Zum Verstoß eines Notars gegen die Amtspflicht, den Anschein der Abhängigkeit und Parteilichkeit zu vermeiden, im… (Beschluss des BGH Senat für Notarsachen)

BGH Senat für Notarsachen, Beschluss vom 11.07.2022, AZ NotSt (Brfg) 4/21, ECLI:DE:BGH:2022:110722BNOTST.BRFG.4.21.0

§ 14 Abs 1 S 2 BNotO, § 14 Abs 3 S 2 BNotO

Leitsatz

Zum Verstoß eines Notars gegen die Amtspflicht, den Anschein der Abhängigkeit und Parteilichkeit zu vermeiden, im Zusammenhang mit Auswärtsbeurkundungen in den Räumlichkeiten einer Vertragspartei (Fortführung von Senat, Beschluss vom 22. März 2021 – NotSt (Brfg) 4/20).

Verfahrensgang

vorgehend OLG Celle, 14. Oktober 2021, Az: Not 5/21

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Notarsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 14. Oktober 2021 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

Gründe

I.

1

Der – disziplinarrechtlich bislang nicht in Erscheinung getretene – Kläger ist Rechtsanwalt und wurde im Jahr 2011 zum Notar mit Sitz in Lachendorf bestellt. In den Jahren 2013 bis 2016 beurkundete er insgesamt 26 Grundstückskauf- oder -tauschverträge, Ergänzungen zu bereits geschlossenen derartigen Verträgen beziehungsweise eine Vertragsaufhebung unter der – ca. 30 km von seiner Geschäftsstelle entfernten – Anschrift S.          in W.        . Dort ist eine Reihe von zur sogenannten L.    -Gruppe gehörenden Unternehmen ansässig: die im Bereich der Agrarproduktion agierende J.  Holding AG, verschiedene (zu den jeweiligen Beurkundungszeitpunkten teils noch in Gründung befindliche) mit der Betreuung und Unterbringung von Senioren befasste Unternehmen (Seniorenpark R.        GmbH & Co. KG, Seniorenpark K.    GmbH, Seniorenpark W.      GmbH, Seniorenpark E.    GmbH, Seniorenpark M.           GmbH, Seniorenpark D.         GmbH, Seniorenpark De.      GmbH, Seniorenpark G.      GmbH, Seniorenpark B.      GmbH, Seniorenpark A.     GmbH, Seniorenresidenz Wi.    GmbH, Seniorenpark Ge.             GmbH, die L.    Verwaltungs GmbH – als persönlich haftende Gesellschafterin der damals noch zu errichtenden Seniorenpark P.             GmbH & Co. KG und Seniorenpark C.               GmbH & Co. KG – sowie die Wohncarrée D.       GmbH), ferner die M.  Immobilien-Handels- und Verwaltungs-GmbH sowie die Forstgut S.           GmbH & Co. KG. Unter der Anschrift S.          findet ferner die Verwaltung von Immobilen dritter auswärtiger Gesellschaften statt. An der Mehrzahl der eingangs bezeichneten Urkundsgeschäfte war (mindestens) eines der oben genannten Unternehmen in eigener Sache beteiligt, die entweder durch J.     L.      junior oder A.      L.      – insoweit jeweils handelnd als alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführer – sowie in einem Fall durch J.    L.     senior vertreten wurden, wobei A.      L.       in elf Fällen zugleich als (vollmachtloser) Vertreter der anderen Vertragspartei handelte. Eines der beurkundeten Geschäfte betraf einen Verbrauchervertrag, bei dem A.  S.      als (vollmachtlose) Vertreterin für J.     L.      senior – beide ebenfalls unter Anschrift S.         tätig beziehungsweise wohnhaft – als Käufer auftrat. In vier der insgesamt 26 Verträge ging es um Geschäfte auswärtiger Unternehmen, bei denen die Verwaltung der Liegenschaften einer oder beider Vertragsparteien unter der Anschrift S.          stattfand. In sämtlichen Fällen hatten entweder das jeweils handelnde Mitglied der Familie L.          oder beide Vertragsparteien beziehungsweise bei den Verträgen, die eine oder mehrere Parteien, die Verwaltungsleistungen in Anspruch nahmen, betrafen, mindestens einer der Vertragspartner – etwa aus terminlichen Gründen oder wegen der als günstiger empfundenen räumlichen Lage – um eine Beurkundung auf dem Gelände S.      in W.        ersucht.

