BVerwG 9. Senat, Beschluss vom 17.08.2022, AZ 9 B 7/22, ECLI:DE:BVerwG:2022:170822B9B7.22.0
Verfahrensgang
vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 1. Februar 2022, Az: 11 A 2168/20, Beschluss
vorgehend VG Düsseldorf, 1. Juli 2020, Az: 16 K 479/19, Urteil
Tenor
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 1. Februar 2022 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 35 850 € festgesetzt.
Gründe
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Die Beschwerde der Kläger, die auf die Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützt ist, hat keinen Erfolg.
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1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
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Grundsätzlich bedeutsam im Sinne dieser Vorschrift ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Den Darlegungen der Beschwerde lässt sich nicht entnehmen, dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind.
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a) Der Umstand, dass das Berufungsgericht die Berufung zur Klärung des Anwendungsbereichs des § 6 UmwRG zugelassen hat, zwingt für sich genommen nicht zur Zulassung der Revision. Dies ergibt sich schon daraus, dass auch nach der Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision gegenüber dem Bundesverwaltungsgericht die grundsätzliche Bedeutung gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO darzulegen ist und die Prüfung des Bundesverwaltungsgerichts sich auf diese Darlegung beschränkt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Januar 2014 – 5 B 44.13 – juris Rn. 6 m. w. N.).
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b) Die Frage,
ob das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz auf sämtliche (Landes-)Straßenvorhaben anzuwenden ist, soweit eine Umweltverträglichkeitsprüfung möglich ist, oder nur für solche Vorhaben europarechtskonform zulässig ist, bei denen es sich um Schnellstraßen im Sinne der europäischen Straßenregelungen (hier: Begriffsbestimmungen des Europäischen Übereinkommens über die Hauptstraßen des Internationalen Verkehrs vom 15. November 1975) handelt,
bedarf nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens, da sie sich – soweit sie revisibles Bundesrecht betrifft – anhand der herkömmlichen Auslegungsmethoden ohne Weiteres beantworten lässt.
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Die Frage des Anwendungsbereichs des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes ist in dessen § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 geregelt. Danach ist es u. a. anzuwenden auf Rechtsbehelfe gegen Zulassungsentscheidungen im Sinne von § 2 Abs. 6 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung – UVPG – über die Zulässigkeit von Vorhaben, für die nach landesrechtlichen Vorschriften eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bestehen kann.
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Dass der angegriffene Planfeststellungsbeschluss eine Zulassungsentscheidung im Sinne von § 2 Abs. 6 UVPG ist, ergibt sich eindeutig aus dessen Wortlaut und wird auch von den Klägern nicht in Abrede gestellt. Unzweifelhaft geht es bei der streitigen Landesstraße auch um ein Vorhaben (vgl. hierzu § 2 Abs. 4 UVPG). Eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung kann schließlich nach einhelliger Auffassung auch dann bestehen, wenn eine Umweltverträglichkeitsprüfung nicht zwingend vorgeschrieben ist, jedoch eine Pflicht zur Vorprüfung des Einzelfalles besteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. September 2019 – 7 C 5.18 – BVerwGE 166, 321 Rn. 19; Bunge, Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, 2. Aufl. 2019, § 1 Rn. 70 m. w. N. zur Rechtsprechung).
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Das Berufungsgericht hat hier eine solche landesrechtliche Pflicht zur Vorprüfung des Einzelfalles nach § 1 Abs. 1 Satz 1 UVPG NRW i. V. m. der Anlage 1 zum UVPG NRW angenommen. Soweit es dabei auf den Tatbestand der Nr. 5 der Anlage abgestellt und hierfür entgegen der Auffassung der Kläger das Vorliegen einer „Schnellstraße im Sinne der Begriffsbestimmungen des Europäischen Übereinkommens über die Hauptstraßen des Internationalen Verkehrs vom 15. November 1975“ für nicht erforderlich gehalten hat, beruht dies offenbar darauf, dass das Oberverwaltungsgericht die aktuelle Fassung der Anlage zitiert hat, während die Kläger die zum Zeitpunkt des Erlasses des Planfeststellungsbeschlusses geltende Fassung zugrunde gelegt haben, in der die heutige Nr. 2 unter Nr. 5 geregelt war. Inhaltlich macht dies hier keinen Unterschied, weil sich die vom Gericht angenommene Vorprüfungspflicht für den Bau einer sonstigen Straße nach Landesrecht in der früheren Fassung aus Nr. 8 der Anlage ergab.
