BGH Kartellsenat, Beschluss vom 24.12.2021, AZ KRB 11/21, ECLI:DE:BGH:2021:241221BKRB11.21.0
§ 46 Abs 1 OWiG, § 74 Abs 2 OWiG, § 444 Abs 2 StPO
Leitsatz
Unentschuldigtes Ausbleiben von Nebenbetroffenen
Auf nebenbetroffene juristische Personen und Personenvereinigungen ist § 74 Abs. 2 OWiG weder direkt noch analog oder ergänzend anwendbar.
Verfahrensgang
vorgehend OLG Düsseldorf, 17. August 2020, Az: V-6 Kart 10/19 (OWi), Urteil
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Generalstaatsanwaltschaft wird das Urteil des 6. Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 17. August 2020 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an einen anderen Kartellsenat des Oberlandesgerichts zurückverwiesen.
Gründe
1
Das Oberlandesgericht hat den Einspruch der Nebenbetroffenen gegen einen Bußgeldbescheid des Bundeskartellamts gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, weil die gesetzlichen Vertreter der Nebenbetroffenen, deren persönliches Erscheinen zur Hauptverhandlung angeordnet worden war, der Hauptverhandlung unentschuldigt ferngeblieben sind (OLG Düsseldorf, WuW 2020, 671). Dagegen wendet sich die Generalstaatsanwaltschaft mit der Rechtsbeschwerde. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
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1. Mit Bußgeldbescheid vom 23. Dezember 2015 hat das Bundeskartellamt gegen die Nebenbetroffene wegen einer Kartellordnungswidrigkeit nach § 81 Abs. 4 Satz 2 bis 4, Abs. 6, § 14 GWB in der ab dem 22. Dezember 2007 geltenden Fassung (im Folgenden: GWB 2007), § 30 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 und 3 OWiG ein Bußgeld in Höhe von 5.250.000 € verhängt. Nach Einspruch der Nebenbetroffenen hat das Oberlandesgericht gegen diese mit Urteil vom 28. Februar 2018 wegen eines vorsätzlichen Verstoßes gegen das Preisbindungsverbot gemäß § 81 Abs. 1 Nr. 1, § 14 GWB in der bis zum 12. Juli 2005 geltenden Fassung (im Folgenden: GWB 1999) eine Geldbuße in Höhe von 30 Millionen € festgesetzt. Auf die Rechtsbeschwerde der Nebenbetroffenen hat der Bundesgerichtshof dieses Urteil durch Beschluss vom 9. Juli 2019 (KRB 37/19) wegen der Verletzung von Verfahrensvorschriften (§ 275 Abs. 1, § 338 Nr. 7 StPO, § 71 Abs. 1, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG) mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an einen anderen Kartellsenat des Oberlandesgerichts zurückverwiesen.
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Die Generalstaatsanwaltschaft hat unter dem 18. Februar 2020 beantragt, aufgrund mündlicher Verhandlung durch Urteil zu entscheiden. Das Oberlandesgericht hat daraufhin mit Beschluss vom 8. Juli 2020 das persönliche Erscheinen aller fünf Geschäftsführer der Nebenbetroffenen zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts angeordnet. Die Ladungsverfügung und der Beschluss über die Anordnung des persönlichen Erscheinens sind den Geschäftsführern zugestellt worden. Drei der Geschäftsführer der Nebenbetroffenen hat das Oberlandesgericht sodann auf ihren jeweiligen Antrag mit Beschluss vom 12. August 2020 von ihrer Pflicht zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden.
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Mit Schreiben vom 31. Juli 2020 hat die Nebenbetroffene vor Beginn der mündlichen Verhandlung vor dem zu neuer Entscheidung berufenen Kartellsenat des Oberlandesgerichts erklärt, sie nehme ihren Einspruch gegen den Bußgeldbescheid zurück. Die Generalstaatsanwaltschaft hat der Einspruchsrücknahme nicht zugestimmt.
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Dem Termin zur Hauptverhandlung am 17. August 2020 vor dem Oberlandesgericht sind die beiden Geschäftsführer der Nebenbetroffenen, deren persönliches Erscheinen weiterhin angeordnet geblieben war, ohne Entschuldigung ferngeblieben. Erschienen sind lediglich die Verteidiger der Nebenbetroffenen, denen eine umfassende Vertretungsvollmacht auch für den Fall der Abwesenheit ihrer organschaftlichen Vertreter erteilt worden war.
6
Das Oberlandesgericht hat den Einspruch der Nebenbetroffenen durch das hier angegriffene Urteil vom 17. August 2020 gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen.
