Pflichtteilsanspruch: Verstoß gegen den deutschen ordre public bei Rechtswahl des englischen Erbrechts (Urteil des BGH 4. Zivilsenat)

BGH 4. Zivilsenat, Urteil vom 29.06.2022, AZ IV ZR 110/21, ECLI:DE:BGH:2022:290622UIVZR110.21.0

§ 2314 Abs 1 BGB, Art 22 Abs 1 EUV 650/2012, Art 35 EUV 650/2012, Art 12 § 2 Abs 2 AdG, Art 6 Abs 1 GG

Leitsatz

Die Anwendung des gemäß Art. 22 Abs. 1 EuErbVO gewählten englischen Erbrechts verstößt jedenfalls dann gegen den deutschen ordre public im Sinne von Art. 35 EuErbVO, wenn sie dazu führt, dass bei einem Sachverhalt mit hinreichend starkem Inlandsbezug kein bedarfsunabhängiger Pflichtteilsanspruch eines Kindes besteht.

Verfahrensgang

vorgehend OLG Köln, 22. April 2021, Az: I-24 U 77/20, Urteil
vorgehend LG Köln, 10. Juli 2020, Az: 20 O 246/19, Urteil

Tenor

Die Revision der Beklagten zu 1 gegen das Urteil des 24. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 22. April 2021 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt die Beklagte zu 1.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 8.000 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt – soweit für die Revisionsinstanz noch von Bedeutung – die Beklagte zu 1 (im Folgenden: Beklagte) als testamentarische Erbin auf Auskunft über den Bestand und den Wert des Nachlasses des am 26. April 2018 verstorbenen Erblassers John Keith L.          in Anspruch.

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Der 1936 geborene Erblasser war britischer Staatsangehöriger. Er lebte seit seinem 29. Lebensjahr in Deutschland, wo er auch seinen letzten Wohnsitz hatte. Mit notariell beurkundetem Kindesannahmevertrag vom 30. Oktober 1975, den das Amtsgericht Köln mit Beschluss vom 20. Mai 1976 gemäß § 1741 BGB in der seinerzeit gültigen Fassung bestätigte, adoptierte der Erblasser den am 9. September 1974 geborenen Kläger. Der Vertrag enthält unter anderem folgende Regelung:

„Die Erb- und Pflichtteilsrechte für das Kind und dessen künftige Abkömmlinge nach dem Erstversterbenden der annehmenden Eheleute werden ausgeschlossen.“

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Mit notariellem Testament vom 13. März 2015 setzte der Erblasser die Beklagte als Alleinerbin ein und widerrief alle zuvor von ihm errichteten Verfügungen von Todes wegen. Für die Rechtsnachfolge von Todes wegen wählte er das englische Recht als Teilrecht seines Heimatstaates. Der Nachlass besteht aus einer im Inland belegenen Immobilie sowie diversen weiteren Gegenständen. Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger und hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.

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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Auskunft über den Bestand des Nachlasses des Erblassers durch Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses zu erteilen, das im Einzelnen alle beim Erbfall vorhandenen Sachen und Forderungen des Erblassers sowie alle Forderungen gegen diesen und alle ergänzungspflichtigen Schenkungen, die der Erblasser in den letzten zehn Jahren vor dem Erbfall getätigt hat, umfasst, und die Werte verschiedener Nachlassgegenstände durch Sachverständigengutachten für den Stichtag 26. April 2018 bestimmen zu lassen und darüber Auskunft zu erteilen, sowie die Klage im Übrigen abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter.

Entscheidungsgründe

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Die Revision hat keinen Erfolg.

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I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts, dessen Entscheidung unter anderem in ZEV 2021, 698 veröffentlicht ist, steht dem Kläger gegen die Beklagte ein Auskunfts- und Wertermittlungsanspruch gemäß § 2314 Abs. 1 BGB zu, da dieser als Adoptivsohn des Erblassers pflichtteilsberechtigt gemäß §§ 2303 Abs. 1, 1754 Abs. 1, 1755 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 12 § 2 Abs. 2, Abs. 3, § 3 Abs. 1 AdoptG und von der Erbfolge ausgeschlossen sei. Einem Anspruch stehe nicht entgegen, dass der Erblasser in dem Testament vom 13. März 2015 für die Rechtsfolge von Todes wegen in sein gesamtes Vermögen das englische Recht als Teilrecht seines Heimatstaates gewählt habe. Zwar habe es dem Erblasser gemäß Art. 22 Abs. 1, 83 Abs. 4 EuErbVO freigestanden, für die Rechtsnachfolge von Todes wegen das Recht des Staates zu wählen, dem er im Zeitpunkt der Rechtswahl angehörte. Die Anwendung englischen Rechts scheide aber aus, weil sie im konkreten Fall mit dem deutschen ordre public offensichtlich unvereinbar sei, Art. 35 EuErbVO. Das englische Recht kenne keinen Pflichtteil. Kinder des Verstorbenen könnten für den Fall, dass sie nicht ausreichend bedacht wurden, bei Gericht einzig eine „angemessene finanzielle Regelung“ nach dem Inheritance (Provision for Family und Dependants) Act 1975 beantragen. Erwachsenen Kindern stehe danach regelmäßig kein Anspruch auf Teilhabe am Nachlass zu. Das aber verstoße gegen die Erbrechtsgarantie in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG, nach der eine Teilhabe der Kinder am Nachlass der Eltern nicht von deren Bedürftigkeit abhängig gemacht werden dürfe. Das englische Recht rücke das Nachlassrecht in die Nähe des Unterhaltsrechts und knüpfe daran an, dass der Erblasser im Zeitpunkt des Todes seinen Wohnsitz in England oder Wales hatte. Nach deutschem Rechtsverständnis seien vielmehr die grundsätzlich unauflösbare Beziehung zwischen Eltern und Kindern und die daraus erwachsene Familiensolidarität ausschlaggebend für eine Teilhabe der Kinder am Nachlass ihrer Eltern. Der Wohnort spiele dabei keine Rolle. Schließlich stelle das englische Recht die Entscheidung über eine finanzielle Zuwendung und deren Höhe in das Ermessen des Gerichts. Auch dies widerspreche der nach deutschem Rechtsverständnis gebotenen und in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG verankerten Garantie einer bedarfsunabhängigen wirtschaftlichen Mindestbeteiligung der Kinder am Nachlass ihrer Eltern. Zur Gewährleistung einer dem deutschen ordre public entsprechenden Regelung müsse auf die Vorschriften des deutschen Pflichtteilsrechts zurückgegriffen werden.

