Urteil des BPatG München 6. Senat vom 07.09.2022, AZ 6 Ni 12/22

BPatG München 6. Senat, Urteil vom 07.09.2022, AZ 6 Ni 12/22, ECLI:DE:BPatG:2022:070922U6Ni12.22.0

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das deutsche Patent DE 10 2005 063 659

hat der 6. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 31. Mai 2022 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Schnurr sowie die Richter Dr.-Ing. Baumgart, Dipl.-Phys. Univ. Dr.-Ing. Geier, Dr. Söchtig und Dipl.-Ing. Körtge
für Recht erkannt:

I. Das deutsche Patent 10 2005 063 659 wird dadurch teilweise für nichtig erklärt, dass seine Ansprüche die nachfolgende Fassung erhalten:

1. Bremsanlage, eine Betätigungseinrichtung (30), nämlich ein Bremspedal, einen Pedalwegsensor (38) zur Erfassung eines Pedalwegs des Bremspedals und eine Steuer- und Regeleinrichtung (22) aufweisend, wobei die Steuer- und Regeleinrichtung (22) unter Berücksichtigung des erfassten Pedalwegs eine Antriebsvorrichtung (5c, 6, 7, 7a) mit einem Elektromotor (8) steuert, wobei die elektromotorische Antriebsvorrichtung ein bürstenloser Motor ist, der von Endstufen (21) über drei Strange von einem Microcontroller (22) gesteuert wird, wobei die Antriebsvorrichtung (5c, 6, 7, 7a) einen Kolben (1, 1a) eines Kolben-Zylinder-Systems über eine nicht-hydraulische Getriebevorrichtung verstellt, so dass sich im Arbeitsraum (4′, 4a‘, 4b‘) des Zylinders ein Druck einstellt, wobei der Arbeitsraum (4′, 4a‘, 4b‘) über eine Druckleitung (13) mit einer Radbremse in Verbindung ist, wobei bei Ausfall der Antriebsvorrichtung (5c, 6, 7, 7a) die Betätigungseinrichtung den Kolben (1) verstellt, gekennzeichnet durch: einen Stromsensor (23) zur Messung eines Stroms des Elektromotors, wobei die Steuer- und Regeleinrichtung (22) dazu ausgebildet ist, entsprechend einer Verstärkerkennlinie eine stromproportionale Drucksteuerung vorzunehmen, wobei unter Verwendung des Stromsensors (23) eine Position des Kolbens angefahren wird, die einem bestimmten Druck entspricht,

wobei für die stromproportionale Drucksteuerung bei Inbetriebnahme ein Kennfeld angelegt wird, das verschiedenen Stromstärken Positionen des Kolbens zugeordnet, wobei ein weiteres Sensorsignal (24) verwandt wird, um die Position eines Rotors der Antriebsvorrichtung (5c, 6, 7, 7a) zu bestimmen, und wobei die Steuer- und Regeleinrichtung (22) bei nicht übereinstimmender Position des Kolbens (1) und Motormoment das Kennfeld adaptiert.

2. Bremsanlage nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die Steuer- und Regeleinrichtung (22) dazu ausgebildet ist, die Strom- und Positionsmessung neben der Motorsteuerung zur indirekten Druckmessung nutzt.

3. Bremsanlage nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass das Kennfeld unter Verwendung eines Ausgangskennfelds erstellt wird, wobei das Ausgangskennfeld aus einer Druck-Volumen-Kennlinie der Radbremse, einem Motorkennwert, Getriebewirkungsgrad und Fahrzeugverzögerung gebildet ist.

4. Bremsanlage nach einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet die Steuer- und Regeleinrichtung (22) die Druckänderungsgeschwindigkeit über die Geschwindigkeit des Kolbens (1) unter Berücksichtigung der Druck-Volumen Kennlinie der Radbremse einregelt.

5. Bremsanlage nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass eine Sensoreinrichtung die Stellung der Betätigungseinrichtung (30) ermittelt.

6. Bremsanlage nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass eine Einrichtung zur Vorgabe oder Einstellung einer Kraft/Weg-Charakteristik der Betätigungseinrichtung (30) mit dieser in Wirkverbindung ist.

7. Bremsanlage nach einem der Ansprüche 1 bis 5, dadurch gekennzeichnet, dass in der Druckleitung (13) zur Radbremse (15, 17) mindestens ein von der Steuer- und Regeleinrichtung (22) gesteuertes Ventil (14, 16) angeordnet ist.

8. Bremsanlage nach Anspruch 7, dadurch gekennzeichnet, dass das Ventil (14, 16) nach Erreichen des erforderlichen Bremsdrucks im Bremszylinder (15, 17) schließt und zur Einstellung eines neuen Bremsdrucks geöffnet ist.

9. Bremsanlage nach einem der Ansprüche 7 oder 8 insbesondere nach Anspruch 10, dadurch gekennzeichnet, dass das Ventil (14, 16) einen derart großen Öffnungsquerschnitt hat, dass es eine kleine Drosselwirkung besitzt.

10. Bremsanlage nach einem der Ansprüche 1 bis 9, dadurch gekennzeichnet, dass der Kolben (1) die erforderliche Druckänderung für die Bremskraftverstärkung (BKV) und das Antiblockiersystem (ABS) erzeugt.

11. Bremsanlage nach einem der Ansprüche 1 bis 10, dadurch gekennzeichnet, dass eine Feder (9) den Kolben (1) oder die Antriebsvorrichtung kraftbeaufschlagt, wobei die Federkraft in die Richtung wirkt, das der Arbeitsraum vergrößert wird.

12. Bremsanlage nach einem der Ansprüche 1 bis 11, dadurch gekennzeichnet, dass der Elektromotor (8) eine kleine Zeitkonstante und/oder ein großes Beschleunigungsvermögen aufweist.

13. Bremsanlage nach Anspruch 12, dadurch gekennzeichnet, dass der Elektromotor (8) bei geschlossenem Ventil (14, 16) mit einem Erregerstrom bestromt wird, der dazu ausreicht, den Kolben (1) gegen die Federkraft in Position zu halten.

14. Bremsanlage nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass bei der Erzeugung der Bremskraftverstärkung die Betätigungsvorrichtung nicht oder nicht in direkter mechanischer Verbindung mit dem Kolben oder der Antriebseinrichtung ist, und lediglich bei Ausfall der Antriebsvorrichtung oder bei Aktivierung des ABS der Kolben in mechanischer Verbindung mit der Betätigungsvorrichtung ist.

15. Bremsanlage nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Steuerung in Abhängigkeit der Bewegung und/oder Kraftbeaufschlagung des Bremspedals und/oder des Fahrzustandes und/oder Bremswirkung einer elektrischen Maschine eine entsprechende Bremskraftverstärkung einregelt.

16. Bremsanlage nach einem der vorhergehenden Ansprüche 1 bis 15, dadurch gekennzeichnet, dass ein Drucksensor zur Ermittlung des Bremsdrucks im Arbeitsraum des Zylinders vorgesehen ist.

17. Bremsanlage nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Steuer- und Regeleinrichtung (22) einen Speicher hat, in dem ein/das Kennfeld mit verschiedenen Parametern zur Steuerung des Antriebs gespeichert ist.

18. Bremsanlage nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Steuer- und Regeleinrichtung (22) unter Verwendung eines Inkrementalgebers des Elektromotors die Kolbenposition ermittelt.

19. Bremsanlage nach einem der Ansprüche 1 bis 18, dadurch gekennzeichnet, dass der Kolben mittels Spindelantrieb angetrieben ist.

II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

III. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 1/3 und die Beklagte 2/3 zu tragen.

IV. Das Urteil ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Beklagte ist Inhaberin des deutschen Patents 10 2005 063 659 (im Folgenden: „Streitpatent“) mit der Bezeichnung „Bremssystem mit elektromotorisch angetriebenem Kolben-Zylinder-System“, das am 21. April 2005 angemeldet und am 27. Juni 2019 veröffentlicht worden ist. Das Streitpatent, das im Wege der Teilung aus der deutschen Patentanmeldung DE 10 2005 018 649.1 (Stammanmeldung, Offenlegungsschrift vorgelegt als Anlage BP3) hervorgegangen ist, nimmt keine Priorität in Anspruch.

2

Die Parteien des Rechtsstreits sind durch einen Patent- und Know-How-Lizenzvertrag vom 12. September 2011 verbunden (zur Akte gereicht als Anlage MB1, Anhang B). Ziffer 12.3 des Lizenzvertrages enthält folgende Schiedsabrede:

3

„12.3 Alle Streitigkeiten, die sich im Zusammenhang mit diesem Vertrag oder über seine Gültigkeit ergeben, werden nach der Schiedsgerichtsordnung der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e. V. (DIS) unter Ausschluss des ordentlichen Rechtsweges endgültig entschieden. Das Schiedsgericht kann auch über die Gültigkeit dieses Schiedsvertrages bindend entscheiden.

4

Der Vorsitzende des Schiedsgerichts muss die Befähigung zum Richteramt haben.

5

Es findet das deutsche Recht unter Ausschluss des Kollisionsrechts Anwendung. Vorschriften, die sich aus internationalen Vereinbarungen über den internationalen Kauf beweglicher Sachen ergeben, sind nicht anwendbar. Das Schiedsverfahren findet in deutscher Sprache statt.

6

Erfüllungsort und ausschließlicher Schiedsort ist S….“

7

Ansprüche aus diesem Lizenzvertrag waren Gegenstand eines zwischen den Parteien bei der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS) geführten, inzwischen beendeten Schiedsverfahrens (Az.… ), im Rahmen dessen das Schiedsgericht zwei Teilschiedssprüche vom 19. August 2021 und vom 29. Dezember 2021 sowie eine Endentscheidung vom 14. Januar 2022 i. V. m. einer diese berichtigenden Entscheidung vom 25. März 2022 erlassen hat. Zum Inhalt dieser Entscheidungen und zum Wortlaut der im Schiedsverfahren gestellten Anträge der Parteien wird auf die in der mündlichen Verhandlung vom 31. Mai 2022 zur Akte gereichten Originale dieser Entscheidungen Bezug genommen.

8

Das Streitpatent wird von der Klägerin vollumfänglich angegriffen und umfasst insgesamt 22 Patentansprüche mit dem unabhängigen Patentanspruch 1 sowie den auf diesen unmittelbar oder mittelbar rückbezogenen Unteransprüchen 2 bis 22.

9

Die Klägerin macht die Nichtigkeitsgründe der unzulässigen Erweiterung sowie der fehlenden Patentfähigkeit in Form mangelnder Neuheit und fehlender erfinderischer Tätigkeit geltend (§§ 22 Abs. 1, 21 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 4 PatG).

10

Der unabhängige Patentanspruch 1 lautet in seiner erteilten Fassung mit eingefügter Merkmalsgliederung des Senats wie folgt:

11

  • 1.1
  • Bremsanlage,
  • 1.1.1
  • eine Betätigungseinrichtung (30), nämlich ein Bremspedal,
  • 1.1.2
  • einen Pedalwegsensor (38) zur Erfassung eines Pedalwegs des Bremspedals und
  • 1.1.3
  • eine Steuer- und Regeleinrichtung (22) aufweisend,
  • 1.2
  • wobei die Steuer- und Regeleinrichtung (22) unter Berücksichtigung des erfassten Pedalwegs eine Antriebsvorrichtung (5c, 6, 7, 7a) mit einem Elektromotor (8) steuert,
  • 1.3
  • wobei die Antriebsvorrichtung (5c, 6, 7, 7a) einen Kolben (1, 1a) eines Kolben-Zylinder-Systems über eine nicht-hydraulische Getriebevorrichtung verstellt, so dass sich im Arbeitsraum (4′, 4a‘, 4b‘) des Zylinders ein Druck einstellt,
  • 1.4
  • wobei der Arbeitsraum (4′, 4a‘, 4b‘) über eine Druckleitung (13) mit einer Radbremse in Verbindung ist,
  • 1.5
  • wobei bei Ausfall der Antriebsvorrichtung (5c, 6, 7, 7a) die Betätigungseinrichtung den Kolben (1) verstellt,
  • gekennzeichnet durch:
  • 1.6
  • einen Stromsensor (23) zur Messung eines Stroms des Elektromotors,
  • 1.7
  • wobei die Steuer- und Regeleinrichtung (22) dazu ausgebildet ist, entsprechend einer Verstärkerkennlinie eine stromproportionale Drucksteuerung vorzunehmen,
  • 1.8
  • wobei unter Verwendung des Stromsensors (23) eine Position des Kolbens angefahren wird, die einem bestimmten Druck entspricht.

12

Wegen des Wortlauts der Unteransprüche 2 bis 22 wird auf die Streitpatentschrift DE 10 2005 063 659 B3 Bezug genommen.

13

Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Merkmale 1.6, 1.7 und 1.8 des Patentanspruchs 1 nicht unmittelbar und eindeutig offenbart seien. So sei in der Stammanmeldung kein Stromsensor im Sinne des Merkmals 1.6, sondern lediglich ein „Shunt 23“, also ein Messwiderstand offenbart, der den Strom messe. Merkmal 1.7 enthalte eine unzulässige Erweiterung, da das in der Beschreibung der Stammanmeldung (vgl. DE 10 2005 018 649 A1, Anlage BP3, Abs. [0062]) erwähnte Kennfeld mit als temperaturabhängig beschriebenen Kennlinien zu einer einzigen Kennlinie verallgemeinert worden sei, die nicht zwingend die Temperaturabhängigkeit berücksichtige. Die in Merkmal 1.8 beschriebene Strommessung ersetze lediglich eine direkte Druckmessung, werde aber nicht zum Anfahren einer bestimmten Position des Kolbens verwendet. Hierzu komme vielmehr ein separater Sensor (Sensorsignal 24) für die Position des Rotors zum Einsatz (vgl. Anlage BP3, Abs. [0029]).

