BGH 5. Zivilsenat, Urteil vom 25.02.2022, AZ V ZR 65/21, ECLI:DE:BGH:2022:250222UVZR65.21.0
§ 18 Abs 2 Nr 1 WoEigG, § 26 Abs 3 S 1 WoEigG, § 26 Abs 5 WoEigG, § 48 Abs 5 WoEigG, § 21 Abs 8 WoEigG vom 26.03.2007
Leitsatz
1. Für bis zum 30. November 2020 anhängig gewordene Beschlussersetzungsklagen gilt in analoger Anwendung des § 48 Abs. 5 WEG weiter das bisherige Verfahrensrecht; insbesondere bleiben die übrigen Wohnungseigentümer die richtigen Klagegegner.
2a. Auch nach dem seit dem 1. Dezember 2020 geltenden Wohnungseigentumsrecht besteht ein Anspruch des einzelnen Wohnungseigentümers auf Abberufung des Verwalters nur dann, wenn die Ablehnung der Abberufung aus objektiver Sicht nicht vertretbar erscheint.
2b. Ob ein Abberufungsanspruch gegeben ist, hat der Tatrichter auch nach neuem Recht in umfassender Würdigung aller Umstände des Einzelfalles und aller gegen den Verwalter erhobenen Vorwürfe zu prüfen. Mit welchem Gewicht länger zurückliegende Geschehnisse zu berücksichtigen sind, entzieht sich einer allgemeinen Betrachtung; allgemeingültige zeitliche Grenzen, jenseits derer Pflichtverletzungen des Verwalters unbeachtlich sind, gibt es nicht.
3. Seit dem 1. Dezember 2020 kann der Verwalter jederzeit abberufen werden; entgegenstehende Regelungen in der Gemeinschaftsordnung sind unwirksam geworden. Wird der Verwalter abberufen, endet der mit ihm geschlossene Vertrag spätestens sechs Monate nach der Abberufung; entgegenstehende Vereinbarungen im Verwaltervertrag sind ebenfalls unwirksam geworden.
Verfahrensgang
vorgehend LG Berlin, 2. März 2021, Az: 85 S 4/21 WEG
vorgehend AG Schöneberg, 13. August 2020, Az: 771 C 98/19
Tenor
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Landgerichts Berlin – Zivilkammer 85 – vom 2. März 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung gegen die Abweisung der zu TOP 6.4 gestellten Anträge (Anfechtungs- und Beschlussersetzungsklage) zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Die Kläger und die Beklagten zu 1 bilden eine Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE). Bei der Anlage handelt es sich um eine Mehrhausanlage. Die Jahresabrechnungen wurden von der Verwalterin früher getrennt nach Häuserkomplexen erstellt und von den Wohnungseigentümern der jeweiligen Häuser genehmigt. Auch in der Versammlung vom 4. Dezember 2018, zu der lediglich die Wohnungseigentümer eines Häuserkomplexes geladen waren, wurde so verfahren und die Jahresabrechnung für 2017 für diesen Häuserkomplex genehmigt. Dies zog ein Beschlussmängelverfahren nach sich (im Folgenden: Vorprozess). Mit Urteil vom 31. Juli 2019 stellte das Amtsgericht die Nichtigkeit dieses Beschlusses mit der Begründung fest, dass es mangels einer Bildung von Untergemeinschaften an der Beschlusskompetenz fehle. Auf der Versammlung der gesamten GdWE vom 28. November 2019 beschlossen die Wohnungseigentümer zu TOP 4.2, dass in den Abrechnungen für die Jahre 2016 bis 2018 die Kostenzuordnung „wie bisher“ erfolgen und eine neue Gesamtabrechnung in Form einer Einnahmen-/Ausgabenrechnung erstellt werden solle. Der unter TOP 6.4 gestellte Antrag, die sofortige Abberufung der Verwalterin und die Kündigung des Verwaltervertrags aus wichtigen Gründen zum 31. Dezember 2019 zu beschließen, wurde abgelehnt.
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Die Kläger haben – soweit noch von Interesse – mit ihrer zunächst nur gegen die Beklagten zu 1 gerichteten, am 23. Dezember 2019 eingegangenen Klage den Beschluss zu TOP 6.4 angefochten und zudem beantragt, den abgelehnten Beschluss durch eine in das Ermessen des Gerichts zu stellende Entscheidung dahingehend zu ersetzen, dass die Abberufung des Verwalters und Kündigung des Verwaltervertrags erfolge. Das Amtsgericht hat die Anträge abgewiesen. Die Berufung der Kläger, über die das Landgericht aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 2. März 2021 entschieden hat, ist erfolglos geblieben. Mit ihrer von dem Landgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagten zu 1 beantragen, verfolgen die Kläger ihre Anträge weiter. Im Revisionsverfahren haben sie die Klage dahingehend erweitert, dass sie die Anträge auch gegen die GdWE als Beklagte zu 2 gerichtet haben. Im Termin zur mündlichen Verhandlung über die Revision haben die Kläger die Klageerweiterung mit Zustimmung der Beklagten zurückgenommen.