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2. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Oberlandesgericht im Wesentlichen ausgeführt: Über den Einspruch der Nebenbetroffenen sei durch Urteil zu entscheiden, denn der Wirksamkeit der Einspruchsrücknahme stehe die unterbliebene Zustimmung der Generalstaatsanwaltschaft entgegen (§ 71 OWiG, § 411 Abs. 3 Satz 2, § 303 Satz 1 StPO). Da über die Sache vor der Aufhebung und Zurückverweisung durch den Bundesgerichtshof bereits vor dem Oberlandesgericht mündlich zur Sache verhandelt worden sei, verbleibe es bei dem Zustimmungserfordernis des Gegners nach § 71 Abs. 1 OWiG, § 303 Satz 1 StPO, ohne dass es auf den Beginn der Hauptverhandlung vor dem nach Zurückverweisung nun zur Entscheidung berufenen Kartellsenat ankomme. Der Einspruch sei jedoch nach § 74 Abs. 2 OWiG zu verwerfen. Dabei könne offenbleiben, ob die Verwerfung zwingend zu erfolgen habe oder aufgrund des Zusammenspiels mit den Regelungen der § 46 Abs. 1 OWiG, § 444 Abs. 2 Satz 1, § 427 Abs. 2 Satz 2 StPO im Ermessen des Senats stehe. Die Ausübung eines etwaigen Ermessens führe ebenfalls zur Verwerfung des Einspruchs, denn es sei absehbar, dass die vom Bundeskartellamt bestimmte Geldbuße nicht völlig unangemessen gewesen sei und nicht gegen Prinzipien der materiellen Gerechtigkeit verstoßen habe.
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3. Dagegen wendet sich die Rechtsbeschwerde der Generalstaatsanwaltschaft, mit der sie die rechtsfehlerhafte Anwendung des § 74 Abs. 2 OWiG beanstandet.
II.
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Die nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Die gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zulässig erhobene Rüge der Verletzung des § 74 Abs. 2 OWiG greift durch.
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1. Der Verwerfung des Einspruchs durch Urteil stand allerdings nicht das von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrenshindernis (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 13. Juli 2020 – KRB 99/19, BGHSt 65, 75 Rn. 16 – Bierkartell) eines bereits rechtskräftigen Bußgeldbescheides entgegen. Zutreffend hat das Oberlandesgericht insoweit angenommen, die Nebenbetroffene habe ihren Einspruch mit Schriftsatz vom 31. Juli 2020 wegen fehlender Zustimmung der Generalstaatsanwaltschaft nicht mehr wirksam zurücknehmen können, so dass der Bußgeldbescheid des Bundeskartellamts nicht in Rechtskraft erwachsen sei.
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a) Die Wirksamkeit der Rücknahme des Einspruchs richtet sich im Bußgeldverfahren gemäß § 71 Abs. 1 OWiG nach den § 411 Abs. 3 Satz 2, § 303 Satz 1 StPO. Wenn die Entscheidung über das Rechtsmittel auf Grund mündlicher Verhandlung stattzufinden hat, erlaubt § 303 Satz 1 StPO dessen Zurücknahme nach Beginn der Hauptverhandlung nur mit Zustimmung des Gegners. Die Hauptverhandlung beginnt mit dem Aufruf der Sache (§ 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 411 Abs. 1, § 243 Abs. 1 Satz 1 StPO). Die Beschränkung des Rücknahmerechts nach § 303 Satz 1 StPO wird dadurch endgültig für die Dauer des gesamten Verfahrens ausgelöst. Hieran ändert auch der Neubeginn der Hauptverhandlung nach Zurückverweisung durch das Rechtsbeschwerdegericht nichts; es gilt vielmehr der Grundsatz der Einheitlichkeit der Hauptverhandlung (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 16. Juni 1970 – 5 StR 602/69, BGHSt 23, 277, 278 [juris Rn. 9]; Jesse in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 303 Rn. 4; Eckstein in Münchener Kommentar, StPO, 1. Aufl., § 411 Rn. 45; Maur in Karlsruher Kommentar, StPO, 8. Aufl., § 411 Rn. 31; Cirener in BeckOK, StPO, 41. Ed. [Stand: 1. Oktober 2021], § 303 Rn. 2). Der für den Strafprozess maßgebende Gedanke, dass § 303 Satz 1 StPO zwar nicht den „Schutz des Gegners“ bezweckt, aber der materiellen Gerechtigkeit dient, indem er die einseitige Verfügung über das Rechtsmittel dem Beschwerdeführer entzieht, sobald die Hauptverhandlung einmal begonnen hat (BGHSt 23, 277, 278 ff. [juris Rn. 9], gilt im Bußgeldverfahren gleichermaßen (§ 71 Abs. 1 OWiG).
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b) Die Entscheidung über das Rechtsmittel der Nebenbetroffenen hatte vorliegend jedenfalls deshalb aufgrund mündlicher Verhandlung zu ergehen, weil die Generalstaatsanwaltschaft beantragt hatte, aufgrund mündlicher Verhandlung durch Urteil zu entscheiden (§ 72 Abs. 1 Satz 1 OWiG). Die Hauptverhandlung hat mit dem Aufruf der Sache vor dem 4. Kartellsenat des Oberlandesgerichts im Jahr 2017 begonnen. Infolge der Verweigerung der erforderlichen Zustimmung durch die Generalstaatsanwaltschaft ist die Rechtsmittelrücknahme der Nebenbetroffenen deshalb unwirksam.
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2. Der Rüge des Verstoßes gegen § 74 Abs. 2 OWiG steht § 339 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG nicht entgegen.