2

Wegen dieser Beurkundungen sowie weiterer Vorgänge, die nicht mehr Gegenstand des Verfahrens sind, leitete der Beklagte ein Disziplinarverfahren gegen den Kläger ein und verhängte mit Disziplinarverfügung vom 9. Dezember 2020 gegen ihn eine Geldbuße in Höhe von 9.500 €. In Bezug auf die oben dargestellten Amtsgeschäfte hat er angenommen, dem Kläger sei ein fahrlässiger Verstoß gegen die sich aus § 14 Abs. 3 Satz 2 BNotO ergebende Amtspflicht vorzuwerfen. Es werde durch die Beurkundungen unter der Anschrift S.          in W.        der Eindruck einer besonderen Nähe zwischen ihm und der J.   Holding AG erweckt, ungeachtet dessen, welches der unter dem „Dach“ der Holding tätig werdenden Unternehmen im Einzelfall beteiligt gewesen sei. Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers wies die Präsidentin des Oberlandesgerichts zurück.

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Die auf Aufhebung der Disziplinarverfügung in Gestalt des Widerspruchsbescheids gerichtete Klage hat in erster Instanz insoweit Erfolg gehabt, als das Oberlandesgericht einen Teil der gegen den Kläger erhobenen – in zweiter Instanz nicht mehr gegenständlichen – Vorwürfe anders als der Beklagte bewertet sowie – in Bezug auf die noch anhängigen Dienstvergehen – zugunsten des Klägers ein mittlerweile geändertes Beurkundungsverhalten in Bezug auf die „L.      -Gruppe“ berücksichtigt und deswegen die Höhe der Geldbuße auf 6.000 € ermäßigt hat. Eine Dienstpflichtverletzung im Zusammenhang mit den in Rede stehende Auswärtsbeurkundungen hat es hingegen bejaht.

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Die Berufung hat das Oberlandesgericht nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seinem Antrag. Nach Zulassung der Berufung möchte er seinen auf vollständige Aufhebung der Disziplinarverfügung gerichteten Klageantrag weiterverfolgen.

II.

5

Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet. Es besteht kein Anlass zur Zulassung der Berufung (§ 124a Abs. 5 Satz 2, § 124 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 64 Abs. 2 BDG und § 105 BNotO). Insbesondere sind die vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 (grundsätzliche Bedeutung) und Nr. 4 (Divergenz) VwGO nicht gegeben. Sonstige Zulassungsgründe werden nicht vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich.

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1. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist erfüllt, wenn es im konkreten Fall auf eine Tatsachen- oder Rechtsfrage ankommt, die über den von der ersten Instanz entschiedenen Fall hinausgeht und an deren Klärung daher mit Blick auf die Einheit oder Fortbildung des Rechts auch für vergleichbare Fälle ein Interesse besteht (vgl. zB Senat, Beschlüsse vom 22. März 2021 – NotSt(Brfg) 4/20, NJW-RR 2021, 782 Rn. 4 und vom 20. Juli 2020 – NotSt(Brfg) 2/20, RNotZ 2020 Rn. 14 mwN). Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben, wenn die Streitfrage bereits in der ober- oder höchstgerichtlichen Rechtsprechung geklärt ist (Senat jeweils aaO). Dies ist hier der Fall.

