BVerwG 8. Senat, Beschluss vom 04.02.2022, AZ 8 B 36/21, ECLI:DE:BVerwG:2022:040222B8B36.21.0
Leitsatz
Die menschenunwürdige Unterbringung und Behandlung auf einem Rittergut eingesetzter Häftlinge des dort errichteten KZ-Außenlagers durch die Unternehmensverantwortlichen schließt einen Anspruch auf Ausgleichsleistungen für die besatzungshoheitliche Enteignung des Gutes gemäß § 1 Abs. 4 AusglLeistG aus.
Verfahrensgang
vorgehend VG Potsdam, 8. April 2021, Az: 1 K 6165/17, Urteil
Tenor
Die Beschwerde der Klägerinnen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 8. April 2021 wird zurückgewiesen.
Die Klägerinnen tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 12 782,30 € festgesetzt.
Gründe
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Die Klägerinnen wenden sich gegen die Rücknahme der Gewährung einer Ausgleichsleistung für die besatzungshoheitliche Enteignung von drei Rittergütern ihres Rechtsvorgängers. Der Rücknahmebescheid führt aus, der Rechtsvorgänger habe bei der Beschäftigung von Häftlingen eines Außenlagers des Konzentrationslagers R. auf einem der Rittergüter gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit verstoßen. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.
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Die auf sämtliche Revisionszulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde hiergegen hat keinen Erfolg.
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1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen. Dies würde voraussetzen, dass die Rechtssache eine Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die der – gegebenenfalls erneuten oder weitergehenden – höchstrichterlichen Klärung bedarf, sofern diese Klärung in dem angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten steht und dies zu einer Fortentwicklung der Rechtsprechung über den Einzelfall hinaus führen wird. Der Rechtsmittelführer hat darzulegen, dass diese Voraussetzungen vorliegen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Dem wird die Beschwerde nicht gerecht.
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Die von den Klägerinnen aufgeworfene Frage,
ob ein zurechenbares – schuldhaftes – erhebliches Zuwiderhandeln gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit (auch) durch ein zurechenbares – schuldhaftes – erhebliches Unterlassen von Handlungen zugunsten der Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit begangen werden kann,
wäre im angestrebten Revisionsverfahren nicht klärungsfähig, weil das Verwaltungsgericht nicht entscheidungstragend auf einen Verstoß ihres Rechtsvorgängers gegen die genannten Grundsätze allein durch ein Unterlassen von Handlungen abgestellt hat. Vielmehr hat es ein gegen diese Grundsätze verstoßendes, dem Rechtsvorgänger der Klägerinnen zurechenbares aktives Verhalten von Unternehmensmitarbeitern gegenüber den auf dem Gelände des betreffenden Rittergutes untergebrachten und beschäftigten Häftlingen angenommen. Auf der Grundlage seiner nicht mit wirksamen Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen (dazu sogleich unter 3.) ist es davon ausgegangen, dass die Unternehmensverantwortlichen nicht nur bestehende Spielräume zur Verbesserung der Situation der auf dem Gut zur Zwangsarbeit eingesetzten Häftlinge ungenutzt ließen, sondern an der schlechten Situation sogar aktiv mitwirkten, indem sie die Häftlinge unter menschenunwürdigen, gesundheitsschädlichen Bedingungen in einem ungeheizten, zugigen ehemaligen Speicher unterbrachten und trotz unzureichender Bekleidung bei Feld- und Verladearbeiten jeder Witterung aussetzten, nach Auffassung der Aufseher unzureichende Arbeitsleistungen unter anderem durch Essensentzug bestraften und sich aktiv an dem Austausch und Rücktransport von erkrankten und den geforderten Arbeitsleistungen nicht mehr gewachsenen Häftlingen gegen gesunde Häftlinge aus dem Stammlager beteiligten.
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2. Die Revision ist auch nicht wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen. Dieser Zulassungsgrund ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur dann hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts oder eines anderen der in der Vorschrift aufgeführten Gerichte aufgestellten ebensolchen (abstrakten) Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Das ist hier nicht dargelegt.
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a) Das als angebliche Divergenzentscheidung benannte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Februar 2007 – 3 C 13.06 – (ZOV 2007, 69) stellt schon nicht den in der Beschwerdebegründung behaupteten Rechtssatz auf, in die Würdigkeitsprüfung nach § 1 Abs. 4 AusglLeistG sei das enteignete Unternehmen nur im Falle der Enteignung von Vermögen einer Gesellschaft oder Genossenschaft einzubeziehen. Vielmehr weist diese Entscheidung schon in der von den Klägerinnen in Bezug genommenen Randnummer 20 darauf hin, dass der Anspruch unabhängig davon auch ausgeschlossen sein kann, wenn ein durch das Unternehmen verwirklichter Ausschlusstatbestand den Unternehmensverantwortlichen zuzurechnen ist. Die dafür maßgeblichen, in Randnummer 24 der angeblichen Divergenzentscheidung näher erläuterten Grundsätze hat das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt.
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b) Auch die Rüge, das Urteil des Verwaltungsgerichts weiche von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Mai 2007 – 5 C 5.06 – (Buchholz 428.4 § 1 AusglLeistG Nr. 12) ab, geht fehl. Dem Urteil des Verwaltungsgerichts ist der in der Beschwerdebegründung genannte abstrakte Rechtssatz, ein Ausgleichsleistungen ausschließender Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit könne (auch) durch ein zurechenbares – schuldhaftes – erhebliches Unterlassen von Handlungen zugunsten der Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit begangen werden, weder ausdrücklich noch der Sache nach zu entnehmen. Selbst wenn man Letzteres annähme, würde es nicht auf ihm beruhen, weil es den Anspruchsausschluss, wie dargelegt, aus einer dem Unternehmensverantwortlichen zurechenbaren aktiven Mitwirkung an der erheblichen Zuwiderhandlung gegen die genannten Grundsätze ableitet.
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3. Die Revision ist schließlich nicht wegen eines Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
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a) Aus den Darlegungen der Beschwerdebegründung ergibt sich kein Verstoß des Urteils gegen den Überzeugungsgrundsatz. Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Vermeintliche Fehler in der Sachverhalts- oder Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich grundsätzlich dem sachlichen Recht und nicht dem Verfahrensrecht zuzuordnen. Die Freiheit der richterlichen Überzeugungsbildung ist erst dann überschritten, wenn das Gericht seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt, sondern nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt, oder wenn die von ihm gezogenen Schlussfolgerungen gegen die Denkgesetze verstoßen oder sonst von objektiver Willkür geprägt sind. Die Einhaltung der sich aus § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ergebenden Verpflichtung des Tatrichters ist jedoch nicht schon dann in Frage gestellt, wenn ein Beteiligter aus dem vorliegenden Tatsachenmaterial andere Schlüsse ziehen will als das Tatsachengericht (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 6. Mai 2019 – 8 B 2.19 – juris Rn. 6 m.w.N.).
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Die Klägerinnen beanstanden, das Verwaltungsgericht habe aus der Bitte des Gutes an das Konzentrationslager R. um gesunde Austauschhäftlinge abwägungsfehlerhaft auf eine aktive Mitwirkung des Unternehmens am Rücktransport und Ersatz von nicht mehr den Arbeitsanforderungen genügenden Häftlingen geschlossen und die denkgesetzlich mögliche Schlussfolgerung außer Acht gelassen, das Gut habe diese Häftlinge lediglich schonen wollen. Damit kritisieren sie lediglich die dem sachlichen Recht zuzuordnende tatrichterliche Bewertung des Beweismaterials, ohne deren Aktenwidrigkeit, Verstoß gegen Denkgesetze oder Willkür darzulegen. Die Rüge selektiver Verwertung des Prozessstoffs geht ebenfalls fehl. Das Verwaltungsgericht hat sich mit den entlastenden Beweismitteln, wie den Angaben des Herrn L., auseinandergesetzt und diese gewürdigt. Die Klägerinnen haben nicht dargelegt, dass die vom Verwaltungsgericht recherchierten Umstände der Unterbringung und Beschäftigung von Häftlingen auf dem Gut und die in den Prozess eingeführten historischen Tatsachen irgendwelche Anhaltspunkte dafür geboten hätten, dass der Austausch erkrankter und nicht mehr arbeitsfähiger Häftlinge gegen gesündere dem Schutz der erstgenannten gedient hätte oder die Unternehmensverantwortlichen hätten annehmen können, dass die rückdeportierten Häftlinge im Stammlager des KZ R. Schonung erwartete.
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b) Schließlich leidet das angegriffene Urteil nach den Darlegungen der Beschwerdebegründung auch nicht an dem geltend gemachten Aufklärungsmangel (§ 86 Abs. 1 VwGO).
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Die Klägerinnen rügen, das Verwaltungsgericht hätte aus dem Schreiben einer SS-Kommandoführerin der Außenstelle auf dem Gut an den Lagerführer des Stammlagers, wonach das Gut um Austauschhäftlinge bitte, nicht ohne weitere Sachverhaltsaufklärung auf eine aktive Beteiligung des Gutes an der Ausbeutung und den schlechten Lebensbedingungen der Häftlinge des Außenlagers schließen dürfen. Damit ist nicht, wie erforderlich (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 2019 – 4 CN 8.18 – BVerwGE 166, 378 Rn. 29), substantiiert dargetan, welche Aufklärungsmaßnahmen sich dem Verwaltungsgericht auch ohne förmlichen Beweisantrag der bereits in der Vorinstanz anwaltlich vertretenen Klägerinnen hätten aufdrängen müssen, welches Ergebnis sie gehabt hätten und inwieweit dies zu einer für die Klägerinnen günstigeren Entscheidung hätte führen können.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 und § 52 Abs. 3 GKG.