BGH 10. Zivilsenat, Urteil vom 21.07.2022, AZ X ZR 110/21, ECLI:DE:BGH:2022:210722UXZR110.21.0
Leitsatz
Stammzellengewinnung
Das Interesse der Allgemeinheit an der Beseitigung eines zu Unrecht erteilten Patents rechtfertigt die Nichtigkeitsklage nur solange, als das Recht noch wirksam und in Kraft ist. Ab dem Zeitpunkt, in dem das Recht entfallen ist, ist die Nichtigkeitsklage nur zulässig, wenn dem Kläger ein Rechtsschutzbedürfnis zur Seite steht. Das allgemeine Interesse an der Sicherung einer gesetzeskonformen Erteilungspraxis des Patentamts – hier hinsichtlich § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 PatG – ist nicht geeignet, ein Rechtsschutzbedürfnis zu begründen (Fortführung von BGH, Beschluss vom 17. April 1997 – X ZB 10/96, GRUR 1997, 615 –; Vornapf).
Verfahrensgang
vorgehend BPatG München, 5. Oktober 2021, Az: 3 Ni 31/19, Urteil
Tenor
Die Berufung gegen das Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 5. Oktober 2021 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
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Der Beklagte war Inhaber des deutschen Patents 10 2004 062 184 (Streitpatents), das am 23. Dezember 2004 angemeldet wurde und ein Verfahren zur embryonenerhaltenden Gewinnung pluripotenter Stammzellen betrifft.
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Patentanspruch 1, auf den sieben weitere Ansprüche zurückbezogen sind, lautete:
Verfahren zur embryonenerhaltenden Gewinnung pluripotenter embryonaler Stammzellen, bei dem
a) in der Zona pellucida von fixierten Blastocysten ein Kanal geöffnet wird,
b) durch diesen Kanal ein geeignetes Instrument zur Mobilisierung von Zellen durch den Trophectoderm bis zur inneren Zellmasse geführt wird und mit diesem Instrument einige Stammzellen der inneren Zellmasse mobilisiert werden, und
c) die mobilisierten Stammzellen abgesaugt werden, mit der Maßgabe, dass die Entnahme die Lebensfähigkeit der Blastocysten nicht beeinträchtigt.
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Der Kläger hat geltend gemacht, das Streitpatent sei wegen Verstoßes gegen den Patentierungsausschluss nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 PatG für nichtig zu erklären, soweit Blastocysten menschlichen Ursprungs erfasst seien. Die Blastocyste (Keimblase) ist ein bestimmtes Entwicklungsstadium der Embryogenese, in dem bei Menschen und Säugetieren die Einnistung in die Gebärmutter erfolgt.
4
Der Beklagte hat erklärt, der Klage nicht zu widersprechen und auf die Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Streitpatent gegenüber dem Kläger zu verzichten.
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Während des Verfahrens des ersten Rechtszugs ist das Streitpatent durch Nichtzahlung der Jahresgebühr erloschen.
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Das Patentgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen und dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Berufung, mit der er seinen Antrag erster Instanz weiterverfolgt. Der Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
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I. Das Patentgericht (BPatG GRUR 2022, 117) hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
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Die Nichtigkeitsklage sei infolge des Erlöschens des Streitpatents unzulässig geworden. Da das Allgemeininteresse an der Nichtigerklärung eines unberechtigten Schutzrechts mit dessen Erlöschen entfalle, sei die Nichtigkeitsklage ab diesem Zeitpunkt nur noch zulässig, wenn der Klagepartei ein Rechtsschutzbedürfnis zuzubilligen sei. Daran fehle es hier, weil Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger aus dem Streitpatent in Anspruch genommen werde, nicht vorgetragen seien.
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II. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsrechtszug stand.
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1. Die auf Nichtigerklärung eines in Kraft stehenden Patents gerichtete Klage ist als Popularklage ausgestaltet.