14

Die Klägerin beruft sich auf folgende Druckschriften:

15

  • BP1
  • DE 10 2005 063 659 B3 (Streitpatentschrift);
  • BP2
  • Unterlagen zur Teilanmeldung zum Streitpatent vom 24. Mai 2017;
  • BP3
  • DE 10 2005 018 649 A1 (Offenlegungsschrift zur Stammanmeldung zum Streitpatent);
  • BP4
  • Registerauszug des Deutschen Patent- und Markenamts zum Aktenzeichen 10 2005 063 659.4 vom 15. Dezember 2020;
  • BP5
  • Merkmalsgliederung der Klägerin zum Patentanspruch 1 des Streitpatents;
  • BP6
  • Teilschiedsspruch des DIS Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e. V. vom 29. Dezember 2021(Az.…, geschwärzte Fassung);
  • BP7
  • vgl. Anlage BP6, Schwärzungen verändert;
  • NK1
  • DE 195 15 842 A1, veröffentlicht am 31. Oktober 1996;
  • NK2
  • DE 199 39 950 A1, veröffentlicht am 31. Mai 2000;
  • NK3
  • US 4,812,723, veröffentlicht am 14. März 1989;
  • NK4
  • WO 2004/005095 A1, veröffentlicht am 15. Januar 2004;
  • NK5
  • DE 195 00 544 A1, veröffentlicht am 18. Juli 1996;
  • NK6
  • DE 44 45 975 A1, veröffentlicht am 27. Juni 1996;
  • NK7
  • DE 103 18 401 A1, veröffentlicht am 11. Dezember 2003;
  • NK8
  • DE 35 02 165 A1, veröffentlicht am 1. August 1985;
  • NK9
  • US 6,634,724 B2, veröffentlicht am 21. Oktober 2003;
  • NK10
  • Auszug aus der Online-Enzyklopädie „Wikipedia“ zum Stichwort “Servomotor“, zuletzt geändert am 7. Oktober 2020, abgerufen am 14. Dezember 2020;
  • NK11
  • DE 103 27 553 A1, veröffentlicht am 13. Januar 2005;
  • NK12
  • DE 698 24 409 T2, veröffentlicht am 9. Juni 2004;
  • NK13
  • DE 43 24 041 A1, veröffentlicht am 19. Januar 1995;
  • NK14
  • DE 33 01 042 A1, veröffentlicht am 19. Juli 1984;
  • NK15
  • DE 34 45 566 C2, veröffentlicht am 22. Mai 1997.
  • NK16
  • Teilschiedsspruch des DIS Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e. V. vom 19. August 2021(Az.…, geschwärzte Fassung, Seite 47 und 48, vgl. Anlage BP6;
  • NK17
  • Teilschiedsspruch des DIS Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e. V. vom 29. Dezember 2021(Az.…, geschwärzte Fassung, Teil B, vgl. Anlage BP6).

16

Die Klägerin ist der Auffassung, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 durch die Entgegenhaltung NK9 neuheitsschädlich vorweggenommen werde. Darüber hinaus beruhe dieser nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit ausgehend jeweils von einer der Druckschriften NK9, NK1 bzw. NK6 in Verbindung mit dem Fachwissen des Fachmanns sowie ausgehend von einer Kombination der Druckschriften NK1 mit der NK2 bzw. der Druckschriften NK3 und NK1. Auch die Unteransprüche enthielten nichts Patentfähiges.

17

Die Klägerin beantragt,

18

das deutsche Patent 10 2005 063 659 in vollem Umfang für nichtig zu erklären.

19

Die Beklagte beantragt,

20

die Klage abzuweisen, hilfsweise

21

die Klage abzuweisen, soweit sie sich gegen das Streitpatent in einer seiner Fassungen gemäß den Hilfsanträgen HA1A, HA1B, HA2A, HA2B, HA3A, HA3B, HA4, HA4B, HA5, HA6, HA6B, HA7, HA8 vom 20. Mai 2022 – in dieser Reihenfolge – richtet,

22

dies mit den Fassungen der Hilfsanträge HA1A, HA2A, HA3A und HA4, HA5, HA7 und HA8 in der Fassung gemäß Schriftsatz vom 4. April 2022 und mit den Fassungen der Hilfsanträge HA1B, HA2B, HA3B, HA4B und HA6B vom 20. Mai 2022.

23

Patentanspruch 1 in der Fassung nach
Hilfsantrag HA1A weist neben den Merkmalen des Anspruchs 1 der erteilten Fassung die nachfolgenden weiteren Merkmale auf:

24

– Eingefügt nach Merkmal 1.2:

25

  • 1.2.1
    H1A
  • „wobei die elektromotorische Antriebsvorrichtung ein bürstenloser Motor ist, der von Endstufen (21) über drei Stränge von einem Microcontroller (22) gesteuert wird,“.

26

– Eingefügt nach Merkmal 1.8:

27

  • 1.9
    H1A
  • „wobei der Kolben (1) die erforderliche Druckänderung für die Bremskraftverstärkung (BKV) und das Antiblockiersystem (ABS) erzeugt,“.

28

Zum Wortlaut der auf den Patentanspruch 1 mittelbar oder unmittelbar rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 21 des Hilfsantrags HA1A wird auf die Verfahrensakte Bezug genommen.

29

Patentanspruch 1 in der Fassung nach
Hilfsantrag HA1B entspricht seiner Fassung nach Hilfsantrag 1A mit dem Unterschied, dass das Merkmal 1.9
H1A gestrichen und durch folgendes Merkmal 1.9
H1B ersetzt wurde:

30

1.9
H1B „wobei das Kolben-Zylinder-System eingerichtet ist, gleichsam einen Bremsdruckaufbau und Bremsdruckabbau zur Realisierung einer ABS-Regelung zu erzeugen.“.

31

Die Patentansprüche 2 bis 22 in der Fassung nach Hilfsantrag HA1B entsprechen ihrer erteilten Fassung.

32

Patentanspruch 1 in der Fassung nach
Hilfsantrag HA2A weist Merkmal 1.9
H1A des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag HA1A unter Hinzufügung der nachfolgenden Merkmale auf:

33

– Eingefügt nach Merkmal 1.2:

34

  • 1.2.2
    H2A
  • „wobei die elektronische Antriebsvorrichtung ein bürstenloser Motor mit einer kleinen Zeitkonstante und/oder einem großen Beschleunigungsvermögen ist, der von Endstufen (21) über drei Stränge von einem Microcontroller (22) gesteuert wird,“.

35

– Eingefügt nach Merkmal 1.9
H1A:

36

  • 1.10
    H2A
  • „und wobei der Arbeitsraum (4) über zwei oder mehr Druckleitungen (13) mit mehreren Bremszylindern (15, 17) in Verbindung ist, wobei jeweils ein Ventil (14, 16) in jeder Druckleitung (13) angeordnet ist.“.

37

Zum Wortlaut der auf den Patentanspruch 1 mittelbar oder unmittelbar rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 20 des Hilfsantrags HA2A wird auf die Verfahrensakte Bezug genommen.

38

Patentanspruch 1 nach
Hilfsantrag HA2B weist die Merkmale des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag HA2A unter Streichung des Merkmals 1.9
H1A und Hinzufügung des Merkmals 1.9
H1B auf. Zum Wortlaut der auf den Patentanspruch 1 mittelbar oder unmittelbar rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 21 des Hilfsantrags HA2B wird auf die Verfahrensakte Bezug genommen.

39

Patentanspruch 1 nach
Hilfsantrag HA3A weist die Merkmale des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag HA2A unter Hinzufügung der nachfolgenden Merkmale auf:

40

– Eingefügt nach Merkmal 1.8 in dieser Reihenfolge vor Merkmal 1.9
H1A:

41

  • 1.8.1
    H3A
  • „und wobei ein weiteres Sensorsignal (24) verwandt wird,“,
  • 1.8.1a
    H3A
  • „um die Position des Rotors der Antriebsvorrichtung (5c, 6, 7, 7a) zu bestimmen“,
  • 1.8.1b
    H3A
  • „und über einen Zähler die Position des Kolbens anzugeben,“.

42

Zum Wortlaut der auf den Patentanspruch 1 mittelbar oder unmittelbar rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 19 des Hilfsantrags HA3A wird auf die Verfahrensakte Bezug genommen.

43

Patentanspruch 1 nach
Hilfsantrag HA3B weist die Merkmale des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 3A unter Streichung des Merkmals 1.9
HA1 und Hinzufügung des Merkmals 1.9
H1B auf. Zum Wortlaut der auf den Patentanspruch 1 mittelbar oder unmittelbar rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 20 des Hilfsantrags HA3B wird auf die Verfahrensakte Bezug genommen.

44

Patentanspruch 1 nach
Hilfsantrag HA4 weist über die im erteilten Anspruch aufgeführten Merkmale hinaus das Merkmal 1.9
H1A des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag HA1A, das Merkmal 1.2.2
H2A des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag HA2A und die Merkmale 1.8.1
H3A, 1.8.1a
H3A und 1.8.1b
H3A nach Hilfsantrag HA3A auf. Zusätzlich ist nachfolgendes Merkmal 1.10
HA4 – in dieser Reihenfolge – eingefügt nach Merkmal 1.8 sowie vor den Merkmalen 1.8.1
H3A,1.8.1b
H3A, 1.8.1b
H3A und 1.9
H1A:

45

1.10
HA4 „wobei das Kolben-Zylinder-System einen ersten und einen zweiten Kolben (1a, 1b) aufweist, welche in einem Zylinder axial verschieblich angeordnet sind, wobei der erste Kolben (1a) mechanisch mit der elektromagnetischen Antriebsvorrichtung (7a, 6, 5c) und der zweite Kolben (1b) hydraulisch mit dem ersten Kolben (1a) gekoppelt ist, wobei die beiden Kolben (1a, 1b) zwischen sich einen Arbeitsraum (4a) bilden, der über mindestens eine Druckleitung (13a) mit mindestens einem Bremszylinder verbunden ist, und der zweite Kolben (1b) mit dem Zylinder einen zweiten Arbeitsraum (4b) bildet, der über mindestens eine weitere Druckleitung (13) mit mindestens einem weiteren Bremszylinder verbunden ist,“.

46

Zum Wortlaut der auf den Patentanspruch 1 mittelbar oder unmittelbar rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 21 des Hilfsantrags HA4 wird auf die Verfahrensakte Bezug genommen.

47

Patentanspruch 1 nach
Hilfsantrag HA4B weist die Merkmale des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag HA4 unter Streichung des Merkmals 1.9
HA1 und Hinzufügung des Merkmals 1.9
H1B auf. Zum Wortlaut der auf den Patentanspruch 1 mittelbar oder unmittelbar rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 21 des Hilfsantrags HA4B wird auf die Verfahrensakte Bezug genommen.

48

Der Anspruchssatz gemäß Hilfsantrag HA5 entspricht der tenorierten Fassung.

49

Zum Wortlaut der Anspruchssätze nach den Fassungen der
Hilfsanträge HA6, HA6B, HA7 und HA8 wird auf die Verfahrensakte Bezug genommen.

50

Die Beklagte rügt die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts, erhebt die Einrede der Schiedsbefangenheit (§ 1032 ZPO) und beruft sich einredeweise darauf, dass einer Entscheidung des Senats über die Nichtigerklärung des Streitpatents nach Beendigung des zwischen den Parteien geführten Schiedsverfahrens die Rechtskraft der Teilschiedssprüche vom 19. August und 29. Dezember 2021 (Az. DIS-SV-2020-00417) entgegenstehe (§ 1055 ZPO). Da die Zurückweisung einer negativen Feststellungsklage als unbegründet im Umkehrschluss bedeute, dass das kontradiktorische Gegenteil positiv feststehe, stehe aufgrund des Teilschiedsspruchs vom 19. August 2021 rechtskräftig fest, dass das Schiedsgericht befugt sei auszusprechen, dass die Schiedsklägerin verpflichtet sei, die Löschung der Vertragsschutzrechte nach §§ 22, 81 PatG zu beantragen. Durch die Zurückweisung des Zwischenfeststellungswiderklageantrags 1b der Schiedsbeklagten vom 16. August 2021stehe aufgrund des Teilschiedsspruchs vom 19. August 2021 rechtskräftig fest, dass für die Beurteilung des Rechtsbestandes der Vertragsschutzrechte anstelle des erkennenden Senats das Schiedsgericht zuständig sei.

51

Dem die Nichtigkeitsklage stützenden Vorbringen der Klägerin tritt die Beklagte in allen Punkten entgegen und verteidigt das Streitpatent in der erteilten Fassung sowie mit insgesamt dreizehn Hilfsanträgen. Zumindest in einer dieser Fassungen erweise sich das Streitpatent als patentfähig.

52

Die Beklagte stützt ihren Vortrag auf folgende Unterlagen:

53

  • MB1
  • Lizenzvertrag vom 12. September 2011
  • NB1
  • Merkmalsgliederung der Beklagten;
  • NB4
  • Auszug aus dem im Schiedsverfahren eingereichten Schriftsatz der Nichtigkeitsklägerin vom 17. Dezember 2020;
  • NB5
  • Auszug aus dem im Schiedsverfahren eingereichten Schriftsatz der Nichtigkeitsklägerin vom 17. September 2021;
  • NB6
  • Auszüge aus dem Endschiedsspruch des DIS Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e. V. vom 14. Januar 2022 mit korrigierter Fassung vom 25. März 2022(Az. …);
  • NB7
  • vgl. Anlagen BP6, BP7, Schwärzungen verändert;
  • NB8
  • Teilschiedsspruch des DIS Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e. V. vom 19. August 2021(Az.…, geschwärzte Fassung);
  • NB9
  • Auszug aus: Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl. 2022, § 1032 Rdnr. 8 und § 1040 Rdnr. 13;
  • NB10
  • OLG München, Beschluss des vom 27. Februar 2020 – 34 Sch 15/17;
  • NB11
  • Endschiedsspruch des DIS Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e. V. vom 14. Januar 2022(Az. …, geschwärzte Fassung);
  • NB12
  • Auszug aus der DIS-Schiedsordnung 2018, S. 28-29.

54

Die Klägerin hält ihre Klage für zulässig und erachtet die Schiedseinrede, die Einrede entgegenstehender Rechtskraft und sämtliche Hilfsanträge der Beklagten als unzulässig. Die Beklagte verhalte sich widersprüchlich, da sie im Schiedsverfahren eine Entscheidungsbefugnis des Schiedsgerichts über den Bestand der dortigen Vertragsschutzrechte in Abrede gestellt habe. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 sei in der jeweiligen Fassung sämtlicher Hilfsanträge unzulässig erweitert und nicht ausführbar. Darüber hinaus beruhe er jeweils nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

55

Hinsichtlich der Hilfsanträge vom 20. Mai 2022 (HA1B, HA2B, HA3B HA4B und HA6B) hat die Klägerin die Verspätungsrüge erhoben.

