Urteil des BPatG München 4. Senat vom 04.07.2022, AZ 4 Ni 23/21 (EP)

BPatG München 4. Senat, Urteil vom 04.07.2022, AZ 4 Ni 23/21 (EP), ECLI:DE:BPatG:2022:040722U4Ni23.21EP.0

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das europäische Patent EP 1 974 150
(DE 50 2007 013 202)

hat der 4. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 4. Juli 2022 durch den Richter Dr. Meiser als Vorsitzenden sowie die Richter Merzbach, Dr.-Ing. Krüger, Dipl.-Ing. Univ. Richter, und Dipl.-Ing. Dr. Herbst

für Recht erkannt:

I. Das europäische Patent 1 974 150 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland dadurch teilweise für nichtig erklärt, dass seine Ansprüche die folgende Fassung erhalten:

1. Scheibenbremse mit einem gegenüber einem Achskörper (1) fest angeordneten Bremsträger (3) mit daran angeordneten Aufnahmeelementen (21) für die Befestigung und schwimmende Lagerung eines Bremssattels, wobei der Bremsträger (3) einen Belagschacht (10) zur Aufnahme eines gegen eine Bremsscheibe der Scheibenbremse anliegenden Bremspads aufweist und jeder weitere Bremspad in einer Aufnahme des Bremssattels angeordnet ist, wobei an dem Belagschacht (10) Führungsflächen (11, 12) zur radialen und tangentialen Führung des Bremspads angeordnet sind, und wobei der Bremsträger (3), indem er mit dem Achskörper (1) verschweißt ist, direkt an dem Achskörper (1) angeordnet ist und sich im Wesentlichen quer hierzu erstreckt,
dadurch gekennzeichnet, dass der Bremsträger (3) als eine ebene, flache Stahlplatte ausgebildet ist, dass der Bremsträger (3) auf mindestens einer seiner beiden Seiten (25, 26) mit gewichtsreduzierenden Ausnehmungen (16a, 16b, 16c) versehen ist, dass der Bremsträger (3) zur Befestigung auf dem Achskörper eine L-förmige Öffnung aufweist, dass der Bremsträger (3) auf jeder seiner beiden Seiten (25, 26) mit einem quadratisch gestalteten Achsrohr des Achskörpers (1) durch eine Schweißnaht (2) verbunden ist, die sich entlang eines ersten, horizontalen Schweißnahtabschnittes sowie eines hierzu rechtwinkligen, zweiten Schweißnahtabschnittes erstreckt, und dass zur Austauschbarkeit der an dem Belagsschacht (10) angeordneten Führungsflächen (11, 12) mindestens ein innen an dem Belagsschacht (10) angeordnetes Verschleißblech (40, 40a) vorgesehen ist, an dem eine radiale (11) und eine tangentiale (12) Führungsfläche für den Bremspad ausgebildet ist, und weiter gekennzeichnet durch an dem Verschleißblech (40, 40a) angeformte Mittel (43) zum Fixieren des Verschleißblechs an dem Belagschacht (10) in Gestalt von sich bis über die Flachseiten (25, 26) des Bremsträgers (3) erstreckenden Abkantungen.

2. Scheibenbremse nach Anspruch 1,
dadurch gekennzeichnet, dass der Bremsträger(3) aus parallel geschichteten Blechen zusammengesetzt ist.

3. Scheibenbremse nach Anspruch 1,
dadurch gekennzeichnet, dass der Bremsträger (3; 3a, 3b) nur entlang gerade verlaufender Verbindungsabschnitte mit dem Achskörper verschweißt ist.

4. Scheibenbremse nach Anspruch 1,
gekennzeichnet durch einen an dem Verschleißblech (40, 40a) angeformten Vorsprung, welcher in eine zu dem Vorsprung korrespondierende Aussparung in der Umfangskontur des Bremspads eingreift.

5. Scheibenbremse nach einem der vorangehenden Ansprüche,
dadurch gekennzeichnet, dass die Aufnahmeelemente für den Bremssattel in Gewinde (24) eingeschraubte Führungszapfen (21) sind, wobei sich die Gewinde (24) an auswechselbar in Bohrungen (23) des Bremsträgers (3) eingesetzten Gewindebuchsen (22) befinden.

6. Scheibenbremse nach Anspruch 5,
dadurch gekennzeichnet, dass die Bohrungen (23) in dem Bremsträger (3) in Achsenrichtung symmetrisch sind.

7. Scheibenbremse nach Anspruch 1,
gekennzeichnet durch zwei Aufnahmeelemente in Gestalt jeweils eines in ein Gewinde (24) eingeschraubten Führungszapfens (21), wobei sich jedes der beiden Gewinde (24) in einem auswechselbar in den Bremsträger (3) eingesetzten Gewindeeinsatz (22; 28) befindet, und einer der beiden Gewindeeinsätze ein in Richtung der Erstreckung des Bremsträgers (3) in den Bremsträger einsetzbarer Kulissenstein (28) ist.

II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

III. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 25 % und die Beklagte 75 % zu tragen.

IV. Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des u.a. mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 974 150, das auf die PCT-Anmeldung PCT/DE2007/000115 (veröffentlicht als WO 2007/082520) zurückgeht, am 18. Januar 2007 unter Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Patentanmeldung 10 2006 002 569 vom 18. Januar 2006 angemeldet und dessen Erteilung am 18. Juni 2014 veröffentlicht worden ist. Im Patentregister des Deutschen Patent- und Markenamts wird das Streitpatent mit der Bezeichnung “Scheibenbremse“ unter dem Aktenzeichen DE 50 2007 013 202 geführt.

2

Das Streitpatent umfasst in seiner geltenden Fassung 20 Ansprüche mit dem unabhängigen Anspruch 1 sowie den hierauf rückbezogenen Unteransprüchen 2 bis 20.

3

Die Klägerin greift das Streitpatent in vollem Umfang – und im Weiteren alle von der Beklagten mit Hilfsanträgen verteidigten, geänderten Fassungen – an und macht die Nichtigkeitsgründe der mangelnden Ausführbarkeit sowie der mangelnden Patentfähigkeit wegen fehlender Neuheit und erfinderischer Tätigkeit geltend.

4

Die Beklagte verteidigt das Streitpatent in der geltenden Fassung sowie in geänderten Fassungen zuletzt mit den Hilfsanträgen 1 bis 4, 7, 6, 6a, 5, 8 bis 12,
in dieser Reihenfolge, eingereicht mit den Schriftsätzen vom 18. Mai 2021 (Hilfsanträge 1 bis 2), vom 29. März 2022 (Hilfsanträge 3 bis 5) und vom 23. Mai 2022 (Hilfsanträge 7 bis 12) und in der mündlichen Verhandlung vom 4. Juli 2022 (Hilfsanträge 6, 6a). In der mündlichen Verhandlung vom 4. Juli 2022 reicht die Beklagte die neu formulierten Hilfsanträge 6 und 6a ein, die den ursprünglichen Hilfsantrag 6 vom 23. Mai 2022 ersetzen, und tauscht zudem die Reihenfolge der Hilfsanträge 5 und 7.

5

Der
geltende Patentanspruch 1 (in der Fassung des Urteils des BGH vom 15. Dezember 2020 – X ZR 180/18 = GRUR 2021, 701; Vorinstanz: BPatG, Urteil vom 25. Oktober 2018 – 7 Ni 12/17 (EP)) lautet in der Verfahrenssprache Deutsch mit einer hinzugefügten Gliederung (Änderungen gegenüber der erteilten Fassung durch Streichungen hervorgehoben):

6

1. „Scheibenbremse

7

1.1 mit einem gegenüber einem Achskörper (1) fest angeordneten Bremsträger (3)

8

1.1.1 mit daran angeordneten Aufnahmeelementen (21) für die Befestigung und schwimmende Lagerung eines Bremssattels,

9

1.1.2 wobei der Bremsträger (3) einen Belagschacht (10) zur Aufnahme eines gegen eine Bremsscheibe der Scheibenbremse anliegenden Bremspads aufweist und jeder weitere Bremspad in einer Aufnahme des Bremssattels angeordnet ist,

10

1.1.2.1 wobei an dem Belagschacht (10) Führungsflächen (11, 12) zur radialen und tangentialen Führung des Bremspads angeordnet sind,

11

1.1.3 und wobei der Bremsträger (3) direkt an dem Achskörper (1) angeordnet ist und sich im Wesentlichen quer hierzu erstreckt,

12

dadurch gekennzeichnet,

13

1.2 dass der Bremsträger (3) als eine ebene
Platte,
vorzugsweise eine flache Stahlplatte ausgebildet ist,

14

1.3 und dass zur Austauschbarkeit der an dem Belagschacht (10) angeordneten Führungsflächen (11, 12) mindestens ein innen an dem Belagschacht (10) angeordnetes Verschleißblech (40, 40a) vorgesehen ist,

15

1.3.1 an dem eine radiale (11) und

16

1.3.2 eine tangentiale (12) Führungsfläche für den Bremspad ausgebildet ist.“

17

Der geltende
Patentanspruch 10 lautet:

18

„Scheibenbremse nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass der Bremsträger (3) aus parallel geschichteten Blechen zusammengesetzt ist.“

19

Wegen des Wortlauts der weiteren geltenden Patentansprüche 2 bis 9 und 11 bis 20, die wortgleich mit der erteilten Fassung sind, wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.

20

  • Nach
    Hilfsantrag 1 vom 18. Mai 2021 kommt am Ende des unabhängigen Patentanspruchs 1 nach dem Merkmal 1.3.2 das folgende Merkmal hinzu:

21

1.4 „und weiter gekennzeichnet durch an dem Verschleißblech (40, 40a) angeformte Mittel (43) zum Fixieren des Verschleißblechs an dem Belagschacht (10) in Gestalt von sich bis über die Flachseiten (25, 26) des Bremsträgers (3) erstreckenden Abkantungen.“

22

Patentanspruch 1 nach
Hilfsantrag 2 vom 18. Mai 2021 ergibt sich aus Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 durch Einfügen des folgenden Zusatzmerkmals zwischen die Merkmale 1.2 und 1.3:

1.2.1.2.1

1.2.1

23

Patentanspruch 1 des
Hilfsantrags 3 vom 29. März 2022 unterscheidet sich vom Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 dadurch, dass zwischen die Merkmale 1.2.1 und 1.3 das folgende Merkmal eingefügt ist:

24

1.2.2 „dass der Bremsträger (3) zur Befestigung auf dem Achskörper eine maulförmige Öffnung (4) und einen auf die Mittelachse (6) des Achskörpers (1) bezogenen Umschließungswinkel (w1) von weniger als 300 Grad aufweist“.

25

Patentanspruch 1 nach
Hilfsantrag 4 vom 29. März 2022 ergibt sich aus Anspruch 1 nach Hilfsantrag 3 durch Einfügung des folgenden (durch Unterstreichung gekennzeichneten) Merkmals in das Merkmal 1.1.3:

26

1.1.3′ „und wobei der Bremsträger (3)
, indem er mit dem Achskörper (1) verschweißt ist, direkt an dem Achskörper (1) angeordnet ist und sich im Wesentlichen quer hierzu erstreckt,“.