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Nach § 339 StPO kann die Staatsanwaltschaft die Verletzung von Rechtsnormen, die lediglich zugunsten des Betroffenen gegeben sind, nicht zu dessen Nachteil geltend machen. Die §§ 73, 74 OWiG, nach denen die Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung grundsätzlich erforderlich ist, sind jedoch nicht lediglich zu seinen Gunsten gegeben. Das kommt bereits darin zum Ausdruck, dass sie eine Pflicht (§ 73 Abs. 1 OWiG), nicht nur ein Recht des Betroffenen begründen. Sie dienen, ebenso wie § 230 Abs. 1, § 231 Abs. 1 StPO, auch dem öffentlichen Interesse an einer möglichst umfassenden und zuverlässigen Wahrheitsermittlung (vgl. BGH, Urteil vom 30. November 1990 – 2 StR 44/90, BGHSt 37, 249, 250, juris Rn. 21; Beschluss vom 21. April 2010 – GSSt 1/09, BGHSt 55, 87 Rn. 9; RGSt 29, 44, 48; 60, 179 f.; Franke in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 339, Rn. 5; Knauer/Kudlich in Münchener Kommentar, StPO, 1. Aufl., § 339 Rn. 4; Gericke in Karlsruher Kommentar, StPO, 8. Aufl., § 339 Rn. 3). Allein diese abstrakte Zweckbestimmung ist maßgebend; darauf, ob im jeweils konkreten Fall ein öffentliches Interesse an der Anwesenheit des Betroffenen besteht, kommt es nicht an. Hinzu tritt, dass es ohnehin von der Verfahrens- und Interessenlage im jeweiligen konkreten Einzelfall abhängt, ob sich die Verfahrensfolge des § 74 Abs. 2 OWiG zugunsten oder zulasten des Betroffenen auswirkt. Für Nebenbetroffene gilt nichts anderes.
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3. Die Annahme des Oberlandesgerichts, es müsse oder könne den Einspruch der Nebenbetroffenen gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verwerfen, ist rechtsfehlerhaft. Denn auf eine nebenbetroffene juristische Person findet § 74 Abs. 2 OWiG weder unmittelbar noch entsprechend oder ergänzend Anwendung. Vielmehr gilt stattdessen § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 444 StPO.
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a) Bleibt der Betroffene in der Hauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung aus, obwohl er von der Verpflichtung zum Erscheinen nicht entbunden war, hat das Gericht den Einspruch gemäß § 74 Abs. 2 OWiG ohne Verhandlung zur Sache durch Urteil zu verwerfen.
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Seinem klaren Wortlaut nach knüpft § 74 Abs. 2 OWiG allein an den Betroffenen an. Betroffener im Sinne des Ordnungswidrigkeitengesetzes ist die natürliche Person, gegen die sich das Verfahren richtet (vgl. Gassner in Gassner/Seith, OWiG, 2. Aufl., Einl. Rn. 100; Kurz in Karlsruher Kommentar, OWiG, 5. Aufl., § 66 Rn. 5 mwN; Seitz/Bauer in Göhler, OWiG, 18. Aufl., Vor § 59 Rn. 49; Klesczewski, Ordnungswidrigkeitenrecht, 2. Aufl., Rn. 757; Haus/Bredebach, ZWH 2021, 81). Weder die juristische Person noch der Personenverband unterfallen diesem Begriff. Zu nebenbetroffenen juristischen Personen und Personenvereinigungen verhält sich § 74 Abs. 2 OWiG somit nicht.
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b) Für eine entsprechende Anwendung des § 74 Abs. 2 OWiG auf nebenbetroffene juristische Personen und Personenvereinigungen, deren Rechtsstellung sich prozessual weitgehend nach den Regelungen für die Einziehungsbeteiligten richtet, ist kein Raum.
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aa) Der Bundesgerichtshof hat sich zu der Frage, ob § 74 Abs. 2 OWiG auf nebenbetroffene juristische Personen und Personenvereinigungen entsprechend anwendbar ist, bislang nicht geäußert.
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bb) In der obergerichtlichen Rechtsprechung und Literatur werden dazu unterschiedliche Auffassungen vertreten.
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(1) Verschiedene Oberlandesgerichte und ein Teil der Literatur bejahen eine entsprechende Anwendung (vgl. OLG Stuttgart, wistra 2007, 279, 280, jedoch ohne Berücksichtigung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und anderer Gesetze vom 26. Januar 1998, BGBl. I S. 156 [künftig: OWiG-Änderungsgesetz]; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 20. Dezember 2010 – 1 SsBs 29/09, juris; Rogall in Karlsruher Kommentar, OWiG, 5. Aufl., § 30 Rn. 239; Gürtler/Thoma in Göhler, OWiG, 18. Aufl., § 88 Rn. 8; § 87 Rn. 27; Meyberg in BeckOK OWiG, 32. Ed. [Stand: 1. Oktober 2021], § 29a Rn. 108). Zur Begründung machen sie geltend, indem das Gesetz in § 87 Abs. 2 und 3 OWiG die Rechtsstellung des Einziehungsbeteiligten derjenigen eines Betroffenen im Bußgeldverfahren angleiche, bewirke es die Anwendbarkeit der allgemeinen Vorschriften gemäß § 71 ff. OWiG, wozu auch die Möglichkeit der Einspruchsverwerfung gemäß § 74 Abs. 2 OWiG gehöre. Die Verfahrensregelungen der § 46 Abs. 1 OWiG, § 444 Abs. 2 Satz 2 StPO [bzw. § 436 Abs. 1 Satz 1 StPO in der vom 1. Januar 2000 bis zum 24. Juli 2015 geltenden Fassung] einerseits und § 74 Abs. 2 OWiG andererseits seien nebeneinander anwendbar; dem Tatgericht sei insoweit Ermessen eingeräumt. Dazu wird auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Zweibrücken (OLG Zweibrücken, NStZ 1995, 293) verwiesen, die allerdings noch zu § 74 Abs. 2 OWiG in der Fassung vor Inkrafttreten des OWiG-Änderungsgesetz ergangen ist (vgl. OLG Stuttgart, wistra 2007, 279, 280; Rogall in Karlsruher Kommentar, OWiG, 5. Aufl., § 30 Rn. 239; Gürtler/Thoma in Göhler, OWiG, 18. Aufl. 2021, § 88 Rn. 8; Meyberg in BeckOK OWiG, 32. Ed. [Stand: 1. Oktober 2021], § 29a Rn. 108).