56

Nach einem Wechsel der Verfahrenszuständigkeit hat der Senat mit Verfügung vom 25. Januar 2022 zur Frage der Zulässigkeit der Klage Stellung genommen und nachfolgend die zunächst am 8. Dezember 2021 beschlossene Anordnung einer abgesonderten Verhandlung über diese Frage mit Beschluss vom 7. Februar 2022 aufgehoben. Am 3. Februar 2022 hat er den Parteien einen frühen gerichtlichen Hinweis gemäß § 83 Abs. 1 PatG zukommen lassen und diesen mit Hinweis vom 2. März 2022 ergänzt. In der mündlichen Verhandlung vom 31. Mai 2022 hat der Senat den Parteien einen weiteren rechtlichen Hinweis erteilt.

57

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 31. Mai 2022, auf die in der Verhandlung zur Akte gereichten Originale der Schiedssprüche und auf die weitere Verfahrensakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

58

Die Klage ist zulässig und teilweise begründet. Das Streitpatent erweist sich weder in seiner erteilten Fassung, noch in der Fassung einer der Hilfsanträge HA1A, HA1B, HA2A, HA2B, HA3A, HA3B, HA4, HA4B, jedoch in der aus dem Tenor ersichtlichen – zulässigen – Fassung des Hilfsantrags HA5 vom 4. April 2022 als rechtsbeständig. Insoweit stehen ihm die geltend gemachten Nichtigkeitsgründe nicht entgegen (§§ 22 Abs. 1, 21 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 4 PatG). Die Klage war insoweit teilweise abzuweisen.

I.

59

Die Klage ist zulässig.

60

1. Der Zulässigkeit der Klage steht nicht die – vor Beginn der mündlichen Verhandlung rechtzeitig erhobene – Einrede der Schiedsvereinbarung, § 1032 Abs. 1 ZPO, entgegen. Unabhängig davon, ob die §§ 1025 ff. ZPO überhaupt zu denjenigen Vorschriften der Zivilprozessordnung gehören, die im Patentnichtigkeitsverfahren über die Verweisung des § 99 Abs. 1 PatG Anwendung finden (verneinend: Busse/Keukenschrijver, PatG, 9. Auflage, § 99 Rdnr. 15) und diese Einrede im Patentnichtigkeitsverfahren statthaft ist, vermag sich die Beklagte auf sie nicht mit Erfolg zu berufen.

61

a. Dem Schiedsvertrag ist keine Regelung zu entnehmen, die einem Schiedsgericht die Befugnis einräumen würde, die Beklagte zur Beseitigung nicht rechtsbeständiger Schutzrechte zu verpflichten.

62

b. In dem Schiedsverfahren mit dem Aktenzeichen …, auf welches die Beklagte zur Geltendmachung ihrer Einrede Bezug nimmt, ist am 14. Januar 2022 zudem ein Endschiedsspruch ergangen. Nachdem das Schiedsgericht seine Tätigkeit beendet und die in diesem Verfahren in Bezug genommene, in Ziffer 12.3 des Lizenzvertrages vom 12. September 2021 enthaltene Schiedsabrede damit voll ausgeschöpft hat, ist die Einrede der Schiedsvereinbarung jedenfalls entfallen (vgl. BGH, Urteil vom 13. Januar 2009 – XI ZR 66/08, NJW-RR 2009, 790 ff. Rdnr. 33 unter Verweis auf OLG Karlsruhe WM 2008, 1854, 1856, Rdnr. 26; MüKo/Münch, ZPO, 6. Auflage, § 1032 Rdnr. 23 m. w. N.).

63

Auf den Seiten 6 und 10 des Endschiedsspruchs ist ausgeführt, dass der Teilschiedsspruch vom 19. August 2022 den Parteien am 20. August 2021, der Teilschiedsspruch vom 29. Dezember 2022 den Parteien am 10. Januar 2022 zugestellt wurde, dies jeweils unter Setzung einer Frist zur Stellung etwaiger Berichtigungs-, Ergänzungs- und Auslegungsanträge im Sinne des Art. 40.1 und 40.2 DIS-SchO, wobei Anträge dieser Art nicht gestellt wurden. Wie auf Seite 10 des Endschiedsspruchs vermerkt ist, wurde die Schlussverfügung des Schiedsgerichts gem. Artikel 31 DIS-SchO den Parteien am 13. Januar 2022 übermittelt. Das Schiedsverfahren hat daher mit dem – am 25. März 2022 auf Antrag im Kostenpunkt berichtigten – Endschiedsspruch im Sinne des § 1056 Abs. 1 ZPO vom 14. Januar 2022 sein Ende gefunden. Die Monatsfrist des Art. 40.3 DIS-SchO ist anschließend verstrichen, ohne dass ein gem. Art. 40.2 DIS-SchO auf Auslegung des Schiedsspruchs oder Präzisierung des Tenors gerichteter Antrag gestellt worden wäre. An die Stelle einer Schiedseinrede ist somit, – ihre vorab zu prüfende Zulässigkeit im Patentnichtigkeitsverfahren zugunsten der Beklagten einmal vorausgesetzt -, ggf. der von der Beklagten ebenfalls geltend gemachte Einwand entgegenstehender Rechtskraft gemäß § 1055 ZPO getreten (vgl. hierzu MüKo/Münch, a. a. O., § 1032 Rdnr. 23 m. w. N. in FN 119).

64

2. Die von der Beklagten erhobene Einrede entgegenstehender Rechtskraft des Teilschiedsspruchs vom 19. August 2021 (Aktenzeichen … ) gemäß § 1055 ZPO steht der Zulässigkeit der Patentnichtigkeitsklage ebenfalls nicht entgegen.

65

Auch an dieser Stelle bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob die §§ 1025 ff. ZPO im Patentnichtigkeitsverfahren über die Verweisung des § 99 Abs. 1 PatG überhaupt Anwendung finden (vgl. dazu oben Ziffer 1), ob die Nichtigerklärung eines Patents oder die schiedsgerichtliche Entscheidung, die Patentinhaberin zu verpflichten, gegenüber dem Deutschen Patent- und Markenamt den Verzicht auf ein Patent zu erklären, wirksam Gegenstand einer Schiedsvereinbarung zwischen den Parteien sein können (vgl. hierzu näher Busse/Keukenschrijver/Kaess, PatG, 9. Auflage, Vor § 143, Rdnr. 21 m. w. N; Zöller/Greger, ZPO, 34. Auflage, § 1030, Rdnr. 14 ff. m. w. N.; Anders/Gehle, ZPO, 80. Auflage, § 1030 Rdnr. 6 Stichwort „Patentsachen“ m. w. N; Musielak/Voit, ZPO, § 1030 Rdnr. 3 m. w. N; Müko/Münch, a. a. O., § 1030 Rdnr. 34, § 1025 Rdnr. 9, § 1029 Rdnr. 93-99). Inwieweit ein auf eine dieser Rechtsfolgen gerichteter Schiedsspruch gemäß § 1055 ZPO in materielle Rechtskraft erwachsen würde und welche Auswirkungen dies ggf. nach Erhebung der Einrede der Rechtskraft gem. § 1055 ZPO auf die Zulässigkeit dieser Patentnichtigkeitsklage hätte, ist in diesem Verfahren ebenfalls nicht entscheidungserheblich.

66

Nämliches gilt für die Frage, ob die hier erhobene Einrede wegen eines möglicherweise widersprüchlichen Verhaltens der Beklagten unbeachtlich sein könnte, nachdem die Beklagte im Schiedsverfahren die Entscheidungsbefugnis des Schiedsgerichts über den Rechtsbestand der dortigen Vertragsschutzrechte verneint, diese in vorliegendem Verfahren hingegen bejaht hat (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 20. April 2021 – II ZR 29/19, NJW-RR 2021, 791 – Schiedseinrede und widersprüchliches Verfahrensverhalten).

67

Denn eine Sperrwirkung im Sinne eines Wiederholungsverbots vermag der Teilschiedsspruch vom 19. August 2021, die materielle Rechtskraft seines Tenors (vgl. hierzu näher MüKo/Münch, a. a. O., § 1055 Rdnr. 16) einmal vorausgesetzt, in diesem Patentnichtigkeitsverfahren schon deshalb nicht zu entfalten, weil die Streitgegenstände jenes Teilschiedsspruchs und dieser Patentnichtigkeitsklage nicht identisch sind:

68

Die materielle Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung verbietet eine erneute Verhandlung über denselben Streitgegenstand. Unzulässig ist deshalb eine erneute Klage, deren Streitgegenstand mit dem eines rechtskräftig entschiedenen Rechtsstreits identisch ist (vgl. näher Zöller/Vollkommer, ZPO 34. Aufl., Vor § 322 Rdnr. 17, 22; m. w. N.). Auch der Teilschiedsspruch vom 19. August 2021 hat zwischen den Parteien grundsätzlich die Wirkung eines rechtskräftigen gerichtlichen Urteils (§§ 1055, 322 Abs. 1 ZPO). Ziffer 2 seines Tenors hat jedoch einen anderen Streitgegenstand als diese Patentnichtigkeitsklage.

69

In Ziffer 2 des Tenors (vgl. Teilschiedsspruch vom 19. August 2021, Seite 1) hat das Schiedsgericht den Antrag der hiesigen Nichtigkeitsbeklagten und dortigen Schiedsklägerin vom 4. Januar 2021 (vgl. Teilschiedsspruch, Seite 19) zurückgewiesen.

70

Dieser Antrag war darauf gerichtet,

71

„im Wege der Zwischenfeststellungswiderklage festzustellen, dass das Schiedsgericht nicht befugt ist, auszusprechen, dass die Schiedsklägerin verpflichtet ist, die Löschung der Vertragsschutzrechte nach §§ 22, 81 PatG zu beantragen“.

72

Analog § 133 BGB hat der Senat den Tenor „aus sich selbst heraus“, unter Heranziehung der Entscheidungsgründe auszulegen, nachdem die Monatsfrist für eine Interpretation beim Schiedsgericht, § 1058 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, nicht mehr offensteht. Diese Auslegung ergibt, dass das Schiedsgericht in seinem ersten Teilschiedsspruch über eine Verfahrensfrage grundsätzlicher Art, aber nicht über den Rechtsbestand des Streitpatents entschieden hat. Ziffer 2 des Tenors betrifft die abstrakte Frage, ob der Inhaber eines Vertragsschutzrechts, die dortige Schiedsklägerin, im Rahmen des anhängigen Schiedsverfahrens grundsätzlich verpflichtet werden kann, auf seine vertraglichen Schutzrechte zu verzichten – mithin, ob eine Verpflichtung zum Widerruf von Schutzrechten grundsätzlich schiedsfähig ist. Diese Frage hat das Schiedsgericht im Ergebnis bejaht.

73

So heißt es unter Ziffer B.2 der Entscheidung vom 19. August 2021 (Seite 47) zur Frage der Zulässigkeit des Feststellungsantrags: „Insbesondere hat die Schiedswiderbeklagte ein rechtliches Interesse an der vorab zu treffenden Feststellung, ob der den Streitstoff erheblich ausweitende Antrag auf Löschung der Vertragsschutzrechte
überhaupt schiedsfähig ist“. Entsprechend führt das Schiedsgericht nachfolgend unter Ziffer B.3 zur Begründetheit des Antrags aus (Seite 47): „Die Zwischenfeststellungswiderklage ist unbegründet, denn der Schiedswiderklageantrag IV. in seiner in der Verfahrenskonferenz erläuterten Bedeutung
ist schiedsfähig“ (Unterstreichungen jeweils durch den Senat).

74

Dies korrespondiert mit den Ausführungen des Schiedsgerichts in seinem weiteren Teilschiedsspruch vom 29. Dezember 2021 zum gleichen Verfahren. Hier heißt es zur Frage der Schiedsfähigkeit einer Vereinbarung betreffend die Verpflichtung zum Widerruf von Schutzrechten (Seite 14): „Zwar wäre eine solche Regelung grundsätzlich schiedsfähig, wie in Ziff. B.3. des Teilschiedsspruchs vom 19.8.2021, S. 47/48, im Einzelnen ausgeführt ist.“ Das Schiedsgericht verweist hier zur Frage der grundsätzlichen Schiedsfähigkeit einer entsprechenden Schiedsklausel auf seine Ausführungen zur Unbegründetheit des Zwischenfeststellungswiderklageantrags in seiner Entscheidung vom 19. August 2021.

75

Die Parteien verbindet damit zwar der als Anlage M1 vorgelegte Lizenzvertrag vom 12. September 2011, welcher in Ziffer 12.3 die oben zitierte Schiedsklausel enthält. Auch zählt das Streitpatent zu den im Lizenzvertrag benannten Vertragsschutzrechten, vgl. Anlage M1, Anhang B, Patentfamilie 2, „E87“, Teilanmeldung zur Stammanmeldung DE 10 2005 018 649.

76

Da sich der Streitgegenstand des Tenors Ziffer 2 des Teilschiedsspruchs vom 19. August 2021, die abstrakte Frage der generellen Schiedsfähigkeit einer Verpflichtung zum Widerruf von Vertragsschutzrechten, nicht mit dem Streitgegenstand dieser auf die Beseitigung des Streitpatents gerichteten Patentnichtigkeitsklage deckt, steht die Einrede entgegenstehender Rechtskraft gemäß § 1055 ZPO der Zulässigkeit dieser Patentnichtigkeitsklage jedoch insoweit nicht entgegen.

77

3. Gleiches gilt für die von der Beklagten weiter erhobene Einrede entgegenstehender Rechtskraft des Teilschiedsspruchs vom 29. Dezember 2021 (Aktenzeichen …) gemäß § 1055 ZPO:

78

In Ziffer 1 des Tenors seiner Entscheidung vom 29. Dezember 2021 (vgl. dort Seite 9) hat das Schiedsgericht die folgenden Zwischenfeststellungswiderklageanträge 1 und 2 der Schiedsbeklagten und Schiedswiderklägerin vom 18. August 2021 zurückgewiesen:

79

1. „Es wird festgestellt, dass für die Beurteilung des Rechtsbestandes der Vertragsschutzrechte

80

1. (a) das Schiedsgericht zuständig ist, falls das Schiedsgericht davon ausgeht, dass Ziffer 2.3 LV bei unterstellter Nutzung der technischen Lehre der Vertragsschutzrechte die Streitgegenstände erfasst, und andernfalls

81

(b) das Schiedsgericht nicht zuständig ist.

