Beschluss des BPatG München 26. Senat vom 10.10.2022, AZ 26 W (pat) 501/18

BPatG München 26. Senat, Beschluss vom 10.10.2022, AZ 26 W (pat) 501/18, ECLI:DE:BPatG:2022:101022B26Wpat501.18.0

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 30 2015 011 019

hat der 26. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 22. Juni 2022 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Kortge sowie der Richter Kätker und Dr. von Hartz

beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

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Die Wort-/Bildmarke

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ist am 3. Februar 2015 angemeldet und am 13. August 2015 unter der Nummer 30 2015 011 019 in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register als Marke eingetragen worden für Waren und Dienstleistungen der

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Klasse 32: Mineralwässer; kohlensäurehaltige Wässer; alkoholfreie Getränke; alkoholfreie Weine; Fruchtgetränke; Fruchtsäfte; Sirupe für die Zubereitung von Getränken; Präparate für die Zubereitung von Getränken;

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Klasse 33: Alkoholische Getränke [ausgenommen Biere]; Weine; Schaumweine; weinhaltige Getränke [Schorlen]; Spirituosen [Getränke]; Liköre; alkoholreduzierte Weine;

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Klasse 43: Dienstleistungen zur Verpflegung von Gästen; Dienstleistungen zur Beherbergung von Gästen; Durchführung von Weinproben [Verpflegung von Gästen mit Getränken]; Verpflegung von Gästen in Restaurants; Vermietung von Versammlungsräumen.

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Gegen die Eintragung dieser Marke, die am 18. September 2015 veröffentlicht worden ist, hat die Beschwerdeführerin Widerspruch erhoben aus der Unionswortmarke

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EDITION

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die am 18. Januar 2008 angemeldet und am 1. Mai 2011 unter der Nummer 006 586 374 in das beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) geführte Register eingetragen worden ist für Dienstleistungen der Klassen 35, 36, 41, 44 und

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Klasse 43: Dienstleistungen von Hotels, Betrieb von Restaurants, Catering, Betrieb von Bars und Hallenbars; Bereitstellung von Mehrzweckräumen für Sitzungen, Konferenzen und Ausstellungen; Bereitstellung von Einrichtungen für Banketts und gesellschaftliche Anlässe für besondere Gelegenheiten; und Reservierung von Hotelunterkünften.

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Mit Beschluss vom 22. August 2017 hat die mit einem Beamten des gehobenen Dienstes besetzte Markenstelle für Klasse 33 des DPMA eine Verwechslungsgefahr verneint und den Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, wegen des geringen Schutzumfangs der Widerspruchsmarke bestehe trotz der Übernahme des Bestandteils „EDITION“ in die angegriffene Marke selbst bei identischen Dienstleistungen keine markenrechtlich relevante Verwechslungsgefahr. Die Kennzeichnungskraft der älteren Marke sei wegen ihres für die maßgeblichen Dienstleistungen beschreibenden Anklangs sehr gering, weil die Bezeichnung „EDITION“ mit den Bedeutungen „Ausgabe, Auflage, Herausgabe“ werbend und anpreisend allgegenwärtig verwendet werde. Eine gesteigerte Verkehrsbekanntheit der Widerspruchsmarke infolge Benutzung könne nicht festgestellt werden. Die von der Widersprechenden verwendeten Hotelnamen „The London Edition“ oder „The Istanbul Edition“ legten die Bedeutung „Ausgabe“ im Sinne einer lokalen Version von M… nahe. Angesichts des beschreibenden Aussagegehalts der Wortbestandteile der angegriffenen Marke werde der Verkehr deren Bildbestandteil nicht gänzlich unberücksichtigt lassen. Die einzige Gemeinsamkeit der Marken bestehe in dem beschreibenden Bestandteil „EDITION“, der den Gesamteindruck der jüngeren Marke weder präge noch eine selbstständig kollisionsbegründende Stellung einnehme. Anhaltspunkte für eine Zeichenserie mit dem Stammbestandteil „EDITION“ bestünden ebenfalls nicht, so dass auch keine Verwechslungsgefahr durch gedankliche Verbindung zu befürchten sei.