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(2) Die Gegenauffassung lehnt eine entsprechende Anwendung des § 74 Abs. 2 OWiG für diese Fallkonstellation ab. Bei unentschuldigtem Ausbleiben des Einziehungsbeteiligten, dem es, soweit sein persönliches Erscheinen nicht angeordnet worden sei, grundsätzlich freistehe, der Hauptverhandlung fernzubleiben, könne das Gericht in Abwesenheit des Einziehungsbeteiligten verhandeln oder nach seinem Ermessen seine Vorführung zur Aufklärung des Sachverhalts anordnen (§ 427 Abs. 2 StPO). Handele es sich bei dem Einziehungsbeteiligten um eine juristische Person oder Personenvereinigung, so werde das Erscheinen und ggf. die Vorführung des vertretungsberechtigten Organs angeordnet. Erscheine der Einziehungsbeteiligte, dessen persönliches Erscheinen angeordnet worden ist, ohne genügende Entschuldigung nicht zur Hauptverhandlung, sei die Verwerfung des Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG nicht möglich. Nichts anderes gelte im Falle der Festsetzung einer Geldbuße gegen eine juristische Person oder Personenvereinigung (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 20. November 2001 – Ss 448/01 (B), Ss 448/01, juris; Fad in Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG, 27. Lfg. Februar 2019, § 87 Rn. 43; sowie zur vergleichbaren Rechtslage beim Einziehungsbeteiligten Mitsch in Karlsruher Kommentar, OWiG, 5. Aufl., § 87 Rn. 54, 57; Köhler in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 432 Rn. 8; Retemeyer in Gercke/Julius/Temming/Zöller, Strafprozessordnung, 6. Aufl., § 432 Rn. 6; Schmidt in Karlsruher Kommentar, StPO, 8. Aufl., § 432 Rn. 9).
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cc) Die letztgenannte Ansicht ist richtig. Die grammatikalische, systematische, historische und teleologische Auslegung ergibt, dass schon keine planwidrige Regelungslücke besteht, die eine entsprechende Anwendung des § 74 Abs. 2 OWiG rechtfertigen könnte.
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(1) Systematische Erwägungen bestätigen das bereits aus dem Gesetzeswortlaut folgende Ergebnis, dass § 74 Abs. 2 OWiG eine Verfahrensfolge allein für Betroffene vorhält.
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Die Regelung in § 74 Abs. 2 OWiG erfasst nur den Fall, dass der Betroffene als natürliche Person in der Hauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung ausbleibt, obwohl er von der Verpflichtung zum Erscheinen nicht entbunden war. Bei gegen nebenbetroffene juristische Personen und Personenvereinigungen geführten Verfahren hat der Gesetzgeber – nahezu unverändert seit dem Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vom 24. Mai 1968 (BGBl I S. 511 linke Spalte) – eine grundlegend andere Regelung getroffen. Die juristische Person oder Personenvereinigung wird zwar, wie der Betroffene, zur Hauptverhandlung geladen. Bleibt allerdings ihr Vertreter ohne genügende Entschuldigung aus, kann ohne sie verhandelt werden, wenn in der Ladung ein entsprechender Hinweis erfolgt ist (§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 444 Abs. 2, § 429 Abs. 3 Nr. 1 StPO). Die Verfahrensfolgen ergeben sich für diesen Fall aus § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 444 StPO. Stattdessen oder daneben ist § 74 Abs. 2 OWiG nicht anwendbar; die Verfahrensvorschriften schließen einander aus. Indem das Oberlandesgericht vorliegend davon ausgegangen ist, § 444 Abs. 2 Satz 1 StPO stelle keine die Regelung in § 74 Abs. 2 OWiG verdrängende Spezialnorm dar, hat es das gesetzliche Regel-Ausnahme-Verhältnis gemäß § 46 Abs. 1 OWiG auf den Kopf gestellt. Die Anwendung des § 444 Abs. 2 StPO entspricht dem gesetzlichen Regelfall (so auch Gürtler/Thoma in Göhler, OWiG, 18. Aufl., Vor § 87 Rn. 1). Eine speziellere Regelung, die geeignet wäre, diesen zu verdrängen, enthält § 74 Abs. 2 OWiG nicht.
