BVerwG 1. Wehrdienstsenat, Beschluss vom 27.07.2022, AZ 1 W-VR 7/22, ECLI:DE:BVerwG:2022:270722B1WVR7.22.0
Tenor
Der Antrag, das Bundesministerium der Verteidigung im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Abbruch des Verfahrens zur Besetzung des nach Besoldungsgruppe A 16 bewerteten Dienstpostens …, … im … rückgängig zu machen und das Stellenbesetzungsverfahren auf Basis der Bewerbung der Antragstellerin mit dem ursprünglichen Bewerberkreis fortzuführen, wird abgelehnt.
Tatbestand
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Die Antragstellerin begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Fortsetzung eines Stellenbesetzungsverfahrens.
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Die … geborene Antragstellerin ist Berufssoldatin, seit April 2013 im Dienstgrad Oberfeldarzt. Sie ist promovierte Ärztin sowie Fachärztin für Nuklearmedizin und für Arbeitsmedizin.
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Am 10. März 2021 hatte die Präsidentin des Bundesamts für das Personalmanagement der Bundeswehr entschieden, den nach Besoldungsgruppe A 16 bewerteten Dienstposten …, … im … mit Oberfeldarzt A zu besetzen. Auf Antrag der Antragstellerin, die sich ebenfalls für diesen Dienstposten beworben hatte und in die engere Auswahl gezogen worden war, hat der Senat mit Beschluss vom 10. Dezember 2021 – 1 WB 34.21 – die Auswahlentscheidung aufgehoben und das Bundesministerium der Verteidigung verpflichtet, über die Besetzung des Dienstpostens unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
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Auf Nachfrage teilte das Bundesministerium der Verteidigung der Antragstellerin mit Schreiben vom 3. Februar 2022 mit, dass die beteiligten Stellen noch mit der Auswertung des Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichts befasst seien. Anschließend sei das Kandidatenfeld neu zu bestimmen, wobei nicht auf den der aufgehobenen Auswahlentscheidung zugrunde gelegten, sondern auf den aktuellen Bewerberkreis abzustellen sei. Außerdem erhielten derzeit alle Soldatinnen und Soldaten neue Beurteilungen, die bei der erneuten Auswahlentscheidung zu berücksichtigen seien.
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Mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 11. Februar 2022 und 9. März 2022 machte die Antragstellerin geltend, dass das Auswahlverfahren unter Beibehaltung des ursprünglichen Bewerberkreises fortzuführen sei und es für dessen Abbruch eines sachlichen Grundes bedürfe. Unter dem 9. März 2022 erhob die Antragstellerin außerdem Beschwerde gegen den Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens und beantragte die Fortführung des Auswahlverfahrens mit dem bestehenden Bewerberkreis.
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Mit Bescheid vom 22. März 2022 wies das Bundesministerium der Verteidigung die Beschwerde zurück. Es liege bereits kein anfechtbarer Abbruch eines Stellenbesetzungsverfahrens vor, weil das ursprüngliche Auswahlverfahren noch nicht abgeschlossen sei und nach Aufhebung der Auswahlentscheidung wieder auflebe. Die Antragstellerin werde unverändert mitbetrachtet und erfülle weiterhin die Anforderungen des Organisationsgrundmodells (Aufstiegsbewerber) und die zwingenden Kriterien des Anforderungsprofils. Bei militärischen Auswahlentscheidungen gebe es keine Ausschreibung; vielmehr seien alle jeweils aktuell geeigneten Kandidaten von Amts wegen zu betrachten. Dabei seien auch die inzwischen neu erstellten dienstlichen Beurteilungen zu berücksichtigen.
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Hiergegen hat die Antragstellerin mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 31. März 2022 die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts beantragt. Das Bundesministerium der Verteidigung hat diesen Antrag dem Senat bisher noch nicht vorgelegt.