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Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden. Sie trägt vor, sie sei die Inhaberin der weltweit bekannten Hotelmarke „M…“ sowie weiterer
Hotelmarken wie „COURTYARD“ und „RESIDENCE INN“, unter denen Beherbergungs-, Gastronomie-, Bar-, Spa-, Fitness-, Schönheitspflege- und andere Gastgewerbedienstleistungen angeboten würden. Die mit ihr verbundenen Unternehmen seien Inhaberinnen von Marken wie „RITZ-CARLTON“ oder „RENAISSANCE“. Zusammen betrieben sie mehr als 25 Hotels in Deutschland und mehr als 4.400 Hotels weltweit. Die Vergleichsdienstleistungen der Klasse 43 seien identisch. Zwischen den angegriffenen Getränken der Klassen 32 und 33 und den Widerspruchsdienstleistungen der Klasse 43 bestehe hochgradige Ähnlichkeit. Die Widerspruchsmarke als weitere Hotelmarke verfüge über eine mindestens durchschnittliche Kennzeichnungskraft. „Edition“ stamme vom lateinischen Verb „edere“ mit der Bedeutung „edieren/herausgeben“ bzw. vom lateinischen Substantiv „editio“ ab und sei ein ursprünglich aus dem Verlagswesen stammender Begriff, der in Verbindung mit Publikationen von Musik, Büchern oder Werken verwendet werde. Für gewöhnlich bezeichne er eine „besonders wissenschaftliche Herausgabe“, ein „in bestimmter Form wissenschaftlich herausgegebenes Werk“, eine „kritische Ausgabe“, eine Sonderausgabe oder eine besondere Auflage eines Modells, wie z. B. bei Handys oder Pkws. Während der Begriff für
Waren unterschiedlichster Art zur Bezeichnung von besonderen Ausgaben oder Serien eines bestimmten Produktes oder einer Produktlinie eingesetzt werde, finde er im Bereich der
Dienstleistungen im allgemeinen Sprachgebrauch keine Verwendung, schon gar nicht in Alleinstellung. Daher könne „Edition“ weder beschreibend noch werblich anpreisend für die Widerspruchsdienstleistungen aus dem Gastgewerbe sein. Die Widerspruchsmarke sei der Name einer Hotelkette. Der Städtenamenzusatz diene nur der Lokalisierung und Unterscheidung der verschiedenen Hotels dieser Kette. Die Hotelgebäude seien nur mit „EDITION“ gekennzeichnet, wie die vorgelegten Fotos der Hoteleingänge zeigten. Abgesehen davon, dass es bei Beherbergungs- und Verpflegungsdienstleistungen keine Sonderausgaben gebe, fehle es für das Verständnis als Sonderausgabe der „M…“-Hotels an der zusätzlichen Bezeichnung „M…“. Die Recherchebeispiele des Senats seien nicht geeignet, eine beschreibende Verwendung des Begriffs „Edition“ für Hoteldienstleistungen zu belegen. Der Beschluss des Senats in anderer Besetzung zum Anmeldezeichen „EDITION“ (26 W (pat) 142/02) beziehe sich nur auf alkoholfreie und alkoholische Getränke, nicht aber auf Hoteldienstleistungen. Zudem sei die Kennzeichnungskraft der älteren Marke aufgrund umfangreicher und langjähriger Benutzung erheblich gesteigert. „EDITION“ sei eine der vielen Marken der M…-Gruppe, die für moderne Luxushotels und ein anspruchs- und stilvolles Hotelerlebnis stehe. Das Publikum sei seit der ersten Eröffnung eines „EDITION“-Hotels im Jahre 2010 und den zahlreichen Neueröffnungen in den letzten Jahren an die Widerspruchsmarke gewöhnt. Die Hotelmarke „EDITION“ genieße hohe Bekanntheit bei deutschen Hotelgästen, die dort regelmäßig übernachteten. Dies ergebe sich aus zahlreichen Hotelbewertungen deutscher Kunden, den Umsätzen mit Übernachtungen inländischer Hotelgäste, dem vorgelegten Werbe- und Marketingmaterial, das sich auch an deutsche Kunden richte, zahlreichen Presseartikeln sowie Auszügen aus sozialen Netzwerken. Die Widerspruchsmarke sei zudem weltweit eingetragen und werde weltweit umfangreich benutzt. Der Umstand, dass die Widersprechende bislang kein Hotel unter der Marke „EDITION“ in Deutschland betreibe, schwäche die Bekanntheit der Widerspruchsmarke im Inland nicht. Denn den deutschen Verbrauchern seien auch Hotelmarken aus dem Ausland bekannt, da sie ihnen bei Reisen ins Ausland begegneten (vgl. BGH GRUR 2017, 75 Rdnr. 42 – Wunderbaum II). Die Vergleichsmarken seien klanglich identisch oder zumindest hochgradig ähnlich. Mangels beschreibender Bedeutung für die fraglichen Waren und Dienstleistungen sei der (Wort-)Bestandteil „EDITION“ für beide Marken prägend. Der Zusatz „H“ trete als beschreibendes Element zurück, weil er in einigen Ländern der Europäischen Union, wie z. B. in Frankreich, verwendet werde, um auf „Hotel“ bzw. Hoteldienstleistungen hinzuweisen. Von vielen Verbrauchern und in der Hotelbranche werde er als Hinweis auf das Wort „Hotel“ benutzt und verstanden. Ferner könne dieser Zusatz als Abkürzung von Städtenamen wie etwa Heidelberg oder Hamburg aufgefasst werden. Da der ornamentale Bildbestandteil
Abbildung nicht als Großbuchstabe „H“ erkennbar sei und sich andernfalls in einer gängigen werbemäßigen Verzierung des dienstleistungsbeschreibenden Großbuchstabens „H“ erschöpfe, sei auch dieses Grafikelement nicht prägend. Eine Aussprache der jüngeren Marke im Sinne von „H EDITION H“ komme daher nicht in Betracht. Der Einzelbuchstabe „H“ stehe zudem für „H…“, sei also das Firmenschlagwort der Markeninhaberin, so dass dem Wortbestandteil „EDITION“ in der jüngeren Marke selbst bei geringer Kennzeichnungskraft eine selbständig kennzeichnende Stellung zukomme (vgl. BGH GRUR 2008, 258 – INTERCONNECT/T-InterConnect). Selbst wenn sich die Markenwörter „EDITION H“ und „EDITION“ klanglich gegenüberständen, seien sie hochgradig ähnlich, weil sie über eine nahezu identische Buchstabenanzahl, eine identische Vokalfolge, ein nahezu identisches Konsonantengerüst sowie einen hochgradig ähnlichen Sprech- und Betonungsrhythmus verfügten. Der zusätzliche Mitlaut „H“ am unauffälligeren Markenende könne nicht aus dem Ähnlichkeitsbereich herausführen. Die Kollisionsmarken seien auch in schriftbildlicher Hinsicht ähnlich, weil nur eine werbeübliche, wenig auffallende Verzierung des Wortbestandteils vorliege. Die Widersprechende verfüge zudem über eine Zeichenserie, in der jeweils der kennzeichnungskräftige Bestandteil „EDITION“ mit der zusätzlichen Angabe der geografischen Lage, Kategorie oder sonstigen Bestandteilen kombiniert werde. So bezeichne sie ihr in London gelegenes Hotel als „The London Edition“, ihr Hotel in Istanbul als „The Istanbul Edition“ und das von ihr 2018 eröffnete Hotel in Barcelona als „The Barcelona EDITION“. Die angegriffene Marke füge sich in diese Markenserie nahtlos ein, weshalb der Verkehr davon ausgehe, dass es sich um ein Hotel der EDITION-Kette der Widersprechenden handele. Auch die beiden Entscheidungen des portugiesischen Markenamts (Instituto Nacional da Propriedade Industrial; Anlage Wi 18) vom 28. Dezember 2015 zu den Kollisionsmarken „EDITION VILLAS/EDITION/
Abbildung“ und „EDITION VILLAS & CLUBHOUSE/EDITION/
Abbildung“ bestätigten die Verwechslungsgefahr. Die Entscheidung des Bundespatentgerichts (BPatG) vom 3. Dezember 2014 im Kollisionsverfahren zwischen der Wort-/Bildmarke
Abbildung und der hiesigen Widerspruchsmarke (27 W (pat) 518/14) sei nicht übertragbar, weil die Wortbestandteile „Kloster Heidenheim“ und der Einzelbuchstabe „H“ nicht übereinstimmten und die ältere Marke in den letzten Jahren durch Hoteleröffnungen, Werbekampagnen und umfangreiche Benutzung in der EU, insbesondere in Deutschland an Kennzeichnungskraft gewonnen habe.

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Die Widersprechende beantragt,

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den Beschluss der Markenstelle für Klasse 33 des DPMA vom 22. August 2017 aufzuheben und das DPMA anzuweisen, die Eintragung der angegriffenen Marke wegen des Widerspruchs aus der Unionsmarke 006 586 374 zu löschen.

14

Hilfsweise regt sie an, die Rechtsbeschwerde zuzulassen.

15

Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt,

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die Beschwerde zurückzuweisen.

17

Die Inhaberin der angegriffenen Marke vertritt die Auffassung, die sich gegenüberstehenden Waren und Dienstleistungen seien nicht identisch, sondern allenfalls ähnlich. Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke sei weit unterdurchschnittlich. Dies habe schon das Bundespatentgericht im Verfahren
Abbildung/EDITION (27 W (pat) 518/14) festgestellt. Der deutsche und englische Begriff „Edition“ werde nicht nur für das Verlagswesen, sondern für unterschiedlichste Waren- und Dienstleistungsbereiche im Sinne von „Sonderausgabe“ verwendet, z. B. für Waren der Elektronik, Automobile, Kosmetik sowie IT- und Telekommunikationsdienstleistungen. Die Kombination „Limited Edition“ finde in allen Waren- und Dienstleistungsbereichen Verwendung. Demzufolge werde der Verkehr „Edition“ im Zusammenhang mit Städtenamen nur als eine lokale Version bzw. eine besondere Ausgabe eines M…-Hotels verstehen. In Deutschland gebe es kein einziges Hotel der Widersprechenden unter der Bezeichnung „EDITION“ und die Benutzungsaufnahme im Jahr 2010 sei ein zu kurzer Zeitraum, um eine umfangreiche und langjährige Benutzung der Marke in Deutschland darlegen zu können. Die Besprechung in Bewertungsportalen sage nichts über die Bekanntheit aus, da selbst kleinste und abgelegenste Hotels bewertet würden. Mit Nichtwissen werde bestritten, dass die von der Widersprechenden behaupteten Übernachtungs- und Umsatzzahlen aus den Jahren 2012 bis 2017 zutreffend seien. Auch die vorgelegten exemplarischen Rechnungen seien dafür kein Beleg. Im Übrigen seien ca. 12.000 Übernachtungen in sechs Jahren angesichts der bei statista.com angegebenen 459 Mio. Gästeübernachtungen in Deutschland im Jahr 2017 sehr wenig. Die Vergleichsmarken seien bildlich nicht verwechselbar, weil die aufwändig grafisch ausgestaltete angegriffene Marke von einem großen verschnörkelten „H“ dominiert und durch ein zweites „H“ hinter dem Wort „EDITION“ im unteren Bereich ergänzt werde. Vor dem dunklen Hintergrund kämen die Verzierung und die Wortbestandteile sehr gut zum Ausdruck und bildeten eine noble Gestaltung. Klanglich unterschieden sich die Wortelemente „H – EDITION – H“ und „EDITION“ ausreichend. Eine Prägung der jüngeren Marke durch „EDITION“ scheide wegen der Kennzeichnungsschwäche dieses Begriffs aus. Der Buchstabe „H“ könne nicht unberücksichtigt gelassen werden. Dem Verkehr sei die Firma H… und ein etwaiges Firmenschlagwort nicht bekannt.

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Mit gerichtlichen Schreiben vom 22. Oktober 2019 und 3. August 2020 sind die Verfahrensbeteiligten unter Beifügung von Recherchebelegen (Anlagen(konvolute) 1 bis 5, Bl. 131 – 159 GA) darauf hingewiesen worden, dass die Beschwerde keine Aussicht auf Erfolg habe.