Entscheidungsgründe
I.
3
Nach Ansicht des Berufungsgerichts besteht kein Anspruch der Kläger auf Abberufung der Verwalterin. Ein solcher komme nur dann in Betracht, wenn für die Abberufung ein wichtiger Grund gemäß § 26 Abs. 1 Sätze 3 und 4 WEG aF vorliege und der Anspruchsteller die Abberufung innerhalb einer angemessenen Frist nach Kenntniserlangung von den für die Abberufung und Kündigung maßgebenden Tatsachen verlangt habe. Grund hierfür sei, dass auch die Abberufung und fristlose Kündigung des Verwaltervertrags innerhalb angemessener Frist erfolgen müsse. Darüber hinaus müssten die Wohnungseigentümer den ihnen bei der Abberufungsentscheidung zustehenden Beurteilungsspielraum überschritten haben. Diese Voraussetzungen seien nicht gegeben. Das von den Klägern gerügte Verhalten der Verwalterin aus den Jahren 2012 und 2018 könne nicht berücksichtigt werden. Ihre Behauptung, die Verwalterin habe sich geweigert, ein Protokoll weiterzugeben und die Wohnungseigentümer nicht über den Verlauf des Vorprozesses informiert, hätten die Kläger schon nicht zeitlich eingeordnet, so dass insoweit nicht von einem Abberufungsverlangen innerhalb angemessener Frist ausgegangen werden könne. Soweit sie rügten, die Verwalterin habe es unterlassen, einen Beschluss über die Zulässigkeit der Abrechnung nach Untergemeinschaften zu erwirken und damit den Vorprozess provoziert, sei auch dies nicht in angemessener Frist geltend gemacht worden. Eine Pflichtverletzung könne zwar darin liegen, dass die Verwalterin die Wohnungseigentümer den Beschluss zu TOP 4.2 habe fassen lassen, obwohl dies der Entscheidung im Vorprozess widersprochen habe. Die Ablehnung der Abberufung sei aus objektiver Sicht aber noch vertretbar. Auch die weiteren von den Klägern gerügten Gründe, im Einzelnen die verspätete Zusendung eines Protokolls, die nichtige Jahresabrechnung 2017 und eine behauptete Einschüchterung der Wohnungseigentümer stellten keinen wichtigen Grund dar.
II.
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Dies hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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1. Die auf Beschlussersetzung gerichtete Klage kann mit der gegebenen Begründung nicht abgewiesen werden.
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a) Die Beschlussersetzungsklage ist allerdings, wovon das Berufungsgericht ohne nähere Prüfung ausgeht, zulässig. Insbesondere ist sie gegen den richtigen Klagegegner gerichtet.
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aa) Sie ist zunächst gemäß § 21 Abs. 8 WEG in der Fassung des bis zum 30. November 2020 geltenden Wohnungseigentumsgesetzes (aF) erhoben worden. Nach dieser Vorschrift konnte dann, wenn die Wohnungseigentümer eine nach § 21 Abs. 4 WEG gebotene Maßnahme der ordnungsmäßigen Verwaltung nicht getroffen haben, das Gericht an ihrer Stelle nach billigem Ermessen durch Gestaltungsurteil (vgl. Senat, Urteil vom 4. Mai 2018 – V ZR 203/17, NJW 2018, 3238 Rn. 6 mwN) entscheiden, soweit sich die Maßnahme nicht aus dem Gesetz, einer Vereinbarung oder einem Beschluss der Wohnungseigentümer ergab. Die Klage war – wie hier erfolgt – gegen die übrigen Wohnungseigentümer und nicht gegen den Verband zu richten (vgl. OLG München, WuM 2010, 380; Suilmann in Jennißen, 6. Aufl. 2019, § 21 Rn. 128; Staudinger/Lehmann-Richter, BGB [2018], § 21 WEG Rn. 269; vgl. auch Senat, Urteil vom 17. Oktober 2014 – V ZR 9/14, BGHZ 202, 375 Rn. 22). Dies war zwar nicht ausdrücklich geregelt, ergab sich aber daraus, dass ein Anspruch auf ordnungsmäßige Verwaltung nach § 21 Abs. 4 WEG aF nur im Verhältnis der Wohnungseigentümer untereinander bestand (vgl. Suilmann in Jennißen, 6. Aufl. 2019, § 21 Rn. 128; vgl. auch Senat, Urteil vom 17. Oktober 2014 – V ZR 9/14, BGHZ 202, 375 Rn. 22). In der Praxis wurde damit die Klage nach § 21 Abs. 8 WEG aF bezüglich der Klagegegner prozessual so behandelt, als sei sie in § 46 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. WEG aF geregelt.