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Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 10. März 2022 hat die Antragstellerin wegen der Fortsetzung des Auswahlverfahrens außerdem den hier gegenständlichen Antrag gemäß § 123 VwGO gestellt. Ein Anordnungsgrund bestehe mit Blick auf das Erfordernis einer zeitnahen Klärung der Rechtmäßigkeit des Verfahrensabbruchs. Der Anordnungsanspruch ergebe sich aus ihrem Bewerbungsverfahrensanspruch gemäß Art. 33 Abs. 2 GG, der durch den Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens verletzt werde. Sie begehre entsprechend der Rechtsprechung des 2. Revisionssenats des Bundesverwaltungsgerichts die zeitnahe Fortführung des begonnenen Auswahlverfahrens mit dem bestehenden Bewerberkreis. Die Fortführung eines Stellenbesetzungsverfahrens erlaube nicht die Einbeziehung neuer Bewerber. Erweise sich – wie hier – im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung eine Auswahlentscheidung als rechtswidrig, so lebe das ursprüngliche Stellenbesetzungsverfahren wieder auf, weshalb auch nur dessen Bewerberkreis relevant sei. Durch ein neues Bewerberfeld werde in den Bewerbungsverfahrensanspruch eingegriffen, weil die Parameter Eignung, Leistung und Befähigung sich in einem neuen Bezugssystem darstellten. Das Stellenbesetzungsverfahren sei deshalb auch mit den ursprünglich maßgeblichen Beurteilungen durchzuführen.
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Die Antragstellerin beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens für die Besetzung des nach A 16 bewerteten Dienstpostens …, … im … rückgängig zu machen und auf Basis ihrer Bewerbung dieses Stellenbesetzungsverfahren mit dem ursprünglichen Bewerberkreis fortzuführen.
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Das Bundesministerium der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
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Es hält den Antrag für unzulässig, weil keine anfechtbare dienstliche Maßnahme vorliege. Nach den Ausführungen im Beschwerdebescheid handele es sich gerade nicht um den Abbruch, sondern um die Fortführung eines laufenden Auswahlverfahrens mit einem unveränderten Organisationsgrundmodell und einem unveränderten Anforderungsprofil, das die Antragstellerin nicht von der weiteren Betrachtung ausschließe. Im Übrigen werde auf den Inhalt des Beschwerdebescheids verwiesen. Es fehle zudem an einem Anordnungsgrund, weil durch ein Zuwarten auf eine Entscheidung in der Hauptsache der Antragstellerin keine Nachteile entstünden, die durch einen späteren Erfolg nicht wieder gut zu machen wären.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten verwiesen. Dem Senat lagen bei der Beratung die Beschwerdeakte, die Akten des abgeschlossenen Gerichtsverfahrens BVerwG 1 WB 34.21 und die Personalgrundakte der Antragstellerin vor.
Entscheidungsgründe
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Der gemäß § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 123 VwGO statthafte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg. Die Antragstellerin hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO).
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1. Soweit die Antragstellerin begehrt, den Abbruch des Auswahlverfahrens zur Besetzung des nach Besoldungsgruppe A 16 bewerteten Dienstpostens …, … im … rückgängig zu machen, ist der Antrag gegenstandslos, weil der geltend gemachte Verfahrensabbruch nicht vorliegt.