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Nach Schluss der mündlichen Verhandlung hat die Widersprechende mit Schriftsatz vom 19. August 2022 weitere Rechtsausführungen gemacht.

20

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

21

Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.

22

Zwischen der angegriffenen Wort-/Bildmarke
Abbildung und der älteren Unionswortmarke „
EDITION“ besteht keine Gefahr von Verwechslungen gemäß §§ 119 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 2, 42 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG. Die Markenstelle hat den Widerspruch daher zu Recht zurückgewiesen.

23

Da die Anmeldung der angegriffenen Marke nach dem 1. Oktober 2009, aber vor dem 14. Januar 2019 eingereicht worden ist, ist für den gegen die Eintragung erhobenen Widerspruch die Bestimmung des § 42 Absatz 1 und 2 MarkenG in der bis zum 13. Januar 2019 geltenden Fassung anzuwenden (§ 158 Abs. 3 MarkenG).

24

Die Frage der Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG ist unter Heranziehung aller relevanten Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen. Dabei ist von einer Wechselwirkung zwischen der Identität oder der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen, dem Grad der Ähnlichkeit der Marken und der Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke in der Weise auszugehen, dass ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken oder durch eine gesteigerte Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt (st. Rspr.: vgl. EuGH GRUR 2020, 52 Rdnr. 41 – 43 – Hansson [Roslags Punsch/ROSLAGSÖL]; GRUR-RR 2009, 356 Rdnr. 45 f. – Les Éditions Albert René/HABM [OBELIX/MOBILIX]; BGH GRUR 2021, 482 Rdnr. 24 – RETROLYMPICS; GRUR 2021, 724 Rdnr. 31 – PEARL/PURE PEARL m. w. N.).

25

1. Nach der hier maßgeblichen Registerlage sind die Vergleichsdienstleistungen der Klasse 43 identisch bis weit überdurchschnittlich ähnlich und die angegriffenen alkoholfreien und alkoholischen Getränke weisen eine durchschnittliche Ähnlichkeit mit den Widerspruchsdienstleistungen der Klasse 43 auf.

26

a) Eine Ähnlichkeit ist grundsätzlich anzunehmen, wenn die sich gegenüberstehenden Waren und/oder Dienstleistungen unter Berücksichtigung aller für die Frage der Verwechslungsgefahr erheblicher Faktoren wie insbesondere ihrer Art und Beschaffenheit, ihrer regelmäßigen betrieblichen Herkunft, ihrer regelmäßigen Vertriebs- und Erbringungsart, ihres Verwendungszwecks und ihrer Nutzung, ihrer wirtschaftlichen Bedeutung sowie ihrer Eigenart als miteinander konkurrierender oder einander ergänzender Produkte oder Leistungen so enge Berührungspunkte aufweisen, dass die beteiligten Verkehrskreise der Meinung sein könnten, sie stammten aus demselben oder wirtschaftlich verbundenen Unternehmen (EuGH GRUR-RR 2009, 356 Rdnr. 65 – Éditions Albert René/HABM [OBELIX/MOBILIX]; BGH GRUR 2021, 724 Rdnr. 36 – PEARL/PURE PEARL; GRUR 2015, 176, 177 Rdnr. 16 – ZOOM/ZOOM).

27

Das stärkste Gewicht kommt im Hinblick auf die Herkunftsfunktion der Marke der regelmäßigen betrieblichen Herkunft, also dem gemeinsamen betrieblichen Verantwortungsbereich für die Qualität der Waren und/oder Dienstleistungen zu, während der regelmäßigen Vertriebs- und Erbringungsstätte ein geringeres Gewicht zugemessen wird. Erforderlich im Sinne einer funktionellen Ergänzung von Waren und Dienstleistungen ist ein enger Zusammenhang in dem Sinne, dass die Ware oder Dienstleistung für die Verwendung der anderen unentbehrlich oder wichtig ist (BGH GRUR 2014, 488 Rdnr. 16 – DESPERADOS/DESPERADO m. w. N.; BPatG 30 W (pat) 22/19 – CRETE/CRET; 26 W (pat) 18/14 – Cada Design/CADA).

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b) (Teil-)Identität bis sehr hohe Ähnlichkeit besteht zwischen den Vergleichsdienstleistungen der Klasse 43. Die angegriffenen Verpflegungs- und Beherbergungsdienstleistungen umfassen die für die Widerspruchsmarke geschützten Hotel-, Restaurant-, Bar- und Cateringdienstleistungen. Die von der jüngeren Marke beanspruchten Dienstleistungen „
Vermietung von Versammlungsräumen“ stellen den Oberbegriff für die Widerspruchsdienste
„Bereitstellung von Mehrzweckräumen für Sitzungen, Konferenzen und Ausstellungen; Bereitstellung von Einrichtungen für Banketts und gesellschaftliche Anlässe für besondere Gelegenheiten“ dar.

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c) Durchschnittliche Ähnlichkeit weisen die Widerspruchsdienstleistungen der Klasse 43 zu den alkoholfreien und alkoholischen Getränken der Klassen 32 und 33 auf.

30

aa) Angesichts der fehlenden Körperlichkeit von Dienstleistungen sind für die Beurteilung ihrer Ähnlichkeit in erster Linie Art und Zweck, also der Nutzen für den Empfänger der Dienstleistungen sowie die Vorstellung des Verkehrs maßgeblich, dass die Dienstleistungen unter der gleichen Verantwortlichkeit erbracht werden (BGH GRUR 2018, 79 Rdnr. 11 – OXFORD/Oxford Club; GRUR 2002, 544, 546 – BANK 24). Im Vergleich zwischen Waren und Dienstleistungen ist zu berücksichtigen, dass Dienstleistungen generell weder mit den zu ihrer Erbringung verwendeten Waren und Hilfsmitteln noch mit den durch sie erzielten Ergebnissen, soweit sie Waren hervorbringen, ohne weiteres als ähnlich anzusehen sind. Besondere Umstände können jedoch die Feststellung der Ähnlichkeit nahelegen, wenn beim angesprochenen Verkehr der Eindruck entsteht, Ware und Dienstleistung unterlägen der Kontrolle desselben Unternehmens (vgl. BGH GRUR 1999, 586 Rdnr. 22 – White Lion). Dies kann der Fall sein, wenn sich das Dienstleistungsunternehmen selbständig auch mit der Herstellung bzw. dem Vertrieb der Ware befasst oder der Warenhersteller oder -vertreiber sich auf dem entsprechenden Dienstleistungsbereich selbständig gewerblich betätigt (vgl. BGH GRUR 2012, 1145 Rdnr. 35 – PELIKAN; BPatG 27 W (pat) 506/17 – kodi professional/KODi). Ein Indiz für eine Ähnlichkeit zwischen Waren und Dienstleistungen kann beispielsweise vorliegen, wenn die Waren nicht allgemein angeboten und verwendet werden, sondern typischerweise bei der Erbringung der Dienstleistungen zur Anwendung kommen (BGH a. a. O. – Pelikan).

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bb) Alkoholfreie und alkoholische Getränke werden von Gaststätten nicht nur im Schankbetrieb, sondern auch im „Straßenverkauf“ vertrieben und oftmals unmittelbar in den Herstellungsbetrieben selbst serviert, wie z. B. Biere und alkoholfreie Getränke in Brauereien oder Weine und alkoholfreie Getränke in Weinkellereien (BGH GRUR 2000, 883 Juris-Tz. 20 – PAPPAGALLO; GRUR 1999, 586, 587 – White Lion; OLG Hamburg, GRUR-RR 2011, 175 – Creme 21; BPatG GRUR 2003, 530 – Waldschlößchen). Daneben stellen klassische Gaststättenbetriebe teilweise selbst Getränke her, wie z. B. selbstgemachte Limonaden oder Eistees, Mixgetränke oder Cocktails, die sie zum Ausschank anbieten (BPatG 25 W (pat) 519/20 – A’livella/LIVELL; 27 W (pat) 14/17 – CASS/BASS; 26 W (pat) 552/10 – O2Kids/O2). Einige Hersteller von Wein, Sekt und Spirituosen unterhalten selbständig eigene gastronomische Einrichtungen (BGH a. a. O. – PAPPAGALLO).

