Beschluss des BPatG München 9. Senat vom 10.08.2022, AZ 9 W (pat) 58/19

BPatG München 9. Senat, Beschluss vom 10.08.2022, AZ 9 W (pat) 58/19, ECLI:DE:BPatG:2022:100822B9Wpat58.19.0

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend das Patent 10 2012 005 395

hat der 9. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 10. August 2022 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.- Ing. Univ. Hubert sowie der Richterin Kriener, des Richters Dipl.- Ing. Körtge und der Richterin Dipl.-Ing. Univ. Peters

beschlossen:

Auf die Beschwerde der Einsprechenden wird der Beschluss der Patentabteilung 21 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 20. November 2018 aufgehoben und das Patent 10 2012 005 395 widerrufen.

Gründe

I.

1

Auf die am 16. März 2012 beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) eingegangene Anmeldung 10 2012 005 395.9 ist das Streitpatent mit der Bezeichnung

2

„Federungsanordnung für eine Radaufhängung eines Kraftfahrzeuges“

3

erteilt und am 11. September 2014 veröffentlicht worden. Auf den gegen das Patent mit Schriftsatz vom 2. Juni 2015 – beim DPMA eingegangen am 5. Juni 2015 – eingelegten Einspruch der Einsprechenden ist das Patent durch den in der Anhörung vom 20. November 2018 verkündeten Beschluss der Patentabteilung 21 des Deutschen Patent- und Markenamts beschränkt aufrechterhalten worden.

4

Zur Begründung des Einspruchs sind im Einspruchsverfahren u. a. folgende Druckschriften als Stand der Technik genannt worden:

5

D1: DE 101 48 095 A1 und

6

D2: DE 10 2009 005 899 A1, sowie

7

im Beschwerdeverfahren u. a. zusätzlich die Druckschriften

8

D31: DE 199 56 090 A1 und

9

D33: FR 0 394 438 A1.

10

Gegen den der Einsprechenden ausweislich der elektronischen Akte des DPMA am 24. Januar 2019 zugestellten Beschluss richtet sich die am 18. Februar 2019 beim DPMA eingegangene Beschwerde der Einsprechenden. Mit Schriftsatz vom 18. April 2019 hat sie eine Beschwerdebegründung beim Bundespatentgericht eingereicht, in der sie eine Schutzbereichserweiterung, eine unzulässige Erweiterung und eine mangelnde Patentfähigkeit geltend gemacht hat.

11

Die Patentinhaberin hat mit Schreiben vom 7. August 2019 vorgetragen, dass sie den Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der beschränkt aufrechterhaltenen Fassung sowohl nicht als unzulässig erweitert als auch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend erachtet.

12

Mit Zwischenbescheid vom 3. März 2022 hat der Senat seine vorläufige Auffassung u. a. dahingehend geäußert, dass der Schutzbereich des Patents in der beschränkt aufrechterhaltenen Fassung unzulässig erweitert sein könnte, denn in der erteilten Fassung sei nach Anspruch 1 ein Achssteller für eine Radaufhängung eines Kraftfahrzeugs unter Schutz gestellt, der für den Betrieb mit einer Radaufhängung eines Kraftfahrzeugs geeignet sein müsse, wohingegen in der beschränkt aufrechterhaltenen Fassung ein Fahrzeug geschützt sei, bei dem jedem Fahrzeugrad ein eben solcher Achssteller zugeordnet sei.

13

Auf die Mitteilung des Senats hat die Patentinhaberin mit Schriftsatz vom 13. April 2022 Stellung genommen und dabei erläutert, dass sie den Gegenstand nach Anspruch 1 in der beschränkt aufrechterhaltenen Fassung weiterhin als ursprünglich offenbart und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend ansehe. Eine Schutzbereichserweiterung vermöge sie nicht zu erkennen, vielmehr sei sie der Überzeugung, dass der Schutzbereich insoweit reduziert sei, als der Achssteller im Anspruch 1 nunmehr zwingend mit dem Kraftfahrzeug als konkrete Anwendung verknüpft sei.

14

Neben der mit Ausnahme der gegenüber der vorinstanzlichen Fassung nun einteiligen unveränderten Formulierung des Hauptanspruchs, hat sie zur Verteidigung ihres Schutzbegehrens vier Hilfsanträge 1 bis 4 eingereicht.

15

In der mündlichen Verhandlung hat der Vertreter der Patentinhaberin zwei weitere Hilfsanträge 3a und 4a übergeben.

16

Die Vertreterin der Einsprechenden hat die Hilfsanträge 2, 3, 3a, 4 und 4a als formal unzulässig angesehen, da durch den Rückbezug auf Achssteller, die nicht mehr zwingend mit dem Kraftfahrzeug als konkrete Anwendung verknüpft seien, wie noch im Hauptantrag und Hilfsantrag 1, für die Einsprechende eine gegen den Grundsatz „reformatio in peius“ verstoßende Schlechterstellung ihrer Rechtsposition einhergehe.

17

Die Beschwerdeführerin und Einsprechende stellte den Antrag,

18

den Beschluss der Patentabteilung 21 des Deutschen Patent- und Markenamts (DPMA) vom 20. November 2018 aufzuheben und das Patent 10 2012 005 395 zu widerrufen.

19

Die Beschwerdegegnerin und Patentinhaberin stellte den Antrag,

20

die Beschwerde der Einsprechenden zurückzuweisen.

21

Hilfsweise beantragte sie – jeweils unter unveränderter Beibehaltung der Zeichnungen – die beschränkte Aufrechterhaltung des Patents in der Reihenfolge folgender Hilfsanträge:

22

– Patentansprüche 1 bis 9 gemäß Hilfsantrag 1,

23

– Beschreibungsseiten 1 bis 12,

24

jeweils eingereicht mit Schriftsatz vom 13. April 2022;

25

– Patentansprüche 1 bis 9 gemäß Hilfsantrag 2,

26

– Beschreibungsseiten 1 bis 12,

27

jeweils eingereicht mit Schriftsatz vom 13. April 2022;

28

– Patentansprüche 1 bis 9 gemäß Hilfsantrag 3,

29

– Beschreibungsseiten 1 bis 12,

30

jeweils eingereicht mit Schriftsatz vom 13. April 2022;

31

– Patentansprüche 1 bis 8 gemäß Hilfsantrag 3a,

32

– Beschreibungsseiten 1 bis 12,

33

jeweils eingereicht in der mündlichen Verhandlung;

34

– Patentansprüche 1 bis 8 gemäß Hilfsantrag 4,

35

– Beschreibungsseiten 1 bis 12,

36

jeweils eingereicht mit Schriftsatz vom 13. April 2022;

37

– Patentansprüche 1 bis 7 gemäß Hilfsantrag 4a,

38

– Beschreibungsseiten 1 bis 12,

39

jeweils eingereicht in der mündlichen Verhandlung.

