schwingt (s. Figur 3 i.V.m. Abs. [0005], Figuren 13a, 13b i.V.m. Abs. [0026]; Merkmale M1, M2, M3, M4.1). Allerdings sind die Magnete 16a, 17a ersichtlich nicht paarweise an einander zugekehrten Seiten der Scheiben bzw. nicht an geometrisch gleichen Orten, d.h. insbesondere nicht in gleicher Winkelposition, sondern abwechselnd in Umfangsrichtung angeordnet – siehe obige Figur 4 und Absatz 16 der NK4T angeordnet: „
the magnets 16a and 17a are provided in a staggered manner along the radial direction (circumferential direction), …“. Damit gehen die
Merkmale M4.1 und M4.2 aus der NK4
nicht hervor, so dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gegenüber der NK4 neu ist.

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Die NK6 beschreibt in den ersten beiden Beschreibungsabsätzen der NK6T eine Magnetbremse für die Trommel einer Seilwinde und damit keinen Schwingungsdämpfer für ein aus zwei Massen bestehendes
Schwingungssystem. Der NK6/NK6T sind keinerlei Hinweise auf die Eignung der Vorrichtung zur Dämpfung in einem streitpatentgemäßen Schwingungssystem entnehmbar, wobei es insbesondere an der Offenbarung von gegeneinander schwingenden Massen zur Schwingungsdämpfung mangelt (
fehlende Merkmale M1, M2, M3). Damit ist auch die NK6 nicht neuheitsschädlich.

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6. Auf Grund der mangelnden Neuheit kann dahingestellt bleiben, ob der Gegenstand des erteilten Anspruchs ausgehend von NK4 oder NK7 nahegelegt ist bzw. auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht

II.

90

Einer Sachentscheidung steht der Antrag des Beklagten auf Gewährung einer Schriftsatzfrist auf den Hinweis des Senats in der mündlichen Verhandlung nicht entgegen. Dem Beklagten war eine Schriftsatzfrist nach § 99 Abs. 1 PatG i.V.m. § 139 Abs. 5 ZPO nicht einzuräumen, nachdem er sich ausführlich zur maßgeblich entscheidungsrelevanten Frage der Auslegung, die vom Senat im Hinweis vom 26. Oktober 2022 zum Zwecke der Überzeugung und Förderung der Vergleichsbereitschaft des Beklagten nochmals verdeutlichend dargelegt worden ist, in der Verhandlung – nach Unterbrechung der Sitzung – mündlich eingelassen und sich zu dieser Problematik zudem schriftsätzlich geäußert hat, zuletzt mit Schriftsatz vom 26. Oktober 2022 (Anzeige 1). Mehrfach hatte der Senat bereits seine Rechtsauffassung zur weiten Auslegung des einen erteilten Anspruchs des Streitpatents dargelegt, nämlich bereits mit Beschluss vom 2. November 2021 an den Beklagten im Verfahrenskostenhilfeverfahren und sodann im qualifizierten Hinweis vom 11. April 2022 sowie zuletzt in dem in der mündlichen Verhandlung überreichten weiteren rechtlichen Hinweis. Der Beklagte hat hierzu eingehend Stellung genommen und seine Rechtsauffassung für eine enge Auslegung des einen Anspruchs des Streitpatents wiederholend mit dem Argument vorgebracht, dass der Anspruch 1 ausschließlich im Sinne des einen im Streitpatent enthaltenen Ausführungsbeispiels auszulegen sei.

III.

91

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.

92

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 S. 1 und S. 2 ZPO.