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Solange ein Patent in Kraft steht, kann es grundsätzlich von jedermann mit der Nichtigkeitsklage angegriffen werden. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass der Nichtigkeitskläger im Interesse der Allgemeinheit daran handelt, dass zu Unrecht erteilte technische Schutzrechte beseitigt werden (so schon RG JW 1893, 351; RGZ 74, 209; Gareis, Das deutsche Patentgesetz, 1877, § 27 Anm. III; Seligsohn, PatG, 6. Aufl. 1920, § 28 Anm. 4).
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Danach ist der Kläger vom Nachweis eines eigenen Interesses an der Rechtsverfolgung entbunden, wenn und solange das angegriffene Patent noch in Kraft steht. Die Nichtigkeitsklage als Popularklage stellt, wie der Bundesgerichtshof bereits ausgesprochen hat, eine Ausnahme von dem Grundsatz dar, dass eine behördliche Maßnahme nur unter Berufung auf eigene Rechte angegriffen werden kann und sich der Einzelne, sofern dies nicht gesetzlich vorgesehen ist, nicht zum Sachwalter von Belangen der Allgemeinheit machen kann (BGH, Beschluss vom 17. April 1997 – X ZB 10/96, GRUR 1997, 615, 617 – Vornapf).
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2. Richtet sich die Klage – wie hier – gegen ein erloschenes Patent, ist sie hingegen nur zulässig, wenn dem Kläger ein Rechtsschutzbedürfnis zur Seite steht.
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Das Interesse der Allgemeinheit an der Beseitigung eines zu Unrecht erteilten, nicht schutzfähigen Patents rechtfertigt die Nichtigkeitsklage nur solange, als das Recht noch wirksam und in Kraft ist. Ist es hingegen entfallen, kann es allenfalls noch Rechte Einzelner betreffen. Ab diesem Zeitpunkt kann ein Angriff auf das Schutzrecht nicht mehr mit Allgemeininteressen gerechtfertigt werden, vielmehr muss ein Rechtsschutzbedürfnis dargelegt werden (BGH, Urteil vom 13. Juli 2004 – X ZR 171/00, GRUR 2004, 849 juris Rn. 12 – Duschabtrennung; Beschluss vom 14. Februar 1995 – X ZB 19/94, GRUR 1995, 342 juris Rn. 9 – Tafelförmige Elemente; Urteil vom 26. Juni 1973 – X ZR 23/71, GRUR 1974, 146 juris Rn. 25 f. – Schraubennahtrohr; BGH, Urteil vom 29. September 1964 – Ia ZR 285/63, GRUR 1965, 231, 232 – Zierfalten; ebenso schon RG JW 1897, 636 (637); siehe ferner zum Gebrauchsmusterlöschungsverfahren BGH, Beschluss vom 12. März 1981 – X ZB 16/80, GRUR 1981, 515 juris Rn. 13 f. – Anzeigegerät; Beschluss vom 18. März 1975 – X ZB 12/74, GRUR 1976, 30 juris Rn. 11 f. – Lampenschirm; zum Einspruchsverfahren BGH GRUR 1997, 615 –; Vornapf). Dies gilt sowohl dann, wenn das Streitpatent bereits bei Klageerhebung nicht mehr in Kraft steht, als auch bei einem Erlöschen des Streitpatents während des Rechtsstreits (BGH GRUR 1965, 231, 233 – Zierfalten). Maßgeblich für das Vorliegen des Rechtsschutzbedürfnisses ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (BGH GRUR 2004, 849 juris Rn. 12 – Duschabtrennung).
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Die Rechtsprechung bejaht ein solches Rechtsschutzbedürfnis insbesondere dann, wenn der Kläger damit rechnen muss, dass er wegen Verletzungshandlungen in der Vergangenheit aus dem damals noch bestehenden Patent in Anspruch genommen wird (BGH, Urteil vom 26. Januar 2021 – X ZR 24/19, GRUR 2021, 696 Rn. 7 – Phytase; Beschluss vom 13. Juli 2020 – X ZR 90/18, GRUR 2020, 1074 Rn. 28 – Signalübertragungssystem).