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II. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.

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Dem Kläger steht gegen die Beklagte gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Halbsatz 2, Satz 3 BGB ein Anspruch auf Auskunft über den Bestand des Nachlasses des Erblassers und auf Wertermittlung in dem vom Berufungsgericht tenorierten Umfang zu.

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1. Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, einem Auskunfts- und Wertermittlungsanspruch des Klägers stehe nicht der Umstand entgegen, dass der Erblasser in seinem Testament für die Rechtsfolge von Todes wegen in sein gesamtes Vermögen das englische Recht als Teilrecht seines Heimatstaates gewählt hat.

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a) Gemäß Art. 22 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (ABl. EU 2012 Nr. L 201 S. 107; im Folgenden: EuErbVO) stand es dem Erblasser frei, für die Rechtsfolge von Todes wegen mit dem englischen Recht das Recht des Staates zu wählen, dem er im Zeitpunkt der Rechtswahl angehörte. Die Wahl englischen Erbrechts war auch wirksam. Zwar datiert das Testament vom 13. März 2015, während die EuErbVO erst seit dem 17. August 2015 gilt. Da der Erblasser aber im Jahr 2018 verstorben ist, gilt gemäß Art. 83 Abs. 4 EuErbVO dasjenige Recht, dessen Anwendung der Erblasser vor dem Stichtag im Rahmen einer Verfügung von Todes wegen nach dem nach Art. 22 EuErbVO wählbaren Recht angeordnet hat.

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b) Entgegen der Ansicht der Revision ist die Anwendung englischen Rechts jedenfalls im hier zur Entscheidung stehenden Fall mit dem deutschen ordre public offensichtlich unvereinbar (Art. 35 EuErbVO). Denn das englische Recht steht zu der nach deutschem Recht verfassungsrechtlich verbürgten Nachlassverteilung in einem so schwerwiegenden Widerspruch, dass dessen Anwendung im hiesigen Fall untragbar ist. Dies hat zur Folge, dass es hier keine Anwendung findet.

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aa) Art. 35 EuErbVO sieht vor, dass die Anwendung einer Vorschrift des nach der Verordnung bezeichneten Rechts eines Staates nur versagt werden darf, wenn ihre Anwendung mit der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Staates des angerufenen Gerichts offensichtlich unvereinbar ist. Die Bestimmung ermöglicht es dem Gerichtsstaat, im Ausnahmefall wesentliche Grundsätze und Werte des eigenen materiellen Rechts im Einzelfall zu wahren und trotz einer entgegenstehenden Regelung der lex causae durchzusetzen (vgl. Köhler in Gierl/Köhler/Kroiß/Wilsch, Internationales Erbrecht 3. Aufl. § 4 Rn. 172; NK-BGB/Looschelders 3. Aufl. Art. 35 EuErbVO Rn. 1; Pintens in Löhnig/Schwab ua (Hrsg), Erbfälle unter Geltung der Europäischen Erbrechtsverordnung, 2014, S. 1, 27; Schwartze in Deixler-Hübner/Schauer, Kommentar zur EU-Erbrechtsverordnung (EuErbVO) 2. Aufl. Art. 35 Rn. 3, 11). Für die Annahme eines Verstoßes gegen den ordre public reicht eine bloße Abweichung des ausländischen Rechts von inländischen Rechtsgrundsätzen nicht aus. Er liegt nur dann vor, wenn das Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts im konkreten Einzelfall zu den Grundgedanken der nationalen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, dass es nach inländischer Vorstellung schlichtweg untragbar erscheint (vgl. Erwägungsgrund 58 Satz 1 EuErbVO; EuGH, Urteil vom 28. März 2000 – C-7/98, EU: C: 2000:164 Rn. 37; BGH, Beschluss vom 14. November 2018 – XII ZB 292/15, NJW-RR 2019, 321 Rn. 30; Urteil vom 8. Mai 2014 – III ZR 371/12, SchiedsVZ 2014, 151 Rn. 29; st. Rspr.; vgl. auch Bauer/Fornasier in Dutta/Weber, Internationales Erbrecht 2. Aufl. Art. 35 EuErbVO Rn. 5; Grüneberg/Thorn, BGB 81. Aufl. Art. 6 EGBGB Rn. 5; Lagarde in Bergquist/Damascelli ua (Hrsg), EU-Erbrechtsverordnung 2015 Art. 35 Rn. 2; NK-BGB/Looschelders 3. Aufl. Art. 35 EuErbVO Rn. 14; Soutier, Die Geltung deutscher Rechtsgrundsätze im Anwendungsbereich der Europäischen Erbrechtsverordnung, 2015, S. 198 ff.; vgl. zu Art. 6 EGBGB BT-Drs. 10/504, S. 42 ff.).

