Persönliche Steuerbefreiung von der Grunderwerbsteuer (Beschluss des BFH 2. Senat)

BFH 2. Senat, Beschluss vom 23.02.2022, AZ II B 26/21, ECLI:DE:BFH:2022:B.230222.IIB26.21.0

§ 13 Nr 1 GrEStG 1997, § 44 Abs 1 S 1 AO, § 426 Abs 1 S 1 BGB, § 448 Abs 2 BGB, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO

Leitsatz

NV: Über die Auswirkung einer persönlichen Steuerbefreiungsvorschrift auf den weiteren grunderwerbsteuerrechtlichen Gesamtschuldner ist allein durch Auslegung dieser Vorschrift zu entscheiden.

Verfahrensgang

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 4. März 2021, Az: 12 K 12015/21, Urteil

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 04.03.2021 – 12 K 12015/21 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

I.

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Eine Internationale Organisation (IO), deren Mitglied auch die Bundesrepublik Deutschland ist, erwarb im Jahre 2015 Grundstücke. Der Beklagte und Beschwerdegegner (Finanzamt –FA–) setzte nach Einspruch die Grunderwerbsteuer gegenüber der IO auf 0 € fest. Der Erwerb sei aufgrund des entsprechenden Vertrags betreffend die Vorrechte und Befreiungen der IO (Immunitätsvertrag) steuerfrei. Mit Vertrag aus dem Jahre 2019 (Kaufvertrag) veräußerte die IO die Grundstücke an die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin). Nach dem Kaufvertrag hatte für den Fall, dass das FA trotz des Immunitätsvertrags Grunderwerbsteuer festsetze, diese die Klägerin zu tragen. Das FA setzte Grunderwerbsteuer gegenüber der Klägerin fest.

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Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Der Immunitätsvertrag gewähre der IO Steuerbefreiung, nicht aber dem Erwerber. Die IO und die Klägerin seien zwar nach § 13 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) i.V.m. § 44 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) Gesamtschuldner. Tatsächlich habe das FA aber nicht die IO in Anspruch genommen. Die IO sei auch nicht zum Gesamtschuldnerausgleich aus § 426 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) verpflichtet. Abgesehen davon, dass § 44 AO keine zivilrechtliche Gesamtschuld begründe, habe im Innenverhältnis nach § 448 Abs. 2 BGB der Erwerber die Grunderwerbsteuer zu tragen. Dem entspreche der vorliegende Vertrag. Der wirtschaftliche Einfluss der Steuer auf den Kaufpreis sei ohne Bedeutung. Der Immunitätsvertrag sehe die Befreiung der IO von staatlichen Abgaben vor, nicht aber von jeglichen wirtschaftlichen Folgen staatlichen Handelns.

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Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision beruft sich die Klägerin im Wesentlichen auf grundsätzliche Bedeutung der Sache nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO), ferner auf Rechtsfortbildung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO, und wirft die Rechtsfrage auf, nach welchen Kriterien das Finanzamt steuerrechtlich einen Gesamtschuldner in Anspruch nehmen dürfe, wenn dieser zwar nicht selbst durch eine Steuerbefreiung privilegiert sei, aber die Inanspruchnahme zu einer wirtschaftlichen Belastung des privilegierten Gesamtschuldners mit einer Steuer, hier Grunderwerbsteuer führe. Eine differenzierte Rechtsprechung zu der Problematik der gestörten Gesamtschuld, wie im Zivilrecht vorhanden, fehle im Steuerrecht. Im Widerspruch zu dem Ziel des Immunitätsvertrags sei stets auch der Verkäufer effektiv mit der Steuer belastet, sei es über die gesetzliche Gesamtschuld, sei es durch Einbeziehung der Steuerlast in die Kaufpreisverhandlung. Die Steuerbefreiung eines Gesamtschuldners werde wirtschaftlich ausgehöhlt, wenn sie nicht auch auf den anderen Gesamtschuldner ausgedehnt werde. Die zivilrechtliche Lastenverteilung allein könne nicht entscheiden, da § 448 Abs. 2 BGB dispositiv sei und so die Steuerlast im Belieben der Parteien stünde.

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Das FA erachtet die Beschwerde für unzulässig. Die Rechtsfrage sei unkonkret formuliert und betreffe eine Vielzahl unterschiedlicher Fallgestaltungen.

Entscheidungsgründe

II.

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Die Beschwerde ist unbegründet.

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1. Die aufgeworfene Rechtsfrage besitzt keine grundsätzliche Bedeutung, da sie allgemeingültiger Klärung nicht zugänglich ist. Aus demselben Grunde ist die Zulassung zur Rechtsfortbildung nicht möglich, die einen Spezialfall der Grundsatzrevision darstellt.

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a) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Beantwortung der Rechtsfrage muss aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder der Rechtsentwicklung dem allgemeinen Interesse dienen. Es muss sich um eine klärungsbedürftige Rechtsfrage handeln, die im Revisionsverfahren auch geklärt werden könnte (vgl. etwa Beschluss des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 17.05.2021 – VIII B 88/20, BFH/NV 2021, 1353, Rz 7). Einer allgemeinen und abstrakten Klärung nicht zugänglich und damit nicht klärungsfähig sind Rechtsfragen, deren Beantwortung von den besonderen Umständen des Einzelfalls abhängt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 21.09.2016 – VI B 34/16, BFH/NV 2017, 26, Rz 5, und vom 23.07.2020 – VIII B 130/19, BFH/NV 2021, 33, Rz 4).

