BVerwG 8. Senat, Beschluss vom 30.06.2022, AZ 8 B 4/22, ECLI:DE:BVerwG:2022:300622B8B4.22.0
Verfahrensgang
vorgehend Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 31. August 2021, Az: 8 K 5/20, Urteil
Tenor
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 31. August 2021 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe
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Die Städte Hohenmölsen und Lützen stellten im Mai 2016 gemeinsam den Bebauungsplan Nr. S 09 Verbindungsstraße L 191 – K 2196 – L 189 über die Neutrassierung der Straßenverbindung zwischen Hohenmölsen, der Autobahnzufahrt zur BAB 38 und der Stadt Lützen auf. Im April 2016 ordnete das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt zur Begleitung des Straßenbauvorhabens das Unternehmensflurbereinigungsverfahren „Hohenmölsen Verbindungsstraße“ an. Das der Klägerin gehörende Flurstück 58 der Flur 4 der Gemarkung M. wurde in das Flurbereinigungsverfahren einbezogen. Mit vorläufiger Anordnung vom 14. August 2019 entzog der Beklagte der Klägerin gestützt auf § 88 Nr. 3, § 36 FlurbG den Besitz und die Nutzungen hinsichtlich einer Teilfläche des Flurstücks von 3 439 qm endgültig und hinsichtlich einer weiteren Teilfläche von 3 801 qm vorübergehend. Zugleich wies er die Stadt Hohenmölsen in den Besitz dieser Flächen ein. Die Klägerin erhob Widerspruch, über den der Beklagte noch nicht entschieden hat. Das Oberverwaltungsgericht hat ihre Klage mit Urteil vom 31. August 2021 abgewiesen. Die Revision hat es nicht zugelassen.
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Die auf alle Zulassungsgründe gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
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1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen. Dies würde voraussetzen, dass die Sache eine Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die der – gegebenenfalls erneuten oder weitergehenden – höchstrichterlichen Klärung bedarf, sofern diese Klärung in dem angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten steht und dies zu einer Fortentwicklung der Rechtsprechung über den Einzelfall hinaus führen wird. Der Rechtsmittelführer hat darzulegen, dass diese Voraussetzungen vorliegen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Dem wird die Beschwerde nicht gerecht.
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a) Die Frage,
ob in einem Flurbereinigungsverfahren, das ein Straßenbauvorhaben betrifft, von einem Beteiligten dargelegte erhebliche Zweifel an der straßenrechtlichen Zuständigkeit des Vorhabenträgers zu prüfen sind,
würde sich in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen, weil sie für das Oberverwaltungsgericht nicht entscheidungserheblich war. Die Frage zielt auf die Klärung der Voraussetzungen, unter denen ein Flurbereinigungsverfahren nach § 87 FlurbG zur Durchführung eines Straßenbauvorhabens angeordnet werden darf. Die Klägerin möchte insoweit wissen, ob die Zulässigkeit einer Enteignung aus besonderem Anlass im Sinne von § 87 Abs. 1 Satz 1 FlurbG nur angenommen werden darf, wenn keine erheblichen Zweifel an der straßenrechtlichen Zuständigkeit des Vorhabenträgers bestehen. Das Oberverwaltungsgericht hat seine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der verfahrensgegenständlichen vorläufigen Anordnung jedoch nicht von der Zulässigkeit der Anordnung der Flurbereinigung für die Durchführung des Straßenbauvorhabens „Hohenmölsen Verbindungsstraße“ abhängig gemacht, sondern lediglich darauf abgestellt, ob die vorläufige Anordnung sich auf eine unanfechtbare oder sofort vollziehbar angeordnete Flurbereinigung bezieht.