32

cc) Daher entspricht es ständiger Rechtsprechung, eine normale Ähnlichkeit zwischen Verpflegungs- und Beherbergungsdienstleistungen einerseits sowie alkoholfreien und alkoholischen Getränken andererseits anzunehmen (vgl. auch BPatG 27 W (pat) 581/11 – KALIMERA/Guten Morgen; 27 W (pat) 595/10 – YoYo Foodworld/YO).

33

2. Die im Identitäts- und Ähnlichkeitsbereich liegenden Vergleichswaren und -dienstleistungen richten sich an breite Verkehrskreise, nämlich sowohl an den normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher (EuGH GRUR 2006, 411 RdNr. 24 – Matratzen Concord/Hukla; EuGH GRUR 1999, 723 Rdnr. 29 – Windsurfing Chiemsee) als auch an den Getränke-, Wein- und Spirituosenfachhandel sowie den Gastronomiefachverkehr. Bei der Vermietung von Versammlungs- und Mehrzweckräumen kommen aber auch gewerbliche Kunden in Betracht.

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Die Aufmerksamkeit des Publikums bei der Auswahl alkoholfreier und alkoholischer Getränke wird abhängig von der Preisklasse und dem Qualitätsniveau entweder bei alltäglichen Massenartikeln gering oder bei Luxusartikeln erhöht sein. Dies gilt auch für die Inanspruchnahme von Verpflegungs- und Beherbergungsdienstleistungen. Es kann daher insgesamt von einem normalen Aufmerksamkeitsgrad ausgegangen werden (BPatG 27 W (pat) 14/17 – CASS/BASS; 26 W (pat) 520/14 – Finca del Toro).

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3. Die ältere Unionswortmarke „
EDITION“ weist für die Dienstleistungen der Klasse 43, die als einzige im Identitäts- und Ähnlichkeitsbereich liegen, nur eine geringe Kennzeichnungskraft auf.

36

a) Ihre originäre Kennzeichnungskraft ist unterdurchschnittlich.

37

aa) Die originäre Kennzeichnungskraft wird bestimmt durch die Eignung der Marke, sich unabhängig von der jeweiligen Benutzungslage als Unterscheidungsmittel für die Waren und Dienstleistungen eines Unternehmens bei den beteiligten Verkehrskreisen einzuprägen und die Waren und Dienstleistungen damit von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden (vgl. EuGH GRUR 2010, 1096 Rdnr. 31 – BORCO/HABM [Buchstabe a]; BGH GRUR 2020, 870 Rdnr. 41 – INJEKT/INJEX). Dabei ist auf die Eigenart der Marke in Klang, Bild und Bedeutung abzustellen. Marken, die über einen für die jeweiligen Waren oder Dienstleistungen erkennbar beschreibenden Anklang verfügen, haben regelmäßig nur geringe originäre Kennzeichnungskraft (BGH WRP 2015, 1358 Rdnr. 10 – ISET/ISETsolar; GRUR 2012, 1040 Rdnr. 29 – pjur/pure). Liegen keine konkreten Anhaltspunkte vor, die für eine hohe oder geringe Kennzeichnungskraft sprechen, ist von normaler Kennzeichnungskraft auszugehen (BGH a. a. O. – INJEKT/INJEX).

38

bb) Das Markenwort „EDITION“ stammt vom lateinischen Substantiv „editio“ ab, das mit „Herausgabe, Ausgabe einer Schrift“ übersetzt wird (https://de.pons.com/übersetzung/latein-deutsch/editio). Es ist im Sinne von „[besonders wissenschaftliche] Herausgabe; in bestimmter Form [wissenschaftlich] herausgegebenes Werk; [kritische] Ausgabe (https://www.duden.de/rechtschreibung/Edition); Abdruck, Auflage, Ausgabe, Bearbeitung, Druck, Fassung, Herausgabe, Publikation, Veröffentlichung (https://www.duden.de/synonyme/Edition) in den deutschen und englischen Sprachgebrauch eingegangen (BPatG 29 W (pat) 3/10 – urban edition; 24 W (pat) 122/06 – cool edition; 24 W (pat) 121/06 – hot edition) und ursprünglich auf dem Sektor der Bücher, Verlage und Musikalien gebraucht worden.

39

cc) Dieser aus dem Bereich des Verlagswesens stammende Begriff wird mittlerweile für Waren und Dienstleistungen unterschiedlichster Art zur Bezeichnung von besonderen Ausgaben bzw. Serien eines bestimmten Produktes oder einer bestimmten Dienstleistungslinie eingesetzt (vgl. EuGH GRUR 2010, 931, 932 – COLOR EDITION; BPatG 29 W (Pat) 3/10 – urban edition; 24 W (pat) 249/97 – ONLINE-Edition; 26 W (pat) 142/02 – EDITION; 24 W (pat) 121/06 – hot edition; 24 W (pat) 122/06 – cool edition).

40

dd) In der Rechtsprechung des BPatG ist das Wort „EDITION“ bzw. „edition“ daher bei Waren und Dienstleistungen als Hinweis auf eine Sonderausgabe bzw. besondere Ausgabe oder eine limitierte Serie angesehen worden, die zeitlich oder mengenmäßig begrenzt angeboten wird oder sich ausschließlich auf einen bestimmten Anlass wie ein bestimmtes Fest oder Ereignis bezieht (BPatG 28 W (pat) 41/12 – SILVER EDITION; 26 W (pat) 142/02 – EDITION; 24 W (pat) 122/06 – cool edition; 24 W (pat) 121/06 – hot edition; 24 W (pat) 249/97 – ONLINE-Edition). Dies gilt auch für das Wort „Edition“ in Alleinstellung ohne weitere, erläuternde Zusätze.

41

aaa) Schon in der Entscheidung des 26. Senats des BPatG vom 6. Oktober 2004 in vollständig anderer Besetzung (26 W (pat) 142/02) ist das Wortzeichen „EDITION“ für alkoholfreie und alkoholische Getränke als freihaltebedürftig und nicht unterscheidungskräftig beurteilt worden. Einer klarstellenden Ergänzung bedürfe es nicht, weil der Verkehr wegen der – im Internet nachgewiesenen – Häufigkeit der Verwendung daran gewöhnt sei, das Wortzeichen „EDITION“ als Hinweis auf eine bestimmte Ausgabe oder ein bestimmtes Ereignis zu sehen.

42

bbb) Auch der 27. Senat des BPatG ist am 3. Dezember 2014, also kurz vor der am 3. Februar 2015 erfolgten Anmeldung der jüngeren Marke, bei der identischen Widerspruchsmarke von einem sehr geringen Schutzumfang für Dienstleistungen der Klasse 43 ausgegangen (BPatG 27 W (pat) 518/14 –
Abbildung/EDITION).

43

ee) Auch wenn der Senat für Beherbergungs- und Verpflegungsdienstleistungen eine Verwendung überwiegend mit weiteren Attributen gefunden hat, ist das BPatG schon seit Jahrzehnten davon ausgegangen, dass „Edition“ auch in Alleinstellung von den inländischen Verkehrskreisen nur als besondere, zumeist begrenzt verfügbare Ausgabe der damit gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen und nicht als Hinweis auf ein bestimmtes Unternehmen angesehen wird. Denn es handelt sich um ein gebräuchliches Wort der deutschen Sprache oder einer bekannten englischen Fremdsprache, das vom Verkehr stets nur als solches und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden wird (BGH GRUR 2018, 932 Rdnr. 8 – #darferdas? I; GRUR 2016, 934 Rdnr. 12 – OUI; GRUR 2014, 872 Rdnr. 21 – Gute Laune Drops). Auch ohne dienstleistungsbeschreibenden Charakter wird es daher nicht als betriebliches Individualisierungsmittel wahrgenommen.

44

b) Eine durch Benutzung gesteigerte Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke, die den geringen Schutzumfang kompensieren könnte, ist weder hinreichend dargelegt noch glaubhaft gemacht worden.

