Beschluss des BPatG München 28. Senat vom 03.06.2022, AZ 28 W (pat) 504/20

BPatG München 28. Senat, Beschluss vom 03.06.2022, AZ 28 W (pat) 504/20, ECLI:DE:BPatG:2022:030622B28Wpat504.20.0

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2019 110 274.6

hat der 28. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 3. Juni 2022 unter Mitwirkung des Richters Schödel und der Richterinnen Uhlmann und Berner

beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

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Die Bezeichnung

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Die grüne Genossenschaft

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ist am 7. August 2019 zur Eintragung als Marke in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register unter der Nummer 30 2019 110 274.6 angemeldet worden für die folgenden Waren und Dienstleistungen der

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Klasse 33: alkoholische Präparate für die Zubereitung von Getränken; alkoholische Getränke, ausgenommen Bier;

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Klasse 41: Verlags- und Berichtswesen; Bildung, Erziehung, Unterhaltung und Sport; Verleih, Vermietung und Verpachtung von Gegenständen in Zusammenhang mit der Erbringung der vorgenannten Dienstleistungen, soweit in dieser Klasse enthalten; Beratung und Information in Bezug auf vorgenannte Dienstleistungen, soweit in dieser Klasse enthalten;

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Klasse 43: Vorübergehende Beherbergung von Gästen; Vermietung von Möbeln, Haushaltswäsche und Tafelzubehör; Verpflegung von Gästen; Verleih, Vermietung und Verpachtung von Gegenständen in Zusammenhang mit der Erbringung der vorgenannten Dienstleistungen, soweit in dieser Klasse enthalten; Beratung und Information in Bezug auf vorgenannte Dienstleistungen, soweit in dieser Klasse enthalten.

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Mit Beschluss vom 12. November 2019 hat die Markenstelle für Klasse 41 durch einen Beamten des gehobenen Dienstes die Anmeldung gemäß §§ 37 Abs. 1, 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG wegen fehlender Unterscheidungskraft zurückgewiesen.

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Zur Begründung hat sie ausgeführt, die angemeldete Wortfolge „Die grüne Genossenschaft“ bestehe aus geläufigen Wörtern der deutschen Gegenwartssprache, die grammatikalisch korrekt zu einer in keiner Weise ungewöhnlichen Kombination zusammengefasst seien. Die Wortfolge sei ohne Weiteres unmittelbar verständlich im Sinne einer Genossenschaft, also einer Gesellschaft von nicht geschlossener Mitgliederzahl mit dem Zweck, den Erwerb oder die Wirtschaft ihrer Mitglieder oder deren soziale oder kulturelle Belange mittels gemeinschaftlichen Geschäftsbetriebes zu fördern, die ein nachhaltiges, ökologisches Geschäftsmodell verfolge. Entsprechende Bezeichnungen wie „Grüne Unternehmen“, „Green Economy“, „grüne Bank“ oder „grüne Versicherung“ für Betriebe, die mit ihren Produkten und Dienstleistungen einen Beitrag zum Umweltschutz oder zur Nachhaltigkeit leisteten, seien gebräuchlich. Ihre beschreibende Verwendung lasse sich belegen. Die Waren der Klasse 33 könnten durch eine genossenschaftliche Kooperation, z. B. eine Einkaufsgenossenschaft, Genossenschaftsbrauerei bzw. -brennerei oder Winzergenossenschaft insbesondere unter Einsatz von Bio- und Naturprodukten oder nachhaltiger umweltschonender Arbeits- und Vorgehensweisen hergestellt werden, z. B. unter Nutzung erneuerbarer Energieträger mit regionaler Vermarktung. Dies spare (fossilen) Treibstoff und schädliche Emissionen, könne also als „grünes“ Denken und Handeln bezeichnet werden. Im Hinblick auf die Dienstleistungen der Klasse 41 könne der beschreibende Aussagegehalt der Bezeichnung „Die grüne Genossenschaft“ auf die nachhaltige Betriebsführung, etwa einer Bildungsgenossenschaft oder eines genossenschaftlich organisierten Veröffentlichungswesens, z. B. eines Verlages, hinweisen. Deren Produkte könnten über grüne Themen informieren, was einem Hinweis auf Gegenstand, Inhalt und Thematik der Dienstleistungen gleichkomme. Für die Dienstleistungen der Klasse 43 stehe der beschreibende Bezug der Marke für Nachhaltigkeit in der Hotellerie und Gastronomie im Vordergrund. Daher werde der Verkehr die Wortfolge „Die grüne Genossenschaft“ im Zusammenhang mit sämtlichen beanspruchten Waren und Dienstleistungen lediglich als branchenüblichen, beschreibenden Hinweis auf eine nachhaltig wirtschaftende, genossenschaftlich organisierte Herstellungs- und/oder Vertriebsstätte sowie auf die Beschaffenheit (aus nachhaltigem Anbau) der Waren und Dienstleistungen verstehen.

