BVerwG 8. Senat, Beschluss vom 01.08.2022, AZ 8 B 15/22, ECLI:DE:BVerwG:2022:010822B8B15.22.0
Verfahrensgang
vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 9. Dezember 2021, Az: 6 S 472/20, Urteil
vorgehend VG Stuttgart, 12. Dezember 2019, Az: 4 K 19804/17
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 9. Dezember 2021 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 50 000 € festgesetzt.
Gründe
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Der Kläger beantragte erfolglos die Erteilung einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis zum Weiterbetrieb seiner Spielhalle „C.“ in M. ab dem 1. Juli 2017. Das Verwaltungsgericht hat seine Klage abgewiesen, weil die Spielhalle den landesrechtlich geforderten Mindestabstand zu mehreren Schulen unterschreite. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung zurückgewiesen und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.
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Die allein auf den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde hiergegen bleibt ohne Erfolg.
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Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung setzt voraus, dass die Rechtssache eine Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die der – gegebenenfalls erneuten oder weitergehenden – höchstrichterlichen Klärung bedarf, sofern diese Klärung in dem angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten steht und dies zu einer Fortentwicklung der Rechtsprechung über den Einzelfall hinaus führen wird. Der Rechtsmittelführer hat darzulegen, dass diese Voraussetzungen vorliegen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Dem wird die Beschwerde nicht gerecht.
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1. Die vom Kläger aufgeworfene Frage,
ob in der Versagung der glücksspielrechtlichen Erlaubnis für eine Spielhalle aufgrund nicht eingehaltener Mindestabstände zu Einrichtungen für Kinder und Jugendliche ein verfassungswidriger Grundrechtseingriff insoweit liegt, dass ein Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG aufgrund verfassungswidriger inkonsequenter Regulierung vorliegt – insbesondere deshalb, weil durch den Glücksspielstaatsvertrag 2021 Online-Angebote zugelassen worden sind, vor allen Dingen in Form sog. virtueller Automatenspiele und von Online-Casino-Angeboten,
wäre, soweit sie nicht bereits höchstrichterlich geklärt ist, auf der Grundlage der vom Verwaltungsgerichtshof getroffenen, für das Revisionsgericht bindenden Tatsachenfeststellungen (§ 137 Abs. 2 VwGO) im angestrebten Revisionsverfahren nicht klärungsfähig.
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In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass Mindestabstandsgebote zu Kinder- und Jugendeinrichtungen mit einer § 42 Abs. 3 Landesglücksspielgesetz Baden-Württemberg (LGlüG BW) entsprechenden räumlichen Reichweite mit den Grundrechten auf Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG und auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. März 2017 – 1 BvR 1314/12 u. a. – BVerfGE 145, 20 Rn. 118 ff., 133 ff., 152 ff.; BVerwG, Urteile vom 16. Dezember 2016 – 8 C 6.15 – BVerwGE 157, 126 Rn. 59 ff., – 8 C 4.16 – Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 303 Rn. 17 ff.).
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Ebenso ist geklärt, dass die Verfassung kein Gebot konsequenter Glücksspielregulierung enthält. Aus ihr lässt sich weder ein Konsistenzgebot jenseits des aus ordnungsrechtlichen Gründen beim Staat monopolisierten Glücksspielangebots noch ein sektorübergreifendes Gebot der Kohärenz glücksspielrechtlicher Regelungen ableiten (BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 8 C 6.15 – BVerwGE 157, 126 Rn. 51). Unterschiedliche Regelungen verschiedener Glücksspielformen sind zulässig, sofern der Gesetzgeber eine angemessene Suchtprävention nicht außer Acht lässt. Über den Monopolbereich hinaus sind staatliche Maßnahmen auf das Ziel der Bekämpfung der Spielsucht auszurichten, wenn der Staat am Spiel- und Wettmarkt beteiligt ist. Andere Glücksspielformen sind dabei insbesondere dann einzubeziehen, wenn der Gesetzgeber auch eigene fiskalische Interessen verfolgt und die Glücksspielformen potentiell in Konkurrenz zueinander stehen. Ist dies der Fall, darf eine staatliche Regulierung in einem Glücksspielsegment nicht durch die fiskalische Ausrichtung der Regulierung in einem anderen konterkariert werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. März 2017 – 1 BvR 1314/12 u. a. – BVerfGE 145, 20 Rn. 122 f.). Diese Anforderung ist bei den Mindestabstandsregelungen von Spielhallen unter anderem zu Einrichtungen für Kinder und Jugendliche im Verhältnis zu den für das Automatenspiel in Gaststätten und in Spielbanken geltenden Regelungen gewahrt (BVerfG, Beschluss vom 7. März 2017 a. a. O. Rn. 141 ff.; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 8 C 6.15 – a. a. O. Rn. 52). Weiteren oder erneuten Klärungsbedarf hierzu legt die Beschwerde nicht dar (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).
