BVerwG 5. Senat, Beschluss vom 07.02.2022, AZ 5 AV 5/21, ECLI:DE:BVerwG:2022:070222B5AV5.21.0
Verfahrensgang
vorgehend VG Hamburg, 30. November 2021, Az: 14 K 4015/20, Beschluss
Tenor
Als zuständiges Gericht wird das Verwaltungsgericht Hamburg bestimmt.
Gründe
I
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Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits ist die Frage der Tragung der Kosten für die Bestattung des 2014 verstorbenen Vaters des Klägers.
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Das von dem Kläger zunächst angerufene Sozialgericht Hamburg hat die Sache aus Gründen der örtlichen Zuständigkeit an das Sozialgericht Dortmund verwiesen. Dieses hat nach Anhörung der Beteiligten mit nicht angefochtenem Beschluss vom 28. Juli 2020 den Rechtsweg zu den Sozialgerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Hamburg verwiesen.
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Das Verwaltungsgericht hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass es sich für unzuständig halte, weil der Rechtsweg zu den Sozialgerichten und nicht zu den Verwaltungsgerichten eröffnet sei. Mit Beschluss vom 30. November 2021 hat es den Verwaltungsrechtsweg für unzulässig erklärt und das Bundesverwaltungsgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts angerufen.
II
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1. Das Bundesverwaltungsgericht ist zur Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts zwischen dem Sozialgericht Dortmund und dem Verwaltungsgericht Hamburg berufen.
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Gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 VwGO wird ein negativer Kompetenzkonflikt zwischen Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit von dem Gericht entschieden, das den beteiligten Gerichten übergeordnet ist. Zwar ist diese Vorschrift auf den Kompetenzkonflikt zwischen einem Verwaltungsgericht und einem Sozialgericht weder unmittelbar anwendbar noch gibt es für einen solchen Fall an anderer Stelle eine gesetzliche Regelung. Diese Regelungslücke ist aber – im Einklang mit der Rechtsprechung anderer oberster Gerichtshöfe des Bundes – in der Weise zu schließen, dass dasjenige oberste Bundesgericht den negativen Kompetenzkonflikt zwischen den Gerichten verschiedener Gerichtszweige entscheidet, das einem der beteiligten Gerichte übergeordnet ist und zuerst angegangen wird (BVerwG, Beschlüsse vom 16. Juni 2021 – 6 AV 1.21, 6 AV 2.21 – NVwZ-RR 2021, 740 f. und vom 12. November 2021 – 5 AV 1.21 – juris Rn. 5). Denn obwohl ein nach § 17a GVG ergangener und unanfechtbar gewordener Beschluss, mit dem ein Gericht den bestrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verwiesen hat, nach dem Gesetz keiner weiteren Überprüfung unterliegt, ist eine Zuständigkeitsbestimmung in Analogie zu § 53 Abs. 1 Nr. 5 VwGO im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit geboten, wenn es in einem Verfahren zu Zweifeln über die Bindungswirkung der Verweisung kommt und deshalb keines der in Frage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Mai 2013 – X ARZ 167/13 – MDR 2013, 1242 zu § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO). Eine solche Situation ist vorliegend gegeben. Sowohl das Sozialgericht Dortmund als auch das Verwaltungsgericht Hamburg haben entschieden, dass der Rechtsweg zu ihnen unzulässig sei.
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2. Für die Entscheidung im vorliegenden Verfahren ist das Verwaltungsgericht Hamburg zuständig. Der Verweisungsbeschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 28. Juli 2020 entfaltet gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG Bindungswirkung. Die Voraussetzungen, unter denen ein Verweisungsbeschluss eines Gerichts ausnahmsweise keine Bindungswirkung entfaltet, liegen hier nicht vor.
