Beschluss des BVerwG 8. Senat vom 27.07.2022, AZ 8 B 22/22

BVerwG 8. Senat, Beschluss vom 27.07.2022, AZ 8 B 22/22, ECLI:DE:BVerwG:2022:270722B8B22.22.0

Verfahrensgang

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 7. Februar 2022, Az: 21 B 21.1629, Urteil
vorgehend VG München, 7. November 2019, Az: M 12 K 19.2005, Urteil

Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 7. Februar 2022 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 3 312 € festgesetzt.

Gründe

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Beendigung ihrer freiwilligen Mitgliedschaft bei der Beklagten. Im März 2019 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass ihre seit September 1994 bestehende freiwillige Mitgliedschaft kraft Satzung mit Ablauf des 30. Dezember 2018 beendet worden sei, da sie ab dem 31. Dezember 2018 Mitglied der Beigeladenen geworden sei. Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat dieses Urteil geändert und festgestellt, dass die freiwillige Mitgliedschaft der Klägerin bei der Beklagten nicht durch die Begründung einer Pflichtmitgliedschaft bei der Beigeladenen mit Ablauf des 30. Dezember 2018 beendet worden sei. Die Revision gegen sein Urteil hat er nicht zugelassen.

2

Die Beschwerde der Beklagten, die sich auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO stützt, hat keinen Erfolg.

3

1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden, im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlich klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts zu erwarten ist (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 28. Januar 2019 – 8 B 37.18 – ZfWG 2019, 262 Rn. 4). Diesen Voraussetzungen genügt die Beschwerde nicht.

4

Die von der Beklagten aufgeworfene Frage,

ob das dem Verwaltungsrat der Bayerischen Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung (BRAStV) eingeräumte weite Satzungsermessen in Form der umfassenden Umsetzung des Lokalitätsprinzips dann einzuschränken ist, wenn ein bislang freiwilliges Mitglied der BRAStV eine Pflichtmitgliedschaft bei einer anderen berufsständischen Versorgungseinrichtung begründet, jedoch dort – und zwar aus Gründen, die allein im Einflussbereich des dortigen Satzungsgebers liegen – keine Ansprüche auf Versorgung wegen Alters erwerben kann,

rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Damit ist keine klärungsbedürftige Rechtsfrage zur Auslegung von Normen des Bundesrechts oder sonstigen revisiblen Rechts aufgeworfen. Die Beklagte misst der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Bestimmung ihrer Satzung durch das Berufungsgericht zwar unter verschiedenen Aspekten grundsätzliche Bedeutung bei. Das Satzungsrecht einer berufsständischen Versorgungseinrichtung gehört indessen zum Landesrecht, das nicht revisibel ist (vgl. nur BVerwG, Beschlüsse vom 16. Dezember 2015 – 10 B 7.15 – juris Rn. 3 und vom 17. Juni 2019 – 10 B 21.18 – juris Rn. 6). Soweit die Beklagte eine unzureichende Berücksichtigung des Verfassungs- und Unionsrechts durch das Berufungsgericht geltend macht, ist damit eine Grundsatzbedeutung nicht dargetan. Dazu fehlt eine substantiierte Darlegung, dass der verfassungs- und unionsrechtliche Maßstab selbst einen die Revisionszulassung rechtfertigenden Klärungsbedarf aufweist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. September 2010 – 8 B 5.10 – juris Rn. 2).

5

2. Die Revision ist nicht wegen Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen. Der Zulassungsgrund der Divergenz ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts oder eines anderen der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen abstrakten Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 20. April 2017 – 8 B 56.16 – juris Rn. 5). Diese Anforderungen sind nicht erfüllt.

6

Die von der Beklagten angeführten vermeintlich divergierenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts betreffen schon nicht die Auslegung und Anwendung einer im angegriffenen Urteil herangezogenen Rechtsvorschrift. Ungeachtet dessen ist das Berufungsgericht nicht von den angeführten Entscheidungen abgewichen. Es hat keinen Rechtssatz aufgestellt, der dem Rechtssatz, der autonomen Satzungsgewalt von Selbstverwaltungseinrichtungen dürfe ein angemessener Gestaltungsspielraum belassen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Januar 1991 – 1 C 11.89 – BVerwGE 87, 324 <326>), widersprochen hätte. Ebenso wenig hat es einen von den angeführten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschlüsse vom 9. Februar 1977 – 1 BvL 11/74 u. a. – BVerfGE 44, 70 <90 f.> und vom 31. August 2004 – 1 BvR 1776/97 – BVerfGK 4, 46 <48>) abweichenden Rechtssatz aufgestellt. Mit Einwänden gegen die Anwendung höchstrichterlich entwickelter Rechtssätze im konkreten Fall ist keine Divergenz zu begründen.

7

3. Das angegriffene Urteil leidet nicht unter einem Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die Beklagte macht geltend, der erkennende Senat des Verwaltungsgerichtshofs hätte die Sache dem Großen Senat des Verwaltungsgerichtshofs vorlegen müssen, weil er mit der angegriffenen Entscheidung von seinem früheren Beschluss vom 15. August 2011 – 21 ZB 10.1314 – in Bezug auf das Lokalitätsprinzip abgewichen sei.

8

Die pflichtwidrige Nichtvorlage einer Sache an den Großen Senat eines Verwaltungsgerichtshofs wegen Abweichung von einer Entscheidung eines anderen Senats desselben Gerichts (§ 12 Abs. 1 i. V. m. § 11 Abs. 2 und 3 VwGO) kann einen Verstoß gegen die Garantie des gesetzlichen Richters (§ 138 Nr. 1 VwGO) darstellen und damit ein Verfahrensfehler gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO sein. In Bezug auf die Feststellung der Abweichung gelten dabei dieselben Anforderungen, wie sie in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Revisionszulassungsgrund der Divergenz gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO entwickelt worden sind (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 14. September 2006 – 9 B 2.06 – Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 44 Rn. 13 und vom 21. Juni 2018 – 4 BN 34.17 – juris Rn. 13). Hieran gemessen liegt ein Verstoß gegen die Vorlagepflicht nicht vor. Die Abweichung muss im Verhältnis zu einem anderen Senat oder dem Großen Senat bestehen. Die beabsichtigte Abweichung von der Rechtsprechung (nur) des eigenen Senats löst die Vorlagepflicht nicht aus. Vielmehr kann jeder Senat von eigenen Entscheidungen ohne Divergenzvorlage abweichen (vgl. Pietzner/Bier, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand: Februar 2022, § 11 Rn. 26; Kronisch, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 11 Rn. 37, je m. w. N.). So liegt es hier. Bei dem von der Beklagten angeführten Beschluss vom 15. August 2011 handelt es sich um eine frühere Entscheidung desselben Senats des Verwaltungsgerichtshofs, der das hier angegriffene Urteil erlassen hat.

9

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 47 Abs. 3, Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 GKG.