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a) Zwar gibt der Bewerbungsverfahrensanspruch (Art. 33 Abs. 2 GG, § 3 Abs. 1 SG) der Antragstellerin auch ein Recht darauf, dass ein einmal begonnenes Auswahlverfahren zur Besetzung eines höherwertigen Dienstpostens nicht rechtswidrig, d. h. ohne rechtfertigenden sachlichen Grund, abgebrochen wird (vgl. zuletzt BVerwG, Beschluss vom 28. Oktober 2021 – 1 W-VR 10.21 – juris Rn. 26; sowie für das Beamtenrecht Urteil vom 3. Dezember 2014 – 2 A 3.13 – BVerwGE 151, 14 Rn. 17 ff. und 21 ff.). Entgegen der Prämisse der Antragstellerin ist vorliegend jedoch kein solcher Fall des Abbruchs eines Auswahlverfahrens gegeben. Das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr hat, nachdem der Senat mit Beschluss vom 10. Dezember 2021 – 1 WB 34.21 – die ursprüngliche Auswahlentscheidung vom 10. März 2021 aufgehoben hat, nicht entschieden, das bisherige Auswahlverfahren zur Besetzung des strittigen Dienstpostens abzubrechen und an dessen Stelle ein neues Auswahlverfahren in Gang zu setzen. Vielmehr beabsichtigt das Bundesamt für das Personalmanagement erklärtermaßen, das ursprüngliche Auswahlverfahren wiederaufzunehmen, unter den bisherigen Rahmenbedingungen fortzuführen und eine erneute Auswahlentscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu treffen.
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b) Ein (faktischer) Abbruch des ursprünglichen und der Beginn eines neuen Auswahlverfahrens folgt auch nicht daraus, dass das Bundesamt für das Personalmanagement angekündigt hat, den Kreis der betrachteten Bewerber nach dem aktuellen Stand im Zeitpunkt der erneuten Auswahlentscheidung zu bestimmen und beim Leistungsvergleich die dann aktuellen dienstlichen Beurteilungen heranzuziehen.
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Für die Besetzung militärischer Dienstposten besteht keine Ausschreibungspflicht (stRspr; vgl. – auch zum Folgenden – BVerwG, Beschlüsse vom 25. September 2014 – 1 WB 7.14 – Buchholz 450.1 § 17 WBO Nr. 90 Rn. 17 und vom 14. Dezember 2017 – 1 WB 16.17 – juris Rn. 25, jeweils m. w. N.). Das Soldatenrecht enthält weder allgemein noch hinsichtlich höherwertiger Dienstposten eine Ausschreibungspflicht; die Normen des Beamtenrechts, die Ausschreibungen vorsehen (§ 8 BBG, § 4 BLV), gelten nicht für Soldaten. Art. 33 Abs. 2 GG und § 3 Abs. 1 SG lassen das Verfahren offen, mittels dessen der materielle Grundsatz der Bestenauslese umgesetzt wird; das für Soldaten praktizierte Verfahren einer durch die personalbearbeitenden Stellen von Amts wegen durchgeführten Bestenauslese ist dabei als solches rechtlich nicht zu beanstanden.
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Anders als im Recht der Beamten existiert deshalb im Soldatenrecht kein durch eine Ausschreibung und die dort festgelegte Bewerbungsfrist geschlossener Bewerberkreis. Weder bedarf es für Soldaten einer förmlichen Bewerbung, um in die von Amts wegen durchgeführte Betrachtung zur Besetzung eines Dienstpostens aufgenommen zu werden, noch gibt es eine von vornherein bestimmte Frist oder einen anderen Fixpunkt, die bzw. der ein späteres Hinzutreten eines neuen Bewerbers ausschließen würde. Vielmehr bleibt das Feld der für eine Dienstpostenbesetzung in Betracht kommenden Soldaten im Laufe eines militärischen Auswahlverfahrens grundsätzlich „beweglich“. Eine „Fixierung“ tritt nur insofern ein, als es für die Rechtmäßigkeit einer Auswahlentscheidung auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung ankommt und demgemäß das Bewerberfeld in der Form in den Blick genommen wird, wie es sich in diesem Zeitpunkt darstellt. Jenseits dieser rechtlichen Betrachtung verbleibt es jedoch bei der geschilderten „Beweglichkeit“ des Bewerberfelds.