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(a) Für das Bußgeldverfahren bestimmt § 46 Abs. 1 OWiG die sinngemäße Anwendung der Vorschriften der allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren, namentlich der Strafprozessordnung. Diese gelten nur dann nicht, wenn das Ordnungswidrigkeitengesetz eine speziellere Regelung vorsieht. Die Geltung der Vorschriften der Strafprozessordnung stellt nach der gesetzlichen Systematik mithin den Regel-, deren Verdrängung durch die spezielleren Bestimmungen des Ordnungswidrigkeitenrechts den Ausnahmefall dar.
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Der hierdurch bewirkte grundsätzliche Gleichlauf von Ordnungswidrigkeiten- und Strafverfahren entspricht dem Willen des Gesetzgebers. Die Einführung des § 46 Abs. 1 OWiG diente in erster Linie dem Ziel, die bis 1968 bestehende Zweigleisigkeit von Bußgeldverfahren und Strafverfahren zu beseitigen, in der vormaligen Rechtsanwendung aufgetretene Lücken zu schließen und Rechts-vereinheitlichung zwischen Bußgeld- und Strafverfahren herzustellen (vgl. BT-Drucks. V/1269 S. 31 rechte Spalte). Die Verfahrensordnungen sollten aus Gründen der Rechtsvereinheitlichung weitest möglich aufeinander abgestimmt und zugleich sollten, soweit erforderlich, für das Bußgeldverfahren besondere Regelungen geschaffen werden, um der Eigenart dieses Verfahrens gerecht zu werden (BT-Drucks. V/1269 S. 32 linke Spalte und S. 80 linke Spalte).
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(b) Die Strafprozessordnung sieht in § 444 Abs. 2 Satz 1 StPO eigens für den Fall des nicht genügend entschuldigten Ausbleibens des Vertreters einer juristischen Person oder Personenvereinigung in der Hauptverhandlung eine Rechtsfolgenregelung vor. Gemäß § 444 Abs. 2 Satz 1 StPO ist die juristische Person oder Personenvereinigung als originär Verfahrensbeteiligte vermittels ihres Vertreters zur Hauptverhandlung zu laden; bleibt dieser ohne genügende Entschuldigung aus, so kann ohne sie verhandelt werden. Zur Aufklärung des Sachverhalts steht es dem Gericht frei, das persönliche Erscheinen der zur Vertretung des Verbandes berufenen Person(en) zur Hauptverhandlung anzuordnen (§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 444 Abs. 2 Satz 2, § 427 Abs. 2 Satz 1 StPO). Im Falle ihres Ausbleibens entscheidet das Tatgericht nach freiem Ermessen über die Durchführung einer Abwesenheitsverhandlung; denn § 444 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 StPO ist, anders als § 74 Abs. 2 OWiG, ausdrücklich als Kann-Bestimmung ausgestaltet. Sein Ermessen kann das Tatgericht wahlweise auch dahin aus-üben, gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 444 Abs. 2 Satz 2, § 427 Abs. 2 Satz 2 StPO die zwangsweise Vorführung des Verbandsvertreters anzuordnen. Dies kann etwa dann naheliegen, wenn dessen persönliches Erscheinen in der Hauptverhandlung aus Gründen der Sachaufklärung angeordnet worden war.
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Für das gegen Verbände gerichtete Bußgeldverfahren gelten insoweit keine Besonderheiten, so dass die strafprozessuale Verfahrensregelung hier gemäß § 46 Abs. 1 OWiG gleichermaßen Geltung beansprucht (vgl. Rogall in Karlsruher Kommentar, OWiG, 5. Aufl., § 30 Rn. 207; Gürtler/Thoma in Göhler, OWiG, 18. Aufl., § 88 Rn. 8; Kudlich/Schuhr in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 3. Aufl., § 444 Rn. 1; Schmidt in Karlsruher Kommentar, StPO, 8. Aufl., § 444 Rn. 10 u. 19; Scheinfeld/Langlitz in Münchener Kommentar, StPO, 1. Aufl., § 444 Rn. 22).
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(c) Dem steht, anders als das Oberlandesgericht meint, nicht entgegen, dass nicht alle in § 444 StPO enthaltenen Verweisungen auf das Bußgeldverfahren anwendbar sind. Dies erschließt sich daraus, dass die Norm originär für das Strafverfahren geschaffen worden ist. Für das Bußgeldverfahren verweist § 46 Abs. 1 OWiG deshalb auf die Regelungen des § 444 StPO mit der Einschränkung, dass das Ordnungswidrigkeitengesetz keine speziellere Regelung enthält. Soweit das Oberlandesgericht betont, dass etwa die Regeln über das Rechtsmittelverfahren gemäß § 444 Abs. 2 Satz 2, § 431 StPO im Bußgeldverfahren von den Bestimmungen der §§ 79 ff. OWiG verdrängt würden, entspricht dies gerade dem gesetzlichen Regelungsmechanismus.
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(2) Die historische wie auch die teleologische Auslegung der Vorschrift des § 74 Abs. 2 OWiG stehen einer entsprechenden Anwendung gleichfalls entgegen. Bereits mit Blick auf die Entstehungsgeschichte der Norm kann ausgeschlossen werden, dass eine planwidrige Regelungslücke besteht. Es kommt deshalb nicht darauf an, dass es zudem an der Vergleichbarkeit der Fallgestaltungen fehlte.