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Im Übrigen handelt es sich bei den Vorschriften des Landesumweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes NRW ohnehin um landesrechtliche Regelungen, die nicht der revisionsgerichtlichen Kontrolle unterfallen. Einen grundsätzlichen Klärungsbedarf in Bezug auf revisible Rechtsnormen zeigt die Beschwerde nicht auf.
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c) Die Frage,
„inwiefern eine konkretisierende Klageerhebung durch einzelne Hilfsanträge das Kriterium der Konkretisierung des § 6 UmwRG erfüllt“,
rechtfertigt ebenfalls keine Zulassung der Revision. Soweit sich Fragen im Zusammenhang mit der Klagebegründungspflicht des § 6 UmwRG fallübergreifend beantworten lassen, sind sie in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt.
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Nach § 6 Satz 1 und 2 UmwRG hat eine Person oder eine Vereinigung innerhalb einer Frist von zehn Wochen ab Klageerhebung die zur Begründung ihrer Klage dienenden Tatsachen und Beweismittel anzugeben; Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf dieser Frist vorgebracht werden, sind grundsätzlich nur zuzulassen, wenn die Verspätung entschuldigt ist (§ 6 Satz 3 UmwRG i. V. m. § 87b Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Der Zweck der Klagebegründungsfrist besteht darin, zur Straffung des Gerichtsverfahrens beizutragen, indem der Prozessstoff zu einem frühen Zeitpunkt handhabbar gehalten wird. Schon innerhalb der Begründungsfrist hat der Kläger grundsätzlich den Prozessstoff festzulegen und Beweismittel für einen späteren förmlichen Beweisantrag bereits anzugeben, was späteren lediglich vertiefenden Tatsachenvortrag nicht ausschließt. Über die Klagebegründungsfrist ist nicht nach § 58 VwGO zu belehren (s. zu alledem näher BVerwG, Urteile vom 27. November 2018 – 9 A 8.17 – BVerwGE 163, 380 Rn. 14 und vom 3. November 2020 – 9 A 7.19 – BVerwGE 170, 138 Rn. 15 f. zur vergleichbaren Frist nach § 18e Abs. 5 Satz 1 AEG).
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Die Kläger zeigen in ihrer Beschwerde keinen weiteren abstrakten Klärungsbedarf auf, insbesondere legen sie nicht dar, dass sich gerade aus der Formulierung von Hilfsanträgen Besonderheiten in Bezug auf die Klagebegründungspflicht ergeben. Dafür ist auch nichts ersichtlich. Das Berufungsgericht hat die beiden im Berufungsverfahren aufrechterhaltenen Hilfsanträge wie normalen Sachvortrag im Rahmen einer Klagebegründung behandelt. Hinsichtlich des ersten Hilfsantrags, der auf den Verzicht der Anpflanzung einer näher bezeichneten Feldhecke gerichtet war, vermisst das Berufungsgericht eine Auseinandersetzung mit dem Planfeststellungsbeschluss (vgl. BA S. 12 Mitte), hinsichtlich des zweiten Hilfsantrags, der auf verbesserten Lärmschutz für bestimmte Grundstücke abzielte, hat es sich unabhängig von der Frage der Einhaltung der Klagebegründungspflicht ausführlich in der Sache mit dem Anliegen befasst (BA S. 15 ff.).
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Mit ihrer Kritik, das Berufungsgericht hätte die weiterverfolgten Hilfsanträge als ausreichende Konkretisierung und Beschränkung des Klagegegenstandes ansehen müssen, wenden die Kläger sich letztlich gegen die gerichtliche Annahme der unzureichenden Substantiierung; sie rügen also lediglich eine fehlerhafte Rechtsanwendung. Darauf lässt sich eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache jedoch nicht stützen (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 – 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14 und vom 19. November 2020 – 9 B 40.19 – NVwZ-RR 2021, 326 Rn. 15). Hinsichtlich des zweiten Hilfsantrags wäre die aufgeworfene Frage zudem – wie aufgezeigt – nicht entscheidungserheblich.