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Dem entspricht es, dass nach der Rechtsprechung des Senats in dem Falle, dass – wie hier – eine Auswahlentscheidung aufgehoben wird, keine „Festschreibung“ auf den der ursprünglichen Auswahlentscheidung zugrundeliegenden Bewerberkreis eintritt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. April 2018 – 1 WB 23.17 – juris Rn. 26). Maßgeblich nach der Wiederaufnahme des Auswahlverfahrens ist nicht die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der ersten (aufgehobenen), sondern der zweiten, noch zu treffenden Auswahlentscheidung (vgl. z. B. BVerwG, Beschlüsse vom 25. September 2012 – 1 WB 44.11 – juris Rn. 27 und vom 29. April 2016 – 1 WB 27.15 – Buchholz 449 § 3 SG Nr. 84 Rn. 18 m. w. N.). Das bedeutet auch, dass gegebenenfalls ein neues Bewerberfeld und das jeweils aktuelle Beurteilungsbild der zu betrachtenden Bewerber für die neue Auswahlentscheidung in den Blick zu nehmen sind (BVerwG, Beschlüsse vom 6. Oktober 2015 – 1 WDS VR 1.15 – Buchholz 449 § 3 SG Nr. 80 Rn. 33 und vom 29. April 2016 – 1 WB 27.15 – Buchholz 449 § 3 SG Nr. 84 Rn. 18). Etwas Anderes folgt auch nicht aus der Rechtskraftwirkung des Bescheidungsbeschlusses vom 10. Dezember 2021 – BVerwG 1 WB 34.21. Die materielle Rechtskraft dieses Beschlusses (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Januar 2004 – 1 WB 38.03 – juris Rn. 4 ff.) erstreckt sich nicht auf die Beibehaltung des Kandidatenfeldes der Auswahlentscheidung vom 10. März 2021 und eine Entscheidung nach Maßgabe der zu diesem Zeitpunkt aktuellen Beurteilungen der Kandidaten.
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Die von der Antragstellerin beanstandete Aktualisierung des Bewerberfelds ist deshalb kein Indiz für einen Abbruch des Verfahrens, sondern zur Umsetzung des Beschlusses vom 10. Dezember 2021 im Lichte des Art. 33 Abs. 2 GG geboten (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 25. Januar 2017 – 2 BvR 2076/16 – NVwZ 2017, 472 Rn. 26).
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2. Soweit die Antragstellerin die Fortführung des Stellenbesetzungsverfahrens begehrt, ist diese, wie ausgeführt, mit der Aktualisierung des Bewerberfeldes und der Einholung aktueller Beurteilungen begonnen.
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Im Übrigen folgt aus der Art. 33 Abs. 2 GG vorgelagerten Organisationsgewalt des Dienstherrn, dass es ihm im Grundsatz obliegt, nicht nur darüber zu entscheiden, ob und wann er welche Statusämter bzw. hier Dienstposten vorhält, sondern – im Rahmen einer angemessenen Ausgestaltung des Auswahlverfahrens – auch, wann er diese endgültig besetzen will (vgl. – auch zum Folgenden – BVerwG, Urteil vom 17. November 2016 – 2 C 27.15 – BVerwGE 156, 272 Rn. 35 m. w. N.). Die organisatorische Entscheidungshoheit des Dienstherrn über die zeitliche Dimension einer Stellenbesetzung wird somit – abgesehen von Missbrauchsfällen – nicht durch subjektive Rechtspositionen eingeschränkt. Es gibt keinen Anspruch auf eine „zügige Durchführung“ des Auswahlverfahrens oder auf eine Entscheidung über die Bewerbung zu einem bestimmten Zeitpunkt.
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Anhaltspunkte für eine manipulativ-verzögernde und deshalb missbräuchliche Gestaltung des Auswahlverfahrens sind vorliegend nicht ersichtlich. Den Abschluss der laufenden Beurteilungsrunde abzuwarten, um die erneute Auswahlentscheidung auf der Grundlage aktueller planmäßiger dienstlicher Beurteilungen zu einem einheitlichen Stichtag zu treffen, ist eine plausible Erwägung.