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Im Streitfall liegen hierfür keine Anhaltspunkte vor. Der Kläger macht keine Beeinträchtigung eigener subjektiver Rechte geltend, sondern beruft sich auf das allgemeine Interesse an der Sicherung einer gesetzeskonformen Erteilungspraxis des Patentamts. Dieses ist nicht geeignet, ein Rechtsschutzbedürfnis (gerade) des Klägers zu begründen (BGH GRUR 1997, 615, 617 – Vornapf).
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3. Die mit einer Nichtigerklärung verbundene weitergehende Wirkung rechtfertigt keine andere Beurteilung.
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Mit der Nichtigerklärung gelten die Wirkungen des Patents und der Anmeldung als von Anfang an nicht eingetreten (§ 22 Abs. 2 iVm § 21 Abs. 3 Satz 1 PatG). Dagegen erlischt das Patent mit der Nichtzahlung der Jahresgebühr nur mit Wirkung für die Zukunft.
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Der Kläger macht insoweit geltend, eine Entscheidung in der Sache sei geboten, weil anderenfalls der Rechtsschein einer staatlichen Billigung der Verwendung menschlicher Embryonen bestehen bleibe.
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Wie der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat, genügt der Hinweis auf die weitergehende Wirkung einer Nichtigerklärung jedoch nicht, um ein eigenes rechtliches Interesse des Klägers an der Fortführung des Patentnichtigkeitsverfahrens zu begründen (BGH GRUR 1965, 231, 233 – Zierfalten).
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4. Anders als der Kläger meint, nötigt das Verfassungsrecht nicht dazu, ihm die Befugnis einzuräumen, das Interesse der Allgemeinheit am gesetzmäßigen Verhalten der Erteilungsbehörde auch nach dem Erlöschen des Patents gerichtlich geltend zu machen.
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Die Verfassung gewährleistet, dass demjenigen, der geltend machen kann, durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt zu sein, der Rechtsweg offensteht (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG). Dagegen ist es verfassungsrechtlich nicht geboten, jedermann das Recht einzuräumen, im Interesse der Allgemeinheit gerichtlich gegen (vermeintlich) rechtswidrige staatliche Maßnahmen vorzugehen (BVerfG, Beschluss vom 10. Juni 2009 – 1 BvR 198/08, NVwZ 2009, 1426, 1427; Schmidt-Aßmann in Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, Stand Juli 2021, Art. 19 Abs. 4 Rn. 9). Dies gilt auch dann, wenn geltend gemacht wird, dass ein Patent für eine Erfindung, die auf die Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken gerichtet ist und damit gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßen würde, vom Patentamt unter Verstoß gegen § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 PatG erteilt worden sei.
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Der Hinweis des Klägers auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Rechtsschutz gegen unzureichende Maßnahmen des Gesetzgebers zum Schutz vor den Gefahren des Klimawandels (BVerfG, Beschluss vom 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18 u.a., BVerfGE 157, 30 – Klimaschutz), führt zu keiner anderen Beurteilung. Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Entscheidung eine Befugnis zur Erhebung einer Verfassungsbeschwerde damit begründet, die Beschwerdeführer könnten geltend machen, in ihrem grundrechtlichen Anspruch auf Schutz des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit und des Eigentums verletzt zu sein (BVerfGE 157, 30 Rn. 96 ff.). Eine solche Betroffenheit in eigenen Rechten kann der Kläger hier, wie oben bereits ausgeführt wurde, nicht geltend machen.
25
III. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 121 Abs. 2 PatG und § 97 Abs. 1 ZPO.
- Grabinski
- Hoffmann
- Deichfuß
- Kober-Dehm
- Crummenerl