82

2. festzustellen, dass das Schiedsgericht die Schiedsklägerin im Fall der Annahme seiner Zuständigkeit für die Beurteilung des Rechtsbestands eines Vertragsschutzrechts zum vollständigen bzw. teilweisen Widerruf des Vertragsschutzrechts verpflichten kann, wenn das Schiedsgericht dieses Vertragsschutzrecht vollständig bzw. teilweise für nicht rechtsbeständig erachtet.

83

Eine analog § 130 BGB vorzunehmende Auslegung von Ziffer 1 des Tenors der Entscheidung vom 29. Dezember 2021 ergibt, dass das Schiedsgericht durch die Zurückweisung dieser Anträge vom 18. August 2021 ebenfalls keine den Rechtsbestand des Streitpatents berührende Entscheidung getroffen hat. Zum Ausdruck gebracht hat das Schiedsgericht vielmehr die Befassung mit einem prozessualen Gesichtspunkt des Schiedsverfahrens: Es hat sich nicht für befugt erachtet, die Schiedsklägerin zum vollständigen bzw. teilweisen Widerruf eines der Vertragsschutzrechte des Lizenzvertrags vom 12. September 2011 zu verpflichten.

84

So heißt es auf Seite 14 unter Ziffer 2 der Entscheidungsgründe wörtlich: „Die Zwischenfeststellungsanträge 1. und 2. sind unbegründet. Das Schiedsgericht hat nicht die Befugnis, die Schiedsklägerin zum vollständigen bzw. teilweisen Widerruf eines Vertragsschutzrechtes zu verpflichten, auch dann nicht, wenn und soweit es der Auffassung wäre, dass ein Streitgegenstand bei unterstellter Nutzung der technischen Lehre dieses Vertragsschutzrechtes von der Lizenzerteilung gemäß Ziff. 2.3 LizV Gebrauch mache. Zwar wäre eine solche Regelung grundsätzlich schiedsfähig, wie in Ziff. B.3. des Teilschiedsspruchs vom 19.8.2021, S. 47/48, im Einzelnen ausgeführt ist. Hierauf wird verwiesen. Eine solche Regelung ist dem Lizenzvertrag vom 1.9./12.9.2011 jedoch nicht zu entnehmen. (…)“.

85

Zur Begründung folgen im Teilschiedsspruch vom 29. Dezember 2021 Ausführungen dazu, dass eine ausdrückliche Regelung des genannten Inhalts in dem Lizenzvertrag nicht enthalten sei (Seite 14, 2. a), und eine Pflicht der Lizenzgeberin zur Beseitigung nicht rechtsbeständiger Schutzrechte weder der von der Schiedsbeklagten herangezogenen Ziff. 5.4 LizV (Seite 14, 2. b) noch der von der Schiedsbeklagten zitierten Ziff. 11.2 LizV (Seite 15, 2. c) zu entnehmen sei. Auch aus anderen vertraglichen oder rechtlichen Gesichtspunkten sei eine Beseitigungspflicht mit Wirkung erga omnes gemäß dem gestellten Antrag nicht erkennbar (Seite 15, 2. d). Dem vorliegenden Antrag könne auch nicht als „minus“ ein Anspruch der Schiedsbeklagten auf einen Verzicht der Schiedsklägerin auf Vertragsschutzrechte inter partes entnommen werden (Seite 15, 2. e).

86

Lediglich ergänzend ist anzumerken, dass von dieser Auslegung die Beklagte selbst ausgegangen ist, als sie in ihrem Schriftsatz vom 14. Januar 2022 (dortige Seite 3) unter Verweis auf den angeführten Teilschiedsspruch – im Ergebnis zutreffend – ausgeführt hat: „Das Schiedsgericht kommt damit letztlich zu dem Ergebnis, dass dieses nicht zuständig für eine Entscheidung über den Rechtsbestand der Vertragsschutzrechte im beantragten Umfang ist.“

87

Der Streitgegenstand des Tenors Ziffer 1 des Teilschiedsspruchs vom 29. Dezember 2021 entspricht somit ebenfalls nicht dem Streitgegenstand dieser Patentnichtigkeitsklage. Diese ist ungeachtet der von der Beklagten erhobenen Einreden und auch im Übrigen zulässig.

II.

88

1. Die Erfindung betrifft nach ihrer Beschreibung in der Streitpatentschrift eine Bremsanlage.

89

In den Absätzen [0002] bis [0004] ist hierzu ausgeführt, dass moderne Bremsanlagen zum einen eine Bremskraftverstärkung, d. h. Umsetzung der Pedalkraft in ein entsprechendes verstärktes Bremsmoment an den Radbremsen, sowie zum anderen eine Bremskraftregelung über offene oder geschlossene Regel- und Steuerkreise realisierten. Als Übertragungsmittel des mittels bzw. auf Grundlage der Pedalbetätigung wie der Pedalkraft erzeugten Bremsdrucks werde bis auf wenige Ausnahmen im PKW-Bereich hierbei eine hydraulische Leitung eingesetzt. Weit verbreitet sei eine Aufteilung in Baueinheiten zwischen Bremskraftverstärkung oder Bremskraftsteuerung und Bremskraftregelung in einer Hydraulikeinheit, wobei die Hydraulikeinheit aus Magnetventilen, Mehrkolbenpumpen für 2-Kreis-Bremssyteme, Elektromotor zum Pumpenantrieb, hydraulischem Speicher und mehreren Druckgebern bestehe. Diese Konfiguration werde vorwiegend bei Systemen wie Antiblockiersystem, Antischlupfsystem, elektronisches Stabilitätsprogramm oder auch elektrohydraulischer Bremse eingesetzt.

90

Die Systeme für Bremskraftverstärkung und Hydraulikeinheit seien sehr weit entwickelt, insbesondere die Steuer- und Regelfunktionen für das Antiblockiersystem bis hin zum elektronischen Stabilitätsprogramm. Z. B. sei hierbei durch die druckgeführte Steuerung von Magnetventilen eine sehr feine Dosierung des Bremsdruckes möglich, mit dem auch eine variable Bremskraftabstimmung möglich sei (vgl. Absatz [0007] der Streitpatentschrift).

91

Dem Streitpatent liegt nach der Beschreibung der Streitpatentschrift als technisches Problem die Aufgabe zugrunde, eine neuartige Bremsanlage bereitzustellen, die klein und kompakt in ihren Abmessungen ist. Das erfindungsgemäße Bremssystem zeichne sich dabei vorteilhaft dadurch aus, dass es eine Bremskraftverstärkung und eine Servoeinrichtung auf kleinstem Raum pro Bremskreis mittels lediglich einer Kolben-Zylinder-Einheit realisiere. Die Kolben-Zylinder-Einheit diene gleichsam für den Bremsdruckaufbau und Bremsdruckabbau, zur Realisierung der ABS- und Antischlupfregelung sowie bei Ausfall der Energieversorgung oder Fehlfunktion der Antriebsvorrichtung (vgl. Absätze [0015] und [0017] der Streitpatentschrift).

92

2. Als hierfür zuständigen Fachmann sieht der Senat ein Team an, welches aus einem Ingenieur der Fachrichtung Fahrzeugtechnik (Dipl.-Ing. oder M. Sc.) und einem Ingenieur der Elektrotechnik (Dipl.-Ing. oder M. Sc.) besteht. Dieses Team ist bei einem Fahrzeughersteller oder Zulieferer mit der Entwicklung und Konstruktion von Bremssystemen befasst und verfügt auf diesem Gebiet über mehrere Jahre Berufserfahrung. Der Senat sieht dieses Team als notwendig an, da das Streitpatent bereits zu dessen Verständnis umfangreiches Fachwissen zum einen in dem Bereich der Kraftfahrzeugbremsanlagen inklusive deren Steuerung und Regelung, sowie zum anderen in dem Bereich der Elektrotechnik zur Steuerung und Regelung des in der Bremsanlage integrierten Elektromotors vorraussetzt.

93

3. Dieses Team geht bei den Merkmalen des erteilten Patentanspruchs 1 von folgendem Verständnis aus:

94

Die gemäß Merkmal 1.1 beanspruchte Bremsanlage ist, wie sich aus der Gesamtoffenbarung der Streitpatentschrift ergibt, zum Einsatz in einem Fahrzeug vorgesehen.

95

Sie umfasst zunächst folgende Bauteile:

96

a) Gemäß Merkmal 1.1.1 eine Betätigungsvorrichtung in Form eines „Bremspedals“, welches in üblicher Art und Weise von dem Fahrer des Fahrzeugs bedienbar ist.

97

b) Gemäß Merkmal 1.1.2 einen „Pedalwegsensor“, der geeignet ist, den Pedalweg des Bremspedals zu erfassen. Das Streitpatent nennt als Beispiel hierfür einen Sensor 38, der nach dem Wirbelstromprinzip aufgebaut ist (vgl. Absatz [0044] der Streitpatentschrift).

98

c) Gemäß Merkmal 1.1.3 eine „Steuer- und Regeleinrichtung“, wie etwa einen Mikrocontroller 22 (vgl. Absatz [0025] der Streitpatentschrift).

99

d) Gemäß einem Teilmerkmal des Merkmals 1.3 ein „Kolben-Zylinder-System mit zumindest einem Kolben und einem Zylinder mit Arbeitsraum“, wobei sich über den Kolben in dem Arbeitsraum des Zylinders ein Druck einstellen lässt.

100

e) Gemäß Merkmal 1.4 eine „Druckleitung“, über die der Arbeitsraum mit einer Radbremse in Verbindung steht, sodass etwa ein in dem Arbeitsraum 4a, 4b, 4c durch Betätigung des Kolbens 1, 1a eingestellter Druck über die Druckleitung 13 an die Radbremsen, etwa zur Betätigung derer, weitergeleitet werden kann.

101

f) Gemäß Merkmal 1.2 eine „Antriebsvorrichtung mit einem Elektromotor“, wobei die Steuer- und Regeleinrichtung diese unter Berücksichtigung des durch den Pedalwegsensor erfassten Pedalwegs steuert.

102

g) Gemäß Merkmal 1.6 einen „Stromsensor“ zur Messung eines Stroms des Elektromotors der Antriebsvorrichtung. Im Ausführungsbeispiel wird diese Messung mittels eines in der Leitung des Elektromotors angeordneten Shunts 23 realisiert. Ein solcher kann in Gestalt eines resistiven Widerstands in Serienschaltung bei Messung der an diesem abfallenden Spannung fachüblich zur Bestimmung des Stromes, also der Stromstärke, herangezogen werden (vgl. Absatz [0025] der Streitpatentschrift), wobei das Patent offensichtlich auf den für Elektromotoren typischen festen Zusammenhang zwischen Strom und Drehmoment auch im blockierten Zustand des Elektromotors – wenn dieser zur statischen Bremsdruckkrafterzeugung bei Drehzahl Null bestromt wird – abstellt.

103

h) Gemäß einem weiteren Teilmerkmal des Merkmals 1.3 eine „nicht-hydraulische Getriebevorrichtung“, mittels derer der Kolben von der Antriebsvorrichtung verstellt werden kann. Im ersten, in Figur 1 der Streitpatentschrift dargestellten Ausführungsbeispiel treibt etwa das Ritzel des Elektromotors 8 den Kolben 1 über Zahnräder 6, 7 und eine Zahnstange 5a an (vgl. Absatz [0025] der Streitpatentschrift). Alternativ offenbart Figur 9 der Streitpatentschrift einen Spindelantrieb 65, 67, der innerhalb des Rotors 66 des Elektromotors angeordnet ist (vgl. auch Absätze [0066] bis [0068] der Streitpatentschrift).

104

Diese Bremsanlage ist dazu hergerichtet, dass in Abhängigkeit des durch den Pedalwegsensor erfassten Pedalwegs mittels der Antriebsvorrichtung über die nicht-hydraulische Getriebevorrichtung und den Kolben in dem Arbeitsraum des Kolben-Zylinder-Systems ein Druck eingestellt werden kann, der an die Radbremsen über die Druckleitung weitergeleitet werden kann. Dies erfolgt nach Maßgabe der Merkmale 1.7 und 1.8.

105

In Absatz [0025] der Streitpatentschrift ist diesbezüglich angegeben, dass die Strom- und Positionsmessung neben der Motorsteuerung zur indirekten Druckmessung genutzt werden könne, da das Motormoment des Elektromotors proportional zur Druckkraft sei. Hierfür müsse im Fahrzeug bei Inbetriebnahme ein „Kennfeld“ angelegt werden, in dem den verschiedenen Stromstärken unter der Berücksichtigung weiterer Nebenparameter, wie etwa der Temperatur, die Position des Kolbens zugeordnet wird. Dieses Kennfeld könne dann auch während des Betriebs laufend adaptiert werden.

106

Im Betrieb der Bremsanlage werde entsprechend einer „Verstärkerkennlinie“ eine Position des Kolbens angefahren, die entsprechend dem vorbenannten „Kennfeld“ einem bestimmten Druck entspricht. Solche Verstärkerkennlinien sind in Figur 7 der Streitpatentschrift dargestellt. Sie zeigen die Abhängigkeiten zwischen Pedalweg S, Pedalkraft F
P und Soll-Bremsdruck P für verschiedene Betriebsmodi der Bremsanlage; sie stellen somit quasi die Verstärkungscharakteristik des Bremskraftverstärkers für jeden bzw. einen gewählten Bremsmodus dar. Jedem Modus ist eine separate Verstärkerkennlinie zugeordnet. So stellen die Verstärkerkennlinie 59 die Abhängigkeiten für den Notbremsfall und die Verstärkerkennlinien 58 und 58a die Abhängigkeiten für den Regelbetrieb dar (vgl. Absätze [0058] bis [0061] der Streitpatentschrift). In beiden Fällen ergeben sich so jeweils unterschiedliche Pedalweg/Bremsdruck-Charakteristika.

107

Zur Drucksteuerung sind sowohl die Verstärkerkennlinie – zur Ermittlung des gewünschten Soll-Bremsdrucks -, wie auch das Kennfeld – zur Einsteuerung des gewünschten Soll-Bremsdrucks über den Elektromotor – notwendig.

108

Die Merkmale 1.7 und 1.8 sind in diesem Sinne auszulegen. Die Steuer- und Regeleinrichtung ist somit ausgebildet, entsprechend einer Verstärkerkennlinie, die die Abhängigkeit zwischen Pedalweg und einzustellendem Bremsdruck vorgibt, eine Drucksteuerung vorzunehmen, wobei diese Drucksteuerung stromproportional erfolgt. Der Begriff „proportional“ zielt hierbei allgemein auf eine reproduzierbare Abhängigkeit des bewirkten Drucks von dem den quasistatisch betriebenen Elektromotor beaufschlagenden Strom. Dem Wortbestandteil „proportional“ kommt hierbei nicht zwingend die Bedeutung der Vorgabe einer linearen Abhängigkeit zu.