40

Patentanspruch 1 in erteilter Fassung lautet:

41

„1. Achssteller für eine Radaufhängung eines Kraftfahrzeuges, mit einer Drehstabfeder (22), die über einen Drehsteller (28) in ihrer Vorspannung verstellbar ist, wobei die Drehstabfeder (22) radseitig auf einen Abtriebshebel (38) wirkt, der über eine Koppelstange (40) an einem Radführungselement (12) der Radaufhängung angelenkt ist, welche Koppelstange (40) über Gelenke (42) mit dem Abtriebshebel (38) und mit dem Radführungselement (12) verbunden ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Koppelstange (40) als eine Feder definierter Federrate ausgebildet ist.“

42

Patentanspruch 1 nach Hauptantrag, in der Fassung, die im Einspruchsverfahren aufrechterhalten worden ist (Änderungen gegenüber der erteilten Fassung des Patentanspruchs 1 sind kenntlich gemacht), lautet:

43

„1.
Kraftfahrzeug, bei dem jedem Fahrzeugrad (16) ein Achssteller für eine Radaufhängung
deseines Kraftfahrzeuges
zugeordnet ist, so dass für jedes Fahrzeugrad (16) funktionell unabhängig von den anderen Fahrzeugrädern (16) aktive Stellkräfte erzeugbar sind, wobei jeder Achssteller eine, mit einer Drehstabfeder (22)
aufweist, die über einen Drehsteller (28) in ihrer Vorspannung verstellbar ist, wobei die Drehstabfeder (22) radseitig auf einen Abtriebshebel (38) wirkt, der über eine Koppelstange (40) an einem Radführungselement (12) der Radaufhängung angelenkt ist, welche Koppelstange (40) über Gelenke (42) mit dem Abtriebshebel (38) und mit dem Radführungselement (12) verbunden ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Koppelstange (40) als eine Feder definierter Federrate ausgebildet ist
, dass die Koppelstange (40) eine C-förmige Blattfeder ist, deren Federfußpunkte (47) über die Gelenke (42) an dem Abtriebshebel (38) und an dem Radführungselement (12) angelenkt sind, und dass die C-förmige Blattfeder eine sichelförmige Seitenkontur mit einem mittleren Bereich hoher Materialstärke (s1) aufweist, der sich zu den gelenkseitigen Federfußpunkten (47) hin verjüngt.“

44

Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1, eingereicht mit Schriftsatz vom 13. April 2022 (Änderungen gegenüber Patentanspruch 1 nach Hauptantrag sind kenntlich gemacht), lautet:

45

„1. Kraftfahrzeug, bei dem jedem Fahrzeugrad (16) ein Achssteller für eine Radaufhängung des Kraftfahrzeuges zugeordnet ist, so dass für jedes Fahrzeugrad (16) funktionell unabhängig von den anderen Fahrzeugrädern (16) aktive Stellkräfte erzeugbar sind, wobei jeder Achssteller eine Drehstabfeder (22) aufweist, die über einen Drehsteller (28) in ihrer Vorspannung verstellbar ist, wobei die Drehstabfeder (22) radseitig auf einen Abtriebshebel (38) wirkt, der über eine Koppelstange (40) an einem Radführungselement (12) der Radaufhängung angelenkt ist, welche Koppelstange (40) über Gelenke (42) mit dem Abtriebshebel (38) und mit dem Radführungselement (12) verbunden ist,
wobei die Drehstabfeder (22) als ein geschachteltes Drehfedersystem ausgeführt ist, bestehend aus einer Rohrfeder (22a) und einer Vollstabfeder (22b), wobeidadurch gekennzeichnet, dass die Koppelstange (40) als eine Feder definierter Federrate ausgebildet ist,
wobeidass die Koppelstange (40) eine C-förmige Blattfeder ist, deren Federfußpunkte (47) über die Gelenke (42) an dem Abtriebshebel (38) und an dem Radführungselement (12) angelenkt sind, und
wobeidass die C-förmige Blattfeder eine sichelförmige Seitenkontur mit einem mittleren Bereich hoher Materialstärke (s
1) aufweist, der sich zu den gelenkseitigen Federfußpunkten (47) hin verjüngt.“

46

Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2, eingereicht mit Schriftsatz vom 13. April 2022 (Änderungen gegenüber Patentanspruch 1 nach Hauptantrag sind kenntlich gemacht), lautet:

47

„1. Achssteller für eine Radaufhängung eines Kraftfahrzeuges, mit einer Drehstabfeder (22),Kraftfahrzeug, bei dem jedem Fahrzeugrad (16) ein Achssteller für eine Radaufhängung des Kraftfahrzeuges zugeordnet ist, so dass für jedes Fahrzeugrad (16) funktionell unabhängig von den anderen Fahrzeugrädern (16) aktive Stellkräfte erzeugbar sind, wobei jeder Achssteller eine Drehstabfeder (22) aufweist, die über einen Drehsteller (28) in ihrer Vorspannung verstellbar ist, wobei die Drehstabfeder (22) radseitig auf einen Abtriebshebel (38) wirkt, der über eine Koppelstange (40) an einem Radführungselement (12) der Radaufhängung angelenkt ist, welche Koppelstange (40) über Gelenke (42) mit dem Abtriebshebel (38) und mit dem Radführungselement (12) verbunden ist,
wobeidadurch gekennzeichnet, dass die Koppelstange (40) als eine Feder definierter Federrate ausgebildet ist,
wobeidass die Koppelstange (40) eine C-förmige Blattfeder ist, deren Federfußpunkte (47) über die Gelenke (42) an dem Abtriebshebel (38) und an dem Radführungselement (12) angelenkt sind, und
wobeidass die C-förmige Blattfeder eine sichelförmige Seitenkontur mit einem mittleren Bereich hoher Materialstärke (s
1) aufweist, der sich zu den gelenkseitigen Federfußpunkten (47) hin verjüngt.“

48

Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3, eingereicht mit Schriftsatz vom 13. April 2022 (Änderungen gegenüber Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 sind kenntlich gemacht), lautet:

49

„1. Achssteller für eine Radaufhängung eines Kraftfahrzeuges, mit einer Drehstabfeder (22), die über einen Drehsteller (28) in ihrer Vorspannung verstellbar ist, wobei die Drehstabfeder (22) radseitig auf einen Abtriebshebel (38) wirkt, der über eine Koppelstange (40) an einem Radführungselement (12) der Radaufhängung angelenkt ist, welche Koppelstange (40) über Gelenke (42) mit dem Abtriebshebel (38) und mit dem Radführungselement (12) verbunden ist,
wobei die Drehstabfeder (22) als ein geschachteltes Drehfedersystem ausgeführt ist, bestehend aus einer Rohrfeder (22a) und einer Vollstabfeder (22b), wobei die Koppelstange (40) als eine Feder definierter Federrate ausgebildet ist, wobei die Koppelstange (40) eine

C-förmige Blattfeder ist, deren Federfußpunkte (47) über die Gelenke (42) an dem Abtriebshebel (38) und an dem Radführungselement (12) angelenkt sind, und wobei die C-förmige Blattfeder eine sichelförmige Seitenkontur mit einem mittleren Bereich hoher Materialstärke (s
1) aufweist, der sich zu den gelenkseitigen Federfußpunkten (47) hin verjüngt.“

50

Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3a, übergeben in der mündlichen Verhandlung (Änderungen gegenüber Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3 sind kenntlich gemacht), lautet:

51

„1. Achssteller für eine Radaufhängung eines Kraftfahrzeuges, mit einer Drehstabfeder (22), die über einen Drehsteller (28) in ihrer Vorspannung verstellbar ist, wobei die Drehstabfeder (22) radseitig auf einen Abtriebshebel (38) wirkt, der über eine Koppelstange (40) an einem Radführungselement (12) der Radaufhängung angelenkt ist, welche Koppelstange (40) über Gelenke (42) mit dem Abtriebshebel (38) und mit dem Radführungselement (12) verbunden ist, wobei die Drehstabfeder (22) als ein geschachteltes Drehfedersystem ausgeführt ist, bestehend aus einer Rohrfeder (22a) und einer Vollstabfeder (22b), wobei die Koppelstange (40) als eine Feder definierter Federrate ausgebildet ist, wobei die Koppelstange (40) eine
C-förmige Blattfeder ist, deren Federfußpunkte (47) über die Gelenke (42) an dem Abtriebshebel (38) und an dem Radführungselement (12) angelenkt sind, und wobei die C-förmige Blattfeder eine sichelförmige Seitenkontur mit einem mittleren Bereich hoher Materialstärke (s
1) aufweist, der sich zu den gelenkseitigen Federfußpunkten (47) hin verjüngt
, wobei der Abtriebshebel (38) ein starr ausgebildetes Bauteil ohne Federeigenschaften ist, und wobei die Drehstabfeder (22) und die Koppelstange (40) über den starr ausgebildeten Abtriebshebel (38) verbunden sind, der ohne Speicherung/Abgabe von Federarbeit alleine der Drehmomentübertragung von der Drehstabfeder (22) auf die Koppelstange (40) dient.“

