Beschluss des BPatG München 30. Senat vom 24.03.2022, AZ 30 W (pat) 701/20

BPatG München 30. Senat, Beschluss vom 24.03.2022, AZ 30 W (pat) 701/20, ECLI:DE:BPatG:2022:240322B30Wpat701.20.0

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Designanmeldung 40 2019 000 356.4

hat der 30. Senat (Marken- und Design-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 24. März 2022 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Hacker sowie der Richterin Dr. Weitzel und des Richters Merzbach

beschlossen:

Auf die Beschwerde des Anmelders wird der Beschluss der Designstelle des Deutschen Patent- und Markenamts vom 29. Januar 2020 aufgehoben.

Gründe

I.

1

Am 15. April 2019 hat der Anmelder beim Deutschen Patent- und Markenamt die verfahrensgegenständlichen 14 Designs als Sammelanmeldung wie folgt angemeldet:

2

Die Anmeldung erfolgte auf drei Blättern mit den Darstellungen 1-6, 7-11 und 12-14. Auf den Blättern befindet sich jeweils folgende Überschrift (Beispiel Blatt eins):

3

Auf dem Anmeldeformular ist das Feld „Erzeugnisangabe“ nicht ausgefüllt, ebenso das Feld „Klassifizierung/Warenklassen (optional)“.

4

Am 15. Juli 2019 hat der Anmelder verschiedene Schriftstücke beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereicht. Aus diesen geht im Wesentlichen hervor, dass es sich bei den angemeldeten Darstellungen um Designs für die „Scheibensicherung“ handele, welche verhindern solle, dass hochhackige Schuhe beim Gehen seitlich umkippen bzw. dass die Absätze abbrechen.

5

Mit Bescheid vom 7. Oktober 2019 hat die Designstelle die Zurückweisung der Anmeldung wegen fehlender Designfähigkeit angekündigt. Die Anmeldung vermittele insgesamt den Eindruck, dass nicht ein konkret gestaltetes Erzeugnis, sondern eine abstrakte Idee Gegenstand des Schutzes sein solle.

6

Am 26. November 2019 hat der Anmelder weitere „Designs für die Scheibensicherung“ eingereicht, welche grundsätzlich den Anmeldeformen entsprechen, sich aber in Ausgestaltung (u.a. schärfere Umrisse) und Farbgestaltung (weiß statt schwarz) von diesen unterscheiden. Weitere Abbildungen zeigen Schuhe mit neuartigen Formen für die „Scheibensicherung“, z.B. ein gelber Schmetterling und weiße Scheiben (rund), die am Rand verschiedenartig gezackt sind. Zudem hat der Anmelder Unterlagen für eine Gebrauchsmusteranmeldung einschließlich technischer Zeichnungen und einer technischen Beschreibung der „Scheibensicherung“ eingereicht.

7

Die Designstelle hat die Anmeldung mit Beschluss vom 29. Januar 2020 wegen fehlender Designfähigkeit gemäß § 18 DesignG i.V.m. § 1 Nr. 1 und 2 DesignG zurückgewiesen.

8

Die Wiedergabe der zum Schutz angemeldeten Designs zeigten keine konkrete Erscheinungsform und somit keinen dem Designschutz zugänglichen Schutzgegenstand. Die ursprünglich eingereichten Fotografien zeigten verschiedene geometrische Grundformen, welche keinen konkreten gegenständlichen Bezug erkennen ließen. Ein konkreter Schutzgegenstand lasse sich bei diesen – auch durch Auslegung unter Heranziehung der übrigen Anmeldeunterlagen – nicht ermitteln. Vielmehr erwecke die Darstellung den Eindruck, dass es sich bei den gezeigten Gestaltungen um „Prototypen“ handele, welche sich noch im Entwicklungsstadium befänden. Hierfür spreche auch, dass der Anmelder zuletzt Fotografien von neuen Gestaltungen eingereicht habe. Es werde daher der Eindruck erweckt, dass es dem Anmelder nicht primär auf die konkrete Gestaltung der abgebildeten Gegenstände ankomme.

9

In dem Begleitschreiben stelle der Anmelder überdies vornehmlich auf die funktionellen Aspekte des hier in Rede stehenden Designs ab. Diese sollten dem Ziel dienen, die Absätze von Damenschuhen robuster und stabiler zu gestalten. Darüber hinaus habe der Anmelder eine Gebrauchsmusteranmeldung nebst technischer Beschreibung und Schutzansprüchen beigefügt. In der Gesamtschau liege deshalb die Vermutung nahe, dass der Anmelder vornehmlich eine technische Idee zum Schutz anmelden wolle.

10

Hiergegen wendet sich der Anmelder mit einem am 2. März 2020 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingegangenen Schreiben, in dem er keinen Antrag zur Sache stellt.