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§ 14 Abs. 1 Satz 2 BNotO legt dem Notar als Träger eines öffentlichen Amts (§ 1 BNotO) die Pflicht auf, seine Aufgaben als unabhängiger und unparteilicher Betreuer der Beteiligten wahrzunehmen. Die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit sind die wichtigsten Prinzipien des notariellen Berufsrechts und rechtfertigen überhaupt erst das Vertrauen, das dem Notar entgegengebracht wird; sie bilden mithin das Fundament des Notarberufs (Senat, Beschluss vom 13. November 2017 – NotSt(Brfg) 3/17, BGHZ 216, 368 Rn. 25 m.zahlr.w.N.). Wegen der fundamentalen Bedeutung der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit für das Notaramt verpflichtet § 14 Abs. 3 Satz 2 BNotO den Notar zudem dazu, jedes Verhalten zu vermeiden, das auch nur den Anschein des Verstoßes gegen die ihm gesetzlich auferlegten Pflichten erzeugt, insbesondere den Anschein der Abhängigkeit und Parteilichkeit (Senat aaO mwN).

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Was Beurkundungen außerhalb der Geschäftsstelle des Notars anbelangt, beinhaltet § 10a BNotO, der den Notar hinsichtlich seiner Urkundstätigkeit grundsätzlich in den Bezirk des Amtsgerichts, in dem er seinen Amtssitz hat, verweist, zwar keine weiteren örtlichen Einschränkungen. Insbesondere wird der Notar dadurch nicht gehindert, eine Beurkundung außerhalb seiner Geschäftsstelle (aber immer innerhalb des Amtsbezirks) vorzunehmen (BVerfG NJW 2000, 3486, 3487). Ebenso unzweifelhaft muss der Notar bei der Wahl des Beurkundungsorts aber darauf achten, dass hierdurch nicht der Anschein der Abhängigkeit oder Parteilichkeit erzeugt wird (§ 14 Abs. 3 Satz 2 BNotO; § 67 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1, 2 und 9 BNotO iVm Punkt A IX 2 der Richtlinien der Notarkammer Celle für die Amtspflichten und sonstigen Pflichten der Mitglieder; BVerfG aaO S. 3487 f; Senat, Beschluss vom 22. März 2021, aaO Rn. 5 f; OLG Celle, DNotZ 2020, 227 Rn. 22). Ob die Unabhängigkeit des Notars und seine Verpflichtung zur Unparteilichkeit durch Beurkundungen außerhalb der Geschäftsstelle gefährdet werden können, ist eine Frage des Einzelfalls. Sofern die Gefahr des Anscheins einer Parteilichkeit des Notars entstehen könnte, hat dieser von der Auswärtsbeurkundung Abstand zu nehmen. Berufswidriges Verhalten kann insoweit geahndet werden (BVerfG aaO; Senat, aaO Rn. 5). Der Anschein der Abhängigkeit und Parteilichkeit kann sich insbesondere aus wiederholten Auswärtsbeurkundungen in den Räumlichkeiten einer Vertragspartei ergeben (Senat, aaO Rn. 6; BeckOK BNotO/Sander, 5. Edition [Stand 31. Juli 2021] § 14 Rn. 70; Staudinger/Hertel, Neubearb. 2017, BeurkG Rn. 267). Ob dies in der konkreten Konstellation zutrifft, ist eine Frage der Bewertung des Einzelfalls (BVerfG aaO; Senat aaO).

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Einen über diese Grundsätze hinausgehenden Klärungsbedarf zeigt der Kläger nicht auf. Insbesondere geht er fehl in der Annahme, die Erwägungen aus dem Senatsbeschluss vom 22. März 2021 könnten auf seinen Fall nicht übertragen werden. Der Aufstellung neuer oder weitergehender Leitlinien bedarf es nicht. Die vom Kläger als grundsätzlich bedeutsam angesehene Frage, „ob ein Notar, der auf Verlangen natürlicher oder juristischer Personen mit unterschiedlichen Geschäftszweigen Beurkundungen in Geschäftsräumen von Urkundsbeteiligten vornimmt, die eine einheitliche postalische Anschrift haben oder unter ihrer Anschrift ihre Immobilienverwaltung betreiben lassen oder aufgrund ihres Familiennamens alle einer bestimmten Gruppe zuzurechnen seien, auch wenn im Einzelfall keine wirtschaftliche Verflechtung zu der Gruppe bestehen sollte, gegen § 14 Abs. 3 BNotO verstößt“, beinhaltet keine klärungsbedürftige abweichende abstrakte Fallgestaltung, sondern stellt im Ergebnis lediglich die Wiedergabe der den vorliegenden Einzelfall prägenden Umstände dar, die einer Wertung anhand der obigen Maßstäbe zu unterziehen sind. Dementsprechend ist den Ausführungen des Klägers auch lediglich die Auffassung zu entnehmen, die von dem Beklagten und der Vorinstanz unter Zuhilfenahme der vorstehend wiedergegebenen Grundsätze vorgenommene Einzelfallbeurteilung hätte anders ausfallen müssen. Dies kann jedoch mit dem Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht gerügt werden.