45

aa) Für die Annahme einer erhöhten Kennzeichnungskraft durch eine gesteigerte Verkehrsbekanntheit bedarf es hinreichend konkreter Angaben zum Marktanteil, zu Intensität, geografischer Verbreitung und Dauer der Benutzung der Marke, zum Werbeaufwand des Unternehmens inklusive Investitionsumfangs zur Förderung der Marke sowie ggf. zu demoskopischen Befragungen zwecks Ermittlung des Anteils der beteiligten Verkehrskreise, die die Waren oder Dienstleistungen auf Grund der Marke als von einem bestimmten Unternehmen stammend erkennen (st. Rspr.: EuGH GRUR 2005, 763 Rdnr. 31 – Nestlé/Mars; GRUR 2017, 75 Rdnr. 29 – Wunderbaum II; BGH GRUR 2008, 903 Rdnr. 13 – SIERRA ANTIGUO). Die erhöhte Kennzeichnungskraft muss bereits im Zeitpunkt der Anmeldung der angegriffenen Marke bestanden haben (BGH GRUR a. a. O. Rdnr. 13 f. – SIERRA ANTIGUO, GRUR 2020, 870 Rdnr. 22 – INJEKT/INJEX) und im Entscheidungszeitpunkt noch fortbestehen (BGH a. a. O. – INJEKT/INJEX; GRUR 2019, 1058 Rdnr. 14 – KNEIPP). Eine Steigerung der Kennzeichnungskraft durch intensive Benutzung ist von der Widersprechenden darzulegen und glaubhaft zu machen, soweit die Benutzungslage nicht im Einzelfall amts- oder gerichtsbekannt ist (BGH GRUR 2006, 859 Rdnr. 33 – Malteserkreuz; BPatG 25 W (pat) 506/16 – Fireslim/Fire; GRUR-RR 2015, 468, 469 – Senkrechte Balken). Auch bei einer Unionsmarke kommt es auf das Verkehrsverständnis im Kollisionsgebiet an, hier also auf das Verkehrsverständnis in der Bundesrepublik Deutschland (vgl. BGH GRUR 2018, 79 Rdnr. 24 – OXFORD/Oxford Club; GRUR 2013, 1239 Rdnr. 67 – VOLKSWAGEN/Volks.Inspektion).

46

bb) Zu diesen Voraussetzungen fehlen sowohl konkreter Tatsachenvortrag als auch Glaubhaftmachungsmittel.

47

Zunächst gibt es bis heute kein einziges mit der Widerspruchsmarke gekennzeichnetes Hotel in Deutschland. Ferner kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich diese ausschließlich im Ausland benutzte Hotelmarke im Inland durch regelmäßige Presse- oder andere Medienerwähnungen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Anmeldung der angegriffenen Marke, am 3. Februar 2015, bereits einen Ruf erworben hatte.

48

aaa) Die Widersprechende hat keinen einzigen Werbeprospekt vorgelegt, der dem Zeitraum vor dem Anmeldetag der angegriffenen Marke eindeutig zugeordnet werden kann. Dem einzigen an deutsche Kunden gerichteten Werbeflyer „EDITION BLEIBT EINE SENSATION IN LONDON“ kann nicht entnommen werden, wann er herausgegeben und wo er verteilt worden ist (Anlage Wi 13 erste Seite). Die Presseartikel, in denen vor dem 3. Februar 2015 über die EDITION-Hotels der Widersprechenden berichtet worden ist (Anlage Wi 14), sind fast ausschließlich im Vereinigten Königreich sowie im übrigen Ausland erschienen, aber nicht in Deutschland. Von den vorgelegten Hotelbewertungen sind vor dem maßgeblichen Anmeldetag nur zwei von deutschen Gästen verfasst worden (Bewertungsportal Tripadvisor vom 2. September 2014 und 31. Januar 2015, Anlage Wi 6). Die wenigen Bewertungen im englischsprachigen Bewertungsportal www.hotelchatter.com (Anlage Wi 15) aus den Jahren 2011, 2012 und 2013 sind vom deutschen Publikum nicht wahrgenommen worden. Bei den Auszügen aus sozialen Netzwerken (Anlage Wi 16) kann nicht festgestellt werden, von wann sie stammen, weil keine Daten angegeben sind. Die zahlreichen Registereintragungen identischer Marken als Unionsmarken oder als Marken im europäischen und außereuropäischen Ausland (Anlage Wi 17) können eine intensive Benutzung im Inland nicht belegen.

49

bbb) Die 22 exemplarisch vorgelegten Rechnungen an deutsche Hotelgäste (Anlage Wi 7) stammen aus dem Jahr 2018, also mehrere Jahre nach dem maßgeblichen Kollisionszeitpunkt. Die von der Gegenseite bestrittenen Übernachtungs- und Umsatzzahlen deutscher Hotelgäste in den Jahren 2012 bis 2017 sind nicht, z. B. durch eine eidesstattliche Versicherung, glaubhaft gemacht worden. Aber selbst wenn sie glaubhaft gemacht worden wären, vermögen ca. 1.000 Übernachtungen deutscher Gäste pro Jahr eine Steigerung der Kennzeichnung einer erst seit 2010 im Aufbau befindlichen Hotelgruppe mit nur zwei oder drei Standorten im Ausland vor dem 3. Februar 2015 nicht zu rechtfertigen. Die erzielten Umsatzzahlen lassen ohne Angaben zum Gesamtmarkt keine Aussage über den Marktanteil zu. Zieht man die – unbestritten – von der Markeninhaberin unter Berufung auf statista.com genannte Zahl von 459 Mio. Gästeübernachtungen in Deutschland im Jahr 2017 als Anhaltspunkt dafür heran, dass die Gästeübernachtungen im Jahr 2015 in einer ungefähren Größenordnung von mehreren hundert Millionen Übernachtungen gelegen haben müssen, so kann offensichtlich nur ein verschwindend geringer fiktiver inländischer Marktanteil erreicht worden sein. Dies würde selbst denn gelten, wenn man zugunsten der Widersprechenden von Hoteldienstleistungen im Luxussegment ausginge und die Übernachtungszahlen mit einem Faktor von 10 multiplizierte, was allerdings gerade bei einer ausschließlich im Ausland befindlichen Kette von wenigen Hotels kaum zu rechtfertigen wäre.

50

ccc) Zahlen zu Werbeausgaben in Deutschland vor dem maßgeblichen Kollisionszeitpunkt sind nicht genannt worden.

51

ddd) Die Widersprechende hat daher die erhöhte Kennzeichnungskraft im Zeitpunkt der Anmeldung der angegriffenen Marke schon nicht hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht, so dass es auf den Schutzumfang zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr ankommt.

52

eee) Im Übrigen würde es aber auch in Bezug auf die Kennzeichnungskraft zum Entscheidungszeitpunkt an einer hinreichenden Darlegung und Glaubhaftmachung fehlen. Denn bei den im Schriftsatz vom 9. Oktober 2020 genannten „Mindestumsätzen“ in 12 Hotels der Widersprechenden in den Jahren 2018 und 2019 handelt es sich um weltweit erzielte Gesamtumsätze im zweistelligen $-Millionenbereich und nicht um solche, die nur mit deutschen Gästen generiert wurden. Ferner sind auch diese Umsätze nicht durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung glaubhaft gemacht worden. Im Übrigen fehlen auch aktuelle Angaben zu Werbeaufwendungen für das Inland.

53

4. Aber selbst wenn eine durchschnittliche Kennzeichnungskraft der älteren Unionsmarke „EDITION“ zugunsten der Widersprechenden unterstellt würde mit der Begründung, dass sie in Alleinstellung und im Sinne von „Ausgabe, Auflage, Herausgabe“ ohne weitere Zusätze über unkörperliche Hotel- und Restaurantdienstleistungen keine Sachaussage trifft, wäre trotz Dienstleistungsidentität in Klasse 43, durchschnittlicher Ähnlichkeit der Beherbergungs- und Verpflegungsdienstleistungen mit den für die jüngere Marke registrierten alkoholfreien und alkoholischen Getränken der Klassen 32 und 33 sowie normaler Aufmerksamkeit der angesprochenen Verkehrskreise eine unmittelbare Verwechslungsgefahr wegen weit unterdurchschnittlicher Markenähnlichkeit zu verneinen.