27

Patentanspruch 1 nach
Hilfsantrag 7 vom 23. Mai 2022 (bezeichnet als Hilfsantrag 7, zuletzt
geltend gemacht an 5. Stelle) unterscheidet sich vom Patentanspruch 1 nach Hilfsantrags 1 dadurch, dass die Merkmale 1.3, 1.3.1, 1.3.2 und 1.4 ersetzt sind durch die folgenden Merkmale 1.3′, 1.3.1′, 1.3.2′ und 1.5′ (Unterschiede zu den Merkmalen 1.3 bis 1.4 sind mittels Durch- und Unterstreichung gekennzeichnet):

28

1.3′ „und dass zur Austauschbarkeit der an dem Belagschacht (10) angeordneten Führungsflächen (11, 12)
mindestens einzwei innen an dem Belagschacht (10) angeordnete
s Verschleißblech
e (40, 40a)
in Form jeweils eines Winkels vorgesehen
istsind,

29

1.3.1′ an
demdenen jeweils an einem Schenkelblech (42) eine radiale (11) und

30

1.3.2′
an einem hierzu im wesentlichen rechtwinklig angeordneten Stegblech (41) eine tangentiale (12) Führungsfläche für den Bremspad ausgebildet ist,

31

1.5′ und weiter gekennzeichnet durch
an dem Verschleißblech (40, 40a)zwei an das Schenkelblech (42) und zwei an das Stegblech (41) jeweils seitlich angeformte Mittel zum Fixieren des
jeweiligen Verschleißblechs (40, 40a) an dem Belagschacht (10) in Gestalt von sich bis über die Flachseiten (25, 26) des Bremsträgers (3) erstreckenden Abkantungen
(43).“

32

Patentanspruch 1 nach dem
Hilfsantrag 6 vom 4. Juli 2022 unterscheidet sich vom Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 4 durch die folgenden (durch Durch- und Unterstreichung gekennzeichneten) Änderungen in Merkmal 1.2.2:

33

1.2.2′ „dass der Bremsträger (3) zur Befestigung auf dem Achskörper eine
maulförmigeL-förmige Öffnung
(4) und einen auf die Mittelachse (6) des Achskörpers (1) bezogenen Umschließungswinkel (w1) von weniger als 300 Grad aufweist“

34

sowie dadurch, dass zwischen die Merkmale 1.2.2 und 1.3 das folgende Merkmal eingefügt ist:

35

1.2.3 „dass der Bremsträger (3) auf jeder seiner beiden Seiten (25, 26) mit einem quadratisch gestalteten Achsrohr des Achskörpers (1) durch eine Schweißnaht (2) verbunden ist, die sich entlang eines ersten, horizontalen Schweißnahtabschnittes sowie eines hierzu rechtwinkligen, zweiten Schweißnahtabschnittes erstreckt“.

36

Unteranspruch 2 nach Hilfsantrag 6 ist wortgleich zu dem Unteranspruch 10 der geltenden Fassung.

37

Wegen des Wortlauts der weiteren Unteransprüche der vorgenannten Hilfsanträge sowie wegen der weiteren Hilfsanträge wird auf die Schriftsätze vom 18. Mai 2021, 29. März 2022 und vom 23. Mai 2022 sowie auf die Anlagen 1 und 2 zum Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 4. Juli 2022 verwiesen.

38

Die Klägerin rügt bereits die Verspätung der von der Beklagten mit Schriftsatz vom 23. Mai 2022 eingereichten Hilfsanträge 7 bis 12.

39

Ferner erhebt sie in der mündlichen Verhandlung vom 4. Juli 2022 die Rüge der Verspätung hinsichtlich der von der Beklagten vorgelegten Druckschrift EP 0 636 216 B1 sowie hinsichtlich der neu eingereichten Hilfsanträge 6 und 6a und beantragt insoweit jeweils hilfsweise Vertagung der mündlichen Verhandlung bzw. zumindest die Gewährung eines Schriftsatznachlasses.

40

Die Klägerin vertritt die Auffassung, das geltende Patent sei nicht ausführbar offenbart, denn auch unter Hinzuziehung der Beschreibung der Streitpatentschrift bleibe ein unüberwindbarer Widerspruch zwischen der Offenbarung der Patentansprüche 1 (einstückiger Bremsträger) und 10 (aus parallel geschichteten Blechen zusammengesetzter Bremsträger).

41

Die Klägerin stützt ihr Vorbringen gegen sämtliche im vorliegenden Nichtigkeitsverfahren befindlichen Fassungen des Streitpatents wegen fehlender Patentfähigkeit auf folgende Dokumente:

42

D1a EP 1 375 952 A2

43

D1b deutsche Übersetzung der EP 1 375 952 A2

44

D2 DE 37 29 154 A1

45

D3a US 6,223,866 B1

46

D3b deutsche Übersetzung der US 6,223,866 B1

47

D4 GB 2 172 068 A

48

D5 DE 103 12 480 A1

49

D6 US 4,460,071

50

D7 DE 1 630 140 A

51

D8 DE 28 52 277 A1

52

D9 DE 36 34 218 A1

53

D10 DE 1 234 996 A2

54

D11 US 3,194,351

55

D12 EP 1 473 481 A1

56

D13 EP 0 979 770 A2

57

D14 DE 32 09 389 A1

58

D15 EP 1 288 029 B1

59

D16 EP 1 293 405 A3

60

D17 US 2005/0168056 A1

61

D18a US 4,629,037

62

D18b deutsche Übersetzung der US 4,629,037

63

D19 DE 198 57 074 A1

64

D20a DE 20 2005 005 798 U1

65

D20b GB 2 413 162 A

66

D21 EP 1 610 025 A1

67

D22 DE 43 03 417 A1

68

D23 EP 1 447 585 A2

69

D24 FR 2 864 595

70

D25 DE 40 28 951 A1

71

D26 DE 30 44 393 A1

72

D27 DE 30 36 985 C2

73

D28 DE 197 43 538 A1

74

D29 DE 74 34 307 U1

75

D30 DE 12 93 405 A2

76

D31 DE 850 429 B

77

D32 DE 712 829 7 U

78

D33 DE 10 2004 050 349 A1 (nachveröffentlicht)

79

D34 DE 200 21 587 U1

80

D35 DE 19 583 70 U

81

D36 DE 1 905 643 A

82

D37 DE 2 132 713 A

83

D38 FR 2 778 438 A1

84

D39 DE 107 05 831 A1

85

sowie auf die folgenden, mit Schriftsatz vom 29. Juni 2022 eingereichten Druckschriften:

86

D40 DE 100 50 013 A1

87

D41 DE 199 53 159 A1

88

D42 EP 1 600 653 A1

89

D43 JP 3688770 B2 inkl. Maschinenübersetzung

90

D44 US 4,180,148 A

91

D45 US 5,901,815 A1

92

D46 US 6,487,122 B1

93

Der geltende Patentanspruch 1 sei nicht patentfähig, denn er sei nicht neu gegenüber der Druckschrift D19, jedenfalls sei er – insbesondere ausgehend von der D20a in Kombination mit D1a oder D19 – nahegelegt: Die D20a lehre, dass zueinander bewegliche Teile einem Verschleiß unterlägen und somit eine beschränkte mechanische Lebensdauer aufwiesen. Dies veranlasse den Fachmann grundsätzlich dazu, eine Lösung für das Problem, welche sich mit Verschleiß auseinandersetze, zu finden. Ausgehend von der Kenntnis über Verschleiß zueinander beweglicher Teile und mit seiner mehrjährigen Berufserfahrung werde der Fachmann die Dokumente D1a und D19 identifizieren, die ihm jeweils Lösungsvorschläge für sein objektiv zu lösendes Problem anböten.

94

Den mit den Hilfsanträgen 1 bis 4 verteidigten Gegenständen mangele es jeweils an erfinderischer Tätigkeit.

95

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der nach Hilfsantrag 7 verteidigten Fassung beruhe ebenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Denn er sei insbesondere durch die Druckschrift D20a in Kombination mit der D46 (Spalte 3 Zeilen 27 bis 29) oder mit der D45 (Figur 4) nahegelegt, welche sowohl Stegbleche als auch Schenkelbleche zeigten, die jeweils mit Mitteln zum Fixieren bzw. Ausrichten der Bleche versehen seien.

96

Der Hilfsantrag 6 sei unzulässig, denn er weise eine unzulässige Erweiterung auf, weil aus der Offenlegungsschrift keine „L-förmige“ Öffnung hervorgehe. Die Figur 3 zeige lediglich einen gleichschenkligen Rücksprung, und aus der Beschreibung gehe die Angabe „L-förmig“ ebenso wenig hervor. Darüber hinaus beruhe der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der nach Hilfsantrag 6 verteidigten Fassung

97

nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, insbesondere, weil es sich bei einer L-förmigen Öffnung im Sinne des Merkmals 1.2.2′ um eine dem Fachmann geläufige Anpassung der aus der D7 bekannten C-förmigen bzw. maulförmigen Öffnung an eine bestehende Raum-Form-Anordnung handele, die lediglich eine einfache Anpassung eines im Design geänderten Bremsträgers an das aus D7 bekannte quadratische Achsrohr darstelle. Damit sei für den Fachmann eine L-förmige Ausnehmung im Bremsträger aus der D7 angeregt, und er übertrage diese in naheliegender Weise auf die aus der D20a bekannte Scheibenbremse.

98

Der Senat hat den Parteien einen qualifizierten Hinweis vom 24. Januar 2022 mit einer Frist zur abschließenden Stellungnahme bis zum 2. Mai 2022
, einen rechtlichen Hinweis vom 4. Juli 2022 sowie, nach Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, einen weiteren rechtlichen Hinweis erteilt.

99

Die Klägerin beantragt,

100

das europäische Patent 1 974 150 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.

101

Die Beklagte beantragt zuletzt,

102

die Klage abzuweisen,

103

hilfsweise die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass das Streitpatent eine der Fassungen gemäß Hilfsanträgen 1 bis 6, 6a, 7 bis 12, eingereicht mit den Schriftsätzen vom 18. Mai 2021 (Hilfsanträge 1 bis 2), vom 29. März 2022 (Hilfsanträge 3 bis 5), in der heutigen mündlichen Verhandlung vom 4. Juli 2022 (Hilfsanträge 6, 6a) und mit Schriftsatz vom 23. Mai 2022 (Hilfsanträge 7 bis 12), dabei bezüglich der Hilfsanträge 5 und 7 in umgekehrter Reihenfolge, erhält.

104

  • Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin in allen Punkten entgegen und vertritt die Auffassung, dass der Gegenstand des geltenden Patents ausführbar offenbart und neu sei sowie auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

105

Insbesondere gelange der Fachmann ausgehend von der Scheibenbremse nach der D20a nicht in naheliegender Weise zu einer Scheibenbremse gemäß dem geltenden Anspruch 1. Es sei kein Anlass erkennbar, warum sich der Fachmann ausgehend von der D20a Gedanken zum Bauteilverschleiß machen solle. Zwar sei dem Fachmann geläufig, dass bei einer Bremse Beläge und Scheibe verschleißen, jedoch gebe die D20a dem Fachmann keinen Hinweis zu darüberhinausgehendem Bauteilverschleiß. Auch könnten weder die Druckschrift D1a noch die D19 als Beleg des Fachüblichen angesehen werden, so dass sie ohne einen Anlass aus der D20a den Gegenstand nach Patentanspruch 1 nicht nahelegen könnten.

106

  • Darüber hinaus sei der Gegenstand des Streitpatents auch in den Fassungen der Hilfsanträge patentfähig, was die Beklagte weiter ausführt.

107

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und den weiteren Inhalt der Akte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

108

Die Nichtigkeitsklage, mit der die Nichtigkeitsgründe der mangelnden ausführbaren Offenbarung der Erfindung und der fehlenden Patentfähigkeit geltend gemacht werden (Art II § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 2 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. a), b), Art. 54, Art 56 EPÜ), ist zulässig.