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Soweit der Kläger „insbesondere“ geklärt wissen möchte, ob die Mindestabstandsregelung zu Einrichtungen für Kinder und Jugendliche durch die Zulassung von Online-Automatenspielen und Online-Casino-Angeboten im Glücksspielstaatsvertrag 2021 verfassungswidrig geworden ist, zielt seine Frage auf die Anwendung der einschlägigen verfassungsrechtlichen Maßstäbe seit der Neuregelung des Online-Glücksspiels und insbesondere auf die Prüfung, ob diese das Abstandsgebot des § 42 Abs. 3 LGlüG BW konterkariert. Dabei fragt die Beschwerdebegründung nicht nach einer Präzisierung der Voraussetzungen des Konterkarierens, sondern konzentriert sich auf eine Tatsachenwürdigung, die nicht Gegenstand der Grundsatzrüge sein kann. Außerdem würde die Frage, 0b die Neuregelung des Online-Glücksspiels das Abstandsgebot des § 42 Abs. 3 LGlüG BW konterkariert, im angestrebten Revisionsverfahren nach den oben erläuterten Grundsätzen nur erheblich, wenn entweder eine Konfliktlage wegen einer staatlichen Beteiligung am Online-Glücksspielmarkt in einem potenziell mit dem Spielhallenangebot konkurrierenden Segment wie dem virtuellen Automatenspiel bestünde oder wenn die Neuregelung des Online-Glücksspiels (mindestens auch) fiskalischen Interessen diente und deshalb zu einem Konflikt mit dem Kinder- und Jugendschutz im Bereich des Spielhallenangebots an Automatenspielen führen könnte. Beides hat das Berufungsgericht nicht festgestellt, ohne dass der Kläger insoweit wirksame Aufklärungsrügen erhoben hätte.
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Sind Tatsachen, die vorliegen müssten, damit sich die mit der Nichtzulassungsbeschwerde angesprochene Frage in dem angestrebten Revisionsverfahren stellen könnte, von der Vorinstanz nicht festgestellt worden, so kann die Revision im Hinblick auf diese Frage nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen werden (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. März 2000 – 8 B 287.99 – BVerwGE 111, 61 <62> m. w. N.). Der Einwand fehlender Tatsachenfeststellungen kann der Beschwerde zwar nicht entgegengehalten werden, wenn die in der Vorinstanz ordnungsgemäß beantragte Sachverhaltsaufklärung nur deswegen unterblieben ist, weil das Tatsachengericht die als rechtsgrundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage anders als der Beschwerdeführer beantwortet und deswegen die Beweisaufnahme als nicht entscheidungserheblich abgelehnt hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. März 2000 a. a. O.). Das war hier jedoch nicht der Fall; das Berufungsgericht hat sich nicht zur Verfassungsmäßigkeit der Mindestabstandsregelung im Hinblick auf die Zulassung von Online-Automatenspielen und Online-Casino-Angeboten nach dem Glücksspielstaatsvertrag 2021 geäußert. Der Kläger hat in der Vorinstanz auch nicht auf die Ermittlung der für eine entsprechende rechtliche Beurteilung erforderlichen Tatsachen hingewirkt.
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2. Aus denselben Gründen kommt auch der weiteren vom Kläger formulierten Rechtsfrage,
ob nach Zulassung des Online-Glücksspielangebots durch den Glücksspielstaatsvertrag 2021 und der insoweit vollzogenen Kehrtwende zu einem spielerschutzzentrierten Schutzkonzept Mindestabstandsregelungen – wie die hier streitgegenständliche Regelung – noch angemessen bzw. verhältnismäßig im engeren Sinne sind,
keine grundsätzliche Bedeutung zu.
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Außerdem legt die Beschwerde auch nicht dar (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), warum Maßnahmen des Spielerschutzes bei Online-Glücksspielen die Angemessenheit des Mindestabstandsgebots in Frage stellen könnten, obwohl Kinder und Jugendliche an öffentlichem Glücksspiel nicht teilnehmen dürfen (§ 4 Abs. 3 Satz 2 GlüStV 2021) und der Mindestabstand zu Einrichtungen für ihren Aufenthalt nicht dem Spielerschutz, sondern der Vorbeugung von Spielsucht in einem möglichst frühen Stadium durch Herausnahme von Spielhallen aus ihrem alltäglichen Umfeld dienen soll.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.