54

a) Maßgeblich für die Beurteilung der Zeichenähnlichkeit ist der Gesamteindruck der Vergleichsmarken unter Berücksichtigung der unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente (EuGH GRUR 2020, 52 Rdnr. 48 – Hansson [Roslags Punsch/ROSLAGSÖL]; BGH GRUR 2021, 482 Rdnr. 28 – RETROLYMPICS), wobei von dem allgemeinen Erfahrungsgrundsatz auszugehen ist, dass der Verkehr eine Marke so aufnimmt, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (vgl. u. a. EuGH GRUR 2004, 428 Rdnr. 53 – Henkel; BGH GRUR 2001, 1151, 1152 – marktfrisch). Das schließt nicht aus, dass unter Umständen ein oder mehrere Bestandteile einer komplexen Marke für den durch die Marke im Gedächtnis der angesprochenen Verkehrskreise hervorgerufenen Gesamteindruck prägend sein können (EuGH GRUR 2007, 700 Rdnr. 41 – HABM/Shaker [Limoncello/LIMONCHELO]; BGH a. a. O. Rdnr. 31 – RETROLYMPICS; GRUR 2012, 64 Rdnr. 14 – Maalox/Melox-GRY). Voraussetzung hierfür ist, dass die anderen Bestandteile weitgehend in den Hintergrund treten und den Gesamteindruck der Marke nicht mitbestimmen. Die Ähnlichkeit einander gegenüberstehender Zeichen ist nach deren Ähnlichkeit im (Schrift-)Bild, im Klang und im Bedeutungs- oder Sinngehalt zu beurteilen, weil Marken auf die mit ihnen angesprochenen Verkehrskreise in bildlicher, klanglicher und begrifflicher Hinsicht wirken können (EuGH GRUR Int. 2010, 129 Rdnr. 60 – Aceites del Sur-Coosur [La Espagnola/Carbonelle]; BGH a. a. O. Rdnr. 28 – RETROLYMPICS). Dabei genügt für die Bejahung der Zeichenähnlichkeit regelmäßig bereits die Ähnlichkeit in einem der genannten Wahrnehmungsbereiche (EuGH a. a. O. – Hansson [Roslags Punsch/ROSLAGSÖL]; BGH a. a. O. – RETROLYMPICS).

55

b) In der Gesamtheit und (schrift-)bildlich unterscheiden sich die angegriffene Marke
Abbildung und die Widerspruchsmarke „
EDITION“ sehr deutlich durch das optisch stark im Vordergrund stehende Bildelement, das aus einem mit Pflanzenranken verzierten Großbuchstaben „H“ besteht, die zweizeilige Anordnung und die Verlängerung des Wortelements durch den zweiten Großbuchstaben „H“.

56

c) Auch in klanglicher Hinsicht ist die Markenähnlichkeit gering.

57

aa) Bei der Feststellung des klanglichen Gesamteindrucks einer Wort-/Bildmarke ist von dem in ständiger Rechtsprechung anerkannten Erfahrungssatz auszugehen, dass der Wortbestandteil – sofern er kennzeichnungskräftig ist – den Gesamteindruck prägt, weil er die einfachste Möglichkeit bietet, die Marke zu benennen (vgl. BGH a. a. O. Rdnr. 30 – OTTO CAP). Eine Ausnahme von dem Grundsatz „Wort vor Bild“ kann sich ergeben, soweit die grafische Ausgestaltung durch ihren Umfang und ihre kennzeichnende Wirkung die Marke derart beherrscht, dass das Wort kaum mehr beachtet wird; in diesem Fall kann es gerechtfertigt sein, dem Bild auch bei der mündlichen Benennung der Marke den Vorrang einzuräumen (vgl. BGH GRUR 1959, 599 – Teekanne; BPatG GRUR 1994, 124 – Billy the Kid; BPatG 30 W (pat) 77/09 – Chinese/Mädchen).

58

aaa) Vorliegend stellt sich somit schon die Frage, ob der grafisch stark hervorgehobene Buchstabe „H“ der angegriffenen Marke nicht zumindest mitbenannt würde, so dass sich phonetisch „H Edition H“ ergäbe, was den Abstand zwischen den Vergleichsmarken derart vergrößern würde, dass eine klangliche Ähnlichkeit völlig ausgeschlossen wäre.

59

bbb) Aber selbst wenn man davon ausgeht, dass das Bildelement eher als Verzierung wahrgenommen wird und der Verkehr die jüngere Marke nur mit „Edition H“ benennt, liegt nur eine geringe klangliche Ähnlichkeit vor. Denn die angegriffene Marke wird nicht durch den Wortbestandteil „EDITION“ geprägt. Bei Annahme eines nur geringen Schutzumfangs der älteren Marke spricht dagegen schon die Kennzeichnungsschwäche dieses Wortelements.

60

ccc) Aber selbst bei unterstellter normaler Kennzeichnungskraft des Wortelements „EDITION“ tritt der Zusatzbuchstabe „H“ nicht in den Hintergrund.

61

(1) Zum einen steht er in gleicher Schriftart und -größe völlig gleichberechtigt neben dem Wortbestandteil „EDITION“. Ferner wird er durch das dominierend herausgestellte, verzierte „H“ zu Beginn der Marke optisch verdoppelt und damit als offensichtlich unverzichtbarer Markenteil hervorgehoben.

62

(2) Hinzu kommt, dass der Einzelbuchstabe „H“ keine eindeutig beschreibende Bedeutung für die angegriffenen Waren und Dienstleistungen aufweist.

63

(2.1) Einzelne Buchstaben sind wie sonstige Marken zu behandeln und auf einen beschreibenden Bedeutungsgehalt zu prüfen (BGH GRUR 2003, 343, 344 – Buchstabe Z; GRUR 2001, 161, 162 – Buchstabe K). Stellen sie keine beschreibende Abkürzung dar oder eignen sich zur Erfüllung der Herkunftsfunktion, ist von originärer Kennzeichnungskraft auszugehen.

64

(2.2) Dem Buchstaben
„H“ ohne nachgestelltes Punktzeichen kommt sowohl im Deutschen als auch im Englischen eine Vielzahl von Bedeutungen zu, aber dieser Einzelbuchstabe ohne Punktzeichen wird entgegen der Ansicht der Widersprechenden nicht als Abkürzung für das Wort „Hotel“ verwendet (vgl. Duden – Das Wörterbuch der Abkürzungen, 6. Aufl. 2011, S. 196; garant, Wörterbuch Abkürzungen 2008, S. 309; Sokoll, Handbuch der Abkürzungen, 1996, S. 4 f.; Bünting, Wörterbuch der Abkürzungen, 1994, S. 98; Stahl/Kerchelich, Abbreviations Dictionary, Tenth Edition 2011, Stichwort H; https://abkuerzungen.woxikon.de/abkuerzung/H.php; https://www.abkuerzungen.de/result.php?searchterm=H&language=de; https://abkürzung.info/Abk%C3%BCrzungen-von-Hotel.html, in der mündlichen Verhandlung überreichte Recherchebelege). Im Internetlexikon „woxicon“ werden als Abkürzungen für „Hotel“ neben „H.“ auch das Kürzel „Ho.“ oder „HO“ genannt. In einer Vielzahl von Abkürzungsverzeichnissen der Reisebranche im Internet (vgl. in der mündlichen Verhandlung überreichte Recherchebelege) taucht der Buchstabe „H“ als Abkürzung für „Hotel“ gar nicht auf. Als englische Abkürzung für „Hotel“ wird dort mehrfach die Buchstabenfolge „HTL“ aufgeführt. Das von der Widersprechenden vorgelegte Foto eines französischen Hotelschilds „HOTEL DE TOURISME 2006 H MINISTÈRE chargé du TOURISME (Anlage Wi 2) reicht zum Nachweis der inländischen Bedeutung als Akronym für „Hotel“ nicht aus. In der konkreten Kombination „EDITION H“ erscheint dies auch wenig naheliegend, da nicht ersichtlich ist, was ein „Edition Hotel“ bedeuten sollte. Das „H“ wirkt eher wie der Bestandteil einer alphabetischen Reihenfolge („Edition A“, „Edition B“ usw.).