109

Sie ist insoweit begründet, als das Streitpatent für nichtig zu erklären ist, soweit es über die von der Beklagten beschränkt verteidigte Fassung nach dem Hilfsantrag 6 vom 4. Juli 2022 hinausgeht. Das Streitpatent erweist sich nämlich in der geltenden Fassung sowie in den geänderten Fassungen gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 4 und 7 (bezeichnet als Hilfsantrag 7, an 5. Stelle geltend gemacht) als nicht patentfähig.

110

Dagegen ist das Streitpatent in der Fassung nach dem zulässigen Hilfsantrag 6 vom 4. Juli 2022 sowohl ausführbar offenbart als auch patentfähig, nämlich neu und zudem auf erfinderischer Tätigkeit beruhend. Die Klage ist daher insoweit unbegründet. Auf die weiteren Hilfsanträge kam es daher nicht mehr an.

I.

111

Die Hilfsanträge 7 vom 23. Mai 2022 (bezeichnet als Hilfsantrag 7, zuletzt geltend gemacht an 5. Stelle) und 6 vom 4. Juli 2022 der Beklagten und die von der Klägerin mit Schriftsatz vom 29. Juni 2022 einreichten Druckschriften D40 bis D46 sowie die von der Beklagten am 4. Juli 2022 vorgelegte Druckschrift EP 0 636 216 B1 sind zu berücksichtigen. Sie sind nicht wegen Verspätung gemäß § 83 Abs. 4 Satz 1 PatG zurückzuweisen, da dessen Voraussetzungen nicht vorliegen.

112

1. Der Hilfsantrag 7 wurde von der Beklagten zwar erst am 23. Mai 2022 und damit nach Ablauf der im qualifizierten Hinweis vom 24. Januar 2022 gesetzten Frist eingereicht. Die späte Einreichung des Hilfsantrags 1 ist zwar nicht entschuldigt, da der Wechsel der Prozessbevollmächtigten der Beklagten grundsätzlich keinen ausreichenden Entschuldigungsgrund gemäß § 83 Abs. 4 Nr. 2 PatG darstellt (vgl. Busse/Keukenshrijver, PatG, 9. Aufl. 2020, § 83 Rn. 25 mwN). Jedoch machten die Hilfsanträge vom 23. Mai 2022 eine Vertagung nicht erforderlich (§ 83 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 PatG), da durch sie keine tatsächlichen oder rechtlichen Fragen aufgeworfen wurden, die in der Verhandlung nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zu klären gewesen wären (vgl. Busse/Keukenschrijver, a. a. O., § 83 Rn. 19 mwN). So hat sich die Klägerin mit zwei Schriftsätzen vom 23. Juni 2022 sowie vom 29. Juni 2022 ausführlich auf sie eingelassen (vgl. Busse/Keukenshrijver, a. a. O., § 83 Rn. 20 mwN). Für den Hilfsantrag 7 tritt schließlich hinzu, dass die geänderte Anspruchsfassung nicht zur Rechtsbeständigkeit des Patents in dieser Fassung geführt hat, so dass bereits aus diesem Grunde kein Vertagungserfordernis bestand (vgl. BPatG, Urteil vom 5. Dezember 2013, 2 Ni 9/12 (EP); BPatG, Urteil vom 1. März 2016, 4 Ni 36/14 (EP); BPatG, Urteil vom 24. Juli 2017, 5 Ni 13/15; Busse/Keukenshrijver, a. a. O., § 83 Rn. 20 mwN).

113

2. Die Einreichung der Druckschriften D40 bis D46 durch die Klägerin mit Schriftsatz vom 29. Juni 2022 erfolgte in Reaktion auf die von der Beklagten am 23. Mai 2022 eingereichten und der Klägerin am 14. Juni 2022 zugestellten Hilfsanträge. Die Vorlage dieser Entgegenhaltungen nach Ablauf der im qualifizierten Hinweis gesetzten Frist wurde mithin von der Gegenseite veranlasst und ist daher ausreichend entschuldigt im Sinne von § 83 Abs. 4 Nr. 2 PatG (vgl. Busse/Keukenshrijver, a. a. O., § 83 Rn. 20 mwN). Darüber hinaus bestand auch kein Vertagungserfordernis im Sinne von § 83 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 PatG, da die Druckschriften D40 bis D46 ohne weiteres in die mündliche Verhandlung einbezogen werden konnten und sich die Beklagte hierzu auch eingelassen hat.

114

3. Die von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung am 4. Juli 2022 eingereichte Druckschrift EP 0 636 216 B1 (Anlage 1 zur Sitzungsniederschrift) ist nicht entscheidungsrelevant, so dass die Voraussetzungen für eine Zurückweisung nach § 83 Abs. 4 PatG bereits aus diesem Grund nicht vorlagen (vgl. Busse/Keukenshrijver, a. a. O., § 83 Rn. 20 mwN).

115

4. Die Einreichung des neu formulierten Hilfsantrags 6 in der mündlichen Verhandlung vom 4. Juli 2022 hat die Klägerin gemäß § 83 Abs. 4 Nr. 2 PatG genügend entschuldigt. Mit der Stellung des neuen Hilfsantrags reagierte sie nämlich auf eine geänderte Auffassung des Senats (zu den Erfolgsaussichten des innerhalb der Frist des § 83 Abs. 2 PatG eingereichten Hilfsantrags 5 vom 29. März 2022), zu welcher der Senat erst in der mündlichen Verhandlung aufgrund eines neuen Vortrags der Klägerin gelangt war. Bereits deswegen lagen die Voraussetzungen nach § 83 Abs. 4 PatG nicht vor (vgl. BPatG, Urteil vom 29. April 2015, 4 Ni 26/13 (EP), juris, Rn. 143; BPatG, Urteil vom 29. Januar 2014, 5 Ni 51/11, juris; Busse/Keukenschrijver, a. a. O., § 83 Rn. 24 mwN).

116

Der Senat hat die Parteien zu Beginn der mündlichen Verhandlung vom 4. Juli 2022 darauf hingewiesen, dass nach seiner vorläufigen Auffassung der Beklagten die Verteidigung des Streitpatents in der geänderten Fassung nach Hilfsantrag 5 vom 29. März 2022 gelingen könnte. Diese Auffassung hat der Senat im weiteren Verlauf der mündlichen Verhandlung aufgrund eines neuen Vortrags der Klägerin geändert und den Parteien nach Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung einen abweichenden Hinweis erteilt, wonach Zweifel an der Zulässigkeit des Hilfsantrags 5 bestünden. Mit dem – ausgehend von dem Wortlaut des Hilfsantrags 5 – neu formulierten Hilfsantrag 6 vom 4. Juli 2022 hat die Beklagte unmittelbar auf den neuen Vortrag der Klägerin und den geänderten Hinweis des Senats reagiert, indem sie das von der Klägerin erstmals unter Zulässigkeitsgesichtspunkten sowie unter dem Gesichtspunkt einer Widersprüchlichkeit (der Merkmalskombination 1.2.2 und 1.2.3) beanstandete Merkmal 1.2.2 geändert hat (durch Ersetzung der „maulförmigen“ durch eine „L-förmige Öffnung“ in Merkmal 1.2.2′). Damit war der Hilfsantrag 6 vom 4. Juli 2022 durch den neuen Vortrag der Gegenseite sowie den geänderten Hinweis des Senats in der mündlichen Verhandlung verursacht und seine Einreichung außerhalb der Frist nach § 83 Abs. 2 PatG ausreichend entschuldigt. Bereits deswegen lagen die Voraussetzungen einer Zurückweisung wegen Verspätung nach § 83 Abs. 4 PatG nicht vor.

117

Darüber hinaus bestand in Bezug auf den Hilfsantrag 6 vom 4. Juli 2022 auch kein Vertagungserfordernis iSd § 83 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 PatG, weil sich die Klägerin vollinhaltlich darauf einlassen konnte und es entgegen der Auffassung der Klägerin überdies auf die Änderung von einer „maulförmigen Öffnung“ nach Hilfsantrag 5 zu einer „L-förmigen Öffnung“ für die Beurteilung der Patentfähigkeit des Streitpatents in der nach Hilfsantrag 6 verteidigten Fassung schon nicht entscheidungserheblich ankommt (vgl. hierzu ausführlich unten, Ziffer XI. 7, 9.).

II.

118

Das Streitpatent betrifft eine Scheibenbremse mit einem gegenüber einem Achskörper fest angeordneten Bremsträger mit daran angeordneten Aufnahmeelementen für die Befestigung und schwimmende Lagerung eines Bremssattels.

119

1. Nach den Ausführungen in der Streitpatentschrift ist eine Scheibenbremse dieser Art als Gleitsattel-Scheibenbremse aus der DE 40 36 272 A1 bekannt. Der darin beschriebene Bremsträger, welcher den Bremssattel mit dem Achskörper verbinde, setze sich aus zwei getrennten, zu beiden Seiten der Bremsscheibe angeordneten Bremsträgerteilen zusammen, die lösbar miteinander verbunden seien. Nur eines der beiden Bremsträgerteile sei mit dem Achskörper verschweißt. Die Bremspads der Scheibenbremse befänden sich in Bremsbelagschächten der beiden Bremsträgerteile und seien an Führungsflächen der Bremsbelagschächte abgestützt. Die Montage dieser Scheibenbremse an einem Achskörper müsse in zwei aufeinander folgenden Schritten erfolgen. In einem ersten Schritt müsse an dem ersten, direkt an den Achskörper angeschweißten Bremsträgerteil das zweite Bremsträgerteil angeschraubt werden. In einem zweiten Schritt müsse sodann der Bremssattel aufgesetzt und mit dem ersten Bremsträgerteil verschraubt werden.

120

Als gattungsbildend nennt die Patentschrift eine Scheibenbremse, die aus der DE 198 57 074 A1 (D19) bekannt ist. Bei der ersten darin beschriebenen Ausführungsform sei der Bremsträger baulich stark reduziert, indem nur der innere Bremsbelag im Bremsträger gehalten und geführt werde, hingegen der äußere Bremsbelag in dem Bremssattel. Die durch den äußeren Bremsbelag aufgenommenen Bremsmomente müssten daher auf den Bremsträger übertragen werden. Der Bremssattel sei hierzu als Schiebesattel mit Schiebeführungselementen ausgebildet, die sich an korrespondierenden Schiebeführungselementen des Bremsträgers ähnlich einer Kulissenführung abstützten. Zur Bereitstellung der Schiebeführungselemente sei der Bremsträger mit Stützarmen versehen, die sich nach außen bis über die Bremsscheibe hinüber erstreckten. Da die Stützarme einteiliger Bestandteil des Bremsträgers seien, führten sie zu einem weiterhin hohen Gewicht des Bremsträgers.

121

2. Nach der Patentschrift liegt der Erfindung die Aufgabe zugrunde, eine an einem Achskörper montierbare Scheibenbremse bereitzustellen, die sich aus wenigen Einzelteilen zusammensetzt, in wenigen Montageschritten zusammensetzbar und im Verschleißfall wartungsfreundlich ist.

122

3. Der mit der Lösung dieser Aufgabe befasste Fachmann ist ein Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau oder Fahrzeugtechnik mit Abschluss als Dipl.-Ing. oder Master an einer Fachhochschule oder Hochschule für angewandte Wissenschaften, mit mehrjähriger Berufserfahrung in der Entwicklung und Konstruktion von Bremsen, insbesondere auf dem Gebiet der Scheibenbremsen für Nutzfahrzeuge.

123

4. Die dem Patent zugrundeliegende Aufgabe soll durch eine Scheibenbremse mit den Merkmalen gemäß Patentanspruch 1 gelöst werden.