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Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Anmelderin. Sie trägt vor, das Wort „grün“ bezeichne eine bestimmte Farbe. Erst bei weiterem Nachdenken könne der Farbe der von der Markenstelle beschriebene Inhalt beigemessen werden. Die angemeldete Wortfolge löse beim angesprochenen Verkehr im Gegenteil eine gewisse Irritation aus, da eine Genossenschaft nicht mittels einer Farbe beschreibbar sei. Dadurch werde sie sich dem Verbraucher einprägen und zu einer Wiedererkennung führen. Der Umstand allein, dass die Bedeutung der Wortfolge sich dem Verbraucher unmittelbar erschließe, sei für die Beurteilung ihrer Unterscheidungskraft irrelevant. Denn auch die Bedeutung des Begriffs „Puma“ sei dem Verkehr bekannt, gleichwohl sei er für Sportbekleidung unterscheidungskräftig. Maßgeblich sei der Bezug zu den beanspruchten Waren und Dienstleistungen, den die Markenstelle aber nicht überzeugend dargelegt habe. Der Hinweis auf die genossenschaftliche Produktion unter Nutzung erneuerbarer Energien erschließe sich bei einem alkoholischen Getränk erst nach einer Vielzahl von Gedankenschritten. Gleiches gelte für die in den Klassen 41 und 43 angemeldeten Dienstleistungen. Die Dienstleistungen in den Bereichen Unterhaltung und Sport stünden in keinerlei Zusammenhang zu den Themen Nachhaltigkeit oder Ökologie, ebenso wenig die beanspruchten Beherbergungsdienstleistungen. Dies gelte auch im Hinblick auf die Entscheidung des BGH „HOUSE OF BLUES“, wonach die Verwendung der Bezeichnung eines Geschäftsbetriebs als Markenzeichen keine Bezeichnung der in einem solchen Geschäftsbetrieb hergestellten Waren darstelle. Zudem existiere eine Reihe von ähnlich gebildeten Voreintragungen mit dem Bestandteil „grün“, die ein Indiz für die Unterscheidungskraft der Wortfolge seien.

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Die Beschwerdeführerin beantragt sinngemäß,

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den Beschluss der Markenstelle für Klasse 41 des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 12. November 2019 aufzuheben.

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In der Ladung zum Termin zur mündlichen Verhandlung vom 18. März 2022 hat der Senat unter Beifügung von Recherchebelegen darauf hingewiesen, dass er die angemeldete Wortfolge für nicht schutzfähig erachtet. Die Anmelderin hat daraufhin ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurückgenommen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

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Die nach §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 MarkenG zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die angemeldete Wortfolge ist zu Recht zurückgewiesen worden, denn es mangelt ihr für die beanspruchten Waren und Dienstleistungen an der notwendigen Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG.