11

Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, maßgeblich seien die mit der Anmeldung vom 15. April 2019 eingereichten Abb. 1-14. Dies seien Designs i.S.d. § 1 DesignG, die aus Gummi bestünden und als Ausgestaltungen einer „Scheibensicherung“ an hochhackigen Schuhen angebracht würden. Insofern sei auch der Schutzgegenstand konkret bestimmt. Überdies seien die aus Abb. 1-14 ersichtlichen Formen nicht ausschließlich technisch bedingt. Die Funktion der „Scheibensicherung“ sei eine Verbesserung der Sicherheit mittels eines größeren Durchmessers des “Stiletto“ durch optisch neue Möglichkeiten (Figuren, Gestalten).

12

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

13

Die mit Schreiben vom 2. März 2020 erhobene Beschwerde ist gemäß § 23 Abs. 4 DesignG zulässig. Da der Beschwerdeführer keinen konkreten Antrag gestellt hat, ist von einer Anfechtung des Beschlusses in vollem Umfang auszugehen (vgl. Kühne/Meiser, EJFM, DesignG/GGV, 6. Aufl., § 23 Rn. 31).

14

In der Sache hat die Beschwerde Erfolg. Entgegen der Auffassung der Designstelle fehlt den angemeldeten Formen nicht die Designfähigkeit gemäß § 1 Nr. 1 DesignG, so dass die Anmeldung nicht gemäß § 18 DesignG mit der Begründung zurückgewiesen werden kann, dass der Gegenstand der Anmeldung kein Design i.S. von § 1 Nr. 1 DesignG ist.

15

1. Gegenstand eines eingetragenen Designs kann nach § 1 Nr. 1 DesignG nur die zweidimensionale oder dreidimensionale Erscheinungsform eines ganzen Erzeugnisses oder eines Teils davon sein. Nach § 1 Nr. 2 DesignG ist ein Erzeugnis jeder industrielle oder handwerkliche Gegenstand, einschließlich Verpackung, Ausstattung, grafischer Symbole oder typografischer Schriftzeichen sowie von Einzelteilen, die zu einem komplexen Erzeugnis zusammengebaut werden sollen.

16

Einem Design fehlt es danach an der Designfähigkeit, wenn in der Anmeldung nicht die Erscheinungsform eines „Erzeugnisses“ im Sinne von § 1 Nr. 1 DesignG, das heißt eines industriellen oder handwerklichen Gegenstands (§ 1 Nr. 2 DesignG), wiedergegeben wird, sondern beispielsweise ein Naturprodukt, und/oder wenn in der Anmeldung nicht die Erscheinungsform „eines“ Erzeugnisses wiedergegeben wird, weil sich dann der Gegenstand des Designschutzes nicht bestimmen lässt (BGH GRUR 2019, 832 Tz. 10, 11 – Sporthelm).

17

Ob Gegenstand der Anmeldung die einem Designschutz zugängliche Erscheinungsform eines „Erzeugnisses“ und/oder „eines“ (einheitlichen) Erzeugnisses und damit ein eintragungsfähiges Design i. S. von § 1 Nr. 1 DesignG ist, bedarf dabei ggf. der Auslegung. Als Verfahrenshandlung ist die Einreichung eines Antrags auf Eintragung in das Designregister der Auslegung zugänglich, wobei die Auslegungsregeln des bürgerlichen Rechts gemäß § 133 BGB gelten. Auch bei Verfahrenshandlungen gilt demnach, dass eine Auslegung nicht am Wortlaut haften bleiben darf, sondern der in der Erklärung zum Ausdruck kommende wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen ist, wie ihn die Designstelle als Erklärungsempfänger nach den objektiv erkennbaren Umständen des Falles und der Interessenlage des Erklärenden vernünftigerweise verstehen musste (vgl. BPatG, Beschluss v. 11. November 2004 – 10 W (pat) 705/03, BeckRS 2011, 28385).

18

2. Ausgehend davon hat die verfahrensgegenständliche Anmeldung, entgegen der Auffassung der Designstelle, eine konkrete und damit designfähige Erscheinungsform eines Erzeugnisses i.S.v. § 1 Nr. 2 DesignG zum Gegenstand.

19

a. Bei der als Wiedergabe des Designs mit den als „Sammelanmeldung“ eingereichten Abbildungen 1-14 handelt es sich naheliegend um eine Draufsicht auf 14 unterschiedliche geometrische Formen, die nach der Erklärung des Anmelders als Gestaltungsformen einer „Scheibensicherung“ unter den Absätzen von Stöckelschuhen angebracht werden.