124

Die nachfolgend wiedergegebene Figur 3 der Patentschrift zeigt einen Bremsträger 3, in dessen Belagschacht 10 beispielsweise das in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 11 dargestellte Verschleißblech 40 einsetzbar ist.

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125

5. Einige Merkmale des geltenden Patentanspruchs 1 bedürfen näherer Betrachtung.

126

a) Das
Merkmal 1.1.2.1 gibt vor, dass an dem Belagschacht Führungsflächen zur radialen und tangentialen Führung des Bremspads angeordnet sein müssen.

127

Nach der Beschreibung Abs. [0017] i. V. m. Fig. 11 ist der Begriff der „radialen“ Führungsfläche in diesem Zusammenhang nicht streng geometrisch zu verstehen. Gemeint sind vielmehr jene Führungsflächen (11), an denen sich der Bremspad beim Bremsvorgang in Umfangsrichtung abstützt und an denen daher in erster Linie die Bremskräfte auftreten. Entsprechend soll die tangentiale Führungsfläche (12) jene Fläche sein, an der der Bremspad mit seinem Innenrand anliegt.

128

b) Eine mit
Merkmal 1.2 geforderte ebene, flache Stahlplatte ist eine Stahlplatte, deren Oberfläche keine nennenswerten Erhebungen aufweist und deren Dicke im Vergleich zu ihrer Länge und Breite gering ist (vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 2020, X ZR 180/18, GRUR 2021, 701, Rn. 14 – Scheibenbremse).

129

Die ebene, flache Stahlplatte kann in Übereinstimmung mit der Beschreibung und der Darstellung in den Figuren 4, 5 und 8 der Patentschrift gewichtsreduzierende Ausnehmungen (Abs. [0014]) oder gewichtsreduzierenden Öffnungen (Anspruch 15) sowie Bohrungen und Versenkungen zur Befestigung oder Aufnahme anderer Elemente (Abs. [0022] f.) aufweisen (BGH, aaO, GRUR 2021, 701, Rn. 21 – Scheibenbremse).

130

Dieses Verständnis kann auch nicht in Frage gestellt werden durch lösbar mit dem Bremsträger verbundene Teile, die aus dessen Oberfläche hervorstehen, insbesondere in Gestalt der in Merkmal 1.1.1 vorgesehenen Aufnahmeelemente für die Befestigung und Lagerung des Bremssattels, die nach der Beschreibung (Abs. [0021]) in den Bremsträger eingeschraubt werden können (BGH aaO GRUR 2021, 701, Rn. 22 aE – Scheibenbremse).

131

Als flach im Sinne von Merkmal 1.2 ist eine Platte anzusehen, deren Dicke im Vergleich zu ihrer Länge und Breite gering ist. Gestützt wird dieses Verständnis durch die Ausführungen in der Beschreibung des Streitpatents (Abs. [0019]), die als Beispiel für eine flache Platte die in den Figuren 3, 4 und 5 dargestellte Stahlplatte anführen, deren Dicke beispielhaft mit 3 cm angegeben wird. Diese Figuren zeigen einen Bremsträger mit einer (Fig. 3 und 5) bzw. mit zwei Platten (Fig. 4), deren Länge und Breite deutlich größer als ihre Dicke ist (BGH, aaO, GRUR 2021, 701, Rn. 26 – 28 – Scheibenbremse).

132

Eine „ebene flache Stahlplatte“ im Sinne des Patentanspruchs 1 kann gemäß der Beschreibung, Abs. [0019], auch aus mehreren parallel geschichteten und entsprechend dünneren Platten zusammengesetzt sein.

III.

133

Hinsichtlich der
geltenden Fassung des Streitpatents liegt der Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit vor (Art. II § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. a) EPÜ, Art. 56 EPÜ).

134

Der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 ist dem Fachmann ausgehend vom Gegenstand nach der Druckschrift
D20a (DE 20 2005 005 798 U1) in Verbindung mit seinem allgemeinen Fachwissen, beispielweise belegt durch die D46 (US 6,478,122 B1) sowie durch die D1a (EP 1 357 952 A2) und die D19 (DE 198 57 074 A1), nahegelegt.

135

1. Die
D20a, aus der nachfolgend die Fig. 3 wiedergegeben ist, offenbart eine Scheibenbremse.

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136

Bei dieser Scheibenbremse handelt es sich um eine Schwimmsattel-Scheibenbremse 110 mit einer Trägerbaugruppe 140. Ein Bremsträger 144 ist direkt an einer Achse 142 befestigt, wobei die Achse 142 relativ zu einem Fahrgestell eines Fahrzeugs gelagert ist (D20a: Abs. [0015]). Die Bremsträgerbaugruppe 140 kann an die Achse geschweißt sein (D20a: Abs. [0016]).

137

Der Bremsträger 144 ist im Wesentlichen eben und hat einen innen liegenden Anschlag 148. Der innen liegende Anschlag 148 hat die Form eines Fensters oder einer Ausnehmung mit radialen Anschlagflächen 160 und umlaufenden Anschlagflächen 162 an seinen Enden (die Richtung der radialen Anschlagflächen 160 entspricht im Streitpatent der Richtung der „Führungsflächen (12) zur tangentialen Führung“ gemäß Merkmal 1.1.2.1, und die Richtung der umlaufenden Anschlagflächen 162 entspricht der Richtung der „Führungsflächen zur radialen Führung“ gemäß Merkmal 1.1.2.1). Der Anschlag ist so dimensioniert, dass er einen herkömmlichen innen liegenden Bremsklotz 164 aufnimmt und radial und umfangsmäßig relativ zu einer Bremsscheibe 188 festhält (D20a: Abs. [0017], Fig. 5).

138

Die Bremse umfasst ferner einen Bremssattel 170 mit einem Gehäuseabschnitt 172 und einem Brückenabschnitt 174 (D20a: Abs. [0020]).

139

Der Brückenabschnitt 174 des Bremssattels 170 ist mit einer Ausnehmung in Form einer Ausnehmung mit einer umlaufenden Anschlagfläche 184 und einer radialen Anschlagfläche 186 versehen, um einen weiteren Bremsklotz 178 zu lagern (D20a: Abs. [0021]).

140

Der Bremssattel 170 ist an dem Bremsträger 144 durch komplementäre Bohrungen 180 des Bremssattelgehäuses 172 angebracht, in die zwei Führungsmuffen 166 des Trägers genau eingepasst sind (D20a: Abs. [0022]). Die Führungsmuffen 166 sind an der Innenseite des Trägers 144 um beide Seiten des innen liegenden Anschlags 148 herum angebracht und durch Bolzen 168 in axialen Gewindeöffnungen des Trägers 144 befestigt (D20a: Abs. [0019]). Sie entsprechen den Aufnahmeelementen (21) gemäß Merkmal 1.1.1.

141

Der Fig. 3 der D20a kann der Fachmann zwar entnehmen, dass die Oberfläche des Bremsträgers 144 im Bereich der Flächen 160 und 162 Erhebungen in axialer Richtung der Achse 142 aufweist. Ob es sich dabei um nennenswerte Erhebungen im Sinne des Streitpatents handelt, kann dahingestellt bleiben, denn die Flächen 160 und 162 müssen nicht – wie in Fig. 3 dargestellt – in axialer Richtung herausstehen, wie dies in Abs. [0017] der D20a erläutert ist. Danach „sind die Flächen 160 und 162 in axialer Richtung der Achse 142 tiefer als der Rest des Trägers 144. Bei anderen Ausführungsformen muss dies nicht unbedingt der Fall sein“. Die Dicke dieses Bremsträgers ist im Vergleich zu seiner Länge und Breite gering. Die Angabe, dass die Bremsträgerbaugruppe 140 an die Achse geschweißt sein kann (D20a: Abs. [0016]), impliziert, dass diese aus Stahl besteht.

142

Damit sind aus der D20a die
Merkmale 1 bis 1.2 bekannt.

143

Hingegen geht aus der D20a nicht hervor, dass an den radialen Anschlagflächen 160 und den umlaufenden Anschlagflächen 162 des innen liegenden Anschlags 146, die als an dem Belagschacht angeordnete Führungsflächen gemäß Patentanspruch 1 aufzufassen sind, mindestens ein Verschleißblech vorgesehen ist, so dass die D20a die
Merkmale 1.3 bis 1.3.2 nicht offenbart.

144

2. Dieser Unterschied kann aber die erfinderische Tätigkeit bei der Scheibenbremse nach dem geltenden Patentanspruch 1 nicht begründen. Denn die Verwendung mindestens eines Verschleißbleches gemäß den Merkmalen 1.3 bis 1.3.2 war vorliegend durch das allgemeine Fachwissen nahegelegt.

145

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann die Anwendung eines bestimmten Mittels auch ohne entsprechende Anregung naheliegend sein, wenn dieses als ein generelles, für eine Vielzahl von Anwendungsfällen in Betracht zu ziehendes Mittel seiner Art nach zum allgemeinen Fachwissen des Fachmanns gehört, die Nutzung der in Rede stehenden Funktionalität sich in dem zu beurteilenden Zusammenhang als objektiv zweckmäßig darstellt und keine besonderen Umstände feststellbar sind, die eine Anwendung aus fachlicher Sicht als nicht möglich, mit Schwierigkeiten verbunden oder sonst untunlich erscheinen lassen (BGH, Urteil vom 11. März 2014 – X ZR 139/10, GRUR 2014, 647, Rn. 26 – Farbversorgungssystem; Urteil vom 27. März 2018 – X ZR 59/16, GRUR 2018, 716, Rn. 29 – Kinderbett; Beschluss vom 13. Juli 2020 – X ZR 90/18, GRUR 2020, 1074, Rn. 49 – Signalübertragungssystem; Urteil vom 15. Juni 2021, X ZR 58/19, GRUR 2021, 1277, Rn. 4 – Führungsschienenanordnung).

146

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

147

a) Das Vorsehen von mindestens einem Verschleißblech gemäß den Merkmalen 1.3 bis 1.3.2 war als generelles, für eine Vielzahl von Anwendungsfällen in Betracht zu ziehendes Mittel allgemein bekannt.

148

Der Stand der Technik belegt, dass es im Prioritätszeitpunkt zum allgemeinen Fachwissen gehörte, Bleche zur Verringerung von Verschleiß der Gleitflächen zwischen einem Bremspad und einer Öffnung in einem Bremsträger vorzusehen:

149

Die
D46 weist einleitend darauf hin, dass nach einer gewissen Zeitdauer in solchen Gleitflächen Riefen auftreten, die Verschleiß darstellen (D46 Sp. 1 Z. 18 – 20: „
anchor functions in a disc brake in an adequate manner, however, after an extended period of time grooves. This wear“), wobei dieser Verschleiß durch unterschiedliche Materialeigenschaften von Bremsträger und Trägerplatte hervorgerufen wird (D46 Sp. 1 Z. 23 – 25: „
The wear can be expected since the anchor and backing plate are made of different metals that have different coefficients of friction and coefficient of thermal expansion“), und zur Reduzierung des Verschleißes zwischen den Komponenten üblicherweise ein Aufsatz („
cap“) in der Öffnung des Bremsträgers vorgesehen wird, der einen gleichen oder geringeren Reibwert als die Trägerplatte des Bremspads aufweist (D46 Sp. 1 Z. 31 – 33: „
In order to reduce or control the wear between components it is common to line the groove with a cap having an equivalent or lower coefficient of friction than the backing plate“). Dieser Aufsatz ist nach der D46, deren Figuren 2 und 3 nachfolgend wiedergegeben sind, eine Schnappfeder (D46 Sp. 3 Z. 2: „
slipper spring 60“), die während des Bremsens an einer ersten Seitenwand die tangentiale Gleitführung zwischen einer Lasche der Bremspad-Rückenplatte und der Trägerplatte herstellt (D46 Sp. 4 Z. 8 – 10: „
During a brake application, ear 40 of backing plate 24 slides on the top or first side wall 70 of slipper 60“), und die das Bremsmoment von einer Seitenfläche der Bremspad-Rückenplatte auf die Trägerplatte überträgt (D46, Sp. 4 Z. 12 – 17: „
When the leading edge of the friction pad carried by backing plates 24 engages rotor 22, face 25 […] engages the base 68 of corresponding slipper 60 […] to transfer torque into the anchor 12 during the brake application“).