52

Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 4, eingereicht mit Schriftsatz vom 13. April 2022 (Änderungen gegenüber Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3 sind kenntlich gemacht), lautet:

53

„1. Achssteller für eine Radaufhängung eines Kraftfahrzeuges, mit einer Drehstabfeder (22), die über einen Drehsteller (28) in ihrer Vorspannung verstellbar ist, wobei die Drehstabfeder (22) radseitig auf einen Abtriebshebel (38) wirkt, der über eine Koppelstange (40) an einem Radführungselement (12) der Radaufhängung angelenkt ist, welche Koppelstange (40) über Gelenke (42) mit dem Abtriebshebel (38) und mit dem Radführungselement (12) verbunden ist, wobei die Drehstabfeder (22) als ein geschachteltes Drehfedersystem ausgeführt ist, bestehend aus einer Rohrfeder (22a) und einer Vollstabfeder (22b), wobei die Koppelstange (40) als eine Feder definierter Federrate ausgebildet ist, wobei die Koppelstange (40) eine
C-förmige Blattfeder ist, deren Federfußpunkte (47) über die Gelenke (42) an dem Abtriebshebel (38) und an dem Radführungselement (12) angelenkt sind, und wobei die C-förmige Blattfeder eine sichelförmige Seitenkontur mit einem mittleren Bereich hoher Materialstärke (s
1) aufweist, der sich zu den gelenkseitigen Federfußpunkten (47) hin verjüngt
, und wobei der Abtriebshebel (38) und der Drehsteller (28) in der Fahrzeugquerrichtung jeweils an der dem Fahrzeugrad (16) zugewandten Seite des Achsstellers positioniert sind, wobei die Drehstabfeder (22) ausgehend von dem Drehsteller (28) als Rohrfeder (22a) verläuft, die am vom Drehsteller (28) abgewandten Ende trieblich mit einem Vollstab (22b) verbunden ist, der zurückverlaufend durch den Drehsteller (28) hindurch mit dem Abtriebshebel (38) verbunden ist.“

54

Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 4a, übergeben in der mündlichen Verhandlung (Änderungen gegenüber Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 4 sind kenntlich gemacht), lautet:

55

„1. Achssteller für eine Radaufhängung eines Kraftfahrzeuges, mit einer Drehstabfeder (22), die über einen Drehsteller (28) in ihrer Vorspannung verstellbar ist, wobei die Drehstabfeder (22) radseitig auf einen Abtriebshebel (38) wirkt, der über eine Koppelstange (40) an einem Radführungselement (12) der Radaufhängung angelenkt ist, welche Koppelstange (40) über Gelenke (42) mit dem Abtriebshebel (38) und mit dem Radführungselement (12) verbunden ist, wobei die Drehstabfeder (22) als ein geschachteltes Drehfedersystem ausgeführt ist, bestehend aus einer Rohrfeder (22a) und einer Vollstabfeder (22b), wobei die Koppelstange (40) als eine Feder definierter Federrate ausgebildet ist, wobei die Koppelstange (40) eine
C-förmige Blattfeder ist, deren Federfußpunkte (47) über die Gelenke (42) an dem Abtriebshebel (38) und an dem Radführungselement (12) angelenkt sind, und wobei die C-förmige Blattfeder eine sichelförmige Seitenkontur mit einem mittleren Bereich hoher Materialstärke (s
1) aufweist, der sich zu den gelenkseitigen Federfußpunkten (47) hin verjüngt,
und wobei der Abtriebshebel (38) und der Drehsteller (28) in der Fahrzeugquerrichtung jeweils an der dem Fahrzeugrad (16) zugewandten Seite des Achsstellers positioniert sind, wobei die Drehstabfeder (22) ausgehend von dem Drehsteller (28) als Rohrfeder (22a) verläuft, die am vom Drehsteller (28) abgewandten Ende trieblich mit einem Vollstab (22b) verbunden ist, der zurückverlaufend durch den Drehsteller (28) hindurch mit dem Abtriebshebel (38) verbunden ist
, wobei der Abtriebshebel (38) ein starr ausgebildetes Bauteil ohne Federeigenschaften ist, und wobei die Drehstabfeder (22) und die Koppelstange (40) über den starr ausgebildeten Abtriebshebel (38) verbunden sind, der ohne Speicherung/Abgabe von Federarbeit alleine der Drehmomentübertragung von der Drehstabfeder (22) auf die Koppelstange (40) dient.“

56

Wegen des Wortlauts der Unteransprüche der jeweiligen Anträge und weiterer Einzelheiten wird auf die Akte verwiesen.

II.

57

Die Beschwerde der Einsprechenden gegen den Beschluss der Patentabteilung 21 hat in der Sache Erfolg. Denn der Schutzbereich des Patents ist in seiner durch den angefochtenen Beschluss beschränkt aufrechterhaltenen Fassung wie auch durch die Fassung des Hilfsantrags 1 unzulässig erweitert worden (§ 22 Abs. 1 PatG). Des Weiteren beruhen die Gegenstände der jeweiligen Patentansprüche 1 nach den Hilfsanträgen 2, 3, 3a, 4 und 4a nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. § 4 PatG). Vor diesem Hintergrund kann der Senat dahingestellt sein lassen, ob mit den Hilfsanträgen der Patentinhaberin für die Einsprechende eine Verschlechterung ihrer Rechtsposition (reformatio in peius) einhergeht.

58

1. Die Einspruchsbeschwerde wurde rechtzeitig eingelegt und ist auch sonst zulässig. Der Einspruch war ausreichend substantiiert und ebenfalls zulässig.

59

2. Als Fachmann wird bei dem Verständnis der Erfindung sowie der nachfolgenden Bewertung des Standes der Technik von einem Durchschnittsfachmann ausgegangen, der als Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Fahrzeugtechnik ausgebildet ist und der über mehrere Jahre Berufserfahrung auf dem Gebiet der Entwicklung von Radaufhängungen von Kraftfahrzeugen verfügt.

60

3. Das Streitpatent betrifft gemäß Abs. [0001] der Streitpatentschrift (im Folgenden mit SPS kurzbezeichnet) einen Achssteller für die Radaufhängung eines Kraftfahrzeuges.