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Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese Waren oder Dienstleistungen somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet (EuGH GRUR 2015, 1198 Rn. 59 f. – Nestlé/Cadbury [Kit Kat]; BGH GRUR 2020, 411 Rn. 10 – #darferdas? II; GRUR 2018, 301 Rn. 11 – Pippi-Langstrumpf-Marke; GRUR 2016, 934 Rn. 9 – OUI). Denn die Hauptfunktion der Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen zu gewährleisten (EuGH GRUR 2010, 228 Rn. 33 – Audi AG/HABM [Vorsprung durch Technik]; BGH a. a. O. – #darferdas? II; a. a. O. – OUI). Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden (BGH a. a. O. – Pippi-Langstrumpf-Marke). Ebenso ist zu berücksichtigen, dass der Verkehr ein als Marke verwendetes Zeichen in seiner Gesamtheit mit allen seinen Bestandteilen so aufnimmt, wie es ihm entgegentritt, ohne es einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (EuGH GRUR 2004, 428 Rn. 53 – Henkel; BGH a. a. O. Rn. 15 – Pippi-Langstrumpf-Marke). Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft zum relevanten Anmeldezeitpunkt (BGH GRUR 2013, 1143 Rn. 15 Aus Akten werden Fakten) sind einerseits die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen und andererseits die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise, wobei auf die Wahrnehmung des Handels und/oder des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers der fraglichen Waren oder Dienstleistungen abzustellen ist (EuGH GRUR 2006, 411 Rn. 24 – Matratzen Concord/Hukla; BGH GRUR 2014, 376 Rn. 11 – grill meister).

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Ausgehend hiervon besitzen Wortzeichen dann keine Unterscheidungskraft, wenn ihnen die angesprochenen Verkehrskreise lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen (EuGH GRUR 2004, 674 Rn. 86 – Postkantoor; BGH a. a. O. Rn. 8 – #darferdas? I; GRUR 2012, 270 Rn. 11 – Link economy) oder wenn diese aus gebräuchlichen Wörtern oder Wendungen der deutschen Sprache oder einer bekannten Fremdsprache bestehen, die vom Verkehr – etwa auch wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung – stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werden (BGH a. a. O. – #darferdas? I; a. a. O. Rn. 12 – OUI; GRUR 2014, 872 Rn. 21 – Gute Laune Drops). Darüber hinaus besitzen keine Unterscheidungskraft vor allem auch Angaben, die sich auf Umstände beziehen, die die beanspruchte Ware oder Dienstleistung zwar selbst nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird und deshalb die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Verkehr den beschreibenden Begriffsinhalt ohne weiteres erfasst und in der Bezeichnung kein Unterscheidungsmittel für deren Herkunft sieht (BGH a. a. O. – #darferdas? I; a. a. O. – Pippi- Langstrumpf-Marke). Hierfür reicht es aus, dass ein Wortzeichen, selbst wenn es bislang für die beanspruchten Waren und Dienstleistungen nicht beschreibend verwendet wurde oder es sich gar um eine sprachliche Neuschöpfung handelt, in einer seiner möglichen Bedeutungen ein Merkmal dieser Waren und Dienstleistungen bezeichnen kann (EuGH GRUR 2004, 146 Rn. 32 – DOUBLEMINT; BGH GRUR 2014, 569 Rn. 18 – HOT); dies gilt auch für ein zusammengesetztes Zeichen, das aus mehreren Begriffen besteht, die nach diesen Vorgaben für sich genommen schutzunfähig sind. Der Charakter einer Sachangabe entfällt bei der Zusammenfügung beschreibender Begriffe jedoch dann, wenn die beschreibenden Angaben durch die Kombination eine ungewöhnliche Änderung erfahren, die hinreichend weit von der Sachangabe wegführt (EuGH MarkenR 2007, 204 Rn. 77 f. – CELLTECH; BGH GRUR 2014, 1204 Rn. 16 – DüsseldorfCongress).

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Diesen Anforderungen an die Unterscheidungskraft im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG genügt die Bezeichnung
„Die grüne Genossenschaft“ in Bezug auf die angemeldeten Waren und Dienstleistungen nicht, denn sie wird von den angesprochenen Verkehrskreisen insoweit nur als Sachaussage aufgefasst.