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d) Die Frage,
„inwiefern eine Klageerhebung, verbunden mit konkreten Hilfsanträgen und den Hinweisen auf bisherigen Schriftverkehr sowie substantiierenden Vortrag in den Anhörungsverfahren tatsächlich für ein Verwaltungsgericht derart unerreichbar ist, dass ein solcher Prozessvortrag als nicht ausreichend im Sinne des § 87b VwGO anzusehen ist“,
zielt auf die Annahme des Berufungsgerichts, die innerprozessuale Präklusion des außerhalb der Klagebegründungsfrist liegenden Vorbringens nach § 6 Satz 2 UmwRG sei auch nicht nach § 6 Satz 3 UmwRG i. V. m. dem entsprechend geltenden § 87b Abs. 3 Satz 3 VwGO ausgeschlossen, weil es dem Verwaltungsgericht nicht möglich gewesen wäre, den Sachverhalt mit geringem Aufwand ohne Mitwirkung der Kläger zu ermitteln (BA S. 13 ff.). Die Kläger übersähen, dass § 6 Satz 1 UmwRG die Obliegenheit begründe, den Prozessstoff gerade
innerhalb der sich an die Klagerhebung anschließenden Zehn-Wochen-Frist festzulegen. Nur so werde der Zweck, das Verfahren durch eine frühzeitige Festlegung des Streitstoffes zu beschleunigen, erreicht. Wäre das Gericht gehalten, den vom Kläger zugrunde gelegten Sachverhalt anhand von späteren Schriftsätzen zu ermitteln, liefe die Obliegenheit des Klägers zur frühzeitigen Fixierung des Streitstoffes leer. Auch der Verweis der Kläger auf ihre Einwendungen im Verwaltungsverfahren führe nicht weiter. Zum einen stelle ein eigenständiges Durchsuchen von umfangreichen Verfahrensakten nach Einwendungen oder anderen Stellungnahmen der klagenden Partei regelmäßig einen Aufwand dar, der nicht mehr als gering im Sinne des § 6 Satz 3 UmwRG i. V. m. § 87b Abs. 3 Satz 3 VwGO anzusehen sei, zum anderen ließe auch ein solches Verständnis die Obliegenheit des Klägers zur Fixierung des Streitstoffes leerlaufen und verpflichtete das Gericht zu Spekulationen über das vom Kläger Gewünschte.
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Mit diesen Erwägungen setzt sich die Beschwerdebegründung nicht auseinander; sie beschränkt sich auf die Formulierung der – im Übrigen aus sich heraus kaum verständlichen – Frage.
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e) Soweit die Beschwerde vorträgt, das Verfahren gebe Gelegenheit, „die Fragen der Verhältnismäßigkeit von Eingriffen in höchstpersönliche (Menschen-)Rechte zu Eingriffen in Natur und Umwelt neu auszutarieren“, wird schon keine abstrakte Rechtsfrage herausgearbeitet und präzise formuliert.
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2. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensmangels im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
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a) Ein solcher Verfahrensmangel ist ein Verstoß gegen Verfahrensnormen, der den Weg zu dem Urteil und die Art und Weise des Urteilserlasses, nicht dessen Inhalt betrifft (BVerwG, Beschluss vom 27. Januar 2022 – 9 B 36.21 – juris Rn. 8 m. w. N.). Einen solchen legen die Kläger mit dem Einwand, das Oberverwaltungsgericht sei zu Unrecht von der Anwendung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes ausgegangen, nicht dar. Sie rügen damit nicht die Verletzung einer Vorschrift, die den gerichtlichen Verfahrensablauf regelt, sondern die Auslegung und Anwendung von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG.
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b) Eine Verletzung der Pflicht nach § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 VwGO, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, ist nicht den Anforderungen von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dargelegt.
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Zur Begründung eines Verstoßes gegen den Amtsermittlungsgrundsatz muss insbesondere substantiiert dargelegt werden, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände nach der materiell-rechtlichen Auffassung der Vorinstanz, die insoweit selbst dann maßgeblich ist, wenn sie verfehlt sein sollte, Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 24. November 2021 – 9 B 5.21 – juris Rn. 12 f.). Daran fehlt es. Die Beschwerde geht bei ihrer Kritik von der fehlenden Anwendbarkeit des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und damit nicht von der für die Darlegung eines Verfahrensfehlers maßgeblichen Rechtsauffassung des Berufungsgerichts aus.
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3. Soweit die Kläger im Übrigen pauschal auf ihren gesamten schriftsätzlichen Vortrag in den Vorinstanzen Bezug nehmen, genügt dies nicht den Darlegungsanforderungen nach § 133 Abs. 3 VwGO. Das Revisionsgericht ist nicht gehalten, das gesamte vorinstanzliche Vorbringen darauf durchzusehen, inwieweit es Anhaltspunkte für Zulassungsgründe enthalten könnte (vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 11. Februar 2019 – 9 B 46.18 – juris Rn. 5 m. w. N.).
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.