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Gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG ist ein Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtswegs bindend. Die Bindungswirkung tritt auch bei einem fehlerhaften Verweisungsbeschluss ein, etwa wenn der Rechtsweg zu dem verweisenden Gericht entgegen dessen Rechtsauffassung gegeben war oder das Gericht den Verweisungsbeschluss entgegen § 17a Abs. 4 Satz 2 GVG nicht begründet oder unter Verletzung des rechtlichen Gehörs getroffen hat. Mit Rücksicht auf die in § 17a GVG eröffnete Möglichkeit, einen Verweisungsbeschluss in dem in § 17a Abs. 4 Satz 3 bis 6 GVG vorgesehenen Instanzenzug überprüfen zu lassen, kann die gesetzlich angeordnete Bindungswirkung eines unanfechtbaren Verweisungsbeschlusses allenfalls bei extremen Rechtsverstößen durchbrochen werden. Das ist nur dann der Fall, wenn sich die Verweisung bei der Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnormen so weit von dem diese beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfernt hat, dass sie schlechthin nicht mehr zu rechtfertigen ist. Hiervon kann ausgegangen werden, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (BVerwG, Beschlüsse vom 16. Juni 2021 – 6 AV 1.21, 6 AV 2.21 – NVwZ-RR 2021, 740 <741> und vom 12. November 2021 – 5 AV 1.21 – juris Rn. 10).
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Der Verweisungsbeschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 28. Juli 2020 erweist sich nicht als in dieser Weise qualifiziert fehlerhaft. Dieser geht davon aus, dass es sich um eine verwaltungsrechtliche Streitigkeit gemäß § 40 VwGO handele, weil sich der Kläger gegen die ihm auferlegte Pflicht zur Tragung von Bestattungskosten für seinen verstorbenen Vater wende, für die als Ermächtigungsgrundlage § 10 Abs. 2 des Hamburgischen Bestattungsgesetzes in Betracht komme. Ob dieses Verständnis zweifelsfrei zutrifft, ist hier nicht erheblich; es ist – was maßgeblich ist – jedenfalls nicht offensichtlich unhaltbar. Zwar ist dem Verwaltungsgericht zuzugeben, dass der angefochtene Bescheid vom 11. Februar 2015 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 16. März 2015 und des zugehörigen Widerspruchsbescheides vom 6. September 2019 dem Kläger nach § 74 SGB XII die Übernahme seines Anteils an den Bestattungskosten einer Sozialbestattung seines Vaters „unter Anrechnung eines vom Kläger zu leistenden Kostenbeitrages“ bewilligt und § 10 Abs. 2 des Hamburgischen Bestattungsgesetzes nicht erwähnt. Dass damit – wie das Verwaltungsgericht meint – ausschließlich der Kostenübernahmeanspruch nach § 74 SGB XII Gegenstand der Bescheide und des nachfolgenden Klageverfahrens sei, ist jedoch keineswegs zwingend. Nach § 74 SGB XII werden die erforderlichen Kosten einer Bestattung übernommen, „soweit den hierzu Verpflichteten nicht zugemutet werden kann, die Kosten zu tragen“. Demnach schmälert ein zumutbarer Eigenanteil die Kostenübernahme durch die Behörde. Demgegenüber spricht der angefochtene Bescheid von einem von dem Kläger „zu leistenden Kostenbeitrag“. Dass dies nicht nur als eine sinngemäße Bezeichnung für einen dem Kläger zumutbaren Eigenanteil anzusehen sein kann, ergibt sich aus der in dem Bescheid vom 11. Februar 2015 gleichfalls unter Angabe einer Kontonummer sowie eines Kassenzeichens enthaltenen Zahlungsaufforderung. Dies lässt auch ohne Angabe einer Ermächtigungsgrundlage für eine Heranziehung des Klägers zu den Bestattungskosten die Auslegung zu, dass der Verwaltungsakt zugleich auch einen gegen den Kläger gerichteten und auf die Bestattungskosten bezogenen Leistungsbescheid enthält. Dementsprechend wendet sich die Klage ausweislich ihrer Begründung auch „gegen die Inanspruchnahme für Bestattungskosten“ durch die dem Kläger „gegenüber geltend gemachte Forderung“ (Schriftsatz vom 10. Oktober 2019 S. 2). Als Ermächtigungsgrundlage für einen Leistungsbescheid kommt aber nicht § 74 SGB XII, sondern nach Lage der Dinge § 10 des Hamburgischen Bestattungsgesetzes in Betracht. Hiergegen gerichtete Klagen sind im Verwaltungsrechtsweg zu erheben.