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bb) Nach diesem Maßstab liegt hier ein offensichtlicher Verstoß gegen den deutschen ordre public vor.

14

(1) Das Pflichtteilsrecht ist als Institutionsgarantie dem Bestand des deutschen ordre public zuzurechnen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Grundsatzentscheidung vom 19. April 2005 (BVerfGE 112, 332 ff.) klargestellt, dass dem Pflichtteilsrecht der Kinder des Erblassers unter Verweis auf die Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG Grundrechtscharakter im Sinne einer grundsätzlich unentziehbaren und bedarfsunabhängigen wirtschaftlichen Mindestbeteiligung der Kinder des Erblassers an dessen Nachlass zukommt. Dies folgt aus der Familiensolidarität und der hieraus abgeleiteten familienschützenden Funktion des Pflichtteilsrechts (vgl. BVerfGE aaO [juris Rn. 64 ff.]). Art. 6 Abs. 1 GG schützt das Verhältnis zwischen dem Erblasser und seinen Kindern als lebenslange Gemeinschaft, innerhalb derer Eltern wie Kinder nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet sind, füreinander sowohl materiell als auch persönlich Verantwortung zu übernehmen. Die Testierfreiheit des Erblassers unterliegt damit von Verfassungs wegen grundsätzlich auch den durch die Abstammung begründeten familienrechtlichen Bindungen. Das Pflichtteilsrecht hat die Funktion, die Fortsetzung des ideellen und wirtschaftlichen Zusammenhangs von Vermögen und Familie – unabhängig von einem konkreten Bedarf des Kindes – über den Tod des Vermögensinhabers hinaus zu ermöglichen (vgl. BVerfGE aaO [juris Rn. 72]). An dieser Einordnung des Pflichtteilsrechts von Kindern als grundrechtlich geschützte Rechtsposition hat das Bundesverfassungsgericht auch in seiner neueren Rechtsprechung ausdrücklich festgehalten (vgl. BVerfG ZEV 2019, 79 Rn. 13, zur Verfassungsgemäßheit von § 2325 Abs. 3 Satz 3 BGB).

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(2) Das englische Recht kennt demgegenüber keinen bedarfsunabhängigen und nach festen Quoten berechneten Anspruch eines Abkömmlings nach dem Tod des Erblassers. Ein Pflichtteilsrecht, wie es der deutschen Rechtsordnung entspricht, ist dem englischen Recht fremd.

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(a) Ohne Erfolg beanstandet die Revision mit der Verfahrensrüge, das Berufungsgericht habe lediglich pauschal und ohne nähere Begründung ausgeführt, ihm sei bekannt, dass die englische Rechtsordnung nahen Verwandten keinerlei Pflichtteils- und Noterbrechte am Nachlass zugestehe und habe allein auf dieser Grundlage die Entscheidung getroffen, dass sich das englische vom deutschen Recht wesensmäßig unterscheide. Es habe zugleich unterlassen, die konkrete Ausgestaltung des Rechts der ausländischen Praxis, insbesondere die ausländische Rechtsprechung, zu ermitteln.

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(aa) Der deutsche Tatrichter hat das ausländische Recht von Amts wegen zu ermitteln (§ 293 ZPO). Dabei hat er es so anzuwenden, wie es der Richter des betreffenden Landes auslegt und anwendet. Wie er sich diese Kenntnis verschafft, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Vom Revisionsgericht wird insoweit lediglich überprüft, ob der Tatrichter sein Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt, insbesondere sich anbietende Erkenntnisquellen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles hinreichend ausgeschöpft hat (vgl. Senatsurteil vom 18. März 2020 – IV ZR 62/19, VersR 2020, 614 Rn. 23 ff.; BGH, Urteil vom 25. Januar 2022 – II ZR 215/20, WM 2022, 670 [juris Rn. 15]; Beschlüsse vom 30. März 2021 – XI ZB 3/18, NJW-RR 2021, 916 Rn. 59; vom 17. Mai 2018 – IX ZB 26/17, WM 2018, 1316 Rn. 12 m.w.N; st. Rspr.). Die Grenzen der Ermessensausübung des Tatrichters werden durch die jeweiligen Umstände des Einzelfalles bestimmt. An die Ermittlungspflicht werden umso höhere Anforderungen zu stellen sein, je komplexer oder je fremder im Vergleich zum eigenen das anzuwendende Recht ist. Von Einfluss auf das Ermittlungsermessen können auch Vortrag und sonstige Beiträge der Parteien sein. Tragen die Parteien eine bestimmte ausländische Rechtspraxis detailliert und kontrovers vor, wird der Richter regelmäßig umfassendere Ausführungen zur Rechtslage zu machen – gegebenenfalls sämtliche ihm zugänglichen Erkenntnismittel zu erschöpfen – haben, als wenn der Vortrag der Parteien zu dem Inhalt des ausländischen Rechts übereinstimmt oder sie zu dem Inhalt dieses Rechts nicht Stellung nehmen, obwohl sie dessen Anwendbarkeit kennen oder mit ihr rechnen. Auch dies hängt jedoch stets von den Besonderheiten des einzelnen Falles ab (vgl. Senatsurteil vom 18. März 2020 aaO Rn. 24 m.w.N.).