65

(2.3) Es gibt ferner auch keinen Nachweis, dass dieser Zusatz als Abkürzung von Städtenamen wie Heidelberg oder Hamburg verstanden wird. Zwar ist „H“ das deutsche Kfz-Kennzeichen für Hannover und das internationale Kfz-Kennzeichen von Ungarn (Duden – Das Wörterbuch der Abkürzungen, 6. Aufl. 2011, S. 196; Stahl/Kerchelich, Abbreviations Dictionary, Tenth Edition 2011, Stichwort H; https://abkuerzungen.woxikon.de/abkuerzung/H.php; https://www.abkuerzungen.de/result.php?searchterm=H&language=de, in der mündlichen Verhandlung überreichte Recherchebelege), aber da weder die verspielt mit Pflanzenranken gestaltete jüngere Marke noch die angegriffenen Getränke sowie Verpflegungs- und Beherbergungsdienstleistungen Bezug zu Kraftfahrzeugen haben, liegt eine Wahrnehmung als Orts- oder Staatsangabe in diesem Waren- und Dienstleistungsbereich fern.

66

(2.4) Hinzu kommt, dass der Verkehr bei der gewählten Reihenfolge eher von einer
bestimmten Edition ausgeht, zumal es üblich ist, das Wort „Edition“ durch Attribute zu ergänzen, die die Art der Ausgabe näher kennzeichnen, wie z. B. Zahlen oder andere Angaben (vgl. BPatG 29 W (pat) 525/12 – edition goldfisch).

67

bb) Der – unterstellt – normal kennzeichnungskräftige Wortbestandteil „EDITION“ steht somit neben dem gleichgewichtig kennzeichnungskräftigen Buchstaben „H“. Selbst wenn man von „H“ im Sinne von „Hotel“ ausginge, verlöre das Wort „EDITION“ durch dieses Attribut seine unterstellte Kennzeichnungskraft in Alleinstellung, weil beide Bestandteile dann einen waren- und dienstleistungsbeschreibenden Gesamtbegriff bildeten, nämlich eine „Sonderhotelausgabe/Hotelsonderausgabe“ oder die „besondere Ausgabe eines Hotels/Sonderausgabe fürs Hotel“, so dass der Einzelbuchstabe H auch dann nicht in den Hintergrund träte, sondern als gleichgewichtig wahrgenommen würde.

68

cc) Die Kollisionsmarken unterscheiden sich daher in Wortlänge, Silbenzahl, Vokalfolge sowie Sprech- und Betonungsrhythmus ausreichend deutlich, auch wenn der in der Regel stärker beachtete Wortanfang identisch ist.

69

aaa) Der viersilbigen angegriffenen Marke „EDITION H“ steht die dreisilbige Widerspruchsmarke „EDITION“ gegenüber. Da der Buchstabe „H“ „ha“ ausgesprochen wird, verfügt die jüngere Marke über eine längere Wort- und Vokalfolge, die auf dem dunkel klingenden, betonten und lang gezogenen Vokal „a“ endet, während der Schluss der Widerspruchsmarke aus dem unbetonten klangschwachen Konsonanten „N“ besteht, dem der wesentlich kürzer ausgesprochene und dunklere Selbstlaut „O“ vorangeht.

70

bbb) Verwechslungsmindernd kommt hinzu, dass die inländischen Verkehrskreise auch bei flüchtiger Wahrnehmung der angegriffenen Marke und ohne weiteren Denkvorgang erkennen, dass es um eine bestimmte Edition geht, nämlich die „EDITION H“, oder um eine Hotelsonderausgabe, während bei der Widerspruchsmarke „EDITION“ ohne jeglichen erläuternden Zusatz völlig unklar ist und bleibt, um was für eine Ausgabe oder Auflage es sich handeln soll. Bei abweichendem Begriffsgehalt werden jedoch klangliche Unterschiede vom Hörer wesentlich schneller und besser erfasst, so dass es nicht zu einer Verwechslung kommt (EuGH GRUR Int 2009, 397, 402 Rdnr. 98 – OBELIX/MOBILIX; GRUR 2006, 413, 415 Rdnr. 35 – SIR/Zirh; GRUR 2006, 237, 238 Rdnr. 20 – PICARO/PICASSO; BGH GRUR 2010, 235 Rdnr. 19 – AIDA/AIDU).

71

d) Aus diesem Grund fehlt es auch an jeglicher Übereinstimmung in begrifflicher Hinsicht.

72

5. Eine Verwechslungsgefahr durch gedankliche Verbindung zwischen der angegriffenen Marke und der Widerspruchsmarke ist ebenfalls zu verneinen.

73

a) Eine mittelbare Verwechslungsgefahr unter dem Aspekt eines Serienzeichens scheidet aus.

74

aa) Diese Art der Verwechslungsgefahr greift dann ein, wenn die Zeichen in einem Bestandteil übereinstimmen, den der Verkehr als Stamm mehrerer Zeichen eines Unternehmens ansieht und deshalb die nachfolgenden Bezeichnungen, die einen wesensgleichen Stamm aufweisen, demselben Inhaber zuordnet. Das Vorliegen einer Zeichenserie setzt die Benutzung mehrerer Marken mit einem gemeinsamen Stammbestandteil voraus, damit die angesprochenen Verkehrskreise das gemeinsame Element kennen und mit der Zeichenserie in Verbindung bringen (vgl. EuGH GRUR 2008, 343 Rdnr. 64 – Il Ponte Finanziaria/HABM [BAINBRIDGE]; BGH GRUR 2013, 1239 Rdnr. 40 – Volkswagen/Volks.Inspektion). Das ist hier nicht der Fall.

75

bb) Die Widersprechende hat zwar vorgetragen, dass sie über eine Zeichenserie verfüge, in der jeweils der kennzeichnungskräftige Bestandteil „EDITION“ mit der zusätzlichen Angabe der geografischen Lage, Kategorie oder sonstigen Bestandteilen kombiniert werde. Als Beispiele hat sie ihre beiden Hotels „The London Edition“ und „The Istanbul Edition“ genannt, die beide wohl vor dem 3. Februar 2015 eröffnet worden sind. Unabhängig davon, ob bei diesen Bezeichnungen überhaupt von einer Zeichenserie und von einer Präsenz am deutschen Markt zum Anmeldezeitpunkt der angegriffenen Marke ausgegangen werden kann, reiht sich die jüngere Wort-/Bildmarke schon von der Zeichenbildungsstruktur her nicht in diese Serie ein. Es fehlen sowohl eine grafische Ausgestaltung als auch ein
nachgestellter Einzelbuchstabe. Die Vergleichsmarken sind derart unterschiedlich, dass sie nicht den Schluss auf geschäftliche, wirtschaftliche oder organisatorische Verbindungen zwischen den Unternehmen der Widersprechenden und der Inhaberin der angegriffenen Marke zulassen.

76

b) Eine Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne liegt ebenfalls nicht vor.

77

aa) Sie kann gegeben sein, wenn der Verkehr zwar die Unterschiede zwischen den Zeichen erkennt, wegen ihrer teilweisen Übereinstimmung aber von wirtschaftlichen oder organisatorischen Zusammenhängen zwischen den Zeicheninhabern ausgeht. Eine solche Verwechslungsgefahr kann nur bei Vorliegen besonderer Umstände angenommen werden (BGH GRUR 2013, 1239 Rdnr. 45 – Volkswagen/Volks.Inspektion; BGH GRUR 2013, 833 Rdnr. 69 – Culinaria/Villa Culinaria). So ist nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Bundesgerichtshofs nicht ausgeschlossen, dass ein Zeichen, das als Bestandteil in eine zusammengesetzte Marke oder eine komplexe Kennzeichnung aufgenommen wird, eine selbständig kennzeichnende Stellung behält, ohne dass es das Erscheinungsbild der zusammengesetzten Marke oder komplexen Kennzeichnung dominiert oder prägt (vgl. EuGH GRUR 2005, 1042 Rdnr. 30 – THOMSON LIFE; BGH, Beschl. v. 23. Oktober 2014 – I ZR 37/14, Rdnr. 11; GRUR 2004, 865, 866 – Mustang; GRUR 2012, 930 Rdnr. 45 – Bogner B/Barbie B; GRUR 2014, 1101 Rdnr. 54 – Gelbe Wörterbücher).