Die SPS führt im Weiteren dazu aus, dass ein solcher Achssteller sowohl für die Vorderachse als auch für die Hinterachse anwendbar sei. Für jedes Fahrzeugrad könne ein solcher Achssteller vorgesehen sein, damit pro Fahrzeugrad aktive Kräfte gestellt werden könnten. Ein solcher Achssteller sei beispielhaft aus der Druckschrift
D2 bekannt. Der Achsteller weise eine mittels eines Aktuators betätigbare Drehstabfeder auf, die sich in der Fahrzeugquerrichtung bis etwa in die Fahrzeugquermitte erstrecke und radseitig auf einen Abtriebshebel wirke, der wiederum an einem Radführungselement der Radaufhängung angelenkt sei. Die Drehstabfeder sei mehrteilig sowie in verschachtelter Anordnung ausgeführt, bei der zwei radial äußere Hohlstäbe sowie ein radial innenliegender Vollstab aus Federstahl vorgesehen seien, die über zum Beispiel Keilverzahnungen miteinander kraftübertragend verbunden seien (vgl. Abs. [0002] der SPS). Bei diesem Drehfedersystem, so führt die SPS in den folgenden Abs. [0004] und [0005] aus, werde die Federarbeit im Wechselspiel der Ein- und Ausfederbewegung des Rades aufgenommen bzw. abgegeben. Gleichzeitig sei es möglich, mittels des Aktuators Momente zu überlagern, das heißt die Drehfedern je nach Erfordernis aufzuziehen oder zu entspannen. Durch das Vorhandensein der Tragfeder als eine Hauptfeder müssten mit dem Drehsteller nur anteilig Stellkräfte zur Radlaständerung gestellt werden. Es finde ständig eine Überlagerung der Federkräfte aus Hauptfeder und Drehfeder statt, und zwar je nachdem wie die Fahrsituation dies erfordere und die Steuerung dies vorgebe. Am Ausgang des Drehfedersystems befinde sich eine Schwinge, an deren Ende eine Koppel angelenkt sei. Die Koppel verbinde die Schwinge mit dem Trapezlenker, der mit dem Fahrzeugrad verbunden sei. Somit könnten die im Drehsteller erzeugten Drehmomente über den Lastpfad Motor/Getriebe/Drehfeder/Schwinge/Koppel/Trapezlenker/Fahrzeugrad letztlich als lineare Stellkräfte auf das Fahrzeugrad übertragen werden. Die Drehschwinge, das heißt der Abtriebshebel, sei bei diesem Drehfedersystem absolut starr ohne Einfluss auf die Gesamtfederkonstante des Systems ausgelegt.
Bestehe nun beispielsweise Bedarf, eine weichere Drehstabfeder zu realisieren, so müsste als erste Maßnahme der Durchmesser von Rohrfeder und/oder Vollstabfeder reduziert werden. Mit dem Reduzieren des Durchmessers würde jedoch das Arbeitsvermögen des Drehfederstabes abnehmen und würden gleichzeitig auch die Spannungen überproportional zunehmen, so dass die Rohr- und Stabfeder verlängert werden müssten. Eine solche Längenänderung sei jedoch aufgrund der äußerst kritischen Platzverhältnisse im Bereich der Radaufhängung nicht durchführbar. Dies habe zur Folge, dass insbesondere bei kleineren Fahrzeugbaureihen, bei denen eine Reduzierung der Gesamtfedersteifigkeit unumgänglich sei, ein derartiger Drehsteller aufgrund der hohen Packungsdichte nicht eingebaut werden könne.

61

4. Der Erfindung liegt demzufolge gemäß Absatz [0007] der SPS die Aufgabe zugrunde, einen Achssteller bereitzustellen, bei dem mit baulich und konstruktiv einfachen Mitteln die Gesamtfederkonstante des Achsstellers beeinflussbar ist.

62

5.Hauptantrag:Die Prüfung der Patentfähigkeit erfordert regelmäßig eine Auslegung des Patentanspruchs, bei der dessen Sinngehalt in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der Erfindung liefern, zu bestimmen sind (BGH GRUR 2012, 1124 – Polymerschaum). Dies gilt auch für das Einspruchs- und Einspruchsbeschwerdeverfahren. Dazu ist zu ermitteln, was sich aus der Sicht des angesprochenen Fachmanns aus den Merkmalen des Patentanspruchs im Einzelnen und in ihrer Gesamtheit als unter Schutz gestellte technische Lehre ergibt, wobei der Fachmann auch die Beschreibung und Zeichnungen heranzuziehen hat (BGH GRUR 2007, 859 – Informationsübermittlungsverfahren). Dies darf allerdings weder zu einer inhaltlichen Erweiterung noch zu einer sachlichen Einengung des durch den Wortlaut des Patentanspruchs festgelegten Gegenstands führen (BGH GRUR 2004, 1023 – Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung). Begriffe in den Patentansprüchen sind deshalb so zu deuten, wie sie der angesprochene Fachmann nach dem Gesamtinhalt der Patentschrift und Berücksichtigung der in ihr objektiv offenbarten Lösung bei unbefangener Erfassung der im Anspruch umschriebenen Lehre zum technischen Handeln versteht. Darüber hinaus darf allein aus Ausführungsbeispielen nicht auf ein engeres Verständnis des Patentanspruchs geschlossen werden (BGH GRUR 2008, 779 – Mehrgangnabe).

63

Zur Erleichterung von Bezugnahmen sind die Merkmale des Patentanspruchs 1 in der beschränkt aufrechterhaltenen Fassung, dessen Gegenstand die Aufgabe lösen soll, nachstehend in Form einer strukturierten Merkmalsgliederung wiedergegeben:

64

M0 Kraftfahrzeug, bei dem jedem Fahrzeugrad (16) ein Achssteller für eine Radaufhängung des Kraftfahrzeuges zugeordnet ist,

65

M0.1 so dass für jedes Fahrzeugrad (16) funktionell unabhängig von den anderen Fahrzeugrädern (16) aktive Stellkräfte erzeugbar sind,

66

M1 wobei jeder Achssteller eine Drehstabfeder (22) aufweist,

67

M1.1 die über einen Drehsteller (28) in ihrer Vorspannung verstellbar ist,

68

M2 wobei die Drehstabfeder (22) radseitig auf einen Abtriebshebel (38) wirkt,

69

M3 der über eine Koppelstange (40) an einem Radführungselement (12) der Radaufhängung angelenkt ist,

70

M3.1 welche Koppelstange (40) über Gelenke (42) mit dem Abtriebshebel (38) und mit dem Radführungselement (12) verbunden ist,

71

dadurch gekennzeichnet,

72

M3.2 dass die Koppelstange (40) als eine Feder definierter Federrate ausgebildet ist,

73

M3.3 dass die Koppelstange (40) eine C-förmige Blattfeder ist,

74

M3.3.1 deren Federfußpunkte (47) über die Gelenke (42) an dem Abtriebshebel (38) und an dem Radführungselement (12) angelenkt sind, und

75

M3.3.2 dass die C-förmige Blattfeder eine sichelförmige Seitenkontur mit einem mittleren Bereich hoher Materialstärke (s
1) aufweist, der sich zu den gelenkseitigen Federfußpunkten (47) hin verjüngt.

76

Der vorstehend definierte Fachmann entnimmt dem Patentanspruch 1 gemäß Merkmal
M0 ein Kraftfahrzeug, bei dem jedem Fahrzeugrad ein Achssteller für eine Radaufhängung des Kraftfahrzeuges zugeordnet ist, so dass gemäß Merkmal
M0.1 für jedes Fahrzeugrad funktionell unabhängig von den anderen Fahrzeugrädern aktive Stellkräfte erzeugbar sind.

77

Abb. 1: Fig. 1 der SPS

78

Der Achssteller ist u.a. gebildet aus einer Drehstabfeder 22 (Merkmal
M1), die auch aus mehreren Bauteilen bestehen kann, wie z. Bsp. bei dem für ein Hinterrad 16 konzipierten Achssteller gemäß dem Ausführungsbeispiel nach den Fig. 1 bis 4 der SPS aus einer Rohrfeder 22a und einem Vollstab 22b aus Federmaterial (vgl. Abs. [0026] und [0029] der SPS i.V.m. der als Abb. 1 eingeblendeten Fig. 1 der SPS).