109

Eine Forderung nach dem vorbenannten „Kennfeld“ enthält Patentanspruch 1 jedoch nicht. Denn Merkmal 1.8 beansprucht lediglich allgemein, dass die Bremsanlage dazu geeignet ist, unter der Verwendung des Stromsensors eine Position des Kolbens anzufahren, die einen Bremsdruck in dem Arbeitsraum erzeugt, wie er sich nach der Verstärkerkennlinie auf der Basis des Pedalwegs des Bremspedals ergibt. Ebenso ist die Verwendung des Stromsensors gemäß Merkmal 1.8 nicht ausschließlich. So wird etwa im erteilten Patentanspruch 19 als Weiterbildung das Vorsehen eines Drucksensors zur Ermittlung des Bremsdrucks beansprucht (vgl. auch Absätze [0103] und [0104] der Streitpatentschrift), ebenso wie die Kolbenposition zusätzlich über einen Inkrementalgeber des Elektromotors (vgl. Absatz [0106] der Streitpatentschrift) als mögliche den Druck abbildende Größe bestimmt werden kann.

110

Darüber hinaus ist die Bremsanlage gemäß Merkmal 1.5 derart konzipiert, dass bei Ausfall der Antriebsvorrichtung der Kolben mittels der Betätigungseinrichtung, also des Bremspedals, verstellbar ist. Somit kann ein Notbetrieb der Bremsanlage gewährleistet werden. Im Ausführungsbeispiel wird zur Realisierung dieser Funktionalität nach den Figuren 2 und 3 der Streitpatentschrift ein Wegsimulator, der den Pedalwegsensor enthält, elektromagnetisch entkoppelt; der Kolben 1 wird nach Überwindung eines Leerwegs über einen mit dem Bremspedal mechanisch gekoppelten Hebel 26 unmittelbar verstellt, wodurch ohne die Gegenwirkung des Wegsimulators ein geringerer Übersetzungssprung – bei entsprechender Dimensionierung des Kolbens – realisierbar ist (vgl. Absätze [0045], [0046] und [0051] der Streitpatentschrift). Eine andere Variante, bei der im Notbetrieb der Wegsimulator vom Kolben entkoppelt ist und die Betätigungseinrichtung den Kolben direkt mittels des Bremspedals verstellt, ist in Fig. 9 dargestellt (vgl. auch Absatz [0069] der Streitpatentschrift).

III.

111

In seiner erteilten Fassung hat das Streitpatent keinen Bestand.

112

1. Der Patentanspruch 1 erweist sich in seiner erteilten Fassung als nicht rechtsbeständig. So ist sein Gegenstand zwar den ursprünglichen Anmeldeunterlagen als zur Erfindung gehörig zu entnehmen. Er ist aber nicht patentfähig, da er ausgehend von der der Druckschrift NK9 entnehmbaren Lehre unter Berücksichtigung der Offenbarung der Druckschrift NK6 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

113

a) Der Gegenstand nach dem erteilten Patentanspruch 1 ist zulässig offenbart.

114

Hinsichtlich der hier beachtlichen Anmeldeunterlagen der Stammanmeldung (vgl. § 21 Abs. 1 Nr. 4) wird im Folgenden auf die inhaltsgleiche Offenlegungsschrift der Stammanmeldung, der DE 10 2005 018 649 A1, eingereicht als Druckschrift BP3, Bezug genommen.

115

Der ursprünglich eingereichte Patentanspruch 1 beansprucht bereits eine Bremsanlage, die der Bremsanlage gemäß dem Oberbegriff des Patentanspruchs 1 in der erteilten Fassung entspricht. Sie ist ursprungsoffenbart. Dies stellen auch die Parteien nicht in Abrede.

116

Darüber hinaus kann das vorstehend definierte Fachteam die Merkmale 1.6, 1.7 und 1.8 in der unter Punkt II–3 dargelegten auch in deren Kombination den Anmeldeunterlagen als ursprünglich zur Erfindung gehörig offenbart entnehmen.

117

i. Merkmal 1.6: Dem Absatz [0029] der Druckschrift BP3 ist zu entnehmen, dass der Strom des Elektromotors mittels eines Shunts 23 gemessen wird. Ein solcher Shunt ist ein niederohmiger Widerstand, mit dem sich mittelbar die Stromstärke messen und somit sensieren lässt. Der ursprünglich eingereichte Patentanspruch 27 verallgemeinert dieses konkrete Beispiel. So ist dort in allgemeinerer Form beansprucht, dass die Steuerung den Bremsdruck im Arbeitsraum des Zylinders aus dem Antriebsstrom des Antriebs ermittelt wird.

118

Ein wie hier formuliertes Merkmal ist unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Erweiterung dabei unbedenklich, wenn sich ein in der Anmeldung beschriebenes Ausführungsbeispiel der Erfindung für den Fachmann als Ausgestaltung der im Anspruch umschriebenen allgemeineren technischen Lehre darstellt und diese Lehre in der beanspruchten Allgemeinheit für ihn bereits der Anmeldung, etwa in Gestalt eines in der Anmeldung formulierten Anspruchs, als zu der angemeldeten Erfindung gehörig entnehmbar war (vgl. BGH, Beschluss vom 11. September 2001 – X ZB 18/00, GRUR 2002, 49, Rn. 33 – Drehmomentübertragungseinrichtung). Dies trifft hier, wie dargelegt, zu.

119

Darüber hinaus benennt auch der der Offenbarung des Shunts unmittelbar folgende Satz in Absatz [0029] der Druckschrift BP3 eine Strommessung allgemein. Zu deren Ausführung ist ein dafür notwendiger Stromsensor für den Fachmann selbstverständlich, bedarf deshalb keiner besonderen Offenbarung, sondern wird „mitgelesen“ im Sinne der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 16. Dezember 2008 – X ZR 89/07, BGH GRUR 2009, 382 – Olanzapin.

120

ii. Merkmal 1.7: In Absatz [0049] der Druckschrift BP3 ist dargelegt, dass der Pedalwegsensor ein Wegsignal zum elektronischen Steuergerät liefert, welches entsprechend einer Bremskraftverstärker-Kennlinie, wie sie in Figur 7 beschrieben ist, eine Bewegung der Kolben über den Elektromotor bewirkt. Absatz [0062] der Druckschrift BP3 führt zu der Verstärkerkennlinie darüber hinaus aus, dass die in Figur 7 dargestellte Kennlinie einen Mittelwert eines Streubandes zeige, welches auch temperaturabhängig sei. Auch hier erkennt der Fachmann, dass die gelehrte Berücksichtigung der Temperatur bei der Festlegung der Kennlinie lediglich eine Ausgestaltung der im Anspruch umschriebenen allgemeineren technischen Lehre darstellt, so dass auch das Merkmal 1.7 keine unzulässige Erweiterung darstellt.

121

iii. Merkmal 1.8: Absatz [0029] der Druckschrift BP3 lehrt, dass sowohl die Strommessung, wie auch die Positionsmessung des Rotors zur indirekten Druckmessung und damit zur Positionierung des Kolbens genutzt werden können. Die Aufnahme lediglich der Strommessung – mit der Folge einer entsprechenden vorrichtungstechnischen Beschaffenheit der Regeleinrichtung (1.1.3) und somit der Bremsanlage insgesamt (1.1) bzw. des dazu notwendigen Stromsensors in den erteilten Patentanspruch 1 ist hier zulässig, da eines von mehreren Ausführungsbeispielen, die zusammengenommen, aber auch jedes für sich betrachtet dem erfindungsgemäßen Erfolg förderlich sind, zusammen oder aber auch getrennt mit in den Anspruch mitaufgenommen werden können (vgl. BGH – Drehmomentübertragungseinrichtung, a. a. O. unter II 3 b cc ; BGH, Beschluss vom 23. Januar 1990 – X ZB 9/89, GRUR 1990, 432 – Spleißkammer (LS); BGH, Urteil vom 24. Januar 2012 – X ZR 88/09, GRUR 2012, 475, Rdnr. 34 – Elektronenstrahltherapiesystem, BGH GRUR 2012, 1124, Rdnr. 52 – Polymerschaum).

122

b) Der Gegenstand nach dem erteilten Patentanspruch 1 beruht aber nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

123

So ist der Druckschrift NK9 eine Bremsanlage für ein Kraftfahrzeug zu entnehmen, die ein Bremspedal (brake pedal) 12 und einen (Pedal-)Wegsensor (displacement sensor) 14 zur Erfassung des Niederdrückungswegs des Bremspedals aufweist. Darüber hinaus umfasst die Bremsanlage einen Elektromotor (motor) 9, der von einer Steuer- und Regeleinrichtung (controller) 11 angesteuert wird, wobei die Steuer- und Regeleinrichtung 11 hierzu unter anderem die von dem Pedalwegsensor 14 ausgesendeten Signale nutzt (vgl. Spalte 3, Zeilen 28 bis 37; Figur 1). Der Elektromotor 9 treibt ein Zahnradgetriebe (transmitting means) 10 an, das aus mehreren Ritzeln (gears) 21, 22, 23 und einem Ausgabeglied (output member) 5 besteht, wobei das Zahnradgetriebe einen Kolben (piston) 7 eines Kolben-Zylinder-Systems 6, 7 verstellt, so dass sich im Arbeitsraum des Kolben-Zylinder-Systems beim indizierten Bremsbetrieb ein Druck einstellt (vgl. Spalte 3, Zeilen 35 bis 50, sowie Spalte 4, Zeilen 38 bis 48; Figur 1). Denn der Arbeitsraum des Kolben-Zylinder-Systems steht über eine Druckleitung (liquid passage) 15 mit einer Radbremse in Verbindung. Damit ist aus der Druckschrift NK9 eine Bremsanlage gemäß der Merkmale 1.1 bis 1.4 des Patentanspruchs 1 in der erteilten Fassung vorbekannt.

124

Gemäß Spalte 6, Zeilen 18 bis 24, ist die Bremsanlage derart konzipiert, dass im Falle eines Ausfalls des Elektromotors 9 mittels des Bremspedals 12 der Kolben 7 unmittelbar betätigt werden kann. Somit geht aus der Druckschrift NK9 auch das Merkmal 1.5 des Patentanspruchs 1 in der erteilten Fassung hervor, so dass durch die Druckschrift NK9 in der Folge eine Bremsanlage gemäß dem Oberbegriff des erteilten Patentanspruchs vorweggenommen ist.

125

Die der Druckschrift NK9 entnehmbare Bremsanlage kann in mehreren verschiedenen Bremsmodi betrieben werden. So führt die Beschreibung in Spalte 6, Zeile 29 bis Spalte 7, Zeile 26 die Betriebsarten „quick brake operation“, „parking retention“, „regenerative braking“ und „automatic brake function“ ausdrücklich an. Der jeweilige Betrieb mit einhergehender Ansteuerung des Motors bedingt zwingend – so vom Fachmann zwanglos mitgelesen – eine in der Steuer- und Regeleinrichtung 11 abgelegte Verstärkerkennlinie, denn ohne einen für diese verschiedenen Modi jeweils differenziert festgelegten Bezug zwischen der jeweiligen Pedalstellung und des einzustellenden Soll-Bremsdrucks ist ein bestimmungsgemäßer Betrieb auch dieser bekannten Bremsanlage nicht realisierbar.

126

Auf Basis dieser Verstärkerkennlinien erfolgt den Ausführungen in Spalte 3, Zeilen 35 bis 42, sowie Spalte 4, Zeilen 38 bis 48 der Druckschrift NK9 entsprechend die Drucksteuerung, wobei der eingesteuerte Druck unmittelbar auf die Radbremsen wirkt, denn weitere technische Steuerungsmittel, wie etwa in die Druckleitung integrierte Ventile oder gar eine Hydraulikeinheit, sind in Bezug auf die der Druckschrift NK9 entnehmbaren Bremsanlage NK9 weder offenbart noch angeregt.

127

Als Steuerungsvariable in Bezug auf den Elektromotor, mittels dessen der Druck in den Arbeitsraum eingesteuert wird, nennt die Druckschrift NK9 in Spalte 3, Zeile 38 das Motordrehmoment (commanded torque) des Elektromotors. In Spalte 4, Zeilen 41 und 42, sowie Spalte 5, Zeile 55 wird hierzu auf den Motorstrom (…energize the motor 9 with a drive current…; … while controlling the drive current…) verwiesen, ohne dieses jedoch genauer im Detail auszuführen. Dies stellt in sich keinen Widerspruch dar, denn für den Fachmann sind Motordrehmoment und Motorstrom gegeneinander austauschbar, da diese im quasistationären Betriebszustand des Elektromotors – im auf die Drehzahl Null abgebremsten Zustand findet die Drucksteuerung nach dem Verständnis des Fachmanns in Bezug auf die Bremswirkung der Radbremsen statt – unmittelbar voneinander abhängen; nichts Anderes liest der Fachmann beim Streitpatent mit.

128

Dieses Vorgehen entspricht einer stromproportionalen Drucksteuerung entsprechend einer Verstärkerkennlinie, so wie es Merkmal 1.7 fordert. Dass die Bremsanlage der Druckschrift NK9 darüber hinaus weitere Sensoren, etwa zur Positionsbestimmung des Kolbens (displacement sensor 14), oder einen Druckmesser in der Bremsleitung (pressure sensor) 16 umfasst, ist in diesem Zusammenhang unerheblich, insoweit auch das Streitpatent dies als weitere Ausgestaltung der in dem erteilten Patentanspruch 1 beanspruchten Bremsanlage lehrt.

129

Ein in diesem Zusammenhang verwendeter Stromsensor ist der Druckschrift NK9 diesbezüglich zumindest explizit jedoch nicht zu entnehmen. Vielmehr überlässt die Druckschrift NK9 die konstruktive Umsetzung der Ansteuerung des Elektromotors – mit Ausnahme der zuvor zitierten Textstellen mit dem Fokus auf Motorstrom und Motordrehmoment – dem Fachmann. Der Argumentation der Beklagten folgend vermag die Druckschrift NK9 daher das Merkmal 1.6 zumindest nicht explizit und damit in der Folge auch das Merkmal 1.8 nicht vollständig zu offenbaren, so dass die beanspruchte Bremsanlage zumindest neu gegenüber dem Inhalt der Druckschrift NK9 ist.