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a) Von den beanspruchten Waren und Dienstleistungen werden die breiten, allgemeinen Verkehrskreise der Verbraucher sowie die Fachkreise des Getränkehandels und Betreiber von Erziehungs- und Bildungseinrichtungen sowie von Hotellerie- und Gastronomiebetrieben angesprochen.

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b) Die Wortfolge „Die grüne Genossenschaft“ setzt sich sprachüblich aus dem Substantiv „Genossenschaft“ mit vorangestelltem, grammatikalisch korrektem direktem Artikel „Die“ und dem Adjektiv „grüne“ zusammen. Der Verkehr versteht unter einer Genossenschaft einen Zusammenschluss von Personen oder Unternehmen mit dem Zweck, den Erwerb oder die Wirtschaft ihrer Mitglieder oder deren soziale oder kulturelle Belange mittels gemeinschaftlichen Geschäftsbetriebes zu fördern (vgl. § 1 Abs. 1 GenG). Wie die Markenstelle zutreffend festgestellt hat, steht das Adjektiv „grün“ nicht nur für eine Farbe, sondern hat sich bereits im Anmeldezeitpunkt, dem 7. August 2019, und lange davor als Kurzbegriff in der Bedeutung „dem Umweltschutz verpflichtet, ihn fördernd“ etabliert (Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 4. Auflage Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich 2001). Im Bereich der Wirtschaft ist der Begriff als beschreibendes Adjektiv in dieser Bedeutung weit verbreitet, so spricht man von „grünen Unternehmen“, „grünen Start-ups“, „grünem Geld“, „grünen Dienstleistungen“ „grüner Zukunft“ etc. (s. Anlagen zur Terminsladung).

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c) Die angesprochenen Verkehrskreise werden die Wortfolge daher ohne gedankliche Zwischenschritte unmittelbar als dahingehende sachliche Angabe verstehen, dass die so gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen von einem partnerschaftlichen Zusammenschluss von Personen und Unternehmen angeboten werden, der sich nachhaltiges und umweltschonendes Wirtschaften für seine Mitglieder zum Ziel gesetzt hat, bzw. dessen Mitglieder diese Ziele verfolgen.

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d) Sämtliche Waren und Dienstleistungen können von einer Genossenschaft – sei es für ihre Mitglieder wie die in den Klassen 41 und 43 genannten Beratungsleistungen – sei es für Dritte als Vertriebspartner oder Vermittler der Mitglieder oder Verbraucher angeboten werden. Genossenschaften dienen nicht nur der gemeinsamen Produktion bzw. dem gemeinsamen Vertrieb, sondern bieten regelmäßig auch Beratungs- und sonstige Unterstützungsleistungen für ihre Mitglieder an. Gerade Genossenschaften werben damit, nachhaltig zu wirtschaften, wie sich aus den der Beschwerdeführerin übersandten Recherchebelegen des Senats, auf die verwiesen wird, ergibt. So wird in der Presseerklärung des ICA zum Internationalen Tag der Genossenschaften 2016 mit dem Slogan „Genossenschaften: Die treibende Kraft für eine nachhaltige Zukunft!“ geworben und Genossenschaften werden als nachhaltige Unternehmen bezeichnet (www.zdk-hamburg.de/blog/2016/06/genossenschaften-sind-nachhaltige-unternehmen, s. Anlagen zur Terminsladung)