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(bb) Nach diesen Maßgaben hat das Berufungsgericht sein Ermessen im Streitfall rechtsfehlerfrei ausgeübt. Mangels sonstiger Regelungen zur Nachlassverteilung bei nicht bedachten Abkömmlingen hat das Berufungsgericht zu Recht auf die Regelungen des Inheritance (Provision for Family und Dependants) Act 1975 (im Folgenden: Inheritance Act 1975) abgestellt. Bereits dadurch ist den Anforderungen des § 293 ZPO Genüge getan. Auch in Anbetracht des Vortrags der Parteien war eine weitere Prüfung nicht veranlasst. Wie die Parteien übereinstimmend vorgetragen haben, kennt das englische Recht kein quotenmäßiges Pflichtteils- oder Noterbrecht und sieht der Inheritance Act 1975 eine angemessene finanzielle Beteiligung am Nachlass für Abkömmlinge nur bedarfsabhängig nach richterlichem Ermessen vor. Diese nach englischem Recht vorzunehmende Ermessensentscheidung – unter anderem abhängig von der Bedürftigkeit des Abkömmlings und dem letzten Wohnsitz des Erblassers – reichte dem Berufungsgericht für die Feststellung aus, dass das englische Recht der in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG verankerten Garantie einer bedarfsunabhängigen wirtschaftlichen Mindestbeteiligung der Kinder am Nachlass ihrer Eltern entgegensteht. Vor diesem Hintergrund genügte hier eine rechtsvergleichende Betrachtung, wie sie das Berufungsgericht vorgenommen hat.

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Das Berufungsgericht musste keine Feststellungen dazu treffen, ob die englische Rechtsprechung – wovon die Revision ausgeht – die Tendenz haben sollte, nach einer Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalles auch volljährigen Kindern eine Beteiligung am Nachlass zukommen zu lassen (vgl. Hördt, Pflichtteilsrecht und EU-ErbVO, 2019, S. 362 ff.; Röthel in FS v. Hoffmann 2011, S. 348 ff.; Wolff, Pflichtteilsrecht – Forced Heirship – Family Provision, 2011, S. 176 ff.). Hierauf kommt es für den Streitfall nicht an. Ein das Fehlen seines Pflichtteilsrechts kompensierender Unterhaltsanspruch des Klägers würde jedenfalls schon daran scheitern, dass der Erblasser sein letztes Domizil nicht in England oder Wales hatte, wie dies Section 1 (1) Inheritance Act 1975 für die Geltendmachung eines Ausgleichsanspruchs fordert. Der Begriff des „domicile“ ist nicht mit dem deutschen Begriff des Wohnsitzes identisch, sondern wird enger verstanden (vgl. KG IPRspr. 2007 Nr. 163 [juris Rn. 13]; Staudinger/Mankowski, (2010) Vorbem. zu Art. 13 – 17b EGBGB Rn. 20 f.). Insoweit wird zwischen dem ursprünglichen „domicile of origin“ und einem später freiwillig gewählten „domicile of choice“ unterschieden. Letzteres kann begründet werden, wenn sich die betreffende Person an einem Ort mit der Absicht niederlässt, dort für immer oder auf unbestimmte Zeit zu bleiben und nicht mehr in das Land des bisherigen Domizils zurückzukehren. An den Nachweis eines derartigen „domicile of choice“ sind strenge Anforderungen zu stellen (vgl. KG aaO; Staudinger/Mankowski aaO Rn 21). Hier bestehen angesichts der Lebensumstände des Erblassers, der seit mehreren Jahrzehnten in Deutschland ohne erkennbare Rückkehrabsicht nach England lebte, keine Zweifel, dass er sein „domicile“ im Inland hatte.

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(b) Die Feststellungen des Berufungsgerichts zum englischen Recht treffen auch zu. Das englische Recht beschränkt die Dispositionsbefugnis des Erblassers weder durch ein Pflichtteils- noch ein Noterbrecht. Mittelbare Beschränkungen enthält der Inheritance Act 1975. Kindern des Erblassers kann danach auf Antrag ein Unterhaltsanspruch gegen den Nachlass zustehen, wenn es der Verstorbene unterlassen hat, angemessene finanzielle Verfügungen zu treffen („reasonable financial provision“; vgl. Cornelius in Flick/Piltz, Der Internationale Erbfall 2. Aufl. Rn. 579; Henrich in FS Yamauchi, 2006, S. 133, 136; Hördt, Pflichtteilsrecht und EU-ErbVO, 2019, S. 363 f.; Kristic in Schlitt/Müller, Handbuch Pflichtteilsrecht 2. Aufl. § 15 Rn. 224 ff.; Odersky, Die Abwicklung deutsch-englischer Erbfälle, 2001, S. 38; Röthel in FS v. Hoffmann 2011 S. 348, 351 ff.; Süß in Mayer/Süß/Tanck/Bittler, Handbuch Pflichtteilsrecht 4. Aufl. § 19 Rn. 147 f., 156 ff.; Werkmüller, Rechtspolitische und rechtsvergleichende Aspekte des geltenden Pflichtteilsrechts, 2002, S. 42 ff.; Wolff, Pflichtteilsrecht – Forced Heirship – Family Provision, 2011, S. 180 f.). Section 1 (2) (b) Inheritance Act 1975 richtet diese danach aus, welcher Unterhalt in Anbetracht der Umstände als angemessen erscheint. Die Ermessensentscheidung im Einzelfall obliegt den englischen Gerichten, wenn – anders als hier – der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes sein „domicile“ in England oder Wales hatte. Nach englischem Recht bleibt der Kläger am Nachlass des Erblassers bereits aus diesem Grund unbeteiligt.