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Die von der Klägerin aufgeworfene Frage ist zudem nicht klärungsbedürftig. Sie ist bereits höchstrichterlich geklärt. Das Flurbereinigungsverfahren nach § 87 FlurbG darf eingeleitet werden, wenn für die im Einzelfall in Aussicht genommene Maßnahme außerhalb des Flurbereinigungsverfahrens eine Enteignung dem Grunde nach zulässig wäre (vgl. BVerwG, Urteile vom 1. Juni 2017 – 9 C 4.16 – BVerwGE 159, 104, Rn. 22 und vom 14. März 1985 – 5 C 130.83 – BVerwGE 71, 108 < 122 f.>). Dies erfasst auch die Frage, ob der Vorhabenträger für das von ihm konkret beantragte Vorhaben zuständig ist. Handelt es sich um ein Straßenprojekt, so erstreckt sich die Prüfung auf die Bestimmung des zuständigen Straßenbaulastträgers (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Juni 2017, a. a. O., Rn. 27). Diese Prüfung ist in erster Linie im Rahmen der Kontrolle der jeweiligen Planungsgrundlage vorzunehmen. Die Flurbereinigungsbehörde – und gegebenenfalls nachfolgend das Flurbereinigungsgericht – sind demgegenüber lediglich verpflichtet zu prüfen, ob offenkundige Umstände vorliegen, die schwerwiegende Zweifel an der Zuständigkeit des Straßenbaulastträgers begründen (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Juni 2017, a. a. O., Rn. 27). Darüber hinausgehenden Klärungsbedarf zeigt die Klägerin nicht auf.
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b) Die weitere Frage,
ob in einem Flurbereinigungsverfahren, das der Umsetzung eines Bebauungsplans dienen soll, von einem Beteiligten dargelegte erhebliche Zweifel an der Aufstellung dieses Bebauungsplans zu prüfen sind,
kann ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision führen. Auch diese Frage ist bereits höchstrichterlich geklärt. Ob für die Maßnahme, wegen derer ein Flurbereinigungsverfahren nach § 87 FlurbG eingeleitet werden soll, eine Enteignung dem Grunde nach zulässig wäre, ist zunächst in eigener Zuständigkeit von der Enteignungsbehörde zu prüfen (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Juni 2017 – 9 C 4.16 – BVerwGE 159, 104 Rn. 23). Darüber hinaus ist auch die Flurbereinigungsbehörde verpflichtet, das Vorliegen der Enteignungsvoraussetzungen zu kontrollieren. Sie kann sich insoweit im Regelfall an der begründeten Einschätzung der fachkundigen Enteignungsbehörde orientieren. Eine solche nachvollziehende Kontrolle ist regelmäßig ausreichend (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Juni 2017, a. a. O., Rn. 26). Weitergehenden Klärungsbedarf zeigt die Klägerin nicht auf.
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2. Die Revision ist auch nicht wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen. Eine Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Die nach Auffassung eines Beschwerdeführers divergierenden Rechtssätze müssen einander gegenübergestellt und die entscheidungstragende Abweichung muss hierauf bezogen konkret herausgearbeitet werden. Das bloße Aufzeigen einer vermeintlich fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht oder der Gemeinsame Senat der obersten Bundesgerichte oder das Bundesverfassungsgericht aufgestellt haben, genügt den Darlegungsanforderungen an eine Divergenzrüge nicht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 21. Juni 1995 – 8 B 61.95 – Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 18 und vom 18. März 2022 – 8 B 49.21 – juris Rn. 3).
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Darauf beschränkt sich jedoch die Beschwerde. Der von ihr bezeichneten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. Juni 2017 – 9 C 4.16 – (BVerwGE 159, 104) ist nicht der Rechtssatz zu entnehmen, die Flurbereinigungsbehörde müsse ernstzunehmenden Anhaltspunkten gegen das Vorliegen einer Gemeindestraße bei der Zuständigkeit des Vorhabenträgers nachgehen. Ihr zufolge hat die Flurbereinigungsbehörde bei der Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Anordnung der Flurbereinigung nach § 87 FlurbG lediglich zu prüfen, ob offenkundige Umstände vorliegen, die schwerwiegende Zweifel an der Zuständigkeit des Straßenbaulastträgers begründen. Die Klägerin zeigt nicht auf, dass ernsthafte Anhaltspunkte gegen das Vorliegen einer Gemeindestraße stets offenkundige, schwerwiegende Zweifel an der Zuständigkeit begründende Umstände darstellen. Einen Rechtssatzwiderspruch arbeitet die Klägerin nicht heraus. Mit dem Vortrag, das Oberverwaltungsgericht habe die Frage, ob es sich bei dem Vorhaben (neue Verbindungsstraße) um eine Kreisstraße handeln werde, die nicht der Straßenbaulast der Stadt Hohenmölsen als Vorhabenträgerin unterfalle, bewusst ungeprüft gelassen, kritisiert die Klägerin lediglich die Rechtsanwendung des Oberverwaltungsgerichts im Einzelfall, ohne eine Rechtssatzdivergenz aufzuzeigen.