79

Die Drehstabfeder weist ferner radseitig ausweislich Abs. [0021] der SPS einen mit der Drehstabfeder wirkverbundenen Abtriebshebel 38 (Merkmal
M2), und eine als eine Feder definierter Federrate ausgebildete Koppelstange 40 auf (Merkmal
M3 und
M3.2), welche über Gelenke 42 mit dem Abtriebshebel 38 und einem Radführungselement, wie z. Bsp. einem unteren Querlenker 12 (vgl. Abs. [0026] der SPS), verbunden ist (Merkmal
M3.1).

80

Die Drehstabfeder 22 ist über einen Drehsteller 28 in ihrer Vorspannung verstellbar (Merkmal
M1.1). Der Drehsteller kann, wie zum Ausführungsbeispiel beschrieben, sich aus einem in beide Drehrichtungen betreibbaren Elektromotor und einem hoch übersetzenden Getriebe (zum Beispiel einem Harmonic-Drive-Getriebe oder einem Zykloidgetriebe) zusammensetzen, wobei ein Abtriebselement des Getriebes mit der Rohrfeder trieblich verbunden sein kann. Insoweit lässt sich bei entsprechender Ansteuerung zum Beispiel über ein elektronisches Fahrstabilitätsprogramm nach Maßgabe fahrdynamischer Parameter die Vorspannung der Drehstabfeder und der federnd ausgebildeten Koppelstange von einer Grundauslegung erhöhen oder vermindern, um in an sich bekannter Weise das Fahrzeugniveau zu verändern oder einer Wank- und/oder Nickneigung des Fahrzeuges entgegenzuwirken (vgl. Abs. [0032] und [0041] der SPS). Durch die Reihenschaltung der Drehstabfeder mit der federnd ausgeführten Koppelstange 40 kann die über den Drehsteller 28 gesteuerte Federrate vermindert werden (vgl. Abs. [0043] der SPS). Dabei beinhaltet die Reihenschaltung den Antriebshebel 38, dem kein federndes Verhalten zugeschrieben ist, neben der hier nicht beachtlichen physikalischen Selbstverständlichkeit, dass sämtliche real existierenden Komponenten inhärente Federeigenschaften aufweisen, sondern vielmehr als ein starres Bauteil anzusehen ist: „Bei dieser Anordnung ist es besonders von Vorteil, dass die im Lastpfad zwischen der Drehstabfeder und der Koppelstange zwischengeschaltete Abtriebshebel als ein starres Bauteil ohne Federeigenschaften, das heißt ohne Einfluss auf die Gesamtfederkonstante, ausgeführt ist.“, vgl. Abs. [0015] der SPS).

81

Abb. 2: Fig. 3 der SPS

82

Die als Feder definierter Federrate ausgebildete Koppelstange 40 ist gemäß Merkmalsgruppe
M3.3 als C-förmige Blattfeder ausgeführt, wobei deren Federfußpunkte 47 über die Gelenke 42 an dem Abtriebshebel 38 und an dem Radführungselement 12 angelenkt sind, und die C-förmige Blattfeder eine sichelförmige Seitenkontur mit einem mittleren Bereich hoher Materialstärke (s
1) aufweist, der sich zu den gelenkseitigen Federfußpunkten 47 hin verjüngt (vgl. Fig. 3 der SPS, die vorstehend als Abb. 2 eingeblendet ist).

83

6. Der Schutzbereich des Streitpatents in der beschränkt aufrechterhaltenen Fassung (Hauptantrag) ist gegenüber demjenigen des Streitpatents in der erteilten Fassung unzulässig erweitert. Denn mit der Änderung in Merkmal
M0 von Patentanspruch 1 von „Achssteller für eine Radaufhängung eines Kraftfahrzeugs“ der ursprünglich erteilten Fassung in „Kraftfahrzeug, bei dem jedem Fahrzeugrad (16) ein Achssteller für eine Radaufhängung des Kraftfahrzeugs zugeordnet ist“ geht nach Überzeugung des Senats eine unzulässige Erweiterung im Sinne des § 22 Abs. 1 PatG einher. Insofern erfährt der zuvor geschützte Gegenstand des Patents eine Änderung, die zu einem Aliud führt, was mit einer nachträglichen Verlagerung des Patentschutzes und einer Beeinträchtigung der Rechtssicherheit für Dritte einhergeht. Insoweit kann dahinstehen, ob auf Basis der ursprünglichen Offenbarung eine unzulässige Erweiterung vorliegt.

84

Nach der Rechtsprechung des BGH führt die nachträgliche Einbeziehung eines vom Streitpatent in der erteilten Fassung nicht geschützten Gegenstands in einen Patentanspruch zu einer Erweiterung des Schutzbereichs des Streitpatents. Das Patentnichtigkeitsverfahren eröffnet dem Patentinhaber zwar die Möglichkeit, das Schutzrecht in eingeschränkter Fassung zu verteidigen. Es dient aber nicht darüber hinaus der Gestaltung des Patents. Diese Funktion ist vielmehr allein dem Patenterteilungsverfahren zugewiesen. Deshalb darf ein Patentanspruch im Nichtigkeitsverfahren nicht so geändert werden, dass er einen von der erteilten Fassung nicht umfassten Gegenstand einbezieht (BGH GRUR 2005, 145 – elektronisches Modul; BGH GRUR 2019, 389 – Schaltungsanordnung III). Für die Beurteilung des Streitfalles ist § 22 Abs. 1 letzter Halbs. PatG 1981 heranzuziehen, der die Erweiterung des Schutzbereichs des Patents als Nichtigkeitsgrund aufführt und damit voraussetzt, dass eine Erweiterung auch schon im Einspruchsverfahren unzulässig ist (BGH GRUR 1990, 432 – Spleißkammer).

85

Im vorliegenden Fall stellt Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung einen Achssteller für eine Radaufhängung eines Kraftfahrzeuges mit einer Drehstabfeder unter Schutz. Damit muss dieser Achssteller lediglich für den Betrieb mit einer Radaufhängung eines Kraftfahrzeugs geeignet sein, während das Fahrzeug in seiner strukturellen Ausgestaltung nicht zum Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 gehört. Anders legt es Anspruch 1 nach Hauptantrag mit den darüberhinausgehenden obligatorischen Forderungen nach einem Kraftfahrzeug mit Radaufhängungen und Rädern gemäß der Merkmalsgruppe
M0 fest. Daran ändert sich auch dadurch nichts, dass Figur 1 nach der Beschreibung „eine Draufsicht auf die untere Ebene einer linksseitigen Radaufhängung einer Hinterachse eines Kraftfahrzeuges…“ zeigen soll und darin neben den Komponenten des Achsstellers auch weitergehende Bauteile des Kraftfahrzeugs, wie die Radaufhängung, das Rad, etc. zeigen. Denn der Schutzbereich eines Patents wird durch den Patentanspruch (in der erteilten Fassung) bestimmt, nach dem vorliegend der Achssteller zwar die Eignung für den Betrieb mit einer Radaufhängung eines Kraftfahrzeugs aufweist, nicht aber zwangsläufig selbst Teil eines Kraftfahrzeugs sein muss.