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(a) Die Regelung des § 74 Abs. 2 OWiG knüpft an § 73 Abs. 1 OWiG an, wonach der Betroffene als natürliche Person – anders als die nebenbetroffene juristische Person oder Personenvereinigung – zum Erscheinen in der Hauptverhandlung verpflichtet ist. Die Vorschriften der §§ 73, 74 OWiG sind zusammen zu lesen, ihre Anordnungen sind zielgerichtet aufeinander abgestimmt (vgl. BT-Drucks. 13/5418 S. 9) und vom Gesetzgeber durch Art. 1 Nr. 13 OWiG-Änderungsgesetz zum Zwecke der Entlastung der Gerichte neu justiert worden. Während es dem Betroffenen nach § 62 Abs. 1 OWiG in der Fassung vom 8. Januar 1967 noch grundsätzlich freistehen sollte, an der Hauptverhandlung teilzunehmen und seine Pflicht zum persönlichen Erscheinen gemäß § 62 Abs. 2 OWiG aF der ausdrücklichen Anordnung durch das Gericht bedurfte, hat der Gesetzgeber des OWiG-Änderungsgesetzes dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis zur Förderung der Rechtsklarheit und der dringend gebotenen Entlastung der Gerichte in sein Gegenteil umgekehrt (vgl. BT-Drucks. 13/5418 S. 1, S. 9 linke Spalte; BR-Drucks. 392/96 S. 18). Nach der Neufassung der §§ 73, 74 OWiG ist der Betroffene grundsätzlich zum Erscheinen in der Hauptverhandlung verpflichtet. Die zuvor in § 74 Abs. 2 Satz 2 OWiG aF vorgesehene Möglichkeit der Vorführung des Betroffenen oder der Verhandlung in seiner Abwesenheit wurde zugleich gestrichen, denn die neu geschaffene Anwesenheitspflicht des Beschuldigten ließ ein entsprechendes Regelungsbedürfnis entfallen (vgl. BR-Drucks. 392/96 S. 19). Von seiner Anwesenheitspflicht kann der Betroffene nun nur noch auf seinen Antrag gemäß § 73 Abs. 2 OWiG hin entbunden werden, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Hat das Gericht den Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden, kann er sich gemäß § 73 Abs. 3 OWiG durch einen mit nachgewiesener Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten lassen.
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An die Umkehr dieses Mechanismus knüpft die zugleich erfolgte Änderung der Abwesenheitsfolge in § 74 Abs. 2 OWiG an. War es dem Tatgericht zuvor gestattet, wahlweise in Abwesenheit des der Hauptverhandlung unentschuldigt ferngebliebenen Betroffenen zu verhandeln oder seinen Einspruch zu verwerfen, wurde die verfahrensrechtliche Folge dieser Abwesenheit durch das OWiG-Änderungsgesetz bewusst dem Ermessen des Gerichts entzogen. Der Gesetzgeber hat § 74 Abs. 2 OWiG gezielt als zwingende Bestimmung ausgestaltet, weil er die Verwerfung des Einspruchs als die nach nunmehriger Rechtslage allein angemessene Verfahrensfolge erachtet hat (s. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 13/5418 S. 9; BGH, Beschluss vom 18. Juli 2012 – 4 StR 603/11, BGHSt 57, 282 Rn. 14 f.; Senge in Karlsruher Kommentar, OWiG, 5. Aufl., § 74 Rn. 19; Krumm in Gassner/Seith, OWiG, 2. Aufl., § 74 Rn. 25; Seitz/Bauer in Göhler, OWiG, 18. Aufl., § 74 Rn. 19; Krenberger/Krumm, OWiG, 6. Aufl., § 74 Rn. 16). Dem liegt die Annahme zugrunde, dass der Betroffene, der seiner in § 73 Abs. 1 OWiG begründeten Anwesenheitspflicht unentschuldigt nicht nachkommt, obschon er geladen und ihm eine Teilnahme an der Hauptverhandlung möglich war, den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid nicht mehr weiterverfolgen will und damit auf eine richterliche Überprüfung der gegen ihn erhobenen Beschuldigung verzichtet (vgl. BayObLG, Beschluss vom 6. September 2019 – 202 ObOWi 1581/19, juris Rn. 6; Senge in Karlsruher Kommentar, OWiG, 5. Aufl., § 74 Rn. 19; Seitz/Bauer in Göhler, OWiG, 18. Aufl., § 74 Rn. 30). Es verbleibt bei der zwingenden Verwerfungsfolge auch dann, wenn die Sache nach Aufhebung in der Rechtsbeschwerde zurückverwiesen worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Dezember 1985 – 1 StR 506/85, BGHSt 33, 394, 396 ff.; BGHSt 57, 282 Rn. 14). Lehnt es der Betroffene durch sein unentschuldigtes Ausbleiben ab, zur Aufklärung beizutragen, ist das Gericht im Interesse der Verfahrensökonomie von der Verpflichtung entbunden, die Beschuldigung zu prüfen oder – bei Rechtskraft des Schuldspruchs – zum Rechtsfolgenausspruch neu zu verhandeln. Das Interesse des Betroffenen und der Allgemeinheit an einer inhaltlich möglichst gerechten Entscheidung tritt in diesen Fällen hinter der Verfahrensökonomie zurück (vgl. BGHSt 57, 282 Rn. 15).
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Demgegenüber besteht für Vertreter juristischer Personen und Personenvereinigungen in der Hauptverhandlung von vorneherein keine Anwesenheitspflicht (§ 46 Abs. 1 OWiG, § 444 Abs. 2 Satz 1 StPO). Deshalb kann auch die hierauf aufbauende Vorschrift des § 74 Abs. 2 OWiG keine Anwendung finden.
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Die an das Nichterscheinen zu knüpfende Folge besteht gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 444 Abs. 2 Satz 2, § 427 Abs. 2 Satz 2 StPO in der Möglichkeit, die zwangsweise Vorführung der zur rechtsgeschäftlichen Vertretung des Verbandes berufenen Person anzuordnen, wenn diese unter entsprechendem Hinweis hierauf geladen worden ist. Diese vom Gesetz als sachgerecht erachtete Reaktion auf die Vereitelung der mit der Anwesenheitsanordnung bezweckten Aufklärung liefe ins Leere, wäre der Einspruch der juristischen Person oder Personenvereinigungen gemäß § 74 Abs. 2 OWiG zwingend zu verwerfen. Diese Friktion kann auch nicht dadurch aufgelöst werden, die Anwendung des § 74 Abs. 2 OWiG in das Ermessen des Gerichts zu stellen; dies lässt der eindeutige Wortlaut der Norm nicht zu.
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(b) Die für juristische Personen und Personenvereinigungen bereits bestehende Regelung in § 444 Abs. 2 Satz 1 StPO ist bei Gelegenheit der Änderung der §§ 73, 74 OWiG durch das OWiG-Änderungsgesetz unberührt geblieben. Der danach vorgesehene Grundsatz der Abwesenheitsverhandlung im Falle ordnungsgemäßer Ladung geht bereits auf das Jahr 1968 zurück. Er ist mit dem Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vom 24. Mai 1968 (BGBl. I S. 503, 511) geschaffen und später nur noch unwesentlich geändert worden. Im Zeitpunkt der Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten im Jahr 1998 galt er mithin seit fast 30 Jahren. Der Gesetzgeber des OWiG-Änderungsgesetzes hat sich in Kenntnis dessen dafür entschieden, für die Anwesenheitspflicht des Betroffenen in § 73 OWiG eine zu § 444 StPO gleichsam spiegelbildliche Regelung zu schaffen. An der damit einhergehenden Divergenz der Verfahrensfolgen bei unentschuldigter Abwesenheit hat er bis heute festgehalten.
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(c) So hat der Gesetzgeber zuletzt auch bei der Änderung der Abwesenheitsvorschrift in § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO im Jahr 2014 von einer Rechtsangleichung bewusst abgesehen. Er hat dabei auf Unterschiede verwiesen, die im Strafverfahren zwischen natürlichen und juristischen Personen bestehen. Im Anschluss an seine Erläuterung der geltenden Abwesenheitsfolgen im nationalen Strafprozessrecht und der für den Betroffenen des Bußgeldverfahrens geltenden Regelung des § 73 OWiG findet sich der Hinweis, es bestünden im Bußgeldverfahren in Bezug auf die Abwesenheit von Einziehungs- und Verfallsbeteiligten „ergänzende, zum Teil abweichende Regelungen“ (s. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 18/3562 S. 50). Auf deren Darstellung könne verzichtet werden, denn eine Stärkung der Verfahrensrechte sei aufgrund des begrenzten Anwendungsbereichs des Rahmenbeschlusses 2006/783/JI des Rates vom 6. Oktober 2006 (ABl. L 328 vom 24. November 2006, S. 59) nur für Personen im Strafverfahren erforderlich (BT-Drucks. 18/3562 S. 50 u. S. 55). Von einer planwidrigen Regelungslücke kann angesichts dessen keine Rede sein.
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(d) Unerheblich sind die ergänzenden Erwägungen des Oberlandesgerichts zum Regierungsentwurf des Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft und den darin enthaltenen Entwurf des Gesetzes zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten vom 16. Juni 2020. Dieser Entwurf ist bislang nicht Gesetz geworden und ließe ohnehin keinen Rückschluss auf den Willen des historischen Gesetzgebers bezüglich der hier maßgeblichen Vorschriften zu.
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c) Die Anwendbarkeit des § 74 Abs. 2 OWiG auf juristische Personen und Personenvereinigungen ergibt sich auch nicht aus § 88 Abs. 3, § 87 Abs. 2 Satz 1 OWiG.
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Nach § 87 Abs. 2 Satz 1, § 88 Abs. 1 OWiG erlangt die juristische Person und Personenvereinigung mit dem Erlass des Bußgeldbescheides oder mit der vom Gericht ausgesprochenen Beteiligungsanordnung zwar die „Befugnisse“, die einem Betroffenen zustehen. Die Verweisung in § 88 Abs. 3 OWiG lässt den Nebenbetroffenen allerdings nicht vollständig in die Stellung des Betroffenen einrücken (vgl. KG NJW-RR 1987, 637, 638).
