BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 25.07.2022, AZ VIa ZR 601/21, ECLI:DE:BGH:2022:250722UVIAZR601.21.0
§ 31 BGB, § 214 Abs 1 BGB, § 826 BGB, § 852 BGB
Verfahrensgang
vorgehend OLG Köln, 18. November 2021, Az: 18 U 66/21
vorgehend LG Aachen, 6. April 2021, Az: 10 O 433/20
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 18. November 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Beklagte zur Zahlung von mehr als 8.686,46 € nebst Zinsen verurteilt worden ist. Das vorbezeichnete Urteil wird im Ausspruch zur Hauptsache wie folgt neu gefasst:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Aachen vom 6. April 2021 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 8.686,46 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 7. November 2020 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Pkw VW Tiguan (FIN: WVGZZZ5NZEW072799) zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu einem Drittel und die Beklagte zu zwei Dritteln.
Von Rechts wegen
Tatbestand
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Der Kläger nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf Schadensersatz in Anspruch.
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Der Kläger bestellte am 15. Januar 2014 bei einem Fahrzeughändler ein Kraftfahrzeug des Typs VW Tiguan zum Preis von 23.250,02 € zuzüglich Überführungs- und Zulassungskosten in Höhe von 797,98 €. Nach der Erstzulassung am 6. Februar 2014 wurde das Fahrzeug am 7. Februar 2014 mit einer Laufleistung von 8 km an den Kläger ausgeliefert. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA 189 ausgestattet. Dieser verfügte über eine Motorsteuerungssoftware, die die Durchführung einer Emissionsmessung auf dem Prüfstand erkannte und in diesem Fall einen geringeren Stickoxidausstoß als im Normalbetrieb bewirkte. Das Kraftfahrt-Bundesamt gab der Beklagten auf, die Software im Rahmen eines Rückrufs aus den betroffenen Fahrzeugen zu entfernen. Im Jahr 2016 schrieb die Beklagte die Fahrzeughalter an und informierte über den Rückruf.
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Mit der im Jahr 2020 erhobenen Klage hat der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 24.048 € nebst Prozesszinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen „Rückgabe“ des Fahrzeugs beantragt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht die Beklagte unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung verurteilt, an den Kläger 12.971,94 € nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs zu zahlen.
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Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision hat die Beklagte zunächst die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils begehrt. Nach Einreichung der Revisionsbegründung, aber noch vor der mündlichen Verhandlung in der Revisionsinstanz hat die Beklagte ihren Angriff gegen ihre Verurteilung insoweit beschränkt, als sie zur Zahlung von mehr als 8.686,46 € nebst Zinsen verurteilt worden ist.
Entscheidungsgründe
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Die Revision ist, nachdem die Beklagte die Revision durch eine Beschränkung ihres Revisionsangriffs nach Einreichung der Revisionsbegründung in der Sache teilweise zurückgenommen hat (vgl. BGH, Urteil vom 29. Januar 2004 – I ZR 132/01, NJW-RR 2004, 980) und soweit sich das Rechtsmittel noch gegen eine Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von mehr als 8.686,46 € nebst Zinsen richtet, begründet.
I.
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Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung – soweit für das Revisionsverfahren von Interesse – im Wesentlichen ausgeführt:
7
Der Kläger habe als Erwerber eines Kraftfahrzeugs mit dem Motor EA 189 einen Schadensersatzanspruch gemäß §§ 826, 31 BGB gegen die Beklagte in Höhe von 12.971,94 € (Kaufpreis zuzüglich Überführungs- und Zulassungskosten abzüglich eines auf 11.076,06 € geschätzten Nutzungsvorteils) Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs. Dem Anspruch stehe allerdings die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung entgegen. Die Verjährungsfrist habe aufgrund der Information der betroffenen Fahrzeughalter im Jahr 2016 spätestens in jenem Jahr begonnen. Gleichwohl habe die Klage in Höhe von 12.971,94 € Erfolg, da der Anspruch des Klägers gemäß § 852 BGB als bereicherungsrechtlicher Anspruch weiterhin durchsetzbar sei. „Erlangt“ im Sinne des § 852 BGB habe die Beklagte den vom Kläger gezahlten Bruttokaufpreis (23.250,02 €) abzüglich einer Händlermarge von 15 %, nicht aber die Überführungs- und Zulassungskosten, da diese nicht in ihr Vermögen gelangt seien. Demnach habe die Beklagte 17.437,52 € erlangt. Der Herausgabeanspruch gemäß § 852 BGB sei jedoch auf den dem Kläger als Schadensersatz zustehenden Betrag von 12.971,94 € beschränkt.