130

Allerdings ist für den Fachmann zur Ansteuerung des Elektromotors mittels des diesem zugeführten Stroms die Kenntnis der Stromstärke zwingende Vorrausetzung, so dass der Einsatz eines Stromsensors – als präsentes fachübliches, dem elementaren Grundlagenwissen zuzurechnendes und mitzulesendes Mittel – zur Messung des Stroms für ihn auf der Hand liegt und somit naheliegend ist. Der Einsatz eines solchen Stromsensors, wie mit Merkmal 1.6 gefordert, bedingt dann in der Folge, dass, wie in Merkmal 1.8 beansprucht, unter Verwendung dieses Stromsensors eine Position des Kolbens angefahren wird, die einem bestimmten, durch die Verstärkerkennlinie vorgegebenen Soll-Druck entspricht.

131

Selbst unter der Annahme, dass die wenigen, der Druckschrift NK9 entnehmbaren Angaben hinsichtlich der Ansteuerung des Elektromotors den Fachmann dort nicht ohne weiteres zur Anwendung eines fachüblichen Stromsensors ausreichend anleiten sollten oder der Fachmann der Druckschrift NK9 lediglich die Ansteuerung auf Basis des Motordrehmoments entnehmen könnte, vermögen die betrachteten Merkmale eine erfinderische Tätigkeit nicht zu begründen. Denn in beiden Fällen besteht für den Fachmann bei der technischen Umsetzung der Lehre der NK9 Anlass, hierzu anderweitig nach Lösungswegen oder Anregungen zu suchen (vgl. BGH, Urteil vom 30. April 2009 – Xa ZR 92/05, GRUR 2009, 746 (LS) – Betrieb einer Sicherheitseinrichtung). Dabei gibt ihm die Druckschrift NK6 ein Vorbild. Sie offenbart ebenfalls eine Bremsanlage, deren Bremsdruckgeber 2 durch einen Elektromotor 6 unter Zwischenschaltung eines Getriebes 7 antreibbar ist. Dabei erhält der Elektromotor 6 sein Einschaltsignal von einem Steuergerät, dem ein elektrisches Bremsanforderungssignal von einem fahrerbetätigbaren Bremswertgeber zuführbar ist, vgl. Spalte 1, Zeilen 42 bis 54. Die Höhe des einzustellenden Bremsdrucks in der Bremsanlage steht dabei, wie dort explizit ausgeführt, in einem Zusammenhang mit der Stromstärke, die den Elektromotor 6 beaufschlagt (vgl. Spalte 2, Zeilen 16 bis 19), so wie es die Merkmale 1.7 und 1.8 fordern. Das Vorsehen eines Stromsensors ist dabei auch hier für den Fachmann aus analogen Gründen zwingend erforderlich, wobei darüber hinaus auch die Anwendung eines „Shunts“, wie für das Ausführungsbeispiel im Streitpatent angesprochen, durch das elementare Grundlagenwissen motiviert ist.

132

2. Wie in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll erklärt, verteidigt die Beklagte das Streitpatent ausdrücklich als geschlossenen Anspruchssatz. Da sich der erteilte Patentanspruch 1 nicht als rechtsbeständig erweist, hat das Streitpatent in seiner erteilten Fassung insgesamt keinen Bestand. Dem Begehren der Beklagten entsprechend sind an ihrer Stelle die Fassungen der Hilfsanträge in der beantragten Reihenfolge zu prüfen.

IV.

133

In den Fassungen der Hilfsanträge HA1A bis HA4B hat das Streitpatent jeweils keinen Bestand.

134

1. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der Fassung der Hilfsanträge HA1A und HA1B erweist sich jeweils als nicht patentfähig. So sind die Gegenstände der jeweiligen Patentansprüche zwar für den Fachmann ausführbar, sie beruhen aber ausgehend von der der Druckschrift NK9 entnehmbaren Lehre zumindest unter Berücksichtigung der Offenbarung der Druckschrift NK6 für den Fachmann – d.h. das Team von Fachleuten nach der Definition im Abschnitt 2 – nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, wobei dessen Wissen durch die Druckschrift NK12 belegt ist. Auf die Frage der Offenbarung der nun beanspruchten Gegenstände im – zulässigen – Rahmen der Ursprungsanmeldung kommt es hier insoweit nicht an. Ebenso bedarf es in der Folge auch keiner Beurteilung der weiteren Patentansprüche dieser beiden Anträge.

135

Da die Patentansprüche 1 der Hilfsanträge HA1A und HA1B auf dem Patentanspruch 1 der erteilten Fassung aufbauen, wird zu den bereits in diesem Patentanspruch enthaltenen Merkmalen auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen.

136

a) Der in Merkmal 1.2 benannte Elektromotor wird durch das neu hinzugefügte Merkmal 1.2.1
H1A als ein bürstenloser Motor konkretisiert, der von Endstufen über drei Stränge von einem Mikrocontroller gesteuert wird. Dies bewirkt eine Beschränkung des in der erteilten Fassung beanspruchten Gegenstandes. Unter einem bürstenlosen Motor versteht der dem vorstehend definierten Fachteam angehörige Elektrotechniker einen Elektromotor, der keine Schleifkontakte aufweist, wie sie etwa bei einem mechanisch kommutierten Elektromotor zur phasenrichtigen, abfolgenden Bestromung der rotierenden Ankerwicklungen bzw. zur Bestromung von Nebenschlusswicklungen am Rotor vorgesehen sind. Jedenfalls bei permanenterregten bürstenlosen Motoren besteht nach dem vorauszusetzenden elementaren Grundlagenwissen nicht nur des Elektrotechnikers zwischen dem beweglichen Rotor und dem feststehenden Stator kein unmittelbarer elektrischer Kontakt. Durch eine folgerichtige Bestromung – in Abhängigkeit von der Position bzw. Drehbewegung des Rotors – von statorseitigen Elektromagnetspulen wird der magnetische Pole tragende Rotor durch das statische bzw. umlaufende statorseitige Magnetfeld in eine Drehstellung gedrängt bzw. in eine Drehbewegung versetzt. Jedenfalls mit drei umfänglich versetzten Wicklungen, die vom Fachmann als „Stränge“ angesehen werden, die insoweit phasen- und folgerichtig durch eine entsprechende Steuereinrichtung zu bestromen sind, ist eine Beeinflussung des vom Motor abgegebenen Drehmoments – auch bei abgebremst quasistatischem Betrieb – sowie der Drehbewegung hinsichtlich Position, Geschwindigkeit und Drehrichtung ohne Notwendigkeit einer Stromübertragung zwischen relativbewegten Teilen (dem Rotor und dem Stator) möglich.

137

Mit dem Merkmal 1.2.1
H1A wird der in Kombination beanspruchte Motor insofern als ein – fachüblicher – dreiphasiger Motor vorgeschrieben, der von Endstufen über drei Stränge, von einem Mikrocontroller gesteuert, bestromt wird.

138

Wie die Klägerin zwar zutreffend ausführt, ist in Bezug auf das Merkmal 1.2.1
H1A über den Absatz [0025] hinaus in der Streitpatentschrift nichts weiter ausgeführt. Der konstruktive Aufbau eines solchen dreiphasigen Motors ist aber ebenso dem Wissen des definierten Fachteams zuzuordnen, wie auch die Kenntnis und Fähigkeit, eine Steuereinrichtung für einen solchen Motor mit der zugehörigen Sensorik auch für Regelungszwecke auszubilden. Insoweit ist das über das vom Streitpatent vorausgesetzte Fachwissen verfügende Fachteam in der Lage, die in Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung beanspruchte Bremsanlage auch mit dem zusätzlichen Merkmal 1.2.1
H1A auszuführen.

139

Gleiches gilt für Merkmal 1.9
H1A. Gemäß diesem Merkmal erzeugt der Kolben des Kolben-Zylinder-Systems die erforderliche Druckänderung, welche zum einen für die Bremskraftverstärkung und zum andere für das mittels der Bremsanlage realisierbare Antiblockiersystem notwendig ist, nach den Ausführungen der Beklagten insoweit im Unterschied zu Systemen, bei denen die Druckänderung durch die Steuerung von Ventilen vollzogen wird. Damit unterscheidet sich die nun beanspruchte Bremsanlage von den in den Absätzen [0002] bis [0004] der Streitpatentschrift beschriebenen Bremsanlagen des Standes der Technik, die die Steuerung und Regelung beispielsweise des Antiblockiersystems durch eine dem Kolben-Zylinder-System nachgeschaltete Hydraulikeinheit realisieren. Das Merkmal 1.9
H1A legt dabei allerdings nicht fest, ob es sich in diesem Zusammenhang nur um einen Bremsdruckabbau, Bremsdruckaufbau oder beides handelt.

140

Das ebenfalls für den Fachmann ausführbare Merkmal 1.9
H1B unterscheidet sich diesbezüglich von Merkmal 1.9
H1A. Es beansprucht explizit die Einrichtung des Kolben-Zylinder-Systems, um gleichsam einen Bremsdruckaufbau und einen Bremsdruckabbau zur Realisierung einer Antiblockiersystem-Regelung zu erzeugen.

141

b) Sowohl die Druckschrift NK9 wie auch die Druckschrift NK6 überlassen die Auswahl eines für den konkreten Anwendungsfall geeigneten Elektromotors dem zuständigen Fachmann. Denn keine der beiden Druckschriften gibt für den in den jeweiligen Bremsanlagen verwendeten Elektromotor weitere Konkretisierungen an oder lehrt explizit bestimmte, durch den Elektromotor zu erfüllende Spezifikationen. Ein wie durch das Merkmal 1.2.1
H1A festgelegter Motortyp kommt für den Fachmann bei entsprechender, dem Anwendungsfall gerecht werdender Dimensionierung hinsichtlich Verstellleistung, Verstelldynamik und Haltemoment bzw. Lageregelungsfähigkeit ohne Weiteres in Betracht, ohne dabei erfinderisch tätig werden zu müssen. Die Verwendung eines solchen Motorentyps ist dabei im einschlägigen Fachgebiet auch nicht grundsätzlich fremd, wie die Druckschrift NK12 belegt, wenn auch der dort offenbarte Motor zum Antrieb einer Pumpe dient, welche die erforderliche Druckänderung im Bremsfluid erzeugt.

142

Die von der Beklagten vorgebrachte Argumentation, wonach der Fachmann ausgehend von der Lehre der Druckschriften NK6 oder NK9 auch anderweitige Elektromotoren in Betracht ziehen könnte, mag zutreffen. Darauf kommt es aber hier nicht an. Denn wenn ein bestimmtes Mittel als generelles, für eine Vielzahl von Anwendungsfällen in Betracht zu ziehendes Mittel seiner Art nach zum allgemeinen Fachwissen gehört und sich auch in dem konkret zu beurteilenden Zusammenhang als objektiv zweckmäßig darstellt, ist eine Anwendung aus fachlicher Sicht nicht allein deshalb untunlich, weil dieses Mittel generell bestimmte Nachteile aufweist oder weil im konkreten Zusammenhang auch andere Ausführungsformen in Betracht kommen (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juni 2021 – X ZR 58/19, GRUR 2011, 1277 (LS) – Führungsschienenanordnung, BGH, Urteil vom 11. März 2014 –X ZR 139/10 –, GRUR 2014, 647, Rdnr. 26 – Farbversorgungssystem).

143

Auch das Merkmal 1.9
H1A des Hilfsantrags HA1A sowie das Merkmal 1.9
H1B des Hilfsantrags HA1B können eine erfinderische Tätigkeit nicht begründen. Denn bereits die Druckschrift NK9 lehrt in Spalte 7, ab Zeile 13, einen vierten durch die Bremsanlage realisierbaren Bremsmodus, der diese Merkmale nahezu vorwegnimmt. So wird in diesem Bremsmodus eine automatisierte Bremsfunktion im Rahmen der durchgeführten Bremskraftverstärkung durchgeführt. Als Beispiele hierfür nennt die Druckschrift NK9 explizit eine Abstandsregelung zum vorausfahrenden Fahrzeug (car-to-car spacing control), ein Antikollisionssystem (collision avoiding control), ein Stabilitätssystem (vehicle attitude control) und eine Antischlupfregelung (anti-skid control). Alle diese Systeme benötigen einen durch die Bremsanlage geregelten Bremsdruckaufbau wie Bremsdruckabbau, der auch dort alleinig durch das Kolben-Zylinder-System erzeugt wird. Insofern der vorstehenden Auflistung die explizite Nennung eines Antiblockiersystems für eine vollständige Vorwegnahme der Merkmale 1.9
H1A und 1.9
H1B fehlt, liest dies der Fachmann in dem auf diese benannten Beispiele folgenden Verweis auf ähnliche Systeme durch den Zusatz „und so weiter“ (or the like) mit. Jedenfalls aber unterstellt er diese ihm präsente, gleichartige Anwendung als naheliegend für eine Anwendung, denn auch ein Stabilitätssystem oder ein Antikollisionssystem erfordern einen gezielten Druckaufbau oder Druckabbau in den einzelnen Radbremsen des Fahrzeugs. Sowohl das Merkmal 1.9
H1A wie auch das Merkmal 1.9
H1B liegen daher für den Fachmann aus der Offenbarung der Druckschrift NK9 heraus bereits nahe.

144

Die in der Verhandlung vorgetragene Argumentation der Beklagten, dass keine der als Stand der Technik im Verfahren befindlichen Druckschriften eine Bremsanlage ohne Hydraulikeinheit offenbare, welche für den Bremsdruckaufbau und Bremsdruckabbau sorge, und somit die Merkmale 1.9
H1A oder 1.9
H1B, welche diese Funktion dem Kolben zuschrieben grundsätzlich neu seien, überzeugt nicht. Denn, wie vorstehend dargelegt, beinhalten die den Druckschriften NK9 und NK6 entnehmbaren Bremsanlagen gerade keine solchen Hydraulikeinheiten. Die jeweils offenbarte Bremsregelung wird vielmehr dort ebenso über den Kolben des Kolben-Zylinder-Systems realisiert.