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150

Die Beklagte ist der Auffassung, dass die aus D46 bekannte Schnappfeder („
slipper spring 60“) nicht zum Beleg des Fachwissens dienen könne, weil bei dieser keine tangentiale Führungsfläche im Sinne des Patentanspruchs 1 vorliege. Unter Verweis auf Abs. [0017] der Patentschrift führt sie aus, dass an einer patentgemäßen tangentialen Führungsfläche der Innenrand des Bremspads anliegen müsse.

151

Dem kann nicht gefolgt werden, weil die D46 lediglich belegt, dass das Vorsehen von Verschleißblechen an jeglichen Gleitflächen zwischen einem – beliebig gestalteten – Bremspad und einer zugehörigen Öffnung im Bremsträger zum allgemeinen Fachwissen gehört. Für den Beleg dieses allgemeinen Fachwissens ist es damit ohne Bedeutung, dass bei dem Ausführungsbeispiel nach Fig. 2 und 3 der D46 die als Führungsfläche fungierende erste Seitenfläche („
first side wall 70“) nach außen und nicht nach innen gerichtet ist.

152

Aus der
D1a, deren Figuren 6 und 7 nachfolgend wiedergegeben sind, ist eine Scheibenbremsanordnung („
disc brake assembly“) bekannt, deren Bremsbelagfedern („
pad springs 138“) eine vertikale Führungsfläche („
vertical abutment surface 146“) und einen horizontalen Belagstützschenkel („
horizontal pad support leg 148“) aufweisen (D1a, Abs. [0012], Fig. 6, 7). Deren Oberflächen wirken mit der Rückenplatte des Reibbelags („
brake pad backplate 134“) zusammen (D1a, Abs. [0013]) und wirken als Verschleißmaterial, das ausgetauscht werden kann, wenn dieses verschlissen ist (D1a, Abs. [0014]). Damit stellen die Bremsbelagfedern („
pad springs 138“) ein Verschleißblech gemäß Merkmal 1.3 dar; die vertikale Führungsfläche („
vertical abutment surface 146“) und die horizontalen Belagstützschenkel („horizontal pad support leg 148“) fungieren als radiale und tangentiale Führungsflächen entsprechend den Merkmalen 1.3.1 und 1.3.2.

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153

Aus der
D19 Sp. 3 Z. 14 – 21 ist bekannt, dass ein „
Bremsträger im Bereich seiner Führungsflächen für den Schiebesattel mit auswechselbaren Schutzelementen nach Art von Panzerungen versehen ist, welche vorzugsweise aus Stahlblech bestehen. Bei einer Beschädigung der Führungsflächen des achsintegierten Bremsträgers müßte an sich zur Reparatur das gesamte Achsteil ausgewechselt werden. Dies Problem lösen die auswechselbaren Panzerungen aus hochfestem bzw. gehärtetem Stahlblech“. Zwar sind damit ausdrücklich die Führungsflächen für den Schiebesattel gemeint, und keine an dem Belagschacht angeordneten Führungsflächen für den Bremspad. Jedoch belegen auch diese aus der D19 bekannten auswechselbaren Panzerungen aus hochfestem bzw. gehärtetem Stahlblech, dass Verschleißbleche an Führungsflächen als solche dem Fachmann geläufig waren.

154

b) Die Nutzung mindestens eines Verschleißbleches gemäß den Merkmalen 1.3 bis 1.3.2 stellte sich vorliegend am Prioritätstag als objektiv zweckmäßig dar.

155

In Abs. [0015] der D20a ist angegeben, dass der Bremsträger
direkt an der Achse befestigt ist. Als Beispiel für „
direkt befestigt“ nennt die D20a eine Befestigung durch Schweißen (Abs. [0003] und [0016]).

156

Der Fachmann erkennt, dass ein an der Achse angeschweißter Bremsträger nicht mehr ausgewechselt werden kann, ohne dabei die Achse zu beschädigen oder die gesamte Achse mit angeschweißten Bremsträgern auszuwechseln. Dies regt den Fachmann dazu an, sich Gedanken darüber zu machen, ob und wo an dem aus D20a bekannten Bremsträger funktions- und lebensdauerbegrenzender Verschleiß auftritt, der einen Austausch des Bremsträgers während der Lebensdauer des Fahrzeugs – nach der D20a kann dies ein Nutzfahrzeuganhänger sein (Abs. [0002]), der aus Sicht des Fachmanns eine sehr hohe Lebensdauer aufweisen muss – erforderlich macht.

157

Dabei erkennt er, dass bei dem aus D20a bekannten Bremsträger 144 Verschleiß an folgenden Stellen auftreten wird (vgl. D20a Fig. 2):

158

– Zum einen an den Führungsmuffen 166, auf denen der Bremssattel 170 gleitet, und

159

– zum anderen an den radialen und den umlaufenden Anschlagflächen 160 162, die den Bremsklotz 164 axial verschieblich aufnehmen.

160

Die Führungsmuffen 166 sind in den Träger 144 eingeschraubt und damit im Verschleißfall austauschbar, so dass sie hinsichtlich des Verschleißes aus fachmännischer Sicht kein Wartungsproblem darstellen.

161

Hingegen sieht der Fachmann die in der D20a offenbarte Ausgestaltung der Anschlagflächen 160, 162 als nachteilig an, da er erkennt, dass der Bremsklotz 164 direkt mit den Anschlagflächen 160, 162 in Gleitkontakt steht. Dieser Gleitkontakt führt zwangsläufig an den Anschlagflächen 160, 162 zu Verschleiß, der nach einer bestimmten Zeit den – vom Fachmann als problematisch erkannten – Austausch des Bremsträgers erfordert. Da der Fachmann stets bestrebt ist, für einen bestimmten Zweck eine bessere Lösung zu finden, als sie der Stand der Technik zur Verfügung stellt, nimmt er diesen Nachteil zweckmäßigerweise nicht hin.

162

Er wird daher ausgehend von der Scheibenbremse nach der Fig. 3 der Druckschrift D20a und unter Heranziehung seines allgemeinen Fachwissens an den Anschlagflächen 160 und 162 für den Bremspad 164 Verschleißbleche anbringen, so dass er in naheliegender Weise und ohne erfinderisch tätig werden zu müssen zu einer Scheibenbremse gemäß dem geltenden Patentanspruch 1 gelangt.

163

c) Besondere Umstände, die eine Anwendung dieses allgemeinen Fachwissens in dem im Streitfall zu beurteilenden Zusammenhang als nicht möglich, mit Schwierigkeiten verbunden oder sonst untunlich erscheinen lassen, sind weder aufgezeigt noch sonst ersichtlich.

164

Wenn ein bestimmtes Mittel – wie vorliegend das Vorsehen von mindestens einem Verschleißblech – als generelles, für eine Vielzahl von Anwendungsfällen in Betracht zu ziehendes Mittel seiner Art nach zum allgemeinen Fachwissen gehört und sich auch in dem konkret zu beurteilenden Zusammenhang als objektiv zweckmäßig darstellt, ist eine Anwendung aus fachlicher Sicht nicht allein deshalb untunlich, weil dieses Mittel generell bestimmte Nachteile aufweist oder weil im konkreten Zusammenhang auch andere Ausführungsformen in Betracht kommen (BGH GRUR 2021, 1277 – Führungsschienenanordnung).

165

Soweit die Beklagte vorliegend darauf hingewiesen hat, dass Verschleißbleche zusätzliche Teile darstellten und zusätzlichen Montageaufwand erforderten und die Druckschrift D1a auch andere Verschleißschutzmaßnahmen wie das Härten der Führungsflächen als Alternativen nenne, ergibt sich aus diesen generellen Nachteilen von Verschleißblechen und dem Umstand, dass auch andere Ausführungsformen in Betracht kommen, nicht, dass die Anwendung von Verschleißblechen als Verschleißschutz für den von D20a ausgehenden Fachmann untunlich ist. Vielmehr kann der Fachmann vorliegend ohne erfinderisches Zutun Vor- und Nachteile, nämlich den damit erzielbaren Verschleißschutz und den damit verbundenen Mehraufwand, abwägen und sich im Ergebnis für das allgemein bekannte und objektiv zweckmäßige Mittel Verschleißbleche entscheiden (vgl. BGH GRUR 2021, 1277 – Führungsschienenanordnung). Besondere Gründe, die einer solchen Ausführung entgegenstehen, hat die Beklagte nicht aufgezeigt. Dass andere Vorgehensweisen in Betracht kamen, ist in diesem Zusammenhang unerheblich (BGH GRUR 2021, 1277 – Führungsschienenanordnung, Rn. 61).

IV.

166

Mit dem zulässigen
Hilfsantrag 1 verteidigt die Beklagte das Streitpatent nicht mit Erfolg, denn auch hinsichtlich dieser verteidigten Fassung liegt der Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit vor (Art. II § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. a), Art. 56 EPÜ).

167

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 ist dem Fachmann ausgehend vom Gegenstand nach der Druckschrift
D20a nahegelegt in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen.

168

1. Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 unterscheidet sich vom geltenden Patentanspruch 1 dadurch, dass an diesen das folgende Merkmal angehängt ist:

1.4

169

2. Das Merkmal 1.4 bedarf näherer Betrachtung.

170

„Angeformte Mittel“ sind in dem Merkmal 1.4 direkt als Abkantungen festgelegt.

171

„Flachseiten“ sind mit Merkmal 1.4 erstmalig in Patentanspruch 1 eingeführt. Somit ist der bestimmte Artikel („die Flachseiten“) dahingehend zu verstehen, dass damit die beiden Seiten der „ebenen, flachen Stahlplatte“ nach Merkmal 1.2 gemeint sind.

172

Das „Fixieren des Verschleißblechs“ muss nicht in alle Richtungen wirken, sondern soll in erster Linie ein Verrutschen in axialer Richtung verhindern (Abs. [0029] aE und Fig. 11, 12 der Patentschrift).

173

3. Das Fixieren des Verschleißblechs an dem Belagschacht durch an dem Verschleißblech angeformte Mittel in Gestalt von sich bis über die Flachseiten (25, 26) des Bremsträgers (3) erstreckenden Abkantungen entsprechend dem Merkmal 1.4 war durch das allgemeine Fachwissen nahegelegt.

174

a) Die Fixierung von Verschleißblechen mittels den Träger übergreifenden Abkantungen stellt eine zum Prioritätszeitpunkt für den Fachmann objektiv zweckmäßige Maßnahme dar, um Verschleißbleche während der Montage zu positionieren und während des Betriebs in ihrer Position zu halten. Dieses allgemeine Fachwissen ist beispielsweise durch den damaligen Stand der Technik belegt:

175

Das aus der
D46 bekannte, als Verschleißblech fungierende „
slipper spring 60“ weist seitliche Leisten („
tabs 80, 80′“) auf, die aus den Fig. 2 und 3 der D46 eindeutig als Abkantungen zu erkennen sind. Sie dienen dazu, das Verschleißblech („
slipper spring 60“) an dem Bremsträger („
anchor 12“) auszurichten, zu halten und zu fixieren (D46, Sp. 3 Z. 26 – 29: „
Tabs 80, 80′ on the first section 62 and tabs 80, 80′ on the second section 64 engage anchor 12 to aid in aligning and retaining the slipper spring 60 in a fixed location on the anchor 12“).