86

Die Patentinhaberin hat in ihrem Schriftsatz vom 13. April 2022 den sogenannten Verletzungstest herangezogen (vgl. Schulte, PatG, 11. Aufl., § 22 Rn. 15, Busse/Keukenschrijver, PatG, 9.Aufl., § 22, Rn. 176), wonach eine Erweiterung des Schutzbereichs in der Regel dann vorliegt, wenn eine Handlung nach dem geänderten Patentanspruch eine Patentverletzung wäre, die nach dem erteilten Anspruch keine Verletzung war. Im vorliegenden Fall führe dieser Test im Ergebnis zu keiner Schutzbereichserweiterung, auch anhand der Tatsache, dass im Gegensatz zur erteilten Fassung mit dem Schutz von Achsstellern in beliebigen Einbausituationen nunmehr der konkrete Einbau des Achsstellers in einem Kraftfahrzeug beansprucht sei. Dieses Vorbringen überzeugt schon deswegen nicht, weil vorliegend mit dem Wechsel vom Erfindungsgegenstand „Achsversteller“ zum „Kraftfahrzeug mit Achsversteller“ als Erfindungsgegenstand ein Aliud zum ursprünglich erteilten Erfindungsgegenstand gebildet wird. Darüber hinaus wird im geänderten Patentanspruch eben nicht – wie angeführt – der „Einbau eines Achsstellers in ein Kraftfahrzeug“, sondern ein „Kraftfahrzeug mit Achssteller“ beansprucht.

87

Die Patentinhaberin hat weitergehend auf Schulte, PatG, 10. Aufl., § 1, Rn. 176 verwiesen (vgl. hierzu auch Schulte, PatG, 11. Aufl., § 1, Rn. 191): „…Zulässig ist daher eine Änderung, … wenn ein Anspruch auf Erzeugnis A ersetzt wird durch einen Anspruch auf ein Erzeugnis B, das Erzeugnis A enthält oder einschließt.“. Diese Kommentarstelle bezieht sich ausweislich ihrer Fußnote auf die Rechtsprechung in europäischen Verfahren, wobei dieser Aspekt auch dort schon umstritten ist (zustimmend T 579/01 und T 0547/08, jedoch aA in T 1898/07). Diese Bezugnahme führt schon deswegen nicht zum Erfolg, weil die Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts auch insoweit eine differenzierte Betrachtungsweise je nach der Komplexität der Gegenstände, insbesondere des „Erzeugnisses B“ vornehmen (vgl. T 867/05 und T 1321/05). Danach liegt ein Verstoß gegen Art. 123 (3) EPÜ (vgl. §§ 21, 22 und 38 PatG) und damit eine unzulässige Schutzbereichserweiterung vor jedenfalls auch bei einer Änderung des Anspruchs von einem körperlichen Gegenstand zu einem komplexeren Gegenstand hin. Dies ist auch vorliegend bei dem Wechsel von einem (einfachen) „Achssteller“ zu einem (komplexeren) „Kraftfahrzeug mit Achsversteller“ als Patentgegenstand gegeben.

88

Somit konnte der Senat nur zu dem Schluss kommen, dass der auf ein Kraftfahrzeug, bei dem jedem Fahrzeugrad ein Achssteller für eine Radaufhängung des Kraftfahrzeugs zugeordnet ist, gerichtete Schutzbereich erweitert ist und der Hauptantrag insoweit als unzulässig anzusehen ist.

89

7.Hilfsantrag 1:Der Schutzbereich des Streitpatents in der beschränkt aufrechterhaltenen Fassung gemäß Hilfsantrag 1 ist gegenüber dem des Streitpatents in der erteilten Fassung unzulässig erweitert. Insoweit kann ebenfalls dahinstehen, ob auf Basis der ursprünglichen Offenbarung eine unzulässige Erweiterung vorliegt.

90

Der Gegenstand nach Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 umfasst alle Merkmale des Gegenstands nach Anspruch 1 gemäß Hauptantrag und wird zudem durch ein ursprünglich offenbartes Merkmal (vgl. z.B. Abs. [0008] der mit den ursprünglich eingereichten Unterlagen identischen und im Folgenden mit OS kurzbezeichneten Offenlegungsschrift DE 10 2012 005 395 A1)

91

M1.2Hi1,3,3a,4,4a wobei die Drehstabfeder (22) als ein geschachteltes Drehfedersystem ausgeführt ist, bestehend aus einer Rohrfeder (22a) und einer Vollstabfeder (22b)

92

beschränkt.

93

Gemäß dem vorstehenden bereits referenzierten Ausführungsbeispiel (vgl. Abb. 1) schließt sich die Rohrfeder 22a einerseits an den Drehsteller 28 an und ist andererseits trieblich über eine Steckverbindung 32 mit der Vollstabfeder 22b verbunden, die ihrerseits (mittelbar) über den Abtriebshebel 38 auf die Koppelstange wirkt.

94

Wenn auch das neu aufgenommene Merkmal
M1.2Hi1,3,3a,4,4a ursprünglich offenbart ist, so kann dieses jedoch den Mangel der Schutzbereichserweiterung nicht beheben, da Hilfsantrag 1 ebenso wie der Hauptantrag ein Kraftfahrzeug zum Gegenstand hat. Insoweit gelten die unter Ziffer 6. genannten Ausführungen entsprechend.

95

Somit konnte der Senat ebenfalls nur zu dem Schluss kommen, dass der auf ein Kraftfahrzeug, bei dem jedem Fahrzeugrad ein Achssteller für eine Radaufhängung des Kraftfahrzeugs zugeordnet ist, gerichtete Schutzbereich, erweitert ist und der Hilfsantrag 1 insoweit als unzulässig anzusehen ist.

96

8.Hilfsanträge 2, 3, 3a, 4 und 4a
Die jeweiligen Gegenstände des Patentanspruchs 1 nach den Hilfsanträgen 2, 3, 3a, 4 und 4a sind durch den Stand der Technik gemäß den Druckschriften
D2 und
D1 nahegelegt und somit nicht patentfähig. Insofern kann es auch dahinstehen, ob es sich bei diesen Hilfsanträgen tatsächlich um eine reformatio in peius handelt.

97

Die Gegenstände der Patentansprüche 1 gemäß den Hilfsanträgen 2, 3, 3a und 4 umfassen jeweils den Gegenstand des enger gefassten Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 4a. Nachdem letzterer – wie die nachfolgenden Ausführungen zum Hilfsantrag 4a zeigen – nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, sind auch die Gegenstände der Patentansprüche 1 gemäß den Hilfsanträgen 2, 3, 3a und 4 nicht patentfähig.

98

Der Gegenstand nach Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4a umfasst alle Merkmale des Gegenstands nach Hilfsantrag 1 mit Ausnahme der Merkmale
M0,
M0.1 und
M1, die durch die Merkmale

99

M0Hi2-4a Achssteller für eine Radaufhängung eines Kraftfahrzeuges,

100

M1Hi2-4a mit einer Drehstabfeder (22),

101

ersetzt sind, und wird zudem durch folgende neu hinzugekommenen Merkmale ergänzt:

102

M4Hi3a,4a wobei der Abtriebshebel (38) ein starr ausgebildetes Bauteil ohne Federeigenschaften ist, und wobei die Drehstabfeder (22) und die Koppelstange (40) über den starr ausgebildeten Abtriebshebel (38) verbunden sind, der ohne Speicherung/Abgabe von Federarbeit alleine der Drehmomentübertragung von der Drehstabfeder (22) auf die Koppelstange (40) dient,

103

M5Hi4,4a wobei der Abtriebshebel (38) und der Drehsteller (28) in der Fahrzeugquerrichtung jeweils an der dem Fahrzeugrad (16) zugewandten Seite des Achsstellers positioniert sind, wobei die Drehstabfeder (22) ausgehend von dem Drehsteller (28) als Rohrfeder (22a) verläuft, die am vom Drehsteller (28) abgewandten Ende trieblich mit einem Vollstab (22b) verbunden ist, der zurückverlaufend durch den Drehsteller (28) hindurch mit dem Abtriebshebel (38) verbunden ist.