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(3) Die hier maßgebliche Frage, ob das Fehlen eines Pflichtteilsanspruchs ohne das Eingreifen kompensatorischer Ansprüche des Anspruchstellers nach englischem Recht gegen den deutschen ordre public verstößt, ist umstritten. Eine Auffassung geht davon aus, dass sich ein Durchschlagen des deutschen Pflichtteilsrechts auf andere Rechtsordnungen durch die Anwendung des Art. 35 EuErbVO verbietet (vgl. Ayazi, NJOZ 2018, 1041, 1045 ff.; im Ergebnis offenlassend Herzog, ErbR 2013, 2, 5; zurückhaltend Simon/Buschbaum, NJW 2012, 2393, 2395). Eine andere Ansicht hält einen Verstoß gegen den deutschen ordre public bei einem Pflichtteilsentzug, der sich – wie vorliegend – auf volljährige und wirtschaftlich unabhängige Abkömmlinge beschränkt, im Einzelfall nicht (Ludwig/A. Baetge in jurisPK-BGB, 9. Aufl. Art. 35 EuErbVO Rn. 9, 17, 21 [Stand: 2. März 2022]; Röthel in FS v. Hoffmann 2011, S.  348, 361 f.; Staudinger/Dörner, (2007) EGBGB Art. 25 Rn. 726; Staudinger/Beiderwieden, juris PR-IWR 6/2021 Anm. 2) oder erst dann für gegeben, wenn der Betreffende deshalb der deutschen Sozialhilfe zur Last fällt (MünchKomm-BGB/Dutta, 8. Aufl. EuErbVO Art. 35 Rn. 8 m.w.N.). Die überwiegende Auffassung nimmt demgegenüber – wie auch das Berufungsgericht – an, dass es der in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG verankerten Garantie einer bedarfsunabhängigen wirtschaftlichen Mindestbeteiligung der Kinder am Nachlass ihrer Eltern widerspricht, wenn einem Abkömmling nach dem gewählten Recht kein Anspruch auf Teilhabe am Nachlass zusteht, so dass in diesen Fällen ein offensichtlicher Verstoß gegen den deutschen ordre public vorliegt (vgl. Bauer/Fornasier in Dutta/Weber/Bauer, 2. Aufl. Art. 35 EuErbVO Rn. 11; BeckOGK/J. Schmidt, EuErbVO Art. 35 Rn. 22.2 [Stand: 1. Februar 2022]; Grüneberg/Thorn, BGB 81. Aufl. Art. 35 EuErbVO Rn. 2; Hohloch in FS Leipold, 2009 S. 997, 1005; Köhler in Kroiß/Horn/Solomon, Nachfolgerecht 2. Aufl. Art. 35EuErbVO Rn. 8; Lehmann in Schlitt/Müller, Handbuch Pflichtteilsrecht 2. Aufl. § 14 Rn. 371 – 373; Looschelders in FS v. Hoffmann, 2011, 266, 280; Lorenz in Dutta/Herrler, Die Europäische Erbrechtsverordnung, 2014, Rn. 28; NK-BGB/Looschelders 3. Aufl. Art. 35 EuErbVO Rn. 25; Pintens in Löhnig/Schwab ua (Hrsg), Erbfälle unter Geltung der Europäischen Erbrechtsverordnung, 2014, S. 1, 29; J. Schmidt in Bamberger/Roth/Hau/Posek, 4. Aufl. Art. 35 EuErbVO Rn. 22.2; Soutier, Die Geltung deutscher Rechtsgrundsätze im Anwendungsbereich der Europäischen Erbrechtsverordnung, 2015, S. 223 ff.; Voltz in Staudinger, BGB (2013), Art. 6 EGBGB Rn. 190 [Stand: 31. Mai 2021]; Walther, GPR 2016, 128, 131).

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(4) Die letztgenannte Ansicht trifft jedenfalls für den hier zu beurteilenden Sachverhalt aufgrund seines hinreichend starken Inlandsbezuges zu.