176

Aus der nachfolgend wiedergegebenen Fig. 12 der D1a geht eine Ausgestaltungsmöglichkeit zur Befestigung einer Belagfeder („
pad spring 138“) hervor, der die Stützflächen („
support surfaces 148 and 146“) die Funktion eines Verschleißblechs gemäß Merkmal 1.3 zuweisen.

177

In Abs. [0022] der D1a ist erläutert, dass an der Feder nach Fig. 12 („
spring 638“) ein Paar Flügel („
pair of wings 660“) vorgesehen ist, das sich von vertikalen Kanten der vertikalen Anlagefläche („
vertical abutment surface 646“) in Richtung des Trägers („
carrier 612“) erstreckt (D1a, Abs. [0022]: „
an alternative securement arrangement of the spring 638 is shown. In this embodiment […] a pair of wings 660 extending towards the carrier 612 from vertical edges of the vertical abutment surface 646“).

178

Zwar ist in der D1a nicht explizit angegeben, dass es sich bei den Flügeln (660) um Abkantungen handelt, jedoch entnimmt der Fachmann dies eindeutig der Fig. 12 aufgrund der dargestellten Formgebung.

179

b) Da, wie bereits zum geltenden Patentanspruch 1 dargelegt, dessen Merkmale für den Fachmann in Kenntnis der Druckschrift D20a und seinem allgemeinen Fachwissen nahegelegt sind, ist ihm somit auch der mit Hilfsantrag 1 verteidigte Gegenstand nahegelegt.

V.

180

Auch hinsichtlich der mit dem zulässigen
Hilfsantrag 2 verteidigten Fassung des Streitpatents liegt der Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit vor (Art. II § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. a), Art. 56 EPÜ).

181

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 2 ist dem Fachmann ausgehend vom Gegenstand nach der Druckschrift
D20a in Verbindung mit seinem Fachwissen nahegelegt.

182

1. Patentanspruch 1 nach
Hilfsantrag 2 unterscheidet sich vom Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 dadurch, dass
zwischen die Merkmale 1.2 und 1.3 das folgende Merkmal eingefügt ist:

1.2.1.2.1

1.2.1

183

2. Das Merkmal 1.2.1 bedarf näherer Betrachtung.

184

Unter „Ausnehmungen“ versteht der Fachmann Vertiefungen in den Flachseiten des Bremsträgers, die im Gegensatz zu Öffnungen das Material nicht vollständig durchdringen.

185

3. Das Vorsehen von gewichtsreduzierenden Ausnehmungen in einem Bremsträger stellt für sich gesehen eine handwerkliche Routinetätigkeit dar.

186

a) Im vorliegenden Fall ergibt sich der Anlass hierzu durch die Notwendigkeit zur Gewichtsreduktion, der für alle Fahrzeuganwendungen typisch ist. Darauf wird der Fachmann in der D20a hingewiesen (Abs. [0004], [0021]).

187

Damit sieht der Fachmann ohne erfinderisches Zutun in der aus D20a bekannten Trägerbaugruppe 140 an wenigstens einer der beiden Seiten gewichtsreduzierende Ausnehmungen vor, wenn er diese für notwendig erachtet.

188

Dem Vorbringen der Beklagten, dass der Bremsträger 144 nach D20a bereits so dünn sei, dass der Fachmann daran keine Ausnehmungen mehr einbringen könne, kann nicht gefolgt werden. Denn die D20a schlägt bereits in Abs. [0017] vor, dass „die Flächen 160 und 162 in axialer Richtung der Achse 142 tiefer als der Rest des Trägers 144“ sein können, so dass „der Rest des Trägers 144“ gegenüber den „Flächen 160 und 162“ bereits als mit Ausnehmungen versehen aufzufassen ist.

189

b) Da wie bereits zum Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 dargelegt, dessen Merkmale für den Fachmann in Kenntnis der Druckschrift D20a und seinem allgemeinen Fachwissen nahegelegt sind, ist ihm somit auch der mit Hilfsantrag 2 verteidigte Gegenstand nahegelegt.

VI.

190

Auch hinsichtlich der mit dem zulässigen
Hilfsantrag 3 verteidigten Fassung des Streitpatents liegt der Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit vor (Art. II § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. a), Art. 56 EPÜ).

191

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 3 ist dem Fachmann ausgehend vom Gegenstand nach der Druckschrift
D20a in Verbindung mit seinem allgemeinen Fachwissen nahegelegt.

192

1. Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3 unterscheidet sich vom Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 dadurch, dass
zwischen die Merkmale 1.2.1 und 1.3 das folgende Merkmal eingefügt ist:

1.2.1.2.2

1.2.2

193

2. Das Merkmal 1.2.2 ist für sich genommen aus der D20a bekannt.

194

a) In Abs. [0015] i. V. m. Fig. 3 der D20a ist angegeben, dass bei einer Trägerbaugruppe 140 einer Schwimmsattel-Scheibenbremse 110 ein Bremsträger 144 direkt an einer Achse 142 befestigt ist, wobei die Achse 142 auf herkömmliche Weise relativ zu dem Fahrgestell eines Fahrzeugs gelagert ist. Der Bremsträger 144 hat eine Öffnung 146, durch die ein Abschnitt der Achse 142 aufgenommen wird, bevor der Bremsträger 144 an der Achse befestigt wird.

195

Bei – in den Figuren der D20a nicht dargestellten – alternativen Ausführungsformen kann diese Öffnung die Achse nicht ganz umschließen. Sie kann zum Beispiel halbrund sein.

196

Damit nimmt die D20a das Merkmal 1.2.2 vorweg, denn mit einer halbrunden Öffnung umschließt der Bremsträger die Achse mit einem Winkel von 180 Grad, also weniger als 300 Grad. Gleichzeitig stellt eine Öffnung von 180 Grad eine maulförmige Öffnung dar, die zweifellos die wesentlichen, im Streitpatent angeführten Vorteile aufweist – vgl. Abs. [0015] der Streitpatentschrift.

197

b) Da, wie bereits zum Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 dargelegt, dessen Merkmale für den Fachmann in Kenntnis der Druckschrift D20a und seinem allgemeinen Fachwissen nahegelegt sind, ist ihm somit auch der mit Hilfsantrag 3 verteidigte Gegenstand nahegelegt.

VII.

198

Auch hinsichtlich der mit dem zulässigen
Hilfsantrag 4 verteidigten Fassung des Streitpatents liegt der Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit vor (Art. II § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. a), Art. 56 EPÜ).

199

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 4 ist dem Fachmann ausgehend vom Gegenstand nach der Druckschrift
D20a in Verbindung mit seinem allgemeinen Fachwissen nahegelegt.

200

1. Patentanspruch 1 nach
Hilfsantrag 4 unterscheidet sich vom Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3 dadurch, dass in das Merkmal 1.1.3 die Angabe mit dem Wortlaut „indem er mit dem Achskörper (1) verschweißt ist“ hinzugefügt ist, so dass das geänderte Merkmal 1.1.3′ lautet (die Änderung gegenüber dem Merkmal 1.1.3 ist durch Unterstreichung hervorgehoben):

1.1.31.1.3′

1.1.3′

201

2. Das Merkmal 1.1.3′ ist für sich genommen aus der D20a bekannt, deren Offenbarung als Ausgangspunkt für das fachmännische Vorgehen anzusehen ist (s. obige Ausführungen zum geltenden Patentanspruch 1). In Abs. [0016] der D20a ist unter Bezugnahme auf die Fig. 3 eine bevorzugte Ausführungsform genannt, bei der „die Bremsträgerbaugruppe 14 an die Achse geschweißt“ ist.

202

3. Da, wie bereits zum Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3 dargelegt, dessen Merkmale für den Fachmann in Kenntnis der Druckschrift D20a und seinem allgemeinen Fachwissen nahegelegt sind, ist ihm somit auch der mit Hilfsantrag 4 verteidigte Gegenstand nahegelegt.

VIII.

203

Auch hinsichtlich der mit dem zulässigen
Hilfsantrag 7 (bezeichnet als Hilfsantrag 7,
zuletzt in der Reihenfolge an 5. Stelle geltend gemacht) verteidigten Fassung des Streitpatents liegt der Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit vor (Art. II § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. a), Art. 56 EPÜ).

204

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 7 ist dem Fachmann ausgehend vom Gegenstand nach der Druckschrift
D20a in Verbindung mit seinem allgemeinen Fachwissen, beispielsweise belegt durch die D46, die D45 und die D1a, nahegelegt.

205

1. Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 7 unterscheidet sich vom Patentanspruch 1 i.d.F. des Hilfsantrags 1 dadurch, dass die Merkmale 1.3, 1.3.1, 1.3.2 und 1.4 ersetzt sind durch die folgenden Merkmale 1.3′, 1.3.1′, 1.3.2′ und 1.5′ (Unterschiede zu den Merkmalen 1.3 bis 1.4 sind unterstrichen/durchgestrichen dargestellt):

1.3′

1.3.11.3.1′

1.3.1′

1.3.21.3.2′

1.3.2′

1.5′

206

2. Das Merkmal 1.3′ bedarf näherer Betrachtung.

207

Unter einem Verschleißblech in Form eines Winkels gemäß Merkmal 1.3′ versteht der Fachmann im vorliegenden Zusammenhang ein Winkelblech, das um eine Kante quer zur Längsrichtung gebogen ist.

208

Nach der Fassung von Patentanspruch 1 ist nicht ausgeschlossen, dass das Verschleißblech mehrere Winkel quer zur Längsrichtung umfasst. Das Ausführungsbeispiel nach Fig. 12 zeigt zwar nur einen solchen Winkel, jedoch ist der Patentanspruch 1 nicht darauf beschränkt.

209

3. Sowohl das Vorsehen von zwei gewinkelten Verschleißblechen, als auch das Vorsehen von jeweils zwei Abkantungen an jeder der Führungsflächen war dem Fachmann durch sein allgemeines Fachwissen nahegelegt.

210

a) Der Fachmann, der ausgehend von der D20a im Rahmen einer fachüblichen Maßnahme Verschleißbleche zwischen Bremsklotz und Bremsträger vorsieht (s. obige Ausführungen zum geltenden Patentanspruch 1), erkennt, dass bei der Ausgestaltung nach Fig. 3 der D20a der innen liegende Anschlag 148 keine durchgehende radiale Anschlagfläche aufweist, sondern in zwei voneinander beabstandete radiale Anschlagflächen 160 aufgeteilt ist, mit einem dazwischen liegenden Bereich, der keine Anschlagfunktion aufweist.

211

Der Fachmann, der immer auch den Aspekt der Materialeinsparungen und der damit verbundenen Kosteneinsparungen im Blick hat, wird im Rahmen seines routinemäßigen fachmännischen Handelns den funktionslosen Bereich nicht mit einem Verschleißblech überdecken, sondern für jede Seite, also jede der beiden radialen Anschlagflächen mit der ihr benachbarten umlaufenden Anschlagfläche, jeweils ein separates Verschleißblech vorsehen, das sich ausschließlich über die jeweiligen funktionellen Anschlagflächen erstreckt, und nicht in unnötiger Weise darüber hinaus.