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3. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensmangels nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
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a) Die gerügte Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ist der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen. Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Vermeintliche Fehler in der Sachverhalts- oder Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich grundsätzlich dem sachlichen Recht und nicht dem Verfahrensrecht zuzuordnen. Die Freiheit der richterlichen Überzeugungsbildung ist erst dann überschritten, wenn das Gericht seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt, sondern nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt, oder wenn die von ihm gezogenen Schlussfolgerungen gegen die Denkgesetze verstoßen oder sonst von objektiver Willkür geprägt sind.
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Solches legt die Klägerin nicht dar. Soweit sie rügt, das Oberverwaltungsgericht habe keine straßenrechtliche Zuordnung der neuen Verbindungsstraße vorgenommen, bezieht sich ihre Rüge schon nicht auf eine Tatsache, die das Oberverwaltungsgericht fehlerhaft angenommen oder übergangen haben könnte, sondern auf die dem Urteil zugrunde liegende Anwendung materiellen – und überdies irrevisiblen – Landesrechts.
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Mit der weiteren Rüge, das Oberverwaltungsgericht habe keine eigenen Feststellungen zur Notwendigkeit der Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens für die geplante Verbindungsstraße und zu der Frage getroffen, ob die Vereinbarung der Städte Hohenmölsen und Lützen eine ordnungsgemäße und wirksame Grundlage im Sinne von § 205 Abs. 6 BauGB darstellt, legt sie keine willkürliche Annahme und kein Übergehen von Tatsachen durch das Oberverwaltungsgericht dar. Überdies zeigt sie nicht auf, dass die von ihr vermissten Feststellungen nach der für die Überprüfung von Verfahrensfehlern maßgeblichen materiell-rechtlichen Rechtsauffassung der Vorinstanz zum eingeschränkten Umfang der Überprüfung bauplanungsrechtlicher Mängel im flurbereinigungsrechtlichen Verfahren bei Anordnungen nach § 88 Nr. 3 FlurbG hätten getroffen werden müssen.
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b) Das Oberverwaltungsgericht hat schließlich den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) nicht verletzt. Die Klägerin macht geltend, das Oberverwaltungsgericht habe sein Urteil auf eine fachbehördliche Stellungnahme zur Erforderlichkeit einer Planfeststellung und zur Zulässigkeit der Vereinbarung zwischen den Städten Hohenmölsen und Lützen über die gemeinsame Bauleitplanung gestützt, zu der die Klägerin sich im gerichtlichen Verfahren nicht habe äußern können. Dieser Vorwurf trifft nicht zu. Das Oberverwaltungsgericht hat die von ihm wiedergegebenen Rechtsmeinungen der Fachbehörde lediglich aus deren Äußerungen im Verfahren abgeleitet, die Teil des Prozessstoffs waren. Dass die Fachbehörde ein Planfeststellungsverfahren nicht für erforderlich hielt, konnte die Klägerin schon daraus ersehen, dass die Fachbehörde ihre Planung auf einen Bebauungsplan stützte. Über die vom Oberverwaltungsgericht in Bezug genommene Vereinbarung zwischen den Städten Hohenmölsen und Lützen hatte der Beklagte die Klägerin bereits mit Schreiben vom 20. und 28. November 2019 (Beiakten C Bl. 46 ff.) in Kenntnis gesetzt.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1, Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG.