Beschluss des BVerwG 8. Senat vom 09.03.2022, AZ 8 B 35/21

BVerwG 8. Senat, Beschluss vom 09.03.2022, AZ 8 B 35/21, ECLI:DE:BVerwG:2022:090322B8B35.21.0

Verfahrensgang

vorgehend VG Chemnitz, 28. April 2021, Az: 1 K 600/17, Urteil

Tenor

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 28. April 2021 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

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Am 14. Dezember 1979 verurteilte das Kreisgericht Stollberg den Kläger unter anderem wegen mehrfacher ungesetzlicher Warenausfuhr zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und zog eine Vielzahl von Briefmarken entschädigungslos ein. Mit Beschluss vom 26. August 1992 hob das Bezirksgericht Chemnitz das Urteil wegen der Verletzung rechtsstaatlicher Gewährleistungen auf und stellte das Verfahren ein. Das Landgericht Chemnitz ergänzte den Beschluss vom 26. August 1992 am 11. Mai 1994 dahingehend, dass dem Kläger Folgeansprüche nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz zustünden. Am 3. Juni 2016 beantragte der Kläger, ihm für die mit dem Urteil vom 14. Dezember 1979 eingezogenen Briefmarken, die seiner am 21. August 2003 verstorbenen Ehefrau gehört hätten, Entschädigung zu gewähren. Die Beklagte lehnte den Antrag ab. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, weil es an einem fristgemäßen Antrag fehle. Die Frist sei spätestens am 4. Mai 1993 abgelaufen. Innerhalb dieser Frist habe der Kläger lediglich Anträge im eigenen Namen gestellt. Der Zugang eines Schreibens vom 6. Januar 1993, mit dem er nach eigenen Angaben beim Landgericht Berlin Entschädigung für die entzogenen Vermögenswerte seiner Ehefrau begehrt habe, sei dort nicht feststellbar. Die Revision hat das Verwaltungsgericht nicht zugelassen.

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Die auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und die Rüge von Verfahrensfehlern (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

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1. Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung setzt voraus, dass die Rechtssache eine Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die der – gegebenenfalls erneuten oder weitergehenden – höchstrichterlichen Klärung bedarf, sofern diese Klärung in dem angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten steht und dies zu einer Fortentwicklung der Rechtsprechung über den Einzelfall hinaus führen wird. Der Rechtsmittelführer hat darzulegen, dass diese Voraussetzungen vorliegen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Dem wird die Beschwerde nicht gerecht.

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Die vom Kläger aufgeworfenen Fragen,

inwieweit sich die Entfristung durch das am 29. November 2019 in Kraft getretene 6. Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR auf die Anwendung von § 30a Abs. 1 Satz 1 VermG auswirkt und ob der in diesem Gesetz zum Ausdruck kommende Wille des Gesetzgebers Eingang in die Auslegung und Anwendung von § 30a Abs. 1 Satz 1 VermG finden muss,

sowie

ob durch die Nichtbeachtung des 6. Gesetzes zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR im Rahmen der Anwendung von § 30a Abs. 1 Satz 1 VermG eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem, also eine Verletzung von Art. 3 GG gegeben ist,

können die Zulassung der Revision nicht rechtfertigen. Sie würden sich in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen, weil sie für das angegriffene Urteil nicht entscheidungserheblich waren. Das Verwaltungsgericht hat nicht darauf abgestellt, dass sich der Ablauf der Antragsfrist nach der vom Kläger angesprochenen Vorschrift des § 30a Abs. 1 Satz 1 VermG bestimmt. Vielmehr ist es gemäß § 30a Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 VermG davon ausgegangen, dass die Antragsfrist frühestens sechs Monate nach Unanfechtbarkeit der Aufhebungsentscheidung des Bezirksgerichts Chemnitz vom 26. August 1992, mithin am 26. Februar 1993, und spätestens sechs Monate nach Inkrafttreten des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes, mithin am 4. Mai 1993, endete. Dass es die Vorschrift als § 30a Abs. 1 Satz „2“ VermG zitierte, ist auf ein offenkundiges Schreibversehen zurückzuführen, da der Regelungsgehalt des Satzes 3 Halbsatz 1 ausdrücklich als maßgeblich gegeben wird. Den in § 30a Abs. 1 Satz 1 VermG für den Ablauf der Ausschlussfrist für die Anmeldung von Entschädigungsansprüchen für bewegliche Sachen bezeichneten Stichtag hat das Verwaltungsgericht hingegen nicht zur Anwendung gebracht.