104

Mit den die Merkmale
M0,
M0,1 und
M1 ersetzenden Merkmalen
M0Hi2-4a und
M1Hi2-4a ist der beanspruchte Gegenstand nunmehr auf einen Achssteller gerichtet – wie in der erteilten Fassung –, der für einen Einsatz in einem Kraftfahrzeug geeignet sein muss. Die Drehstabfeder 22 i.V.m. dem Drehsteller 28 auf der einen Seite und den mit ihnen in Wirkverbindung stehenden Bauteilen Abtriebshebel 38 und Koppelstange 40 auf der anderen Seite dienen als Stabilisator für nicht vom beanspruchten Gegenstand umfasste Radaufhängungen eines Kraftfahrzeuges. Angaben zu den konkreten Ausgestaltungen des Achsstellers sind zum einen mit den Merkmalen des Hilfsantrages 1 definiert, zu deren Sinngehalt auf die entsprechenden Ausführungen unter den Ziffern 5. und 7. verwiesen wird, und zum anderen mit den den Ansprüchen 9 und 13 der OS entnommenen Merkmalen
M4Hi3a,4a und
M5Hi4,4a.

105

Mit Merkmal
M5Hi4,4a ist gefordert, dass der Abtriebshebel 38 und der Drehsteller 28 in der Fahrzeugquerrichtung jeweils an der dem Fahrzeugrad 16 zugewandten Seite des Achsstellers positioniert sind, wobei die Drehstabfeder 22 ausgehend von dem Drehsteller 28 als Rohrfeder 22a verläuft, die am vom Drehsteller 28 abgewandten Ende trieblich mit einem Vollstab 22b verbunden ist, der zurückverlaufend durch den Drehsteller 28 hindurch mit dem Abtriebshebel 38 verbunden ist. Diese Forderung beschränkt den Achssteller auf einen solchen, der zur Stabilisierung genau eines Fahrzeugrades geeignet sein muss. Ausweislich Fig. 1 der SPS (vgl. Abb. 1) wird der mit Merkmal
M5Hi4,4a definierte Aufbau ersichtlich. Der Drehsteller 28 wirkt auf ein Ende der Rohrfeder 22a. Das andere sich in der Zeichenebene nach rechts erstreckende, distale Ende der Rohrfeder 22a nimmt die Vollstabfeder 22b auf, die sich ihrerseits zurückverlaufend durch den Drehsteller 28 hindurch erstreckt und deren in der Zeichenebene links angeordnetes Ende (mittelbar) über den Abtriebshebel 38 mit der Koppelstange 40 wirkverbunden ist.

106

Merkmal
M4Hi3a,4a, mit dem der Abtriebshebel 38 als ein starr ausgebildetes Bauteil ohne Federeigenschaften ausgebildet sein soll, der ohne Speicherung/Abgabe von Federarbeit alleine der Drehmomentübertragung von der Drehstabfeder 22 auf die Koppelstange 40 dient, dabei die Drehstabfeder 22 und die Koppelstange 40 verbindend, beschränkt den Anspruch nach Überzeugung des Senates nicht weiter. Denn, wie vorstehend unter Ziffer 5. zum Hauptantrag ausgeführt, sieht der zuständige Fachmann bei dem dortigen Gegenstand den Abtriebshebel bereits als starr an mit der Folge, dass er einzig und alleine der Drehmomentübertragung dient. Auch die Anordnung der Bauteile Drehstabfeder – Abtriebshebel – Koppelstange zueinander geht bereits aus den Merkmalen
M2 und
M3 hervor.

107

9. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 4a ist durch den Stand der Technik nahegelegt und somit nicht patentfähig.

108

Als geeigneter Ausgangspunkt des Standes der Technik ist die in der Beschreibungseinleitung bereits genannte Druckschrift
D2 heranzuziehen, die einen Achssteller bzw. Stabilisator 44 für eine Radaufhängung eines Kraftfahrzeuges (vgl. Bezeichnung) gemäß Merkmal
M0Hi2-4a offenbart.

109

Gemäß dem in den Figuren 1 und 2 (vgl. Abb. 3) gezeigten und in der Beschreibung ab Abs. [0018] beschriebenen Ausführungsbeispiel weist der zweiteilig ausgeführte Stabilisator 44 (Abs. [0025]: „Ein jedes der Stabilisatorteile 43 des Stabilisators 44 ist im Detail entsprechend der Fig. 2 (nicht dargestellte Anordnung spiegelbildlich) ausgeführt…“) einer Radaufhängung eines Kraftfahrzeugs eine Drehstabfeder (Merkmal
M1Hi2-4a) auf, die über einen dort als elektromechanische Stellvorrichtung, die sich aus einem Elektromotor und einem selbsthemmenden Untersetzungsgetriebe zusammensetzen kann, ausgebildeten Drehstabsteller 46 gemäß Merkmal
M1.1 in ihrer Vorspannung verstellbar ist (vgl. Abs. [0022]). Ausweislich der Figuren 1 und 2 ist ersichtlich, dass die Drehstabfeder als ein geschachteltes Drehfedersystem ausgeführt ist.

110

Abb. 3: Fig. 1 und 2 der Druckschrift D2

111

Dieses System weist eine von dem Drehsteller 46 ausgehende Rohrfeder 49 auf, die an ihrem distalen Ende (in der Zeichenebene rechts) über eine Keilverzahnung mit einer Vollstabfeder 47 drehfest verbunden ist (vgl. Abs. [0026]). Die Vollstabfeder verläuft innerhalb der Rohrfeder zurück, durch den Drehsteller hindurch und wirkt an diesem (in der Zeichenebene links liegenden) Ende auf einen Abtriebshebel 41 durch ihre mit ihm ersichtliche (über eine weitere Hohlwelle 51 mittelbare) Verbindung (vgl. Abs. [0027] und [0028]), insoweit die Forderungen der Merkmale
M1.2Hi1,3,3a,4,4a,
M2 und
M5Hi4,4a erfüllend.

112

Dem Abtriebshebel werden hinsichtlich des Ausführungsbeispiels keine Federeigenschaften zugesprochen. In Abs. [0014] ist diesbezüglich ergänzend herausgestellt, dass gerade nur in Abwandlung zu dieser Ausführungsform der Abtriebshebel zusätzlich und/oder alternativ als ein Federelement mit vorgegebener Federhärte ausgeführt sein kann. Insoweit weist der starr ausgebildete, keine (relevanten) Federeigenschaften aufweisende Abtriebshebel 41 des Ausführungsbeispiels die Eignung auf, alleine der Drehmomentübertragung von dem aus dem geschachtelten aus der Rohrfeder 49, Vollstabfeder 47 (und Rohrfeder 51) bestehenden Drehfedersystem auf die nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1 umfasste Radaufhängung dienen zu können, i.W. der Definition des Merkmals
M4Hi3,4a gehorchend.

113

Die Beteiligten stimmen darin überein, dass die Merkmalsgruppe
M3 in der Druckschrift
D2 nicht offenbart ist. Eine Koppelstange weist der dortige Stabilisator explizit mithin nicht auf, denn, wie in Abs. [0020] lediglich funktional beschrieben, dient der Abtriebshebel 41 dazu, eine Verstellkraft F
v über einen Anlenkpunkt 42 auf einen unteren Lenker, einem Trapezlenker 16 der radseitig an einem Radträger und aufbauseitig an einem Hilfsrahmen 20 schwenkbar angelenkt ist, einer Radaufhängung zu übertragen, ohne dabei irgendwie geartete strukturelle Ausführungen zu thematisieren, die eine Verbindung mit der nicht vom beanspruchten Gegenstand umfassten Radaufhängung ermöglichen könnte.