145

2. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der Fassung nach den Hilfsanträgen HA2A und HA2B erweist sich ebenfalls jeweils als nicht patentfähig. So sind die Bremsanlagen im Umfang dieser beiden Patentansprüche zwar für den Fachmann wiederum ausführbar, sie beruhen aber ausgehend von der der Druckschrift NK9 entnehmbaren Lehre unter Berücksichtigung der Offenbarung der Druckschrift NK6 jeweils nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, hierbei wiederum das durch die Druckschrift NK12 belegte Fachwissen voraussetzend. Auf die Frage der Offenbarung der nun beanspruchten Gegenstände im – zulässigen – Rahmen der Ursprungsanmeldung kommt es daher auch hier ebenso wenig an, wie es in der Folge auch keiner Beurteilung der weiteren Patentansprüche dieser Anträge im Übrigen bedarf.

146

Da die Patentansprüche 1 der Hilfsanträge HA2A und HA2B auf dem jeweiligen Patentanspruch 1 der Fassung nach den Hilfsanträgen HA1A und HA1B aufbauen, wird zu den bereits in diesen Patentansprüchen enthaltenen Merkmalen auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen.

147

a) Das gegenüber den Fassungen der Patentansprüche 1 nach den Hilfsanträgen HA1A und HA1B den Patentansprüchen gemäß der Hilfsanträge HA2A und HA2B jeweils neu hinzugefügte Merkmal 1.2.2
H2A spezifiziert den in Merkmal 1.2.1
H1A benannten bürstenlosen Motor nun als einen Motor mit kleiner Zeitkonstante und/oder einem großen Beschleunigungsvermögen. Das Merkmal 1.2.2
H2A stellt insofern auf die Verstelldynamik des in die Antriebseinheit der Bremsanlage integrierten bürstenlosen Motors ab und beschreibt fachübliche Spezifikationen eines bürstenlosen Motors. Die beanspruchte Bremsanlage ist daher für den Fachmann auch mit dem Merkmal 1.2.2
H2A ausführbar.

148

Gleiches gilt für das den Patentansprüchen 1 der Hilfsanträge HA2A und HA2B jeweils hinzugefügte Merkmal 1.10
H2A. Gemäß diesem Merkmal steht der Arbeitsraum über zwei oder mehr Druckleitungen mit mehreren Bremszylindern in Verbindung, wobei der Arbeitsraum durch die Merkmale 1.3 und 1.4 vorgegeben ist. Dass sich die Bezugszeichen zwischen den Merkmalen 1.3 und 1.4 bzw.1.10
H2A unterscheiden, bleibt hierbei unberücksichtigt, da Bezugszeichen eine Auslegung des beanspruchten Gegenstandes nicht einschränken. In jeder der Druckleitungen ist gemäß Merkmal 1.10
H2A darüber hinaus ein Ventil angeordnet, wobei das Merkmal 1.10
H2A die Funktion des Ventils offenlässt. Im Ausführungsbeispiel wird das Ventil durch ein 2/2-Magnetventil realisiert, welches letztlich geöffnet oder geschlossen werden kann (vgl. Absätze [0026] und [0056] der Streitpatentschrift), während die Druckänderung durch den entsprechend angetriebenen Kolben realisiert wird. Eine Einengung hierauf folgt aus den Angaben im Anspruch indes nicht.

149

b) Die gemäß Merkmal 1.2.2
H2A herausgestellte Verstelldynamik des Elektromotors folgt für den Fachmann aus fachüblichen, konzeptionellen Erwägungen und stellt in Bezug auf die Auswahl des Elektromotors zur Erfüllung der Anforderungen des praktischen Bedarfsfalls eine Selbstverständlichkeit dar. Denn mit einem Antriebsmotor mit einer unzureichend kleinen Zeitkonstante und/oder einem zu geringen Beschleunigungsvermögen wäre nicht die Verstelldynamik realisierbar, die für den bestimmungsgemäßen Betrieb bereits der in der Druckschrift NK9 offenbarten Bremsanlage insbesondere mit Blick auf die in dem Bremsmodus „automatic brake funktion“ beschriebene Funktion erforderlich ist. Denn diese setzt einen schnell und präzise ansteuerbaren Elektromotor – tatsächlich ein adäquates Übertragungsverhalten des Systems aus Elektromotor und Steuereinrichtung mitsamt den hydromechanischen Komponenten wie beim Streitpatentgegenstand voraus, wozu bereits der Motor zwingend die entsprechende Verstelldynamik des das Getriebe und den/die Kolben umfassenden Systems gewährleisten muss. Das Merkmal 1.2.2
H2A ist aus der Offenbarung der Druckschrift NK9 heraus daher für den Fachmann bereits nahegelegt und kann eine erfinderische Tätigkeit somit nicht begründen.

150

Hinsichtlich des Merkmals 1.10
H2A offenbart bereits die Figur 1 der Druckschrift NK9, dass der Arbeitsraum dort über zwei Druckleitungen 15 mit mehreren Bremszylindern in Verbindung steht. Lediglich ein in diesen Druckleitungen angeordnetes Ventil ist dieser Figur nicht zu entnehmen und in der Beschreibung auch nicht erwähnt. Für das Vorsehen eines solchen Ventils gibt dem Fachmann aber die Druckschrift NK6 aber ein Vorbild sowie Anlass zur gemeinsamen Anwendung (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 30. April 2009 – Xa ZR 92/05, GRUR 2009, 746 (LS) – Betrieb einer Sicherheitseinrichtung). So lehrt die Druckschrift NK6 in der Druckleitung zu den Bremszylindern jeweils ein Absperrventil 14 anzuordnen, welches gemäß Spalte 1, Zeile 59, etwa ein 2/2-Wegeventil sein kann. Dieses Absperrventil beugt der thermischen Zerstörung des Elektromotors vor, da in Phasen eines längeren Druckhaltens in den Bremszylindern das Absperrventil geschlossen und der Elektromotor zu dessen Entlastung stromlos geschaltet werden kann (vgl. Spalte 2, Zeilen 20 bis 44). Dies lehrt auch das Streitpatent im Hinblick auf das für das Ausführungsbeispiel vorgeschlagene Ventil. Da sich dieses Problem auch bei der Bremsanlage stellt, die der Druckschrift NK9 entnehmbar ist, liegt es für den Fachmann nahe, auch bei dieser in den Bremsleitungen ein Absperrventil gemäß dem Vorbild der Druckschrift NK6 vorzusehen. Da dies dem Merkmal 1.10
H2A entspricht, kann auch dieses Merkmal eine erfinderische Tätigkeit ausgehend von der Offenbarung der Druckschrift NK9 nicht begründen.

151

3. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der Fassung nach den Hilfsanträgen HA3A und HA3B erweist sich ebenfalls jeweils als nicht patentfähig. So sind die Bremsanlagen der beiden Patentansprüche zwar für den Fachmann wiederum ausführbar, sie beruhen aber ausgehend von der der Druckschrift NK9 entnehmbaren Lehre unter Berücksichtigung der Offenbarung der Druckschrift NK6 jeweils nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, wobei für das Fachwissen wiederum die Druckschrift NK12 als Beleg herangezogen werden kann. Auf die Frage der Offenbarung der nun beanspruchten Gegenstände im – zulässigen – Rahmen der Ursprungsanmeldung kommt es auch hier insoweit nicht an. Ebenso bedarf es in der Folge keiner Beurteilung der weiteren Patentansprüche dieser Anträge im Übrigen.

152

Da die Patentansprüche 1 der Hilfsanträge HA3A und HA3B auf dem jeweiligen Patentanspruch 1 der Fassung nach den Hilfsanträgen HA2A und HA2B aufbauen, wird zu den bereits in diesen Patentansprüchen enthaltenen Merkmalen auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen.

153

a) Die gegenüber den Fassungen der Patentansprüche 1 nach den Hilfsanträgen HA2A und HA2B den Patentansprüchen gemäß der Hilfsanträge HA3A und HA3B jeweils neu hinzugefügten Merkmale 1.8.1
H3A, 1.8.1a
H3A und 1.8.1b
H3A bilden das Merkmal 1.8 fort, wonach unter Verwendung des Stromsensors eine Position des Kolbens angefahren wird. Dementsprechend wird ein weiteres Sensorsignal verwandt, um die Position eines Rotors der Antriebsvorrichtung zu bestimmen und über einen Zähler die Position des Kolbens anzugeben. In Absatz [0025] der Streitpatentschrift ist hierzu ausgeführt: „Hierfür misst der Shunt 23 den Strom und ein Sensorsignal 24 und gibt die Position des Rotors und über entsprechende Zähler die Position des Kolbens an“. Die Merkmale 1.8.1
H3A und 1.8.1a
H3A beanspruchen insofern zunächst bezogen auf die beanspruchte Bremsanlage allgemein die Verwendung eines weiteren Sensorsignals, mit welchem die Position des Rotors der Antriebsvorrichtung bestimmbar ist. Merkmal M1.8.1b
H3A bildet dies weiter. So wird auf Basis dieses Sensorsignals mittels einer inkrementellen Wegbestimmung über einen Zähler in der Folge, unter Berücksichtigung der mit dem Rotor wirkverbundenen und in Merkmal 1.3 beanspruchten nicht-hydraulischen Getriebevorrichtung, die Position des Kolbens angegeben. Eine konkrete Verwendung der Kolbenposition lässt der Anspruch jedoch offen.

154

Der Argumentation der Klägerin, dass die beanspruchte Bremsanlage aufgrund der neu hinzugefügten Merkmale 1.8.1
H3A, 1.8.1a
H3A und 1.8.1b
H3A nicht ausführbar sei, kann nicht durchgreifen. Zwar führt die Streitpatentschrift mit Ausnahme des bereits angegebenen Satzes in Absatz [0025] nicht weiter zu der inkrementellen Wegbestimmung über einen Zähler aus, dies ist für den zum Fachteam zählenden Elektrotechniker aber auch nicht nötig. Denn bereits zur Ansteuerung eines dreiphasigen bürstenlosen Motors insbesondere im Stillstand, wie dies Merkmal 1.2.1
H1A im Hinblick auf die Anwendung bei einer Bremseinrichtung impliziert, ist nach dem Grundlagenwissen des Fachmanns die Erfassung und Berücksichtigung der Stellung des Rotors zur phasenrichtigen Bestromung der Wicklungsstränge eine zwingende Voraussetzung. Die inkrementelle Wegerfassung durch Aufzählen der von der Sensorik herrührenden Signale, deren Verlauf bzw. Abfolge und Anzahl insoweit ein Maß für die Drehwinkeländerung im Verlauf der Bewegung und somit für den Weg mechanisch getrieblich gekoppelter Glieder ist, stellt dabei eine allgemein übliche und dem Fachmann elementar bekannte Messmethode dar.

155

b) Wie vorstehend dargelegt, ist es zur Ansteuerung des in Merkmal 1.2.1
H1A beanspruchten bürstenlosen Elektromotors zwingend notwendig, die Stellung und damit die Lage des Rotors zu bestimmen; als Beleg der Zugehörigkeit dieser steuerungstechnischen Eigenheit von bürstenlosen Elektromotoren des dreiphasigen, permanenterregten Typs zum allgemeinen Fachwissen wird insoweit auf die Druckschrift NK12, Absatz [0025], verwiesen, die derartiges dort zur Erläuterung des Aufbaus einer üblichen Steuerschaltung anspricht. Da wie vorstehend dargelegt, das Merkmal 1.2.1
H1A eine erfinderische Tätigkeit nicht zu begründen vermag, können es in der Folge daher auch nicht die Merkmale 1.8.1
H3A und 1.8.1a
H3A.

156

Auch Merkmal 1.8.1b
H3A vermag dies nicht. So regt bereits die Druckschrift NK6 den Fachmann dazu an, neben der Größe des Motorstroms zur Steuerung und Regelung der Bremsanlage auf die Daten weiterer Sensoren zurückzugreifen (vgl. Spalte 1, Zeile 64, bis Spalte 2, Zeile 5), wobei einer dieser Sensoren dazu vorgesehen ist, die Lage des Plungerkolbens anzugeben – denn während der Verstellung, also bei drehendem und beschleunigtem Rotor, ist der hierfür einzusteuernde Strom nach dem im elementaren Grundlagenwissen begründeten Verständnis des zuständigen Teams von Fachleuten für den sich momentan einstellenden Druck in der Bremsanlage nicht mehr repräsentativ. Wie dieser Sensor ausgestaltet bzw. technisch umgesetzt ist, überlässt die Druckschrift NK6 zwar dem lesenden Fachmann. Für diesen liegt es in der Folge jedoch auf der Hand, diese Lage gemäß Merkmal 1.8.1b
H3A zu ermitteln, denn bereits die Bestimmung der Position des Rotors – als Maß für die Stellung des vom Motor angetriebenen Kolbens – ist bei der wie vorstehend dargelegt naheliegenden Verwendung eines bürstenlosen Elektromotors in der durch die Druckschrift NK9 vorgegebenen Bremsanlage zwingend notwendig. In deren Kenntnis liegt es für den Fachmann auf der Hand, mittels einer die vom System bereitgestellten, repräsentativen Sensorsignale berücksichtigenden, fachüblichen inkrementellen Wegbestimmung unter Beachtung der Geometrie des die Drehbewegung übertragenden Getriebes 10 die Lage des Plungerkolben eindeutig zu bestimmen – eine rein fachmännische Maßnahme, die auch das Streitpatent zum Verständnis des Merkmals auf Grundlage des Ausführungsbeispiels sowie für die Ausführbarkeit letztendlich bereits als solche voraussetzt.

157

4. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der Fassung nach den Hilfsanträgen HA4 und HA4B erweist sich ebenfalls jeweils als nicht patentfähig. So sind die Bremsanlagen der beiden Patentansprüche zwar für den Fachmann wiederum ausführbar, sie beruhen aber ausgehend von der der Druckschrift NK9 entnehmbaren Lehre unter Berücksichtigung der Offenbarung der Druckschrift NK6 jeweils nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, wobei die Zugehörigkeit einzelner Maßnahmen zum Fachwissen wiederum durch die Druckschrift NK12 wie auch durch die Druckschriften NK2, NK3, NK4, NK5, NK7 belegt ist. Auf die Frage der Offenbarung im – zulässigen – Rahmen der Anmeldung der nun beanspruchten Gegenstände kommt es auch hier insoweit nicht an. Ebenso bedarf es in der Folge keiner Beurteilung der weiteren Patentansprüche dieser Anträge.

158

Da die Patentansprüche 1 der Hilfsanträge HA4 und HA4B auf dem jeweiligen Patentanspruch 1 der Fassung nach den Hilfsanträgen HA3A und HA3B aufbauen, wird zu den bereits in diesen Patentansprüchen enthaltenen Merkmalen auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen.