212

Im Übrigen stellte das Vorsehen von zwei separaten Verschleißblechen eine zum Prioritätszeitpunkt fachübliche Maßnahme dar, die durch den damaligen Stand der Technik, beispielsweise in der D46 (dort: Sp. 2 Z. 53 – 61, Sp. 3 Z. 1 – 2, Fig. 1 Pos. 30, 32, 60, 60′) oder der D1a (dort: Sp. 3 Z. 28 – 29, Fig. 6, 7 Pos. 138), belegt ist.

213

b) Die Fixierung von Verschleißblechen mittels den Träger übergreifenden Abkantungen stellt eine zum Prioritätszeitpunkt für den Fachmann objektiv notwendige Maßnahme dar, um Verschleißbleche während der Montage zu positionieren und während des Betriebs in ihrer Position zu halten (s. oben zu Hilfsantrag 1). Um diese Funktionen auch bei einem L-förmigen Verschleißblech, das der Fachmann – wie oben unter a) ausgeführt – hier auswählen wird, zu erfüllen, muss er dafür Sorge tragen, dass die Verschleißbleche weder verrutschen noch verkippen können. Soweit der Fachmann dafür keine weiteren Befestigungsmittel wie Schrauben verwenden möchte, um den Aufwand gering zu halten, wird er an jedem der Schenkel je ein Paar Abkantungen vorsehen, da je eine Abkantung an jeder Seite eines ersten Schenkels das Verrutschen in der Betätigungsrichtung des Bremsklotzes verhindert und je eine weitere Abkantung an jeder Seite des zweiten Schenkels das Verkippen verhindert.

214

Im Übrigen war auch diese Maßnahme zum Prioritätszeitpunkt fachüblich, wie dies durch den damaligen Stand der Technik, beispielsweise in der D46 (dort: Sp. 3 Z. 13 – 17, Sp. 3 Z. 27 – 30, Fig. 2, 3 Pos. 60, 80, 80′ und in Fig. 3 die mit dem Bzz. 68 versehene Abkantung) oder der D45 (dort: Fig. 4 Pos. 54 sowie die nicht näher bezeichneten Abkantungen an den Flächen 46a und 46b), belegt ist.

215

c) Da, wie bereits zum Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 dargelegt, dessen Merkmale für den Fachmann in Kenntnis der Druckschrift D20a und seinem allgemeinen Fachwissen nahegelegt sind, ist ihm somit auch der mit Hilfsantrag 7 verteidigte Gegenstand nahegelegt.

IX.

216

Die Fassung des Streitpatents nach
Hilfsantrag 6 vom 4. Juli 2022 verteidigt die Beklagte erfolgreich. Der Hilfsantrag 6 ist zulässig, da der Gegenstand des Streitpatents in dieser Fassung nicht unzulässig erweitert ist oder ein Aliud darstellt und die geänderte Fassung beschränkend wirkt. Der Gegenstand des Streitpatents in dieser verteidigten Fassung erweist sich als rechtsbeständig, weil er ausführbar offenbart ist und patentfähig ist, insbesondere neu ist und auf erfinderischer Tätigkeit beruht.

217

1. Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 6 unterscheidet sich vom Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 4 dadurch, dass das Merkmal 1.2.2 ersetzt ist durch die Merkmale 1.2.2′ und 1.2.3 mit folgendem Wortlaut:

1.2.21.2.2′

1.2.2′

1.2.3

218

2. Die Merkmale 1.2.2′ und 1.2.3 bedürfen näherer Betrachtung.

219

a) Unter einer L-förmigen Öffnung versteht der Fachmann eine Öffnung, die genau zwei Flächen aufweist, die rechtwinklig aufeinander stehen.

220

Im Zusammenhang mit der Fig. 3 ist in der Streitpatentschrift in Abs. [0012] ausgeführt:

221

„Anhand der Fig. 3 werden […] Einzelheiten des Bremsträgers 3 sowie dessen Anordnung an dem Achskörper 1 beschrieben. Die Verbindung erfolgt beim Ausführungsbeispiel durch Verschweißen des Bremsträgers 3 mit dem hier quadratisch gestalteten Achsrohr des Achskörpers 1 entlang der Schweißnaht 2. Die Schweißnaht 2 erstreckt sich entlang eines ersten, horizontalen Schweißnahtabschnittes sowie eines hierzu rechtwinkligen, zweiten Schweißnahtabschnittes.“

222

Aus dieser Textstelle und der Fig. 3 ergibt sich, dass der Bremsträger zur Befestigung an dem Achsrohr eine Öffnung mit genau zwei Seiten aufweist, die rechtwinklig aufeinander stehen. Hingegen macht die Streitpatentschrift keine Angaben zu den Längen oder Längenverhältnissen der beiden aufeinander rechtwinklig stehenden Seiten, so dass nach dem Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 6 nicht nur gleichlange Seiten – wie in Fig. 3 gezeigt – umfasst sind, sondern auch andere Längenverhältnisse.

223

Die L-förmige Öffnung umschließt das quadratisch gestaltete Achsrohr an zwei benachbarten Flächen. Dadurch ist es möglich, den Bremsträger zur Verbindung mit dem Achskörper von der Seite her auf den quadratischen Achskörper aufzusetzen, was die Herstellung der Einheit aus Achskörper und Bremsträgern bei der Schweißmontage vereinfacht. Dies ist in Abs. [0015] der Streitpatentschrift zwar im Zusammenhang mit einer U-förmigen Öffnung entsprechend Fig. 5 erläutert, trifft jedoch aus fachmännischer Sicht uneingeschränkt auch auf die L-förmige Öffnung zu, da die L-förmige Öffnung einen noch kleineren Umschließungswinkel als die U-förmige Öffnung aufweist.

224

b) Die Angabe „quadratisch gestaltet“ in Merkmal 1.2.3 bezieht der Fachmann auf den Querschnitt des Achsrohres, wie dies in der Fig. 3 der Streitpatentschrift dargestellt ist, und in der Beschreibung im Zusammenhang mit der Fig. 1 erläutert ist (Abs. [0011] der Streitpatentschrift).

225

3. Der jeweilige Gegenstand der Patentansprüche 1 bis 7 nach Hilfsantrag 6 geht nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglichen Fassung hinaus.

226

Im Folgenden wird auf die Veröffentlichung der internationalen Anmeldung des Streitpatents (WO 2007/082520 A2), die die Gesamtheit der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen repräsentiert, Bezug genommen (im Folgenden nur: Offenlegungsschrift).

227

a) Die Merkmale 1 bis 1.1.2.1 des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 6 ergeben sich aus dem ursprünglichen Patentanspruch 1; das Merkmal 1.1.3′ aus dem letzten Teilmerkmal des ursprünglichen Patentanspruchs 1 und dem ursprünglichen Patentanspruch 13, der sich auf den ursprünglichen Patentanspruch 1 zurückbezieht; das Merkmal 1.2 aus dem ursprünglichen Patentanspruch 10, der sich auf den ursprünglichen Patentanspruch 1 zurückbezieht, und dessen fakultatives Merkmal in ein notwendiges Merkmal umgewandelt ist; das Merkmal 1.2.1 aus dem ursprünglichen Patentanspruch 15; das Merkmal 1.2.2′ aus der ursprünglichen Figur 3, die der Fachmann der Offenlegungsschrift als mögliche Ausführungsform der zum Patent angemeldeten Erfindung entnimmt; das Merkmal 1.2.3 aus der ursprünglichen Beschreibung, siehe S. 3 Z. 33 – S. 4 Z. 1 i. V. m. der ursprünglichen Figur 3; die Merkmale 1.3, 1.3.1 und 1.3.2 aus dem ursprünglichen Patentanspruch 17, der sich auf den ursprünglichen Patentanspruch 1 zurückbezieht, und dem ursprünglichen Patentanspruch 18, der sich auf den ursprünglichen Patentanspruch 17 zurückbezieht; das Merkmal 1.4 aus dem ursprünglichen Patentanspruch 19, der sich auf den ursprünglichen Patentanspruch 18 zurückbezieht.

228

Die Klägerin ist der Auffassung, das Merkmal 1.2.2′ sei unzulässig geändert, weil aus der Offenlegungsschrift keine „L-förmige“ Öffnung hervorgehe. Die Fig. 3 zeige lediglich einen gleichschenkligen Rücksprung, und aus der Beschreibung gehe die Angabe „L-förmig“ auch nicht hervor.

229

Entgegen dieser Auffassung der Klägerin ist die Angabe „L-förmig“, zwar nicht wörtlich, jedoch inhaltlich vollständig in den ursprünglichen Unterlagen offenbart.

230

Wie oben zum Verständnis des Merkmals 1.2.2′ ausgeführt, versteht der Fachmann unter Heranziehung der Beschreibung unter einer „L-förmigen Öffnung“ eine Öffnung mit genau zwei Seiten, die rechtwinklig aufeinander stehen, und die – entgegen der Auffassung der Klägerin – auch gleichlang sein können.

231

Die Verwendung des in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen nicht genannten Begriffs „L-förmige Öffnung“ stellt in diesem Zusammenhang keine unzulässige Erweiterung, sondern eine schlagwortartige, zusammenfassende Umschreibung dar für die in Fig. 3 dargestellte Öffnung mit genau zwei Flächen, die rechtwinklig aufeinander stehen (vgl. BGH, Urteil vom 21. April 2009 – X ZR 153/04, GRUR 2009, 933 –; Druckmaschinen-Temperierungssystem II).

232

b) Die mit Hilfsantrag 6 verteidigten Unteransprüche 2 bis 7 sind, bis auf die angepasste Nummerierung und die in zulässiger Weise angepassten Rückbezüge, wortgleich mit den ursprünglichen Patentansprüchen 11, 14 und 20 bis 23.

233

4. Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 6 schränkt den Schutzbereich des geltenden Patents durch die Aufnahme der zusätzlichen Angabe in Merkmal 1.1.3′ sowie die zusätzlichen Merkmale 1.2.1, 1.2.2′, 1.2.3 und 1.4 in zulässiger Weise ein.

234

a) Der Patentinhaber kann sein Patent durch Aufnahme einzelner oder sämtlicher Merkmale eines Ausführungsbeispiels beschränken, wenn diese Merkmale in der ursprünglichen Beschreibung als zu der beanspruchten Erfindung gehörend zu erkennen waren (vgl. BGH, Beschluss vom 11. September 2001, X ZB 18/00, GRUR 2002, 49, 50 f. – Drehmomentübertragungseinrichtung). Die Beklagte hat mit den Merkmalen 1.2.2′ und 1.2.3 zwei Merkmale eines einzelnen Ausführungsbeispiels in den Patentanspruch 1 aufgenommen. Da Patentanspruch 1 in der geltenden Fassung keine Angaben zur Befestigung des Bremsträgers auf dem Achsrohr und zur Ausgestaltung des Achsrohrs enthält, wird er durch Hinzufügung dieser Merkmale beschränkt.

235

b)  Die Figur 3 und die zugehörige Beschreibung (in der Offenlegungsschrift: S. 3 Z. 32 – S. 4 Z. 6) sind in der ursprünglichen Anmeldung als zu der beanspruchten Erfindung gehörend offenbart. Damit können auch die Merkmale 1.1.3‘ und 1.2.3, die beide auf die Fig. 3 zurückgehen, kein Aliud begründen.

236

5. Das Streitpatent offenbart die Erfindung so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen kann (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 2 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. b) EPÜ).