78

bb) In der jüngeren Marke bildet das übereinstimmende Wortelement „EDITION“ mit dem Einzelbuchstaben „H“ in jeder Hinsicht einen Gesamtbegriff, so dass der Bestandteil „EDITION“ keine selbständig kennzeichnende Stellung inne hat. Das gilt erst recht bei dessen Kennzeichnungsschwäche.

79

cc) Eine Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne wird auch angenommen, wenn ein mit der älteren Marke übereinstimmender Bestandteil identisch oder ähnlich in eine komplexe Marke aufgenommen wird, in der er neben einem Unternehmenskennzeichen oder Serienzeichen des Inhabers der jüngeren Marke eine selbständig kennzeichnende Stellung behält, und wenn wegen der Übereinstimmung dieses Bestandteils mit der älteren Marke bei den angesprochenen Verkehrskreisen der Eindruck hervorgerufen wird, dass die fraglichen Waren oder Dienstleistungen aus wirtschaftlich miteinander verbundenen Unternehmen stammen (vgl. EuGH, GRUR 2005, 1042 Rdnr. 31 – THOMSON LIFE; GRUR 2010, 933 Rdnr. 34 – Barbara Becker; BGH GRUR 2010, 646 Rdnr. 15 – OFFROAD; BGH GRUR 2006, 859 – Malteserkreuz).

80

dd) Das ist hier schon deshalb nicht der Fall, weil „H“ in der angegriffenen Marke nicht als Unternehmenskennzeichen oder Serienzeichen der Inhaberin der jüngeren Marke wahrgenommen wird.

81

aaa) Der Einzelbuchstabe „H“ ist den angesprochenen breiten inländischen Verkehrskreisen nicht als Abkürzung oder Firmenschlagwort des Unternehmens der Inhaberin der jüngeren Marke bekannt. Selbst das ausgeschriebene Wort „H…“ in der Firmenbezeichnung der Beschwerdegegnerin ist dem Verkehr nicht geläufig, jedenfalls nicht in der Beherbergungsbranche.

82

bbb) Erst recht ist ihm keine Zeichenstrategie der Markeninhaberin bekannt, den Anfangsbuchstaben ihrer Firma als Stammbestandteil einer Zeichenserie mit weiteren Bestandteilen zu kombinieren, insbesondere solchen, die dem Wort „EDITION“ irgendwie entsprechen könnten oder wenigstens daran erinnern. Es ist noch nicht einmal vorgetragen worden, dass es eine solche Kennzeichnungspraxis der Beschwerdegegnerin überhaupt gibt. Auch aus der angegriffenen Marke selbst geht nicht hervor, dass der Einzelbuchstabe „H“ ein Unternehmens- oder Serienkennzeichen der Markeninhaberin sein könnte.

83

ccc) Aus diesen Gründen steht der Verneinung der Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne auch nicht die von der Widersprechenden vorgelegte Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) im Verletzungsverfahren „INTERCONNECT/T-InterConnect“ (GRUR 2008, 258) entgegen. Denn sie kann auf den vorliegenden Fall nicht übertragen werden.

84

(1) In dem vorgenannten Urteil hatte der BGH unter Zugrundelegung der unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts ausgeführt, dass dem Verkehr sowohl die Zeichenstrategie als auch der Umstand bekannt sei, dass das beklagte größte inländische Telekommunikationsunternehmen den mit seinem bekannten Unternehmenskennzeichen übereinstimmenden Bestandteil „T-“ als Stammbestandteil mit weiteren, auf die jeweiligen Dienstleistungsbereiche bezogenen Bestandteilen kombiniere. Angesichts der Bekanntheit des Unternehmens- und Serienzeichens „T-“ reiche auch die geringe Kennzeichnungskraft des Wortbestandteils „INTERCONNECT“ aus, um über eine selbständig kennzeichnende Stellung in der jüngeren Marke zu verfügen. Denn je bekannter das Unternehmens- und Serienkennzeichen sei, desto deutlicher trete die eigenständige, produktbezogene Kennzeichnungsfunktion des weiteren Bestandteils in den Vordergrund, die die selbständig kennzeichnende Stellung begründe (BGH a. a. O. Rdnr. 35 – INTERCONNECT/T-InterConnect).

85

(2) Wie bereits eingehend ausgeführt, handelt es sich weder bei „H“ noch bei „EDITION“ um ein dem breiten Publikum (vergleichbar) bekanntes Unternehmenskennzeichen oder um einen (vergleichbar) prominenten Stammbestandteil einer Markenserie.

86

ee) Zwar kann eine gesteigerte Kennzeichnungskraft der in das jüngere Gesamtzeichen übernommenen älteren Marke ebenfalls eine selbständig kennzeichnende Stellung bewirken. Vorliegend fehlt es aber an einer gesteigerten Kennzeichnungskraft der älteren Marke.

87

6. Auch die beiden Entscheidungen des portugiesischen Markenamts (Instituto Nacional da Propriedade Industrial) vom 28. Dezember 2015 zu den Kollisionsmarken „EDITION VILLAS/EDITION/
Abbildung“ und „EDITION VILLAS & CLUBHOUSE/EDITION/
Abbildung“ (Anlage Wi 18) rechtfertigen keine andere Entscheidung. Abgesehen davon, dass die Vergleichsmarken in den beiden portugiesischen Verfahren anders ausgestaltet sind, einem anderen Sprachenregime unterliegen und ein abweichendes Kollisionsgebiet betreffen, sind die im Ausland, in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union auf der Grundlage des harmonisierten Markenrechts oder vom EUIPO aufgrund der Unionsmarkenverordnung getroffenen Entscheidungen für Verfahren in anderen Mitgliedstaaten unverbindlich (vgl. EuGH GRUR 2004, 428 Rdnr. 63 – Henkel; GRUR 2004, 674 Rdnr. 43 f. – Postkantoor). Sie vermögen nicht einmal eine Indizwirkung zu entfalten (BGH GRUR 2014, 569 Rdnr. 30 – HOT; GRUR 2009, 778 Rdnr. 18 – Willkommen im Leben).

III.

88

1. Das nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichte schriftsätzliche Vorbringen der Widersprechenden war nicht mehr zu berücksichtigen. Nachdem der Senat mit dem im Anschluss an die mündliche Verhandlung verkündeten Beschluss entschieden hat, dass gemäß § 79 Abs 1 Satz 3 MarkenG eine Entscheidung an Verkündung Statt zugestellt werde, hat diese Entscheidung auf der Grundlage der vorangegangenen mündlichen Verhandlung zu ergehen. Nach § 82 Abs. 1 Satz 1 MarkenG i. V. m. § 296a Satz 1 ZPO können nach Schluss der mündlichen Verhandlung, auf die eine gerichtliche Entscheidung ergeht, Angriffs- und Verteidigungsmittel nicht mehr vorgebracht werden.

89

2. Der Inhalt des nachgereichten Schriftsatzes hat auch keine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gemäß § 82 Abs 1 Satz 1 MarkenG i. V. m. §§ 296a Satz 2, 156 ZPO bzw. § 76 Abs. 6 Satz 2 MarkenG erforderlich gemacht. Denn die Widersprechende hat in diesem Schriftsatz keine wesentlichen neuen Umstände vorgetragen, sondern lediglich ihre bereits im Verfahren und in der mündlichen Verhandlung vorgetragene Rechtsauffassung zur Verwechslungsgefahr beider Marken bekräftigt.

IV.

90

Gründe für eine Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen nach § 71 Abs. 1 Satz 1 MarkenG sind nicht gegeben.

V.

91

Die von der Widersprechenden angeregte Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 83 Abs. 2 MarkenG ist nicht veranlasst.

92

Weder war über eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden (§ 83 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG), noch war die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung als erforderlich zu erachten (§ 83 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG).

93

Der Senat hat bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr die vom EuGH und BGH in ständiger Rechtsprechung aufgestellten Maßstäbe angelegt und ist nicht von der langjährigen und ständigen Rechtsprechung des BPatG abgewichen, die das Wort „Edition“ auch in Alleinstellung branchenübergreifend als waren- und dienstleistungsbeschreibend und damit als kennzeichnungsschwach eingestuft hat.