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bb) Die gegen die Beklagten zu 1 gerichtete Klage ist nach dem Inkrafttreten des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes vom 16. Oktober 2020 (BGBl I S. 2187 – WEMoG) am 1. Dezember 2020 weiterhin zulässig.
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(1) Das ergibt sich allerdings nicht direkt aus der mit diesem Gesetz in Kraft getretenen Übergangsvorschrift des § 48 Abs. 5 WEG. Nach dieser Regelung sind für die bereits vor dem 1. Dezember 2020 bei Gericht anhängigen Verfahren die Vorschriften des dritten Teils dieses Gesetzes in ihrer bis dahin geltenden Fassung weiter anzuwenden. Damit ist nach dem Wortlaut der Vorschrift die im ersten Teil des Gesetzes befindliche Regelung des § 21 Abs. 8 WEG aF nicht umfasst. Auch die Neuregelung zur Beschlussersetzungsklage in § 44 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 WEG kann nach dem Wortlaut des § 48 Abs. 5 WEG keine Anwendung finden, da für bereits anhängige Verfahren der dritte Teil des Wohnungseigentumsgesetzes in der neuen Fassung gerade nicht gelten soll.
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(2) Welche Auswirkungen es hat, dass eine ausdrückliche Übergangsvorschrift für bereits vor dem 1. Dezember 2020 anhängige Beschlussersetzungsklagen nach § 21 Abs. 8 WEG aF fehlt, wird unterschiedlich beurteilt.
11
(a) Dabei besteht überwiegend Einigkeit dahingehend, dass in den Regelungsbereich des § 48 Abs. 5 WEG über dessen Wortlaut hinaus bereits anhängige Beschlussersetzungsklagen einzubeziehen sind und insoweit die Vorschrift des § 21 Abs. 8 WEG aF grundsätzlich weiter Anwendung findet (vgl. LG Berlin, ZWE 2022, 54 Rn. 14; LG Frankfurt a.M., WuM 2021, 397; AG Hamburg-St. Georg, ZMR 2021, 774, 775; Suilmann in Jennißen, WEG, 7. Aufl., § 48 Rn. 19; Lehmann-Richter/Wobst, WEG-Reform 2020, Rn. 1993; BeckOK WEG/Elzer [1.1.2022], § 48 Rn. 20; Hügel, Wohnungseigentum, 5. Aufl., § 17 Rn. 58; BeckOK BGB/Zschieschack/Orthmann [1.11.2021], § 48 WEG Rn. 30; aA Kirst, ZMR 2020, 1014, 1016, der von einer Anwendung des § 44 Abs. 1 Satz 2 WEG ausgeht).
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(b) Unterschiedlich wird allerdings die Frage beantwortet, ob dies auch dazu führt, dass die Klage weiterhin gegen die übrigen Wohnungseigentümer zu richten ist.
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(aa) Zum Teil wird die Ansicht vertreten, die Klage sei nunmehr gegen die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zu richten. Daher sei ein gewillkürter Parteiwechsel auf Beklagtenseite erforderlich (vgl. LG Köln, ZWE 2021, 332 Rn. 6 f.; BeckOGK/Skauradszun, WEG [1.12.2021], § 18 Rn. 38; BeckOK WEG/Elzer, WEG [1.1.2022], § 48 Rn. 30; Elzer in Skauradszun/Elzer/Hinz/Riecke, Die WEG-Reform 2020, § 15 Rn. 2; vgl. auch Falkner, ZWE 2021, 149, 153). Begründet wird dies damit, dass die übrigen Wohnungseigentümer wegen der Änderung der Verwaltungszuständigkeit gemäß § 18 Abs. 2 WEG nicht mehr die richtigen Beklagten seien (vgl. BeckOGK/Skauradszun, WEG [1.12.2021], § 18 Rn. 38; BeckOK WEG/Elzer, WEG [1.1.2022], § 48 Rn. 30; Elzer in Skauradszun/Elzer/Hinz/Riecke, Die WEG-Reform 2020, § 15 Rn. 2).
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(bb) Überwiegend wird jedoch angenommen, dass bereits anhängige Beschlussersetzungsklagen weiterhin gegen die übrigen Wohnungseigentümer gerichtet bleiben könnten. Dies wird mit dem verfahrensrechtlichen Gehalt des § 21 Abs. 8 WEG aF und dem besonderen Charakter der Beschlussersetzungsklage als Gestaltungsklage begründet (vgl. LG Berlin, ZWE 2022, 54 Rn. 14 = juris Rn. 22; LG Frankfurt a.M., WuM 2021, 397; AG Hamburg-St. Georg, ZMR 2021, 774, 775; Lehmann-Richter/Wobst, WEG-Reform 2020, Rn. 1993; Suilmann in Jennißen, WEG, 7. Aufl., § 48 Rn. 19).
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(3) Der Senat entscheidet die Frage, dahin, dass für bis zum 30. November 2020 anhängig gewordene Beschlussersetzungsklagen in analoger Anwendung des § 48 Abs. 5 WEG weiter das bisherige Verfahrensrecht gilt; insbesondere bleiben die übrigen Wohnungseigentümer die richtigen Klagegegner.
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(a) Die Übergangsvorschrift des § 48 Abs. 5 WEG enthält im Hinblick auf die Beschlussersetzungsklage nach § 21 Abs. 8 WEG aF eine planwidrige Regelungslücke. Ob eine planwidrige Lücke gegeben ist, ist vom Standpunkt der gesetzlichen Regelung aus zu beurteilen, also anhand der Regelungsabsicht des Gesetzgebers (Senat, Urteil vom 7. Mai 2021 – V ZR 299/19, NJW-RR 2021, 1170 Rn. 14; BGH, Urteil vom 7. November 2019 – I ZR 42/19, GRUR 2020, 429 Rn. 33 mwN). Nach der Begründung der Übergangsregelung sollten die Änderungen des Verfahrensrechts bereits anhängige Verfahren unberührt lassen. Solche Verfahren sollten nach den bis zu diesem Zeitpunkt geltenden prozessualen Vorschriften weitergeführt werden (vgl. BT-Drucks. 19/18791 S. 86). Verfahrensrechtliche Bedeutung kommt auch § 21 Abs. 8 WEG aF zu, der – wie ausgeführt – die Statthaftigkeit der Beschlussersetzungsklage regelt; aus systematischen Gründen hätte diese Vorschrift schon nach altem Recht richtigerweise in den dritten Teil des Gesetzes aufgenommen werden müssen und nicht, wie erfolgt, in den ersten Teil (vgl. Lehmann-Richter/Wobst, WEG-Reform 2020, Rn. 1993). Es entspräche daher nicht dem Willen des Gesetzgebers, anhängige Beschlussersetzungsklagen mit Inkrafttreten des neuen Rechts unzulässig werden zu lassen. Dass der Gesetzgeber sich der entstandenen Lücke bewusst war, ist nicht ersichtlich.
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(b) Die Regelungslücke hätte der Gesetzgeber, hätte er sie erkannt, mit einer Einbeziehung auch anhängiger Beschlussersetzungsklagen in den Regelungsbereich des § 48 Abs. 5 WEG geschlossen. Denn so ist sichergestellt, dass diese statthaft bleiben und damit das vorgenannte Regelungsziel erreicht wird.
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(c) Dabei ist die Vorschrift des § 48 Abs. 5 WEG auch insoweit analog anzuwenden, als die richtigen Klagegegner weiterhin die übrigen Wohnungseigentümer sind.
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(aa) Zwar widerspricht dies dem vom Gesetzgeber verfolgten und auch in § 47 WEG zum Ausdruck kommenden weiteren Ziel, ab dem 1. Dezember 2020 das neue materielle Recht gelten zu lassen (vgl. BT-Drucks. 19/18791 S. 84; Lehmann-Richter/Wobst, WEG-Reform 2020, Rn. 2006). Nach diesem richten sich Ansprüche auf ordnungsmäßige Verwaltung gemäß § 18 Abs. 2 WEG nicht mehr gegen die übrigen Wohnungseigentümer, sondern gegen die GdWE. Es läge deshalb an sich nahe, dem im Rahmen der Beschlussersetzungsklage durch einen Parteiwechsel Rechnung zu tragen; denn ihre Begründetheit richtet sich nach dem zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung geltenden Recht (vgl. hierzu Senat, Urteil vom 4. Mai 2018 – V ZR 203/17, NJW 2018, 3238 Rn. 26). Hierfür könnte zudem sprechen, dass die Vorschrift des § 21 Abs. 8 WEG aF dem § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB nachgebildet wurde (vgl. BT-Drucks. 16/887 S. 28; BR-Drucks. 397/05 S. 65), und dass sich die Person des Klagegegners bei einer auf § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB gestützten Klage nach dem materiellen Recht richtet.
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(bb) Allerdings hat der Gesetzgeber mit seiner grundsätzlichen Entscheidung, bei anhängigen Verfahren das alte Verfahrensrecht weiter gelten zu lassen, zugleich aber das neue materielle Recht zur Anwendung zu bringen, die enge Verzahnung von materiellem und formellem Recht auch in anderen Bereichen übersehen. So war zum Beispiel die für das Prozessrecht im Rahmen der Beschlussmängelklagen bedeutende Frage, wer die verklagten übrigen Wohnungseigentümer vertritt, in § 27 Abs. 2 Nr. 2 WEG aF geregelt und damit nicht in einer Vorschrift des dritten Teils (vgl. BeckOK BGB/Zschieschack/Orthmann [1.11.2021], § 48 WEG Rn. 31). Die Auswirkungen von § 9a Abs. 2 WEG auf die Prozessführungsbefugnis eines Wohnungseigentümers, der unter der Geltung des alten Rechts eine auf § 1004 Abs. 1 BGB gestützte Unterlassungsklage wegen Beeinträchtigung des Gemeinschaftseigentums erhoben hatte, stand dem Gesetzgeber ebenfalls nicht vor Augen (vgl. Senat, Urteil vom 7. Mai 2021 – V ZR 299/19, NJW-RR 2021, 1170 Rn. 13 ff.). Auch bei der Beschlussersetzungsklage liegt aufgrund ihrer Verwurzelung im materiellen Recht (vgl. allgemein zur Funktion der Gestaltungsklage als Mittel zur Durchsetzung eines materiell-rechtlichen Anspruchs Stein/Jonas/Roth, ZPO, 23. Aufl., Einleitung zu § 253 Rn 103; MüKoZPO/Becker-Eberhard, 6. Aufl., Vorbemerkung zu § 253 Rn. 30 jeweils mwN) eine enge Verzahnung von materiellem und formellem Recht vor, die in der Übergangsregelung keine Entsprechung erfahren hat.
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(cc) Trotz der sich aus der Änderung des materiell-rechtlich korrekten Anspruchsgegners zum 1. Dezember 2020 ergebenden dogmatischen Unsauberkeit erscheint es daher vor dem Hintergrund des gesetzgeberischen Willens, anhängige Verfahren prozessrechtlich wie zuvor zu behandeln, insgesamt vorzugswürdig, bei Beschlussersetzungsklagen die Frage des richtigen Klagegegners analog § 48 Abs. 5 WEG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. WEG aF entsprechend den bis dahin geltenden Grundsätzen zu beantworten (im Ergebnis ebenso LG Berlin, ZWE 2022, 54 Rn. 14; LG Frankfurt a.M., WuM 2021, 397; AG Hamburg-St. Georg, ZMR 2021, 774, 775; Lehmann-Richter/Wobst, WEG-Reform 2020, Rn. 1993; Suilmann in Jennißen, WEG, 7. Aufl., § 48 Rn. 19). Stellte man dagegen auf das materielle Recht ab, bedürfte es eines Parteiwechsels (zu dessen grundsätzlicher Möglichkeit vgl. Senat, Urteil vom 7. Mai 2021 – V ZR 299/19, NJW-RR 2021, 1170 Rn. 19). Dies würde in den häufigen Fällen, in denen – wie auch hier – eine gegen einen Negativbeschluss gerichtete Anfechtungsklage mit einer Beschlussersetzungsklage kombiniert wird, zu einer unerwünschten Aufspaltung der Klagegegner führen, was mit misslichen Folgen im Hinblick auf Streitwert und Gebühren verbunden wäre. Das ändert aber nichts daran, dass ein Parteiwechsel auch in Übergangsfällen möglich und ein gegen die GdWE ergangenes Urteil wirksam ist. An beschlussersetzende Urteile, die noch gegen die übrigen Wohnungseigentümer ergehen, ist die GdWE ungeachtet der Neuregelung der Verwaltungszuständigkeit ebenfalls gebunden; andernfalls verfehlte die analoge Anwendung von § 48 Abs. 5 WEG ihren Zweck.
22
b) In der Sache verneint das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft einen Abberufungsanspruch der Kläger.
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aa) Dabei ist für die im Rahmen der Beschlussersetzungsklage zu klärende Frage, ob ein Anspruch der Kläger auf Abberufung der Verwalterin besteht, auf das neue, seit dem 1. Dezember 2020 geltende Recht abzustellen, und nicht, wie das Berufungsgericht meint, auf das bis dahin geltende alte Recht. Denn im Rahmen der Beschlussersetzung ist rechtliche Beurteilungsgrundlage für die Prüfung, ob ein Anspruch auf die Beschlussfassung besteht, das im Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung geltende Recht (vgl. Senat, Urteil vom 16. Januar 2009 – V ZR 74/08, NJW 2009, 999 Rn. 12, insoweit nicht abgedruckt in BGHZ 179, 230).
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bb) Nach bisherigem Recht hat der Senat, wie das Berufungsgericht zutreffend sieht, einen Anspruch eines einzelnen Wohnungseigentümers auf Abberufung des Verwalters aus § 21 Abs. 4 WEG aF nicht schon dann angenommen, wenn ein wichtiger Grund im Sinne von § 26 Abs. 1 Satz 3 und 4 WEG aF hierfür bestand. Vielmehr hat er den Wohnungseigentümern einen Beurteilungsspielraum eingeräumt und einen Anspruch des einzelnen Wohnungseigentümers auf Abberufung des Verwalters erst dann bejaht, wenn dieser Beurteilungsspielraum überschritten war. Das war dann anzunehmen, wenn die Ablehnung der Abberufung aus objektiver Sicht nicht vertretbar erschien, was der Tatrichter in umfassender Würdigung aller Umstände des Einzelfalles festzustellen hatte (vgl. Senat, Urteil vom 10. Februar 2012 – V ZR 105/11, NJW 2012, 1884 Rn. 10).
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cc) Auch nach dem seit dem 1. Dezember 2020 geltenden Wohnungseigentumsrecht besteht ein Anspruch des einzelnen Wohnungseigentümers auf Abberufung des Verwalters nur dann, wenn die Ablehnung der Abberufung aus objektiver Sicht nicht vertretbar erscheint. Die Änderung des Wohnungseigentumsgesetzes führt zu keiner Änderung der Anspruchsvoraussetzungen. Verändert hat sich die Rechtslage zwar insofern, als der Verwalter seit dem 1. Dezember 2020 jederzeit abberufen werden kann; entgegenstehende Regelungen in der Gemeinschaftsordnung sind unwirksam geworden (§ 26 Abs. 5 WEG i.V.m. Abs. 3 Satz 1 WEG; vgl. hierzu MüKoBGB/Zschieschack, 8. Aufl., § 26 WEG nF Rn. 59; Hügel/Elzer, WEG, 3. Aufl., § 26 Rn. 147 ff.). Wird der Verwalter abberufen, endet der mit ihm geschlossene Vertrag zudem spätestens sechs Monate nach der Abberufung; entgegenstehende Vereinbarungen im Verwaltervertrag sind ebenfalls unwirksam geworden (§ 26 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 WEG; vgl. BT-Drucks. 19/22634 S. 45). Auch richtet sich der Anspruch auf Abberufung des Verwalters infolge der veränderten Verwaltungszuständigkeit nicht mehr gegen die übrigen Wohnungseigentümer, sondern gegen die GdWE (§ 18 Abs. 2 Nr. 1 WEG). In der Sache sind die Voraussetzungen des Anspruchs aber unverändert geblieben. Ein Anspruch auf Abberufung des Verwalters besteht weiterhin, wenn deren Ablehnung aus objektiver Sicht nicht vertretbar erscheint (vgl. Senat, Urteil vom 10. Februar 2012 – V ZR 105/11, NJW 2012, 1884 Rn. 10). „Nicht vertretbar“ bedeutet allerdings nicht, dass unerfüllbare Anforderungen an den Abberufungsanspruch gestellt werden dürfen (vgl. dazu BeckOGK/Greiner, WEG [1.12.2021], § 26 Rn. 287); es reicht aus, wenn in der Gesamtschau allein die Abberufung dem Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer nach billigem Ermessen entspricht (vgl. Senat, Urteil vom 10. Februar 2012 – V ZR 105/11, NJW 2012, 1884 Rn. 6).
26
dd) Ob ein Abberufungsanspruch gegeben ist, hat der Tatrichter auch nach neuem Recht in umfassender Würdigung aller Umstände des Einzelfalles und aller gegen den Verwalter erhobenen Vorwürfe zu prüfen (vgl. Senat, Urteil vom 10. Februar 2012 – V ZR 105/11, NJW 2012, 1884 Rn. 10).
27
(1) Dabei hat er zu berücksichtigen, dass mit dem Kriterium der Unvertretbarkeit zum einen die Entscheidung der Mehrheit in vertretbarem Rahmen respektiert, andererseits aber auch der Minderheit Schutz geboten wird. Insofern muss bei der Würdigung aller Umstände des Einzelfalles auch jeweils der Minderheitenschutz in Blick genommen werden (vgl. BeckOGK/Greiner, WEG [1.12.2021], § 26 Rn. 287). Bei der vorzunehmenden Gesamtschau der Umstände des Einzelfalles können schwerwiegende Verstöße die Unvertretbarkeit der Abberufung eher nahelegen, während bei leichteren Verfehlungen möglicherweise eher berücksichtigt werden kann, inwieweit in der Zukunft eine Besserung zu erwarten ist (vgl. Senat, Urteil vom 10. Februar 2012 – V ZR 105/11, NJW 2012, 1884 Rn. 10).
28
(2) Mit welchem Gewicht länger zurückliegende Geschehnisse zu berücksichtigen sind, entzieht sich einer allgemeinen Betrachtung; allgemeingültige zeitliche Grenzen, jenseits derer Pflichtverletzungen unbeachtlich sind, gibt es entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht. Die Annahme, dass die Ablehnung der Abberufung eines Verwalters unvertretbar ist, kann sich nämlich, wie die Revision zu Recht geltend macht, erst in der Gesamtschau eines neuerlichen Vorfalls mit älteren Geschehnissen ergeben oder umgekehrt kann ein neuer Vorfall einen alten in einem neuen Licht erscheinen lassen (vgl. zu ähnlichen Grundsätzen bei der Frage des Vorliegens eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 2 BGB: BGH, Urteil vom 9. April 2013 – II ZR 273/11, NJW 2013, 2425 Rn. 27; Urteil vom 10. September 2001 – II ZR 14/00, NJW-RR 2002, 173, 174; Urteil vom 9. März 1992 – II ZR 102/91, NJW-RR 1992, 992, 993). Zudem kann ein länger zurückliegender Punkt im Rahmen einer Gesamtwürdigung mit weiteren späteren Vorfällen, „die das Fass irgendwann zum Überlaufen bringen“ (vgl. LG Hamburg, Urteil vom 8. Juni 2011 – 318 S 149/10, juris Rn. 43, insoweit nicht abgedruckt in ZMR 2012, 465, zur Kündigung des Verwaltervertrags), wesentliche Bedeutung erlangen. Zwar ist auch denkbar, dass ein bestimmter Zeitablauf eine Pflichtverletzung im Rahmen der Gesamtabwägung als weniger gewichtig erscheinen lässt (vgl. Staudinger/Jacoby, BGB [2018], § 26 WEG Rn. 94). Dies ist aber nur ein mögliches Ergebnis der Abwägung und enthebt das Tatsachengericht nicht der Pflicht, zunächst alle Umstände in die Gesamtabwägung einzustellen.
29
ee) Die erforderliche umfassende Würdigung der Umstände des Einzelfalles hat das Berufungsgericht nicht vorgenommen. Denn es hat bestimmte Aspekte mit der Begründung, sie lägen zu lange zurück oder seien von den Klägern zeitlich nicht eingeordnet worden, von vorneherein nicht in die Abwägung eingestellt.
30
ff) Ob ein Anspruch des einzelnen Wohnungseigentümers auf Abberufung des Verwalters ausgeschlossen sein kann, wenn er diese nicht zeitnah zu dem letzten Vorfall, auf den die Forderung nach Abberufung gestützt wird, verlangt (vgl. in diese Richtung: BayObLG, NJW-RR 2000, 676, 678; LG Düsseldorf, ZWE 2011, 49, 50; MüKoBGB/Engelhardt, 8. Aufl., § 26 WEG aF Rn. 61 – jeweils zum alten Recht), kann hier offenbleiben. Denn die Kläger haben ihre Forderung nach Abberufung der Verwalterin unter anderem auf die ihrer Auffassung nach unzureichende Umsetzung des Urteils im Vorprozess gestützt; nachdem dieses am 31. Juli 2019 ergangen ist, kann ein Abberufungsverlangen in der Eigentümerversammlung vom 28. November 2019 nicht verspätet sein.
31
2. Die Abweisung der Klage auf Ersetzung des Beschlusses über die Kündigung des Verwaltervertrags kann ebenfalls keinen Bestand haben.
32
Steht nicht fest, ob ein Anspruch auf Abberufung besteht, ist zugleich offen, inwieweit die Kläger die Kündigung des Verwaltervertrags verlangen können. Denn insoweit gelten grundsätzlich die gleichen Maßstäbe wie für den Anspruch auf Abberufung des Verwalters (vgl. zur entsprechenden Frage bei Vorliegen eines wichtigen Grundes nach § 26 Abs. 1 Satz 3 WEG aF und der Berechtigung zur außerordentlichen Kündigung des Verwaltervertrags Senat, Beschluss vom 20. Juni 2002 – V ZB 39/01, BGHZ 151, 164, 175).
33
3. Die Abweisung der Anfechtungsklage, bei der nach § 48 Abs. 5 WEG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. WEG aF die übrigen Wohnungseigentümer unverändert richtige Klagegegner sind, kann ebenfalls keinen Bestand haben.
34
a) Anders als die Beschlussersetzungsklage ist die Anfechtungsklage nach dem zur Zeit der Beschlussfassung geltenden Recht, mithin hier nach altem Recht zu beurteilen (vgl. Senat, Urteil vom 16. Juli 2021 – V ZR 163/20, NJW 2021, 3057 Rn. 5; Urteil vom 11. Juni 2021 – V ZR 215/20, NZM 2021, 695 Rn. 4).
35
b) Im Rahmen einer Anfechtungsklage, die sich gegen die Ablehnung eines Beschlussantrags auf Abberufung des Verwalters richtet, ist zu prüfen, ob zum Zeitpunkt der Beschlussfassung (vgl. BayObLG, NJW-RR 2001, 446, 447) ein Anspruch der klagenden Partei aus § 21 Abs. 4 WEG aF auf Abberufung der Verwalterin bestand. Dies setzt – wie ausgeführt (Rn. 24) – voraus, dass die Ablehnung der Abberufung aus objektiver Sicht zu diesem Zeitpunkt unvertretbar war, wobei eine umfassende Würdigung aller Umstände des Einzelfalles erforderlich ist. Diese hat das Berufungsgericht nicht vorgenommen (siehe oben Rn. 29).
36
c) Dementsprechend kann die angefochtene Entscheidung auch insoweit keinen Bestand haben, als die Anfechtungsklage gegen die Ablehnung des auf Kündigung des Verwaltervertrags gerichteten Beschlussantrags abgewiesen worden ist.
III.
37
Das Berufungsurteil ist danach im Umfang der Anfechtung aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif, weil weitere Feststellungen zu treffen sind (§ 563 Abs. 1 u. 3 ZPO).
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1. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen lässt sich nicht beurteilen, ob die von dem Berufungsgericht unter zeitlichen Aspekten nicht berücksichtigten Punkte so unerheblich sind, dass ein Anspruch auf Abberufung der Verwalterin auch bei deren Einstellung in die Gesamtabwägung ausgeschlossen wäre. Der revisionsgerichtlichen Beurteilung unterliegt gemäß § 559 Abs. 1 ZPO nämlich nur dasjenige Parteivorbringen, das aus dem Berufungsurteil oder dem Sitzungsprotokoll ersichtlich ist; ersichtlich ist dabei nur der konkret in Bezug genommene Parteivortrag und nicht der gesamte Akteninhalt (MüKoZPO/Krüger, 6. Aufl., § 559 Rn. 4). So lässt sich zum Beispiel ohne Kenntnis der Teilungserklärung nicht beurteilen, inwieweit die getrennte Beschlussfassung nach Häuserkomplexen eine schwerwiegende Pflichtverletzung des Verwalters darstellt. Eine solche ist nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil der Senat erst in seiner Entscheidung vom 16. Juli 2021 (V ZR 163/20, NJW 2021, 3057 Rn. 8) klargestellt hat, dass eine einheitliche Jahresabrechnung auch bei Vorliegen von Untergemeinschaften notwendig ist. Denn es ist mangels jeglicher Feststellungen zum Inhalt der Teilungserklärung offen, ob diese überhaupt Regelungen zu Untergemeinschaften enthält. Ohne Kenntnis des genauen Inhalts der Entscheidung im Vorprozess lässt sich auch der Vorwurf, die Verwalterin habe diese pflichtwidrig umgesetzt, nicht abschließend beurteilen.
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2. Die Sache ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO), damit das Berufungsgericht die erforderliche umfassende Abwägung vornehmen kann.
- Stresemann
- Brückner
- Göbel
- Malik
- Laube