237

Die Klägerin meint, die Ausgestaltung des Bremsträgers nach Merkmal 1.2 als „ebene, flache Stahlplatte“ und die Ausgestaltung des Bremsträgers, der „aus parallel geschichteten Blechen zusammengesetzt ist“, wie das der auf Patentanspruch 1 rückbezogene Patentanspruch 2 gemäß Hilfsantrag 6 fordert, führe zu einem unüberwindbaren Widerspruch, der zu einer fehlenden Ausführbarkeit des mit dem Unteranspruch bestimmten Gegenstandes führe.

238

Dieser Widerspruch liegt nicht vor. Denn der Fachmann, der zur Auslegung der Begriffe des Patentanspruchs 1 die Beschreibung hinzuzieht, erfährt aus Abs. [0019] der Streitpatentschrift, dass die flache Platte des Patentanspruchs 1 aus mehreren parallel geschichteten und entsprechend dünneren Platten zusammengesetzt sein kann.

239

6. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der Fassung nach Hilfsantrag 6 erweist sich als neu (Art. II § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. a) i. V. m. Art. 54 EPÜ). Denn keine der im Verfahren eingeführten Druckschriften, insbesondere nicht die Druckschriften D20a, D46, D1a, D19, D7, stehen dem Gegenstand des Anspruchs 1 in dieser Fassung neuheitsschädlich entgegen.

240

a) Wie bereits oben zum geltenden Patentanspruch 1 dargelegt, sind aus der
D20a zwar die Merkmale 1 bis 1.2, nicht jedoch die Merkmale 1.3 bis 1.3.2 bekannt. Weil die D20a kein Verschleißblech offenbart, ist auch das Merkmal 1.4 nicht bekannt.

241

Aus der D20a gehen ausschließlich Achsen mit rundem Querschnitt hervor, vgl. Fig. 2 Pos. 42, Fig. 3 Pos. 142, Abs. [0015]. Die dazu korrelierenden Öffnungen in den Bremsträgern sind in den Fig. 2 und 3 jeweils kreisrund dargestellt, sie können aber beispielsweise auch halbrund sein, vgl. Abs. [0015]. Jedoch gibt die D20a an keiner Stelle einen Hinweis auf ein quadratisch gestaltetes Achsrohr entsprechend Merkmal 1.2.3.

242

b) In der
D46 wird lediglich erwähnt, dass der Bremsträger („
anchor 12“) mittels Schrauben („
bolts 14, 14′“) an einem Fahrzeug befestigt wird (Sp. 2 Z. 40). Damit ist aus der D46 nicht bekannt, dass der Bremsträger an einer – wie auch immer gestalteten – Achse direkt befestigt ist, so dass aus der D46 zumindest die
Merkmale 1.1.3′ und 1.2.3 nicht offenbart sind.

243

c) In der
D1a wird lediglich darauf hingewiesen, dass der Bremsträger („
brake carrier 12“) bezogen auf die Rotationsachse der Bremsscheibe („
rotor 20“) fixiert ist, und an einem nicht-drehenden Teil des Fahrzeugs, z. B. an der Radaufhängung („
vehicle suspension“), befestigt ist (Sp. 1 Z. 9 – 12). Damit ist auch aus der D1a nicht bekannt, ob und wie der Bremsträger an einer Achse direkt befestigt wird, so dass aus der D1a zumindest die
Merkmale 1.1.3′ und 1.2.3 nicht offenbart sind.

244

d) Bei den Ausführungsformen nach der
D19 wird der Bremsträger unlösbar mit einem Achsschenkel z. B. durch Verschweißen verbunden (Sp. 4 Z. 2 – 4 i. V. m. Fig. 1a, 1b Pos. 1, 1a, 1b). In den Fig. 1a, 1b, 3 und 5 bis 7 sind der Achsschenkel (1b) und die dazu korrespondierende Öffnung in dem Bremsträger (1) jeweils kreisrund dargestellt. Hinweise dazu, dass dieser Achsschenkel als quadratisches Achsrohr ausgeführt ist, finden sich in der D19 nicht, so dass aus der D19 zumindest das
Merkmal 1.2.3 nicht bekannt ist.

245

e) Die
D7 offenbart einen Achskörper (1), an dem ein Bremsträger („
Träger 5“) angeschweißt ist (S. 4 mittig). Nach der Fig. 1 der D7 weist dieser Achskörper einen quadratischen Querschnitt auf, an dem der Bremsträger (5) angeschweißt ist. Damit ist aus der D7 zwar ein quadratisch gestaltetes Achsrohr i.S.d. Merkmals 1.2.3 bekannt.

246

Jedoch findet sich in der D7 an keiner Stelle ein Hinweis auf Verschleißbleche, so dass aus der D7 die
Merkmale 1.3, 1.3.1, 1.3.2 und 1.4 nicht bekannt sind.

247

f) Die übrigen im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen kommen dem Gegenstand des Streitpatents nach Hilfsantrag 6 nicht näher als der vorstehend beurteilte Stand der Technik. Diese Schriften bedürfen daher keiner weiteren Erörterung.

248

7. Der Gegenstand des Anspruchs 1 in der Fassung nach Hilfsantrag 6 erweist sich auch als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend (Art. II § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. a), Art. 56 EPÜ).

249

Auch wenn sich jedes einzelne der Merkmale 1.2.3 und 1.3 des mit Hilfsantrag 6 eingeschränkten Patentanspruchs 1 aus einer der Entgegenhaltungen D20a und D7 i. V. m. dem Fachwissen ergibt, ist ihre Kombination miteinander und mit den weiteren Merkmalen des Patentanspruchs 1 für den Fachmann nicht nahegelegt.

250

Da, wie oben zur Neuheit dargelegt, aus keiner der Druckschriften D20a, D46, D1a und D19 eine Scheibenbremse mit einem quadratisch gestalteten Achsrohr gemäß Merkmal 1.2.3 bekannt ist, kann auch von keiner dieser Entgegenhaltungen für sich oder in beliebiger Kombination untereinander eine Anregung zu diesem Merkmal ausgehen.

251

Nach Auffassung der Klägerin ist der Gegenstand nach Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 6 nicht erfinderisch, weil es sich bei einer L-förmigen Öffnung i.S.d. Merkmals 1.2.2′ um eine dem Fachmann geläufige Anpassung der aus der D7 bekannten C-förmigen bzw. maulförmigen Öffnung an eine bestehende Raum-Form-Anordnung handele, die lediglich eine einfache Anpassung eines im Design geänderten Bremsträgers an das aus D7 bekannte quadratische Achsrohr darstelle. Damit sei für den Fachmann eine L-förmige Ausnehmung im Bremsträger aus der D7 angeregt, und er übertrage diese in naheliegender Weise auf die aus der D20a bekannte Scheibenbremse.

252

Dem kann nicht gefolgt werden, weil auch in diesem Fall jegliche Anregung dazu fehlt, die aus D20a bekannte Achse mit rundem Querschnitt im Design zu ändern, weil der aus D20a bekannte Bremsträger auf eine runde Achse abgestimmt ist, wie dies aus der D20a Fig. 2 und 3 sowie dem Hinweis in Abs. [0015] auf eine halb
runde Öffnung hervorgeht. Damit stellt in dieser Hinsicht die aus D20a bekannte Scheibenbremse eine in sich vollständige Ausgestaltung dar, in der die Einzelelemente aufeinander abgestimmt sind und miteinander funktional zusammenwirken.

253

Daher kann auch dahingestellt bleiben, ob es sich – wie von der Klägerin angenommen – bei einer L-förmigen Öffnung i.S.d. Merkmals 1.2.2′ lediglich um eine einfache Anpassung des aus D7 bekannten quadratischen Achsrohrs handelt. Denn da der Fachmann bereits keine Veranlassung hat, das aus D20a bekannte runde Achsrohr gegen ein quadratisches auszutauschen, spielt es keine Rolle, ob die D7 eine L- oder eine C-förmige Öffnung nahelegt.

254

8. Die auf Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 6 rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 7 werden vom Anspruch 1 nach Hilfsantrag 6 getragen.

255

9. Die in Bezug auf den Hilfsantrag 6 vom 4. Juli 2022 gestellten Anträge der Klägerin auf Anberaumung eines neuen Termins zur mündlichen Verhandlung sowie auf Gewährung eines Schriftsatznachlasses sind unbegründet und stehen einer Sachentscheidung nicht entgegenstehen.

256

Ein Vertagungserfordernis nach § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO war nicht gegeben, weil sich die Klägerin vollinhaltlich auf den Hilfsantrag 6 vom 4. Juli 2022 einlassen konnte und es zudem auf die Änderung von einer „maulförmigen Öffnung“ nach Hilfsantrag 5 zu einer „L-förmigen Öffnung“ für die Beurteilung der Patentfähigkeit des Streitpatents in der nach Hilfsantrag 6 verteidigten Fassung schon nicht entscheidungserheblich ankommt.

257

Denn wie dargelegt ist das Streitpatent in dieser verteidigten Fassung bereits deshalb patentfähig, insbesondere neu und auf erfinderischer Tätigkeit beruhend, da es ist nicht nahegelegt ist, dass eine Scheibenbremse sowohl mindestens ein innen an dem Belagschacht angeordnetes Verschleißblech gemäß den Merkmalen 1.3, 1.3.1, 1.3.2 und 1.4 als auch einen Bremsträger aufweist, der gemäß Merkmal 1.2.3 auf jeder seiner beiden Seiten mit einem quadratisch gestalteten Achsrohr des Achskörpers durch eine Schweißnaht verbunden ist. Die Merkmale 1.3, 1.3.1, 1.3.2 und 1.4 waren aber bereits Gegenstand der Hilfsanträge 1 bis 5 vom 18. Mai 2021 und vom 29. März 2022 sowie das Merkmal 1.2.3 Gegenstand des Hilfsantrags 5 vom 29. März 2022, und die Klägerin hat sich u. a. mit Schriftsatz vom 2. Mai 2022 ausführlich dazu eingelassen.

258

Demzufolge war der Beklagten mangels Entscheidungserheblichkeit auch kein Schriftsatznachlass nach § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 283 ZPO einzuräumen (vgl. BPatG GRUR-RR 2011, 289; Anders/Gehle, ZPO, 80. Aufl. 2022, Rn. 11; Zöller/Greger, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 283 Rn. 2a; MüKoZPO/Prütting, 6. Aufl. 2020, § 283 Rn. 11; Gaier, MDR 1997, 1094). Soweit die Klägerin geltend gemacht hat, dass ihr die Möglichkeit einer weiteren Recherche zum Stand der Technik in Bezug auf Scheibenbremsen mit einer L-förmigen Öffnung im Sinne des Merkmals 1.2.2′ eingeräumt werden müsse, ist dieser Aspekt aus den dargelegten Gründen nicht entscheidungserheblich und vermag daher keinen Schriftsatznachlass zu begründen.

X.

259

Nachdem das Patent in der Fassung gemäß dem Hilfsantrag 6 rechtsbeständig ist, erübrigen sich Ausführungen zu den nachrangigen Hilfsanträgen 6a, 5 (in der Reihenfolge erst an 7. Stelle geltend gemacht) und 8 bis 12.

XI.

260

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 92 Abs. 1 ZPO.

261

Die ausgeurteilte Kostenquote entspricht dem Anteil des Obsiegens und Unterliegens der Parteien. Da der wirtschaftliche Wert, der dem Streitpatent aufgrund des nach dem neuen Hilfsantrag 6 vom 4. Juli 2022 als schutzfähig verbleibenden Patentgegenstands gegenüber der geltenden Fassung noch zukommt, um einen erheblichen Teil reduziert ist, ist das Unterliegen der Beklagten mit 75 % und dementsprechend das der Klägerin mit 25 % zu bewerten.

262

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.