114

Der im Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4a beanspruchte Achssteller ist daher gegenüber der Offenbarung der Druckschrift
D2 neu.

115

Die Gegenstände der weiteren in den unterschiedlichen Verfahrenszügen berücksichtigten Druckschriften kommen dem Gegenstand des Hilfsantrages 4a nicht näher, auch nicht die auf dem gleichen Themengebiet liegende Druckschrift
D1, die die Einsprechende u.a. als Ausgangspunkt im vorliegenden Einspruchsbeschwerdeverfahren gewählt hatte. Denn der dortige Achssteller bezieht sich auf einteilige Achssteller, die zwar noch für die Hilfsanträge 2 bis 3a eine geeignete Ausgangsbasis hätten darstellen können. Jedoch liegen durch die Aufnahme des Merkmals
M5Hi4,4a, mit dem der hier betrachtete Gegenstand des Hilfsantrags 4a auf einen zweiteiligen Achssteller bzw. Stabilisator beschränkt ist, derartige einteilige Stabilisatoren nach Überzeugung des Senats weiter ab, gleichwohl sich diese Druckschrift
D1 zur Beurteilung einer erfinderischen Tätigkeit – wie die nachfolgenden Erläuterungen dazu zeigen – zur Kombination mit der Druckschrift
D2 anbietet. Dies hat zur Folge, dass der Gegenstand des Hilfsantrags 4a nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

116

Die Druckschrift
D1 betrifft einen aktiven Stabilisator für ein Kraftfahrzeug, der zwei Räder einer Fahrzeugachslinie koppelt und der aus einem dem einen Rad zugeordneten ersten Stabilisatorteil 1 und aus einem dem anderen Rad zugeordneten zweiten Stabilisatorteil 2, sowie aus einem die Stabilisatorteile 1, 2 koppelnden Aktuator 3 besteht (vgl. Patentanspruch 1 i.V.m Fig. 3; vgl. Abb. 4).

117

Abb. 4: Fig. 3 der Druckschrift D1

118

Zur Befestigung des Stabilisators am Kraftfahrzeug sind Tragflansche 10, 11 vorgesehen. Die Stabilisatorteile, die im Sinne des Streitpatents als Drehstabfeder aufzufassen sind, sind an ihren dem als Drehsteller wirkenden Aktuator 3 abgewandten Ende, wie der vorstehenden Abb. 4 zu entnehmen ist, abgewinkelt. Diese abgewinkelten Enden übernehmen insoweit die Funktion der Drehmomentübertragung auf nachfolgende Pendelstützen 8, 9 entsprechend streitpatentgemäßer Abtriebshebel. Diese Pendelstützen – die bereits aufgrund ihrer Wortwahl pendelnd angeordnet sein müssen und sich von daher starre Anbindungen zu mit ihnen verbundenen Bauteilen verbietet – sind – wie ergänzend zur Wortwahl durch die fachnotorisch bekannte Darstellung mittels angedeuteter Kreise erkennbar – über Gelenke mit den Abtriebshebeln zu ihrer einen Seite und über weitere an ihren anderen Enden angeordneten, den Rädern zugeordneten Gelenken 6, 7, gleichsam mit nicht dargestellten Radführungselementen verbunden. Bei der vorstehend ersichtlichen Ausführung sind die Pendelstützen als Blattfedern gezeigt und gemäß Abs. [0017] auch als solche beschrieben. Insoweit erfüllt die Pendelstütze 8 bzw. 9 bereits die Forderungen der Merkmale
M3,
M3.1 und
M3.2.

119

Geht der zuständige Fachmann vom Gegenstand der Druckschrift
D2 aus, wird er bereits durch Abs. [0014], der ohne weitergehende konstruktive Anleitungen zu geben darauf hinweist, dass ein Abtriebselement auch nach Art einer Blattfeder zwischen den Stabilisatorteil und den Radaufhängungsteil geschaltet sein kann, dazu veranlasst, zu der in der Druckschrift
D2 bereits formulierten Aufgabe, die Anordnung eines zweiteilig ausgeführten Stabilisators an einer Radaufhängung eines Kraftfahrzeuges bereitzustellen, bei dem die betriebsbedingten torsionalen Spannungen in den Stabilisatorteilen reduziert sind – i.W. übereinstimmend mit der streitpatentgemäßen Aufgabe –, weitergehende Lösungen der Beeinflussung der Federrate im Stand der Technik zu suchen.

120

Die Druckschrift
D1, die wie vorstehend ausgeführt, ebenfalls Stabilisatoren für Radaufhängungen von Kraftfahrzeugen zum Gegenstand hat, beschäftigt sich insbesondere ebenfalls mit der Auslegung der Federrate und schlägt insoweit Reihenschaltungen von Federn vor (vgl. Abs. [0009]).

121

Dadurch ist der Fachmann dazu veranlasst, beim Stabilisator gemäß der Ausführungsform nach den Figuren 1 und 2 der Druckschrift
D2 (vgl. Abb. 3) neben dem starren Abtriebshebel 41 ein weiteres Abtriebselement in Form einer Blattfeder, wie mit dem Ausführungsbeispiel der Fig. 3 der Druckschrift
D1 (vgl. Abb. 4) vorgeschlagen, zur weitergehenden Beeinflussung der Federrate in Reihe zu dem Drehfedersystem, das ebenfalls bereits aus einer Reihenschaltung von Vollstab- und Rohrfedern besteht, vorzusehen. Durch die naheliegende Kombination der beiden Lehren gelangt er, ohne erfinderisch tätig werden zu müssen, zu einem Gegenstand, der sämtliche Merkmale des Hilfsantrages 4a aufweist, mit Ausnahme derjenigen der Merkmalsgruppe
M3.3. Diese Merkmalsgruppe vermag jedoch, nach Überzeugung des Senates, auch keine erfinderische Tätigkeit begründen, da der Fachmann die Form der Blattfeder aufgrund seiner Fachkenntnisse bauteilspannungsgerecht, wie zumindest im Studium erlernt, auslegen wird, da ihm die Druckschrift
D1 mit ihrer lediglich schematischen Darstellung der Blattfeder keine Anleitung zur Auslegung bietet.

122

Abb. 5: Fig. 2 der Druckschrift D31 (links) und Fig. 1 der Druckschrift D33 (rechts)

123

Als Beleg für dieses Fachwissen sei beispielhaft auf die Fig. 2 der Druckschrift
D31 oder auf die Fig. 1 der Druckschrift
D33 verwiesen (vgl. Abb. 5), die beide derartige C-förmige Blattfedern von Radaufhängungen zeigen, mit sichelförmigen Seitenkonturen mit einem mittleren Bereich hoher Materialstärke, der sich zu Federfußpunkten hin verjüngt.

124

Damit ergibt sich der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 4a mit sämtlichen Merkmalen für den Fachmann in naheliegender Weise aus der Kenntnis des Standes der Technik gemäß den Druckschriften
D2 und
D1 in Verbindung mit seinem Fachwissen.

125

10. Mit dem nicht patentfähigen Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 4a sind auch die auf diese Ansprüche direkt oder indirekt rückbezogenen jeweiligen Unteransprüche nicht schutzfähig (vgl. BGH GRUR 2007, 862 – Informationsübermittlungsverfahren II).

126

11. Nachdem die jeweiligen Anspruchssätze nach Hauptantrag und Hilfsantrag 1 unzulässig und die Gegenstände der jeweiligen Ansprüche 1 der Hilfsanträge 2, 3, 3a, 4 und 4a nicht schutzfähig sind, war das Patent auf die Beschwerde der Einsprechenden zu widerrufen.