II.
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Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.
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1. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen, der Kläger habe einen Anspruch gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB auf Erstattung des von ihm für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises nebst Überführungs- und Zulassungskosten (vgl. BGH, Urteil vom 16. November 2021 – VI ZR 291/20, VersR 2022, 324 Rn. 9 f.) abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs, dem die Beklagte allerdings die Einrede der Verjährung nach § 214 Abs. 1 BGB entgegenhalten könne (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 – VIa ZR 8/21, WM 2022, 731 Rn. 24 ff. mwN, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ). Dies wird von den Parteien im Revisionsverfahren auch nicht in Zweifel gezogen.
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2. Ebenfalls zutreffend ist das Berufungsgericht von der grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 852 Satz 1 BGB in Fällen wie dem vorliegenden ausgegangen. Entgegen der Ansicht der Revision ist weder der Anwendungsbereich der Vorschrift – einen Anspruch des Klägers ausschließend – teleologisch zu reduzieren noch steht die normative Prägung des Schadens, den der Kläger mit dem „ungewollten“ Fahrzeugkauf erlitten hat, der Anwendung von § 852 Satz 1 BGB entgegen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 – VIa ZR 8/21, WM 2022, 731 Rn. 54 ff.; Urteil vom 21. Februar 2022 – VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 12).
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3. Als frei von Rechtsfehlern erweist sich überdies die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte habe aus dem Fahrzeugkauf des Klägers im Sinne des § 852 Satz 1 BGB den um die Händlermarge reduzierten Kaufpreis erlangt.
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a) Das Tatbestandsmerkmal „auf Kosten des Verletzten… erlangt“ in § 852 Satz 1 BGB setzt voraus, dass die unerlaubte Handlung zu einem Vermögensnachteil des Geschädigten und zu einem Vermögensvorteil des Ersatzpflichtigen geführt hat, wobei sich die Vermögensverschiebung nicht unmittelbar zwischen dem Ersatzpflichtigen und dem Geschädigten vollzogen haben muss (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 – VII ZR 365/21, NJW 2022, 1311 Rn. 27; Urteil vom 21. Februar 2022 – VIa ZR 8/21, WM 2022, 731 Rn. 68; jeweils mwN). Liegt dem Neuwagenkauf eines nach §§ 826, 31 BGB durch den Fahrzeughersteller Geschädigten bei einem Händler die Bestellung des bereitzustellenden Fahrzeugs durch den Händler bei dem Hersteller zugrunde und schließen der Hersteller und der Händler einen Kaufvertrag über das Fahrzeug, aufgrund dessen der Hersteller gegen den Händler einen Anspruch auf Zahlung des Händlereinkaufspreises erlangt, ist dem Grunde nach ein Anspruch aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB gegeben, weil der schadensauslösende Vertragsschluss zwischen dem Geschädigten und dem Händler einerseits und der Erwerb des Anspruchs auf Zahlung des Händlereinkaufspreises bzw. der Erwerb des Händlereinkaufspreises durch den Hersteller andererseits auf derselben, wenn auch mittelbaren Vermögensverschiebung beruhen (BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 – VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 14; Urteil vom 21. März 2022 – VIa ZR 275/21, WM 2022, 745 Rn. 27 f.). Hat der Händler das Fahrzeug hingegen unabhängig von einer Bestellung des Geschädigten vor dem Weiterverkauf auf eigene Kosten und eigenes (Absatz-)Risiko erworben, fehlt es an dem von §§ 826, 852 Satz 1 BGB vorausgesetzten Zurechnungszusammenhang (BGH, Urteil vom 21. März 2022, aaO, Rn. 28).
