Beschluss des BVerwG 9. Senat vom 11.10.2022, AZ 9 A 3/22, 9 A 3/22 (9 A 12/21)

BVerwG 9. Senat, Beschluss vom 11.10.2022, AZ 9 A 3/22, 9 A 3/22 (9 A 12/21), ECLI:DE:BVerwG:2022:111022B9A3.22.0

Tenor

Das Ablehnungsgesuch der Kläger gegen den Richter am Bundesverwaltungsgericht St. vom 11. April 2022 wird verworfen.

Die Anhörungsrüge der Kläger gegen den Beschluss des Senats vom 28. Februar 2022 – 9 A 12.21 – wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Anhörungsrügeverfahrens zu je 1/3.

Gründe

I

1

Die Kläger haben am 2. Juli 2021 die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht … B., die Richter am Bundesverwaltungsgericht … M. und … D. sowie die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht … S. und … Sch. sowie am 7. September 2021 den Richter am Bundesverwaltungsgericht St. wegen der Besorgnis einer Befangenheit abgelehnt. Mit Beschluss vom 28. Februar 2022 (9 A 12.21) hat der Senat unter Mitwirkung des Richters St. das gegen diesen gerichtete Ablehnungsgesuch verworfen und das Ablehnungsgesuch im Übrigen zurückgewiesen.

2

Die Kläger haben hiergegen mit Schriftsatz vom 11. April 2022 Anhörungsrüge gemäß § 152a VwGO erhoben und den Richter am Bundesverwaltungsgericht St. erneut wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.

II

3

Das Ablehnungsgesuch, über das unter Mitwirkung des abgelehnten Richters entschieden werden kann (1.), sowie die Anhörungsrüge (2.) haben, ohne dass es einer Aussetzung des Verfahrens gemäß § 94 VwGO bedurfte (3.), keinen Erfolg.

4

1. Der Senat entscheidet gemäß § 10 Abs. 3 Halbs. 2 VwGO in seiner im Präsidiumsbeschluss nach § 21e Abs. 1 GVG vom 13. Dezember 2021 (3101 E-23-2021/16) in Abschnitt B. I. und Abschnitt C. III. vorgesehenen Zusammensetzung unter Mitwirkung des abgelehnten Richters am Bundesverwaltungsgericht St. Das grundsätzliche Verbot der Selbstentscheidung (§ 54 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 45 Abs. 1 ZPO) steht dem nicht entgegen. Denn die Ablehnung des Richters ist unzulässig.

5

Ein Ablehnungsgesuch nach § 54 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 42 Abs. 1 und 2 ZPO kann ausnahmsweise unter Mitwirkung abgelehnter Richter verworfen werden, wenn es sich als offenbarer Missbrauch des Ablehnungsrechts darstellt oder sonst offensichtlich unzulässig ist. Dahingestellt bleiben kann, ob dies vorliegend schon deshalb der Fall ist, weil eine Richterablehnung im Rahmen einer Anhörungsrüge von vornherein ausgeschlossen ist (vgl. zum Streitstand BVerwG, Beschluss vom 29. November 2018 – 9 B 26.18 – juris Rn. 3 ff.; Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 54 Rn. 22 f.). Jedenfalls folgt die offensichtliche Unzulässigkeit des Ablehnungsgesuchs daraus, dass sowohl über die von den Klägern erhobenen Bedenken hinsichtlich der Unvoreingenommenheit des Richters als auch über die Zulässigkeit seiner Mitwirkung an der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch vom 7. September 2021 mit Beschluss vom 28. Februar 2022 rechtskräftig entschieden wurde. Dessen Unanfechtbarkeit (§ 146 Abs. 2 VwGO) kann nicht dadurch umgangen werden, dass sein Inhalt zum Gegenstand eines weiteren Ablehnungsgesuchs gemacht wird.

6

Ist das Ablehnungsgesuch somit unzulässig, bedurfte es keiner Einholung einer dienstlichen Äußerung nach § 54 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 44 Abs. 3 ZPO (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Februar 2022 – 9 A 12.21 – NVwZ 2022, 884 Rn. 13). Eine Offenlegung der Rechtsansicht eines Richters in einem Verfahren kann darüber hinaus unabhängig von dem Zeitpunkt nicht verlangt werden.

7

Soweit die Kläger unter dem 7. Juni 2022 die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht … B. aus Gründen, die bislang nicht Gegenstand des Verfahrens waren, erneut als befangen ablehnen, ist hierüber nicht im vorliegenden Verfahren zu entscheiden. Durch die Erhebung der Anhörungsrüge ist das Ende der Wartepflicht gemäß § 54 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 47 Abs. 1 ZPO hinausgeschoben worden (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Juni 2010 – XI ZB 33/09 – NJW-RR 2011, 427 Rn. 17; BVerwG, Beschluss vom 30. Dezember 2016 – 10 B 4.16 – juris Rn. 35), weshalb die Richterin von vornherein nicht zur Entscheidung über die Anhörungsrüge berufen ist.

8

2. Die Anhörungsrüge legt keine Verletzung des Anspruchs der Kläger auf rechtliches Gehör dar (§ 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 6 VwGO).

9

Sie beschränkt sich vielmehr in der Sache darauf, der Senat sei von den von den Klägern vorgebrachten Rechtsansichten, Wertungen und Auslegungen gerichtlicher Entscheidungen abgewichen. Hierbei verkennen die Kläger weiterhin, dass die grundsätzliche Berufung zur Mitwirkung an der Entscheidung Voraussetzung für die Verhinderung eines Richters ist, weshalb Letztere – unabhängig davon, ob ein Richter abwesend oder, wie vorliegend, im Dienst war – weder vorliegen noch fehlen kann, wenn er nach der Geschäftsverteilung in dem Verfahren nicht mitwirken darf. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist indes nicht verletzt, wenn das Gericht dem zur Kenntnis genommenen und in Erwägung gezogenen Vorbringen nicht folgt, sondern aus Gründen des materiellen oder des Prozessrechts zu einem anderen Ergebnis gelangt, als es die Beteiligten für richtig halten (BVerwG, Beschluss vom 23. Juni 2008 – 9 VR 13.08 – NVwZ 2008, 1027 Rn. 3).

10

Soweit die Kläger rügen, der Senat habe in seiner Entscheidung auf ihnen nicht bekannte Geschäftsverteilungspläne vom 1. November und vom 18. Dezember 2018 Bezug genommen, räumen sie selbst ein, den letztgenannten Geschäftsverteilungsplan zu kennen. Da die hier maßgebliche Regelung in beiden Geschäftsverteilungsplänen gleich war, scheidet ein Gehörsverstoß bzw. eine Überraschungsentscheidung schon aus diesem Grunde aus.

11

3. Danach ist eine Vorgreiflichkeit der Entscheidung des vor dem Verwaltungsgericht Leipzig geführten Rechtsstreits, in welchem die Kläger auf die Erteilung u. a. der Auskunft klagen, ob der Richter am Bundesverwaltungsgericht St. verhindert war, an der Verhandlung und Entscheidung des Verfahrens 9 A 8.19 mitzuwirken, weder ersichtlich noch von den Klägern dargetan. Das vorliegende Verfahren war daher nicht nach § 94 VwGO auszusetzen.

12

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 Satz 1 VwGO i. V. m. § 100 ZPO. Eine Streitwertfestsetzung ist nicht notwendig, weil sich die Gerichtsgebühr aus Nr. 5400 der Anlage 1 zum Gerichtskostengesetz ergibt.