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aa) Hinsichtlich der in Klasse 33 beanspruchten alkoholischen Präparate und Getränke sind die beteiligten Verkehrskreise daran gewöhnt, dass diese nicht nur von einzelnen Unternehmen, sondern auch von Unternehmensverbänden in der Form von Genossenschaften hergestellt und angeboten werden. Gerade kleinere Winzer, für deren geringe Produktionsmengen die individuelle Verarbeitung unwirtschaftlich wäre, schließen sich seit vielen Jahrzehnten in Winzergenossenschaften zusammen, um Herstellung und Vertrieb ihrer Weine zu bündeln. Der Verbraucher, der die Wortfolge „Die grüne Genossenschaft“ auf den Waren sieht, wird sie ohne gedankliche Zwischenschritte als werbende Sachangabe dahingehend verstehen, dass die betreffenden Präparate und Getränke durch eine Genossenschaft, die dem Umweltschutz verpflichtet ist, unter Beachtung von Kriterien der Nachhaltigkeit hergestellt und vertrieben werden. Er verbindet damit eine Sachaussage über die Qualität und die Herstellungskriterien der mit ihr bezeichneten Waren und keinen Hinweis auf die Herkunft aus einem einzelnen Unternehmen. Soweit die Beschwerdeführerin dies unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (GRUR 1999, 988, 990 – HOUSE OF BLUES) anzweifelt, verkennt sie den Unterschied im Bedeutungsgehalt der Begriffe. Der Bundesgerichtshof hat in der betreffenden Entscheidung klargestellt, dass ein Freihaltebedürfnis im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG für die Bezeichnung einer Herstellungs- und Vertriebsstätte sich nicht ohne weiteres auf die Bezeichnung für die dort vertriebenen Waren erstreckt, sondern der beschreibende Charakter einer Bezeichnung gesondert für jede einzelne Ware und Dienstleistung festgestellt werden muss. Bei der angemeldeten Wortfolge handelt es sich jedoch nicht um einen Hinweis auf eine Herstellungs- oder Vertriebsstätte, also eine Räumlichkeit im weitesten Sinn, sondern auf Eigenschaften und Handlungsgrundsätze des Herstellers, nämlich dessen genossenschaftliche Struktur und seine Ausrichtung auf nachhaltiges Wirtschaften, die eine unmittelbare und für den Verbraucher relevante Sachaussage über die hergestellten Waren beinhalten.

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bb) Im Zusammenhang mit den Dienstleistungen der Klasse 41 “
Verlags- und Berichtswesen“ kann der Begriff sowohl als Herkunftsangabe als auch als Angabe zur inhaltlichen Ausrichtung der Verlagstitel im Sinn von Werken über eine nachhaltig wirtschaftende Genossenschaft verstanden werden. Für die Dienstleistungen “
Erziehung, Unterhaltung und Sport„, sowie die damit in Zusammenhang stehenden Vermietungs-, Verpachtungs-, Beratungs- und Informationsdienstleistungen werden die angesprochenen Verkehrskreise die Wortfolge ebenfalls nur als Hinweis darauf verstehen, dass die Dienstleistungen von einer die Umwelt schützenden Genossenschaft bzw. von deren Mitgliedern oder für deren Mitglieder und deshalb zu für ihre Mitglieder fairen Bedingungen erbracht werden und im Einklang mit Anforderungen an den Umweltschutz stehen. Nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch im Freizeitbereich sind die Themen Umweltschutz und Nachhaltigkeit, für die der Kurzbegriff „grün“ steht, seit Jahren im Bewusstsein der Verbraucher präsent. So wurde bereits vor dem Anmeldezeitpunkt für „grün feiern gehen“, „nachhaltige Events in München“, sowie die Organisation von „green events“ geworben. Nachhaltige Sportgroßveranstaltungen waren bereits 2010 Thema des 18. Symposiums zur nachhaltigen Entwicklung des Sports des Deutschen Olympischen Sportbunds (s. Anlagen zur Terminsladung).

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cc) Nichts anderes gilt für die Dienstleistungen der Klasse 43, die die Beherbergung und Verpflegung von Gästen sowie Unterstützungs- sowie Beratungsleistungen im Zusammenhang mit diesen Leistungen umfassen. Die angesprochenen Verbraucher werden die Wortfolge nicht als Hinweis auf einen bestimmten Anbieter, sondern als Sachaussage dahingehend verstehen, dass die Leistungen von einer der Umwelt verpflichteten, diese bewahrenden Genossenschaft bzw. deren Mitgliedern angeboten werden und damit im Einklang mit dem Umweltschutz stehen. Denn grüner Tourismus ist schon seit Jahren ein wichtiges Thema in der Tourismusbranche (https://www.lonelyplanet.de/magazin/planet-erde/gruener-tourismus-urlaub-mit-gutem-gewissen.html, s. Anlagen zur Terminsladung).