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b) Im Streitfall ist der erforderliche Zurechnungszusammenhang gegeben. Der Kläger bestellte das Fahrzeug am 15. Januar 2014 bei einem Händler unter Vereinbarung von Überführungskosten. Im Februar 2014 erfolgten die Erstzulassung und die Auslieferung. Demnach hatte der Händler das Fahrzeug nicht schon vor dem Verkauf an den Kläger auf eigene Kosten und eigenes (Absatz-)Risiko erworben, vielmehr war es noch von der Beklagten zu liefern. Die Beklagte erhielt infolge der Fahrzeugbestellung des Klägers eine entsprechende Bestellung des Händlers und damit einen Anspruch auf Zahlung des Händlereinkaufspreises. Nach Erfüllung dieses Anspruchs hat sich die Bereicherung der Beklagten gemäß § 818 Abs. 1 Halbsatz 2 BGB an dem von dem Händler an sie gezahlten Entgelt fortgesetzt (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 – VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 13 f. mwN).
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4. Durchgreifenden Bedenken begegnen indessen die rechtlichen Erwägungen des Berufungsgerichts zur Höhe des Restschadensersatzanspruchs des Klägers.
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a) Der Anspruch des geschädigten Fahrzeugkäufers aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB unterliegt wie der ursprünglich bestehende Schadensersatzanspruch der Vorteilsausgleichung (BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 – VIa ZR 8/21, WM 2022, 731 Rn. 83 f.; Urteil vom 21. Februar 2022 – VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 16). Dabei erschöpft sich die Bedeutung des ursprünglich geschuldeten Schadensersatzes keineswegs in einer bloßen Vergleichsbetrachtung und einer einfachen Limitierung durch den ursprünglichen Zahlbetrag. Vielmehr hat die Rechtsnatur des in § 852 Satz 1 BGB geregelten Restschadensersatzanspruchs eine dreifache Limitierung zur Folge: Zunächst ist der seitens des Fahrzeughändlers vom Geschädigten vereinnahmte Kaufpreis um die Händlermarge zu reduzieren. Anschließend ist von dem so ermittelten Händlereinkaufspreis der Wert der vom Geschädigten gezogenen Nutzungen in Abzug zu bringen. Und schließlich schuldet der Fahrzeughersteller als Schädiger Restschadensersatz nur Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des erworbenen Fahrzeugs (BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 – VIa ZR 57/21, aaO).
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b) Abweichend davon hat das Berufungsgericht den Nutzungsvorteil vom Endkaufpreis zuzüglich Überführungs- und Zulassungskosten abgezogen und den so ermittelten, verjährten Schadensersatzanspruch des Klägers aus §§ 826, 31 BGB in Höhe von 12.971,94 € im Sinne einer Vergleichsbetrachtung dem von der Beklagten erlangten Händlereinkaufspreis gegenübergestellt. Nach dem Gesagten ist der Restschadensersatzanspruch indes so zu ermitteln, dass der Nutzungsvorteil vom Händlereinkaufspreis abgezogen wird. Diese Berechnung ergibt auf der Grundlage des Endkaufpreises von 23.250,02 €, der unangefochten festgestellten Händlermarge von 15 % und des gemäß § 287 ZPO vom Berufungsgericht auf 11.076,06 € geschätzten Nutzungsvorteils einen – Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs zu erfüllenden – Anspruch des Klägers aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB in Höhe von 8.686,46 €.
III.
17
Das Berufungsurteil ist danach aufzuheben, soweit die Beklagte zur Zahlung von mehr als 8.686,46 € nebst Zinsen verurteilt worden ist (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, da die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Weitere tatrichterliche Feststellungen sind nicht erforderlich, nachdem das – insoweit gemäß § 287 ZPO besonders freigestellte – Berufungsgericht die zur Bemessung des klägerischen Anspruchs erforderliche Feststellungen getroffen hat und die Beklagte eine Berechnung ihrer Zahlungsverpflichtung auf dieser Grundlage nicht mehr in Frage stellt.
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