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(a) Allein diese erfüllt die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Anforderungen an eine bedarfsunabhängige wirtschaftliche Mindestbeteiligung der Kinder am Nachlass ihrer Eltern (BVerfGE 112, 332 unter C I 2 [juris Rn. 64 ff.]). Sowohl die erstgenannte als auch die zweitgenannte Ansicht werden diesen Anforderungen nicht gerecht. Eine Absicherung von Kindern, die nur bei einer entsprechenden (Sozialhilfe-)Bedürftigkeit und damit abhängig von Ermessenerwägungen im Einzelfall eingreift, widerspricht dieser in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG verankerten Garantie. Auch Erblasserwille und Testierfreiheit rechtfertigen keinen Ausschluss des Pflichtteilsrechts. Das Pflichtteilsrecht der Kinder setzt der Testierfähigkeit des Erblassers Grenzen (BVerfGE aaO unter C I 3 c [juris Rn. 73]). Zwar ist die Ausgestaltung und die Höhe des Pflichtteilsanspruchs nicht verfassungsrechtlich vorgegeben (BVerfGE aaO unter C I 4 [juris Rn. 76]). Es muss aber eine unentziehbare angemessene Teilhabe der Kinder am Nachlass des Erblassers gewährleistet werden (BVerfGE 112 aaO [juris Rn. 76]). Wenn – wie hier – einem Kind des Erblassers nach ausländischem Recht ein Pflichtteil wegen des fehlenden „domicile“ des Erblassers in England kompensationslos versagt wird oder dieser von nicht vorab festgelegten Kriterien, die nicht bedarfsunabhängig sind, abhängt und in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, ist der Kern des Pflichtteils angetastet. Das ist mit dem deutschen ordre public offensichtlich unvereinbar.

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(b) Ein anderes Verständnis folgt nicht aus den Erwägungsgründen der EuErbVO. Erwägungsgrund 38 Satz 2 EuErbVO stellt klar, dass die Rechtswahl auf das Recht des Staates, dem der Erblasser angehört, beschränkt sein sollte, um zu vermeiden, dass ein Recht mit der Absicht gewählt wird, die berechtigten Erwartungen der Pflichtteilsberechtigten zu vereiteln und auf diese Weise sicherzustellen, dass eine Verbindung zwischen dem Erblasser und dem gewählten Recht besteht. Entgegen der Ansicht der Revision wird diese Wertung nicht unterlaufen, wenn bei der Wahl einer fremden Rechtsordnung gemäß Art. 22 EuErbVO im Einzelfall zu entscheiden ist, ob ein Verstoß gegen den ordre public vorliegt. Die Existenz von Art. 35 EuErbVO neben Art. 22 EuErbVO spricht dafür, dass der europäische Verordnungsgeber den Schutz des Pflichtteilsberechtigten im Einzelfall für geboten erachtet. Nach Erwägungsgrund 58 Satz 2 EuErbVO dürfen die Gerichte eines Mitgliedstaates die Anwendung des Rechts eines anderen Mitgliedstaats zwar nicht aus Gründen der öffentlichen Ordnung ausschließen, wenn dadurch gegen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union verstoßen würde. Dass aus der Nichtanwendung englischen Rechts – ungeachtet der Frage danach, wie es sich auswirkt, dass England nicht Vertragsstaat der Verordnung geworden ist – ein relevanter Verstoß gegen die Grundrechtecharta folgen würde, ist aber nicht anzunehmen.

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(c) Auch aus der Entstehungsgeschichte des Art. 35 EuErbVO ergibt sich nichts Gegenteiliges. Der Kommissionsvorschlag sah in Art. 27 Abs. 2 EuErbVO-E (KOM 2009/0154 endg. – COD 2009/0157) noch vor, dass eine abweichende Regelung des Pflichtteilsanspruchs nicht per se als Verstoß gegen den ordre public qualifiziert werden könne. Der Wegfall der Bestimmung im Verlauf des Legislativverfahrens spricht dafür, dass unterschiedliche Pflichtteilsregelungen unter engen Voraussetzungen die Berufung auf den ordre public rechtfertigen können (vgl. BeckOGK/J. Schmidt, EuErbVO Art. 35 Rn. 22 (Stand: 1. Februar 2022); Burandt/Schmuck in ders./Rojahn, 3. Aufl. EuErbVO Art. 35 Rn. 2 m.w.N.).

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(d) Auch die von der Revision herangezogene Argumentation, es sei nicht richtig, dass sich das deutsche Erbrecht und damit ein Pflichtteilsanspruch gerade und nur in den Fällen durchsetze, in denen die gewählte Zielrechtsordnung ein Pflichtteilsrecht nicht vorsehe, wohingegen es in den Fällen, in denen das gewählte Recht zwar einen Pflichtteilsanspruch vorsehe, dieser jedoch hinter dem deutschen Standard zurück bleibe, mit der Anwendung des Rechts des Zielstaates sein Bewenden habe, rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Sie übersieht, dass Maßstab für einen Verstoß gegen den ordre public die Frage ist, ob das konkrete Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts zu missbilligen ist (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juni 1992 – IX ZR 149/91, BGHZ 118, 312 unter III 4 a [juris Rn. 38]). Eine pauschale Betrachtungsweise verbietet sich insofern.

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(e) Entgegen der Ansicht der Revision steht diesem Verständnis ferner nicht entgegen, dass frühere Entscheidungen das Bestehen eines familiären Pflichtteils- und Noterbrechts nicht zum deutschen ordre public gezählt und das Fehlen eines Pflichtteils im ausländischen Recht nicht beanstandet haben (vgl. RG JW 1912, 22; BGH, Urteil vom 21. April 1993 – XII ZR 248/91, NJW 1993, 1920 [juris Rn. 14]; OLG Hamm ZEV 2005, 436 [juris Rn. 48 ff.]; OLG Köln FamRZ 1976, 170, 172). Auf der Grundlage des von dem Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 112, 332 ff.; BVerfG ZEV 2019, 79 Rn. 13) aufgezeigten Werteverständnis von einer gerechten Nachlassverteilung zugunsten von Kindern hält der Senat diese Ansicht für überholt.