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Die Frage,

ob in den Fällen des § 1 Abs. 7 VermG eine nachträgliche Konkretisierung des Aufhebungsbeschlusstenors zu einem Neubeginn des Fristlaufs von 6 Monaten ab Unanfechtbarkeit der Aufhebungsentscheidung (§ 30a Abs. 1 Satz 3 VermG) führt,

ist nicht klärungsbedürftig. Der rechtliche Maßstab für den Beginn der Anmeldefrist in Fällen des § 1 Abs. 7 VermG lässt sich ohne Weiteres aus dem Gesetz ermitteln. § 30a Abs. 1 Satz 2 und 3 VermG stellt für den Fristbeginn darauf ab, wann die strafrechtliche Entscheidung, die zu dem wiedergutzumachenden Vermögensverlust geführt hat, unanfechtbar aufgehoben worden ist. Wird eine Entscheidung über einen Antrag auf strafrechtliche Rehabilitierung später konkretisiert, hängt der Beginn der Anmeldefrist davon ab, ob bereits die ursprüngliche Entscheidung oder erst die spätere Konkretisierung zu einer Aufhebung der strafrechtlichen Entscheidung geführt hat. Das ist im Einzelfall durch Auslegung der jeweiligen Rehabilitierungsentscheidungen zu ermitteln.

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2. Die Revision ist schließlich nicht wegen eines Verfahrensmangels nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

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a) Der Kläger hat einen Aufklärungsmangel gemäß § 86 Abs. 1 VwGO nicht prozessordnungsgemäß dargetan. Dazu wäre die Darlegung erforderlich gewesen, welche Aufklärungsmaßnahmen sich dem Verwaltungsgericht auch ohne förmlichen Beweisantrag hätten aufdrängen müssen, welches Ergebnis sie gehabt hätten und inwieweit dies zu einer für den Kläger günstigeren Entscheidung hätte führen können (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 – 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14 f.). Daran fehlt es hier.

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Zum einen wird nicht dargelegt, weshalb es sich dem Verwaltungsgericht hätte aufdrängen müssen, zur Klärung des aus seiner Sicht entscheidungserheblichen Zugangs des Schreibens vom 6. Januar 1993 beim Landgericht Berlin über die Beiziehung der dort, bei der Generalstaatsanwaltschaft und der Rehabilitierungsbehörde geführten Akten hinaus die nun angemahnte weitere Beweiserhebung durchzuführen. Ohne konkrete Einwände des Klägers gegen die bisherige Sachaufklärung, auf deren Ergebnis er im Verhandlungstermin nochmals hingewiesen wurde, und ohne Anhaltspunkte dafür, dass andere geeignete Beweismittel zur Verfügung stünden, musste das Verwaltungsgericht danach keine weiteren Aufklärungsmaßnahmen für erforderlich halten. Derartige, weiteren Aufklärungsbedarf begründende Einwände und Anhaltspunkte finden sich weder in der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht, noch macht die Beschwerdebegründung geltend, sie seien dort vorgetragen worden. Die Beschwerdebegründung verweist lediglich darauf, dass der Kläger das Schreiben vom 6. Januar 1993 im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegt und – vor dem Termin – schriftsätzlich um Aufklärung des Zugangs gebeten habe.

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Darüber hinaus legt die Beschwerdebegründung für die nun angeführten Beweismittel nicht substantiiert dar, welches Ergebnis die jeweilige Beweiserhebung gehabt hätte und inwieweit sie zu einer für den Kläger günstigeren Entscheidung hätte führen können. Hinsichtlich seiner Parteivernehmung und der angebotenen eidesstattlichen Versicherung wird schon nicht geltend gemacht, dass sie mehr als die – nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts nicht ausreichende – Absendung des Schreibens belegen könnten. Hinsichtlich des Archivbestandes des Landgerichts Berlin, insbesondere der Posteingangsbücher, fehlt eine Darlegung, welche Einträge darin aufzufinden sein sollen, und eine Auseinandersetzung mit der Auskunft dieses Gerichts vom 17. März 2021 (Bl. 213 d.A.), in den dortigen Findmitteln habe nichts zum Kläger ermittelt werden können.

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Hinsichtlich des Eigentums der verstorbenen Ehefrau des Klägers an den eingezogenen Briefmarken fehlt es an der Darlegung, welches Ergebnis die Vernehmung der Zeugin G. erbracht hätte und weshalb sich deren Vernehmung dem Verwaltungsgericht hätte aufdrängen müssen, obwohl es dessen Rechtsansicht nach für seine Entscheidung auf diesen Punkt nicht ankam.

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b) Das Verwaltungsgericht hat den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) nicht dadurch verletzt, dass es die Hinweise des Klägers auf seine Schreiben vom 7. Oktober 1990 an das Kreisgericht Stollberg und die Gemeinde M. übergangen hat. Das Verwaltungsgericht hat in seinen Urteilsgründen dargelegt, weshalb die vom Kläger vor dem 6. Januar 1993 bei verschiedenen Stellen angebrachten Anmeldungen vermögensrechtlicher Ansprüche die Anmeldefrist des § 30a Abs. 1 Satz 2 und 3 VermG nicht wahren konnten. Dass das Verwaltungsgericht sich damit auch auf die vom Kläger bezeichneten beiden Schreiben bezieht, ergibt sich aus seinem Verweis auf die Gründe des angegriffenen Bescheides, in denen beide Schreiben ausdrücklich aufgeführt sind. Ebensowenig legt der Kläger dar, dass die Würdigung der beiden Schreiben vom 7. Oktober 1990 durch das Verwaltungsgericht den Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verletzt. Auf die Frage, ob das diesbezügliche Beschwerdevorbringen des Klägers fristgerecht war, kommt es danach nicht an.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über den Streitwert ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.