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e) Dass der Begriff keine eindeutige Vorstellung davon vermittelt, welche konkreten Produktions– und Vertriebsmethoden zum Schutz der Umwelt ergriffen werden, steht dem Verständnis als werbende Sachangabe nicht entgegen. Denn auch relativ vage und allgemeine Informationen können als eine an die angesprochenen Verkehrskreise gerichtete Sachinformationen zu bewerten sein. Eine gewisse Allgemeinheit und Unschärfe ist bei, wie hier, eher „reklamehaften“ Informationen sogar unvermeidbar, um den gewünschten, möglichst breiten Bereich waren- bzw. dienstleistungsbezogener Eigenschaften beschreibend erfassen zu können (BGH GRUR 2008,900, Rn. 13 – SPA II; BGH GRUR 2009, 952, Rn. 17 – Willkommen im Leben; BGH GRUR 2012, 276 – Institut der Norddeutschen Wirtschaft e.V.; BPatG 24 W (pat) 532/14 – Futuring).

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f) Die von der Beschwerdeführerin zitierten Voreintragungen sind nicht geeignet, die Bewertung der mangelnden Eintragungsfähigkeit der Wortfolge zu ändern.

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Nach übereinstimmender höchstrichterlicher Rechtsprechung lässt sich aus Voreintragungen ähnlicher oder übereinstimmender Marken grundsätzlich kein Schutzgewährungsanspruch herleiten, da es sich bei der Entscheidung über die Schutzfähigkeit einer Marke nicht um eine Ermessens-, sondern um eine gebundene Entscheidung handelt, die jeweils einer auf den Einzelfall bezogenen Prüfung unterliegt (so z.B. EuGH GRUR 2009, 667, Nr. 18 – Bild.t-online.de; BGH GRUR 2012, 276, Nr. 18 – Institut der Norddeutschen Wirtschaft e.V.).

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Aber auch eine abweichende Einordnung des Begriffs „grün“ lässt sich aus den Eintragungen nicht ablesen. Die Eintragungen der Wortmarken „Grüne Chirurgie“ (301 49 938), „DER GRÜNE DIENST“ (303 10 787), „DER GRÜNE PROFI“ (303 28 968) sind in den Jahre 2001 bis 2004 erfolgt. Ihnen lag möglicherweise noch ein anderes Verkehrsverständnis zugrunde als im Anmeldezeitpunkt. Die Wortfolge „DAS GRÜNE MEDIENHAUS“ (30 2010 022 089, Eintragung 2010) betrifft abweichende Dienstleistungen, ebenso die Wortkombinationen „GRÜNE SMOOTHIES“ (30 2011 003 294, Eintragung 2011) und „GRÜNE WERKSTATT“ (30 2016 236 251, Eintragung 2017). Die Wortfolge „GRÜNE LIEBE“ (30 2019 215 794) ist wegen des nicht waren- oder dienstleistungsbeschreibenden Begriffs „Liebe“ sprachlich abweichend gebildet und betrifft ebenfalls einen abweichenden Warenkatalog.

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Zudem kann es sich bei diesen Marken um rechtswidrig vorgenommene Eintragungen oder um Eintragungen vor Eintritt einer Richtlinien- oder Rechtsprechungsänderung handeln. Niemand kann sich auf eine fehlerhafte Rechtsanwendung zugunsten eines anderen berufen, um eine identische Entscheidung zu erlangen (EuGH GRUR 2009, 667, 668 Rdnr. 18 – Volks.Handy, Volks.Camcorder, Volks.Kredit und SCHWABENPOST). Für die erforderliche Bereinigung des Markenregisters sieht das Gesetz das Löschungsverfahren vor, das von jedermann eingeleitet werden kann (BPatG 26 W (pat) 67/13 – BWnet).