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(f) Soweit im Schrifttum teilweise die Auffassung vertreten wird, ein Verstoß gegen den ordre public sei zu verneinen, wenn das Fehlen des Pflichtteilsanspruchs eines Abkömmlings durch Ersatzmechanismen wie die englische „family provision“ kompensiert werde, (vgl. Andrae in FS v. Hoffmann 2011 S. 3, 15; BeckOGK/J. Schmidt, EuErbVO Art. 35 Rn. 22.2 [Stand: 1. Februar 2022]; MünchKommBGB/Dutta, 8. Aufl. EuErbVO Art. 35 Rn. 8 m.w.N; Obergfell in Hager, Vorweggenommene Vermögensübertragung unter Ausschluss von Pflichtteilsansprüchen, 2013, S. 9, 28 f.), vermag der Senat dem nicht zu folgen. Abgesehen davon, dass hier ein derartiger Kompensationsanspruch mangels „domicile“ des Erblassers in England oder Wales im Todeszeitpunkt nicht in Betracht kommt, unterscheidet sich das englische Recht dadurch grundlegend von der deutschen Rechtsordnung, dass es gerade keine bedarfsunabhängige quotale Beteiligung von Abkömmlingen am Nachlass vorsieht, sondern das Gericht zu prüfen hat, inwieweit die vom Erblasser getroffene Regelung einen vernünftigen finanziellen Ausgleich für den Anspruchsteller enthält. Wird eine derartige „reasonable financial provision“ durch die testamentarische Regelung nicht gewährleistet, kann das zuständige Gericht entsprechende Anordnungen treffen, gegebenenfalls auch durch den Erben an den Angehörigen zu leistende Zahlungen festsetzen. Diese Regelung in Section 2 (1) Inheritance Act ist indessen eine reine Ermessensregelung („the court may“). Ferner hängt das Zuerkennen eines derartigen Ausgleichsanspruchs von zahlreichen Faktoren des Einzelfalles ab, wie sie in Section 3 (1) Inheritance Act aufgelistet werden, so finanzielle Ressourcen und Bedürfnisse des Antragstellers, weiterer Antragsteller und des Erben, Art und Größe des Nachlasses, körperliche oder geistige Beeinträchtigungen des Antragstellers und des Erben (vgl. hierzu Kristic in Schlitt/Müller, Handbuch Pflichtteilsrecht, 2. Aufl. § 15 Rn. 224 ff.). Insbesondere bei volljährigen Kindern mit eigenem Einkommen sind englische Gerichte mit dem Zuerkennen eines Anspruchs eher zurückhaltend (vgl. Kristic aaO Rn. 234). Das englische Recht bleibt somit in seiner gesetzlichen und konkreten Ausgestaltung hinter dem verfassungsrechtlich verbürgten Pflichtteilsanspruch von Kindern nach deutschem Recht in einer mit dem deutschen ordre public nicht zu vereinbarenden Art und Weise zurück.

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(5) Die Nichtanwendung des an sich berufenen ausländischen Rechts infolge offensichtlicher Unvereinbarkeit mit der öffentlichen Ordnung des Staates des angerufenen Gerichts setzt ferner voraus, dass der zu beurteilende Sachverhalt eine hinreichend starke Inlandsbeziehung aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 11. Oktober 2006 – XII ZR 79/04, BGHZ 169, 240, unter III 4 c [juris Rn. 50]; ferner BVerfG, NJW 1971, 1509 unter C III 3 [juris Rn. 43]; Andrae in FS v. Hoffmann S. 3, 15; Köhler in Kroiß/Horn/Solomon, Nachfolgerecht, 2. Aufl. Art. 35 EuErbVO Rn. 5 m.w.N.). Diese hat das Berufungsgericht hier rechtsfehlerfrei angenommen. Die zu schützenden Familienbeziehungen des Erblassers hatten ihren Mittelpunkt in Deutschland. Sowohl der Kläger als auch der Erblasser haben bzw. hatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt zum Zeitpunkt des Erbfalls in Deutschland, der Erblasser bereits seit mehr als 50 Jahren. Dort befand sich auch das Vermögen des Erblassers. Der Kläger besitzt zudem die deutsche Staatsangehörigkeit.

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cc) Ein Verstoß gegen den ordre public hat zur Folge, dass die ausländische Rechtsnorm im konkreten Fall keine Anwendung findet. Um zu gewährleisten, dass möglichst geringfügig in das ansonsten weiterhin anzuwendende ausländische Recht eingegriffen wird, sind Lücken zunächst unter Zuhilfenahme der lex causae zu schließen. Die lex fori ist nur hilfsweise als Ersatzrecht anzuwenden (BGH, Urteil vom 11. Oktober 2006 – XII ZR 79/04, BGHZ 169, 240, unter III 4 c [juris Rn. 50]; Beschluss vom 14. Oktober 1992 – XII ZB 18/92, BGHZ 120, 29, unter II 6 [juris Rn. 21]; Pfundstein, Pflichtteil und ordre public, 2010, Rn. 531; Soutier, Die Geltung deutscher Rechtsgrundsätze im Anwendungsbereich der Europäischen Erbrechtsverordnung, 2015, S. 225 ff.; Stürner, GPR 2014, 317, 324). So liegt der Fall nach den aus Rechtsgründen nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts hier. Da das englische Recht keinen den Anforderungen des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG genügenden Anspruch des Klägers auf Teilhabe am Nachlass vorsieht, lässt sich diesem für den hier vorliegenden Fall keine dem deutschen Rechtsverständnis entsprechende äquivalente Lösung entnehmen. Dementsprechend bedarf es des Rückgriffs auf das deutsche Pflichtteilsrecht.