159

a) Das neu hinzugefügte Merkmal 1.10
HA4 bildet das in Merkmal 1.3 beanspruchte Kolben-Zylinder-System weiter. Die in dem Merkmal benannte Anordnung mit zwei Kolben sowie die Aufteilung des in den Merkmalen 1.3 und 1.4 beanspruchten Arbeitsraums in zwei (Teil-)Arbeitsräume mit den mit diesen verbundenen Druckleitungen entspricht dabei einem Kolben-Zylinder-System, welches der Fachmann fachüblich unter dem Begriff „Tandem-Hauptzylinder“ zur Anwendung in Fahrzeugen mit getrennten Bremskreisen subsumiert. Der erste Kolben dieses Tandem-Hauptzylinders ist gemäß dem Merkmal 1.10
HA4 in diesem Zusammenhang mechanisch mit der Antriebsvorrichtung gekoppelt. Ein solches Kolben-Zylinder-System ist in der Streitpatentschrift in einem Ausführungsbeispiel in Figur 4 gezeigt und in Absatz [0089] beschrieben.

160

Zwar mag der Wortlaut des Merkmals 1.10
HA4 in Bezug auf die Aufteilung des in Merkmal 1.3 beanspruchten „Arbeitsraums“ diesen nicht wörtlich exakt in einen „ersten Arbeitsraum“ und einen „zweiten Arbeitsraum“ unterscheiden. Dieses stellt für den Fachmann aber kein Hindernis für das Verständnis des Merkmals 1.3 1.10
HA4 dar, insoweit die beanspruchte Bremsanlage auch mit diesem Merkmal für ihn ausführbar ist.

161

b) Auch das Merkmal 1.10
HA4 begründet keine erfinderische Tätigkeit. Denn der Fachmann unterstellt bereits der in den Figuren 1 bis 3 der Druckschrift NK9 dargestellten Bremsanlage einen solchen Tandem-Hauptzylinder, wie ihn das Merkmal 1.10
HA4 beansprucht. Hierfür geben ihm insbesondere die Anordnung der Druckleitungen 115 sowie das Kolbenende des ersten Kolbens mit der daran anschließenden Feder einen ausreichenden Hinweis (vgl. Figur 2). Darüber hinaus ist der Einsatz von solchen Tandem-Hauptzylindern in Bremsanlagen fachüblich, wie etwa die Druckschriften NK2 (vgl. Figur 1), NK3 (Figur 1), NK4 (Figur 5), NK5 (Figur 1) und NK7 (Figur 1) belegen.

162

5. Aus diesen Gründen hat das Streitpatent in den Fassungen der Hilfsanträge HA1A bis HA4B jeweils keinen Bestand. Auf die von der Klägerin hinsichtlich der Hilfsanträge HA1B, HA2B, HA3B und HA4B erhobene Verspätungsrüge kam es angesichts dessen nicht mehr an.

V.

163

In der zulässigen Fassung des Hilfsantrags HA5 erweist sich das Streitpatent hingegen als rechtsbeständig.

164

1. Die Bremsanlage gemäß Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags HA5ist für den Fachmann ausführbar, den ursprünglichen Anmeldeunterlagen als zur Erfindung gehörig zu entnehmen sowie neu und auf erfinderischer Tätigkeit beruhend.

165

a) In den Patentanspruch 1 in der Fassung nach Hilfsantrag HA5 sind gegenüber dem erteilten Patentanspruch 1 die Merkmale 1.2.1
H1A, 1.8.1
H3A und 1.8.1a
H3A sowie die beiden neuen Merkmale 1.11
H5 und 1.12
H5 mitaufgenommen. Letztere lauten:

166

  • 1.11H5
  • „wobei für die stromproportionale Drucksteuerung bei Inbetriebnahme ein Kennfeld angelegt wird, das verschiedenen Stromstärken Positionen des Kolbens zugeordnet,“,
  • 1.12H5
  • „und wobei die Steuer- und Regeleinrichtung (22) bei nicht übereinstimmender Position des Kolbens (1) und Motormoment das Kennfeld adaptiert.“.

167

Zur Auslegung der Merkmale 1.2.1
H1A, 1.8.1
H3A und 1.8.1a
H3A wird auf die diesbezüglichen vorstehenden Ausführungen verwiesen.

168

Gemäß dem neuen Merkmal 1.11
H5 ist die Bremsanlage zunächst derart weitergebildet, dass bei erster Inbetriebnahme der Bremsanlage, also vor dem Einsatz derer im Regelbetrieb, ein entsprechendes Kennfeld angelegt sein und in der Steuer- und Regeleinrichtung hinterlegbar sein muss, wobei es das Kennfeld zumindest ermöglicht, verschiedenen am Elektromotor im Stillstand anliegenden bzw. einzusteuernden Stromstärken eine Position des Kolbens zuzuordnen. Ein solches Kennfeld ist in der Regel mehrdimensional und kann, wie zum Hauptantrag bereits dargelegt, weitere Nebenparameter berücksichtigen. Gemäß Absatz [0025] des Streitpatents kann das Ausgangskennfeld dabei auch die Druck-Volumen-Kennlinie der Radbremsen, Motorkennwert, Getriebewirkungsgrad und Fahrzeugverzögerung beinhalten.

169

Stimmen in der Folge im Betrieb der Bremsanlage die Ist-Position des Kolbens nicht mehr mit der Position des Kolbens überein, welche sich bei einem am Elektromotor anliegenden Strom gemäß dem Kennfeld ergeben sollte, dann ist die Steuer- und Regeleinrichtung gemäß Merkmal 1.12
H5 dazu hergerichtet, dass diese das vorbenannte Kennfeld adaptiert. Bei der Adaption wird, wie fachüblich, das vorherige Kennfeld durch ein neues Kennfeld mit anderen bzw. veränderten Kennlinien ersetzt. Dies geschieht mit dem Ziel, die bestimmte reale Ist-Position des Kolbens mit dem für den zu erzeugenden Druck maßgeblichen Strom als Grundlage für die Ansteuerung des Motors zum Anfahren einer Position in Bezug zu setzen, in der sich der lt. Kennfeld prognostizierte Druck einstellt.

170

Merkmal 1.12
H5 benennt hier als Bezugsgröße zwar das Motormoment und nicht die als Bezugsgröße gemäß Merkmal 1.11
H5 im Kennfeld hinterlegte Stromstärke. Beide Werte sind jedoch, wie vorstehend im Rahmen der Betrachtung des Offenbarungsgehalts der Druckschrift NK9 dargelegt, zumindest im stationären Zustand des Elektromotors gleichermaßen maßgeblich charakteristisch für den Systemzustand und umschreiben diesen äquivalent.

171

Die Bestimmung der Ist-Position des Kolbens lässt der Anspruch hierbei offen. Zwar wird gemäß den Merkmalen 1.8.1
H3A und 1.8.1a
H3A ein weiteres Sensorsignal verwendet, um die Position des Rotors der Antriebsvorrichtung zu bestimmen. Das noch in den Hilfsanträgen 3A und 3B enthaltene Merkmal 1.8.1b
H3A, welches die Position des Kolbens über die Position des Rotors angibt, ist jedoch nicht Teil des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag HA5.

172

Das vorstehend beschriebene Vorgehen bewirkt und eine entsprechende vorrichtungstechnische Ausgestaltung bedingt, dass im Betrieb der Bremsanlage das Kennfeld laufend adaptiert und dieses Kennfeld in der Folge bei der Steuerung zugrunde gelegt wird. Auf Absatz [0025] der Streitpatentschrift wird verwiesen.

173

Wie dargelegt, ist die gemäß Patentanspruch 1 beanspruchte Bremsanlage auch mit den hinzugefügten Merkmalen 1.2.1
H1A, 1.8.1
H3A und 1.8.1a
H3A für den Fachmann ausführbar. Dies gilt auch unter Hinzunahme der Merkmale 1.11
H5 und 1.12
H5 in der vorstehenden Auslegung.

174

b) Die Fassung des Patentspruchs 1 gemäß Hilfsantrag HA5 ist zulässig.

175

Die dort beanspruchte Bremsanlage ist mit den gegenüber der erteilten Fassung neu hinzugefügten Merkmalen den ursprünglichen Anmeldeunterlagen zu entnehmen. Die Merkmale 1.2.1
H1A, 1.8.1
H3A, 1.8.1a
H3A, 1.11
H5 und 1.12
H5 sind in dem Absatz [0029] der Druckschrift BP3 offenbart und für den Fachmann auch in deren Kombination mit den weiteren Merkmalen der beanspruchten Bremsanlage als zur Erfindung gehörig erkennbar.

176

Das Vorbringen der Klägerin, wonach aufgrund der Aufnahme dieser Merkmale eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung vorliege, da nicht der vollständige Inhalt des Absatzes [0029] in den Patentanspruch mitaufgenommen wurde, so etwa die in diesem Absatz noch aufgeführte konstruktive Ausbildung der nicht-hydraulischen Getriebevorrichtung oder in Bezug auf den vorliegenden Patentanspruch das Merkmal 1.2.2
H2A, steht dem nicht entgegen. Denn die Aufnahme eines weiteren Merkmals aus der Beschreibung in den Patentanspruch ist zulässig, wenn dadurch die zunächst weiter gefasste Lehre auf eine engere Lehre eingeschränkt wird und wenn das weitere Merkmal in der Beschreibung als zu der beanspruchten Erfindung gehörend zu erkennen war (vgl. BGH, Urteil vom 7. Dezember 1999 – X ZR 40/95, GRUR 2000, 591, Rdnr. 33 – Inkrustierungsinhibitoren). Der Patentinhaber, der nur noch für eine bestimmte Ausführungsform der angemeldeten Erfindung Schutz begehrt, ist dabei nicht genötigt, sämtliche Merkmale eines Ausführungsbeispiels in den Anspruch aufzunehmen (BGH, Urteil vom 15. November 2005 – X ZR 17/02, GRUR 2006, 316, Rdnr. 22 – Koksofentür). Dienen insofern mehrere in der Beschreibung eines Ausführungsbeispiels genannte Merkmale der näheren Ausgestaltung der unter Schutz gestellten Erfindung, die je für sich, aber auch zusammen den durch die Erfindung erreichten Erfolg fördern, hat es der Patentinhaber in der Hand, ob er sein Patent durch die Aufnahme einzelner oder sämtlicher dieser Merkmale beschränkt; in dieser Hinsicht können dem Patentinhaber keine Vorgaben gemacht werden (vgl. BGH GRUR – Spleißkammer, a.a.O.).

177

c) Die in Patentanspruch 1 in der Fassung nach Hilfsantrag HA5 beanspruchte Bremsanlage ist gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik nicht nur neu, sie beruht gegenüber diesem Stand der Technik auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

178

So können die Merkmale 1.2.1
H1A, 1.8.1
H3A und 1.8.1a
H3A wie vorstehend dargelegt zwar eine erfinderische Tätigkeit nicht begründen und auch die Anlage eines Kennfeldes gemäß Merkmal 1.11
H5 ist bei Inbetriebnahme der Bremsanlage für den Fachmann unter dem Aspekt der Offenbarung der Druckschrift NK9 zur stromproportionalen Drucksteuerung zwingend notwendig. Allerdings ist das Merkmal 1.12
H5, wonach die Steuer- und Regeleinrichtung dafür hergerichtet ist das Kennfeld zu adaptieren, wenn die Ist-Position des Kolbens mit der durch das Kennfeld prognostizierten Position des Kolbens nicht übereinstimmt, weder durch den im Verfahren befindlichen Stand der Technik vorbekannt noch durch diesen nahegelegt. Auch handelt es sich bei dem Vorgehen und der damit verbundenen Ausbildung der Steuer- und Regeleinrichtung nicht um ein generelles, für eine Vielzahl von Anwendungsfällen in Betracht zu ziehendes Mittel, das seiner Art nach zum allgemeinen Fachwissen gehört und sich auch in dem konkret zu beurteilenden Zusammenhang als objektiv zweckmäßig darstellt, denn ein Vorbild oder Beleg hierfür ist weder angegeben noch erkennbar.

179

Soweit die Klägerin ausführt, dass bereits die Druckschrift NK9 mit Verweis auf Spalte 6, Zeilen 29 ff., verschiedene Kennlinien offenbaren würde, die je nach Bedarf Verwendung finden würden, trifft dies zu. Bei diesen Kennlinien handelt es sich aber nicht um ein Kennfeld im Sinne der Auslegung, welches Stromstärken Positionen des Kolbens zuordnet, sondern um Kennlinien, welche den Zusammenhang zwischen Bremspedalstellung und Soll-Position des Kolbens darstellen, also um Verstärkerkennlinien. Darüber hinaus ist das Vorsehen verschiedener Kennlinien oder selbst Kennfelder, von denen je nach Bedarf eine bzw. eines ausgewählt wird, nicht mit der anspruchsgemäßen Adaption gleichzusetzen, bei der ein vorgegebenes Kennfeld im Betrieb auf Grundlage der erfassten Kenngrößen durch ein neues Kennfeld ersetzt – im Sinne von überschrieben – wird. Die Druckschrift NK9 kann daher keine Anregung zur Adaption des Kennfeldes geben oder dies gar vorwegnehmen.

180

Auch die von der Klägerin in diesem Zusammenhang benannte Druckschrift NK1 vermag dies nicht. Diese offenbart eine Gewichtung verschiedener Eingangsgrößen, hier Temperatur und Pedalweg, zur Bestimmung eines Sollwerts, hier Soll-Bremsdruck, einer Bremsanlage. Diese Gewichtung findet damit in Bezug auf die Verstärkerkennlinie der Bremsanlage statt und nicht in Bezug auf ein patentgemäßes Kennfeld. Darüber hinaus ist diese Gewichtung ebenso nicht mit der patentgemäßen Adaption vergleichbar.

181

2. Die Merkmale der abhängigen Patentansprüche 2 bis 19 gehen über reine Selbstverständlichkeiten hinaus, sie begegnen insoweit keinen Bedenken. Solche hat die Klägerin auch nicht vorgebracht.

VI.

182

Aus diesen Gründen erweist sich das Streitpatent in der Fassung des Hilfsantrags HA5 als rechtsbeständig. Auf die weiteren Hilfsanträge HA6, HA6B, HA7 und HA8 kam es angesichts dessen nicht mehr an.

VII.

183

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 Satz 2 PatG i. V. m. § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO.

184

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 S. 1 und S. 2 ZPO.