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Zu Unrecht meint der Kläger weiter, es sei klärungsbedürftig, ob allein das Ersuchen eines Urkundsbeteiligten um eine Auswärtsbeurkundung einen sachlichen Grund für diese darstellt und ob das Merkmal der wiederholten Beurkundung in den Räumen „einer Vertragspartei“ formal zu betrachten sei. Auf der Grundlage der vorstehenden Ausführungen ist es hinreichend klar, dass diese Umstände allein nicht erheblich sind. Maßgebend ist vielmehr, ob durch die Beurkundung außerhalb der Geschäftsstelle zumindest der Anschein einer Beeinträchtigung der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Notars entstehen kann. Dies hat das Oberlandesgericht bejaht, ohne dass der Kläger dessen Feststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt hat.

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2. Ebenso wenig kommt in dem angefochtenen Urteil eine Divergenz zu einer ober-, höchst- oder verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO i.V.m. § 64 Abs. 2 BDG, § 105 BNotO zum Ausdruck. Im Gegenteil hat das Oberlandesgericht die vorstehend wiedergegebene Rechtsprechung gesehen und seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Es ist insbesondere – entgegen der Ansicht des Klägers – in Übereinstimmung mit dem von diesem in Bezug genommenen Beschluss der Zweiten Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 9. August 2008 (1 BvR 647/98, aaO) davon ausgegangen, dass §§ 10 ff BNotO kein Verbot von (gelegentlichen) Auswärtsbeurkundungen innerhalb des dem Notar zugewiesenen Amtsbereichs enthalten, solche aber unter dem Vorbehalt der – den Beruf des Notars schlechthin prägenden – Verpflichtung zur Unabhängigkeit und Unparteilichkeit gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 Satz 2 BNotO stehen (vgl. dazu BVerfG aaO, juris Rn. 28). Einen abweichenden offenen oder verdeckten Obersatz hat es mithin nicht aufgestellt, sondern lediglich eine die konkreten Besonderheiten der gegebenen Konstellation einbeziehende Einzelfallbetrachtung vorgenommen.

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Die Rügen des Klägers – etwa zu der von ihm als unbedenklich angesehenen Anzahl der vor allem Geschäfte zwischen Unternehmern betreffenden Auswärtsbeurkundungen im Vergleich zu der Gesamtzahl der von ihm jährlich errichteten Urkunden oder zu einer unterbliebenen Feststellung, ob und in welchem Umfang die Unternehmen wirtschaftlich miteinander beziehungsweise mit der J.    Holding AG verflochten seien – betreffen erneut nur seine von der Bewertung des Oberlandesgerichts abweichende Würdigung des Sachverhalts, vermögen aber keine Divergenz im Sinne der genannten Vorschriften zu begründen.

13

3. Weitere Zulassungsgründe sind nicht geltend gemacht und auch nicht ersichtlich.

III.

14

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 109 BNotO, § 77 Abs. 1 BDG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO. Eine Wertfestsetzung ist nicht veranlasst (§ 109 BNotO, § 78 Satz 1 BDG; Wittkowski in Urban/Wittkowski, BDG, 2. Aufl., § 78 Rn. 3).

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