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dd) Ferner ist kein Vorabentscheidungsverfahren an den Gerichtshof der Europäischen Union veranlasst. Es geht hier gerade nicht um die Auslegung einer Norm der Europäischen Erbrechtsverordnung im europarechtlichen Kontext. Die Besonderheit des Art. 35 EuErbVO liegt gerade darin, dass die Anwendung des an sich nach der Europäischen Erbrechtsverordnung berufenen Rechts ausscheidet, weil dessen Anwendung mit der öffentlichen Ordnung des Staates des angerufenen Gerichts offensichtlich unvereinbar wäre. Diese Frage kann nur von dem nationalen Gericht für das jeweilige nationale Recht beantwortet werden.

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2. Das Berufungsgericht hat ferner zu Recht angenommen, dass dem Kläger als Pflichtteilsberechtigtem gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 1, Satz 3 BGB ein Anspruch auf Auskunftserteilung über den Bestand des Nachlasses des Erblassers zum Zeitpunkt des Erbfalls durch notarielles Nachlassverzeichnis zusteht, der gemäß § 2325 BGB auch ergänzungspflichtige Schenkungen innerhalb der letzten zehn Jahre vor dem Erbfall erfasst. Gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB hat er darüber hinaus einen Anspruch auf Wertermittlung der im Einzelnen bezeichneten Nachlassgegenstände.

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Nach dem Testament ist die Beklagte Alleinerbin geworden. Der Kläger als Adoptivsohn des Erblassers ist pflichtteilsberechtigt gemäß §§ 2303 Abs. 1, 1754 Abs. 1, 1755 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 12 § 2 Abs. 2, Abs. 3, § 3 Abs. 1 AdoptG und von der Erbfolge ausgeschlossen. Mit ihrer Rüge gemäß § 286 ZPO, das Berufungsgericht habe keine Feststellungen dazu getroffen, ob dem Kläger nach dem Inhalt des Adoptionsvertrags ein Pflichtteilsrecht zustehe, vermag die Beklagte nicht durchzudringen. Zwar trifft es zu, dass die notarielle Urkunde vom 30. Oktober 1975 die Regelung enthält, dass die Erb- und Pflichtteilsrechte für den Kläger nach dem Erstversterbenden der annehmenden Eheleute ausgeschlossen sind. Entgegen der Auffassung der Revision steht diese Regelung einem Pflichtteilsrecht des Klägers aber nicht entgegen. Da der Kläger beim Inkrafttreten des Adoptionsgesetzes am 1. Januar 1977 noch minderjährig war, wurde das Annahmeverhältnis gemäß Art. 12 § 2 Abs. 1, Abs. 2 AdoptG (vgl. zu dessen Verfassungsmäßigkeit BVerfG NJW 2003, 2600) grundsätzlich ab dem 1. Januar 1978 in ein solches gemäß §§ 1741 ff. BGB übergeleitet. Dies hat zur Folge, dass der Erbrechts- und Pflichtteilsrechtsausschluss, der im Annahmevertrag gemäß § 1767 Abs. 1 BGB in der seinerzeit gültigen Fassung erfolgt war, mit der Überleitung seine Wirksamkeit verlor, sofern kein Widerspruch nach Art. 12 § 2 Abs. 2 Satz 2 AdoptG ausdrücklich erklärt worden war (Müller-Engels in Münch, Familienrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis 3. Aufl. § 14 Rn. 56).

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Der ausdrücklich zu erklärende Widerspruch ist ein rechtsvernichtender Umstand, für den der Beklagten nach allgemeinen Grundsätzen der Nachweis obliegt (vgl. BGH, Urteil vom 13. November 1998 – V ZR 386/97, NJW 1999, 352, unter II 3 b aa [juris Rn. 13]; Musielak/Voit/Foerste, ZPO 18. Aufl. § 286 Rn. 35). Die Revision legt insoweit nicht dar, dass das Berufungsgericht substantiierten Vortrag der Beklagten zu einem Widerspruch nach Art. 12 § 2 Abs. 2 Satz 2 AdoptG verfahrensordnungswidrig übergangen hätte. Erstinstanzlich hat die Beklagte lediglich mit Nichtwissen bestritten, dass es sich bei dem Kläger um einen Adoptivsohn des Erblassers handelt und dessen Aktivlegitimation in Abrede gestellt. Irgendeinen Tatsachenvortrag zu Art. 12 § 2 Abs. 2 Satz 2 AdoptG hat die Beklagte in den Instanzen nicht gehalten. Das Berufungsgericht hat auch nicht – wie die Beklagte meint – gegen § 139 ZPO verstoßen, indem es vor seiner Entscheidung gehörswidrig nicht auf eine sekundäre Darlegungslast des Klägers hingewiesen hat. Die sekundäre Darlegungslast entsteht erst dann, wenn die primär darlegungs- und beweisbelastete Partei Anknüpfungstatsachen schlüssig vorgetragen hat und sich daraus eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit ihres Vortrags ergibt (vgl. Senatsurteil vom 17. Dezember 2014 – IV ZR 90/13, VersR 2015, 271 Rn. 21). Daran fehlt es.

  • Prof. Dr. Karczewski
  • Dr. Brockmöller
  • Dr. Bußmann
  • Rust
  • Piontek