20

Die Wiedergabe der einzelnen Designs zeigt jeweils die konkrete Erscheinungsform einer „Scheibensicherung“, mithin ein einheitliches Erzeugnis. Zwar ist im Anmeldeformular kein Erzeugnis angegeben. Im Wege der Auslegung kann das Erzeugnis, also der Gegenstand, auf den sich die konkret wiedergegebenen Formen beziehen, ermittelt werden. Die Auslegung ist zulässig, weil das Fehlen der Erzeugnisangabe im Anmeldeformular nicht die für die Anmeldungsqualität elementaren Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 S. 1 DesignG tangiert (vgl. Kühne/Meiser in EJFM, DesignG/GGV, 6. Aufl., § 11 Rn. 63).

21

Der Anmelder hat die angemeldeten Formen auf den mit der Anmeldung eingereichten drei Blättern mit „Scheibensicherung für Stöckelschuhe (…)“ überschrieben. Dieser Hinweis war geeignet, eine Vorstellung vom Einsatzbereich der Designs zu vermitteln (vgl. Kühne/Meiser aaO., § 11 Rn. 62). Der Gegenstand der Anmeldung, der in Form der „Scheibensicherung“ überdies industriell oder handwerklich gefertigt werden kann (§ 1 Nr. 2 DesignG), ist somit ermittelbar. Im Ergebnis liegt ein Erzeugnis i.S.d. § 1 Nr. 2 DesignG vor.

22

b. Unzweifelhaft handelt es sich bei den 14 Wiedergaben (Sammelanmeldung) des Erzeugnisses „Scheibensicherung“ jeweils um zwei bzw. (abhängig von der Dicke des Materials) um dreidimensionale Erscheinungsformen i.S. von § 1 Abs. 1 DesignG.

23

Nach § 7 Abs. 4 S. 2 DesignV ist bei Sammelanmeldungen für jedes Design ein gesondertes Formblatt zu verwenden. Diesem Formerfordernis ist der Anmelder mit der Einreichung der 14 Designs auf drei Blättern nicht nachgekommen. Den Darstellungen lässt sich dennoch entnehmen, was Gegenstand des beantragten Schutzes sein soll, nämlich die dargestellten 14 zwei bzw. dreidimensionalen Gestaltungsergebnisse.

24

Dem steht nicht entgegen, dass die mit der Anmeldung eingereichten geometrischen Abbildungen an den Rändern teilweise verzerrt wirken. Beispielsweise wird die in Abbildung 1 dargestellte schwarze Kreisform nach oben durch ein graues, an einen Schatten erinnerndes Element ausgeweitet. Für die Beurteilung der Designfähigkeit kommt es nämlich auf das Erscheinungsbild an, das aus der grafischen oder fotografischen Wiedergabe ersichtlich ist (Eichmann/Jestaedt, aaO., § 1 Rn. 40). Vorliegend ergibt sich aus den mit der Anmeldung eingereichten Abbildungen, ungeachtet unscharfer Ränder, jeweils eine konkrete, designfähige Gestalt.

25

Der Wahrnehmbarkeit der mit der Anmeldung eingereichten Formen steht auch nicht entgegen, dass der Anmelder im Verfahren Abbildungen von neuen Gestaltungen eingereicht hat. Diese verdeutlichen zwar, dass der Gestaltungsfreiheit bei Farbe und Formgebung der „Scheibensicherung“ kaum Grenzen gesetzt sind, ändern aber nichts daran, dass der Anmelder mit der (Sammel-)Anmeldung 14 Darstellungen eingereicht hat, bei denen es sich um konkrete Erscheinungsformen eines Erzeugnisses iS des § 1 DesignG handelt.

26

3. Die Designstelle hat dem angegriffenen Beschluss vom 29. Januar 2020 überdies ausgeführt, es liege die Vermutung nahe, dass der Anmelder vornehmlich eine technische Idee zum Schutz anmelden wolle.

27

Nach § 18 DesignG erstreckt sich die Prüfung des Deutschen Patent- und Markenamts im Anmeldeverfahren nicht auf technische Funktionen i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 DesignG. Insofern handelt es sich bei der – erstmals – im angegriffenen Beschluss geäußerten Auffassung der Designstelle lediglich um ein (Zusatz-)Argument, auf das die Zurückweisung nicht gestützt wird. Deshalb spielt es auch keine Rolle, dass die technische Bedingtheit für jedes in der in der Sammelanmeldung enthaltene Design einzeln zu prüfen ist (vgl. BPatG 30 W (pat) 704/15 – Sammelanmeldung).

28

4. Nach alldem kann die Anmeldung nicht gemäß § 18 DesignG mit der Begründung zurückgewiesen werden, dass dem angemeldeten Design die Designfähigkeit fehle.

29

Dem steht nicht entgegen, dass es sich bei den Gestaltungen möglicherweise um einen Entwurf handelt, weil auch einem solchen die Designfähigkeit nicht abgesprochen werden kann, wenn die Voraussetzungen des § 1 Nr. 1 und 2 DesignG erfüllt sind.

30

Der angefochtene Beschluss war daher aufzuheben.