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b) Wie mit der steuerrechtlichen Gesamtschuld aus § 44 Abs. 1 Satz 1 AO umzugehen ist, wenn die Steuererhebung bei einem Gesamtschuldner zu einer mindestens wirtschaftlichen Belastung eines anderen Gesamtschuldners führt, der seinerseits eine persönliche Steuerbefreiung genießt, ist eine nicht allgemein klärungsfähige Frage. Ihre Beantwortung kann nur Ergebnis einer Auslegung der individuellen Befreiungsvorschrift sein.

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aa) Das GrEStG sieht keine allgemeingültige Lösung für das Problem vor. Einer solchen bedarf es auch nicht, da diesem Gesetz eine persönliche Steuerbefreiung unbekannt ist. Die Befreiungsvorschriften der §§ 3 bis 7 GrEStG knüpfen zwar teilweise tatbestandlich an persönliche Verhältnisse eines am Erwerbsvorgang Beteiligten an, stellen jedoch auf Rechtsfolgenseite den Erwerbsvorgang frei, nicht allein einen Steuerschuldner.

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bb) Eine persönliche Befreiung von der Grunderwerbsteuer kann nur auf einer besonderen Vorschrift außerhalb des GrEStG beruhen. Die Behandlung einer so entstehenden gestörten Gesamtschuld richtet sich nach dem Inhalt der jeweiligen Vorschrift und ist nicht verallgemeinerbar. Es bestehen verschiedene Möglichkeiten, Privilegien gegenüber dem Zugriff der Finanzbehörden zu gestalten. Eine abstrakte Aussage, wie weit Lösungsmodelle anderer Rechtsgebiete, namentlich des Zivilrechts, auf bestimmte Befreiungen übertragen werden könnten, ist nicht möglich.

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cc) Wie eine derartige spezielle Vorschrift, hier die entsprechende Klausel des Immunitätsvertrags, auszulegen ist, ist keine Rechtsfrage von allgemeinem Interesse. Der Vertrag betrifft ausschließlich die Rechtsverhältnisse der IO, die Partei des hier streitigen Erwerbsvorgangs war. Ungeachtet der Frage, ob damit eine grundsätzliche Bedeutung der Sache begründet werden könnte, ist auch nicht ersichtlich, dass die IO regelmäßig am Grundstücksmarkt im Inland in Erscheinung tritt und sich die aufgeworfene Rechtsfrage in einer nicht übersehbaren Anzahl von Fällen stellen könnte. Es handelt sich um eine Rechtsanwendung im Einzelfall.

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2. Die Revision ist auch nicht aufgrund eines qualifizierten Rechtsanwendungsfehlers nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO zuzulassen (zu diesem in ständiger Rechtsprechung entwickelten Zulassungsgrund vgl. etwa BFH-Beschluss vom 19.05.2020 – VIII B 126/19, BFH/NV 2020, 1264, Rz 8, 17 f.).

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a) Das FG hat seine Entscheidung in erster Linie (unter I.2.b aa, bb) darauf gestützt, dass die von der Steuer befreite IO nicht in Anspruch genommen wurde und die in Anspruch genommene Klägerin nicht von der Steuer befreit ist. Es bewegt sich innerhalb des normalen Auslegungsspektrums, die Reichweite der Steuerbefreiung in dieser Weise formell zu verstehen. Auch mit Blick auf die allein verbindliche englische und französische Fassung des Immunitätsvertrags ist diese Lesart nicht unvertretbar.

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b) Dasselbe gilt im Ergebnis für die Ausführungen zu etwaigen Rückgriffsansprüchen der Klägerin gegen die IO aus § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB (unter I.2.b cc, dd). Es begegnet zwar Bedenken, wenn das FG die Anwendung der zivilrechtlichen Regelungen zur Gesamtschuld insgesamt nicht für anwendbar erachtet. Auch stünde die Steuerpflicht sachwidrig zur Disposition der Vertragsparteien, wenn die Besteuerung allein von den vertraglichen Bestimmungen dazu abhinge, wer im Innenverhältnis die Grunderwerbsteuer zu tragen hat. Im Wesentlichen hat sich das FG in diesem Zusammenhang jedoch darauf gestützt, dass nach § 448 Abs. 2 BGB der Käufer verpflichtet ist, die Grunderwerbsteuer zu tragen (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 11.06.2010 – V ZR 85/09, Neue Juristische Wochenschrift 2010, 2873, Rz 21). Es ist nicht sachwidrig, sich typisierend am gesetzlichen Modell zu orientieren, auch wenn dieses dispositiv ist.

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c) Schließlich vertritt das FG die Rechtsauffassung, dass ein wirtschaftlicher Einfluss der Grunderwerbsteuerbelastung auf den Kaufpreis und damit auch auf die IO aus Rechtsgründen unbeachtlich sei (unter I.2.c). Dies ist Ausfluss der formell geprägten Auslegung und rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 FGO. In welchem Umfang im Allgemeinen unabhängig von den zivilrechtlichen Vereinbarungen die Grunderwerbsteuer auch den Veräußerer wirtschaftlich trifft und inwieweit im vorliegenden Fall das Risiko der Grunderwerbsteuerpflicht im Kaufpreis Niederschlag gefunden hat, musste das FG folgerichtig nicht mehr erörtern.

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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

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4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.