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aa) Wie das Oberlandesgericht zutreffend ausführt, stellt etwa das Recht des Nebenbetroffenen, nach § 67 Abs. 1 OWiG selbständig gegen den Bußgeldbescheid Einspruch einlegen zu können (vgl. Mitsch in Karlsruher Kommentar, OWiG, 5. Aufl., § 88 Rn. 12; Habetha/Ulrich in Gassner/Seith, OWiG, 2. Aufl., § 88 Rn. 7; Gürtler/Thoma in Göhler, OWiG, 18. Aufl., § 88 Rn. 6; Fad in Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG, 3. Aufl., 2. Lfg. April 1998, § 88 Rn. 26), eine Befugnis im Sinne des § 87 Abs. 2 Satz 1 OWiG dar. Ebenso verhält es sich mit den Vorschriften der §§ 77 ff. OWiG, die den Umfang der Beweisaufnahme regeln. Die weiteren Befugnisse, die das Gesetz den Betroffenen einräumt, etwa das Beweisantragsrecht, stehen dem Nebenbetroffenen in gleicher Weise zu (vgl. etwa Senat, Beschluss vom 9. Oktober 2018 – KRB 60/17, WuW 2019, 154 Rn. 15 ff. – Flüssiggas III; Habetha/Ulrich in Gassner/Seith, OWiG, 2. Aufl., § 87 Rn. 20). Weitere Befugnisse, die der nebenbetroffenen juristischen Person oder Personenvereinigung ebenso wie einer natürlichen Person als Betroffenem zustehen, sind beispielhaft der Anspruch auf rechtliches Gehör und das Recht auf Verteidigerkonsultation oder Akteneinsicht.
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bb) Die Regelung in § 74 Abs. 2 OWiG räumt dem Betroffenen indes keine „Befugnis“ im Sinne des § 87 Abs. 2 Satz 1 OWiG ein.
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(1) Sie sieht vielmehr eine Verfahrensfolge für den Fall des unentschuldigten Fernbleibens von der Hauptverhandlung vor. Soweit sich für den Betroffenen aus der Verwerfung seines Einspruchs und der damit eintretenden Rechtskraft des Bußgeldbescheids im Einzelfall unter Umständen ein Vorteil ergeben kann, weil einer möglichen Verböserung der Buße durch ein Sachurteil des Gerichts (§ 66 Abs. 2 Nr. 1b OWiG) die Grundlage entzogen wird, handelt es sich um einen bloßen Reflex der gesetzlichen Regelung, nicht um eine Befugnis des Betroffenen. Für die entsprechende Regelung in § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO hat der Gesetzgeber ausdrücklich herausgestellt, dass damit ein „Recht auf Abwesenheit“ des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung nicht begründet werden sollte (vgl. BR-Drucks. 491/14, S. 61).
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(2) Entgegen der Auffassung der Nebenbeteiligten ergibt sich eine Befugnis auch nicht unter dem Aspekt, eine reformatio in peius vermeiden zu können, die aus einer gerichtlichen Entscheidung folgen kann.
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Bei dem Erlass eines Urteils auf zulässigen Einspruch des Bebußten gilt das Verbot der Schlechterstellung nach dem Willen des Gesetzgebers – anders als gemäß § 72 Abs. 3 Satz 2 OWiG im Beschlussverfahren – nicht. Vielmehr hat nach § 67 OWiG das Gericht auf der Grundlage eigener Sachaufklärung (§ 77 OWiG) ohne Bindung an die Tatsachenfeststellungen oder deren Bewertung durch die Bußgeldbehörde die angemessene Sanktion zu verhängen, und zwar gerade auch dann, wenn diese vom Bußgeldbescheid für den Betroffenen oder Nebenbetroffenen nachteilig abweicht (vgl. § 66 Abs. 2 Nr. 1b OWiG; Mitsch in Karlsruher Kommentar, OWiG, 5. Aufl., § 66 Rn. 34; Gassner in Gassner/Seith, OWiG, 2. Aufl., § 66 Rn. 21; Seitz/Bauer in Göhler, OWiG, 18. Aufl., Vor § 67 Rn. 5; Krenberger/Krumm, OWiG, 6. Aufl., § 66 Rn. 28; Bösert in Reb-mann/Roth/Herrmann, OWiG, 3. Aufl., 13. Lfg. September 2008, § 67 Rn. 1). Das Gericht ist gegenüber der Verwaltungsbehörde keine höhere Instanz, die die Rechtmäßigkeit des Bußgeldbescheids überprüft. Vielmehr bewirkt der Einspruch, dass das Gericht anstelle der Verwaltungsbehörde nach eigener Sachverhaltsaufklärung neu über die Tat entscheidet, weil sich der Betroffene der vorangegangenen summarischen Verwaltungsentscheidung nicht unterwerfen will. Das einfach-rechtliche Verbot der reformatio in peius (§ 331, § 358 Abs. 2, § 373 Abs. 2 StPO, § 72 Abs. 3 Satz 2 OWiG), welches eine verfassungsrechtlich nicht gebotene Ausnahme vom Grundsatz schuldangemessenen Strafens darstellt (BVerfGE 8, 197 [zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der reformatio in peius im Bußgeldverfahren]), gilt dabei nicht.
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Dies findet seine Rechtfertigung darin, dass die Durchführung einer – möglicherweise umfangreichen – Beweisaufnahme neue, bislang unbekannte Aspekte zu Tage fördern kann, die zu einer abweichenden tatsächlichen oder rechtlichen Bewertung der verfahrensgegenständlichen Tat führen und den Vorwurf in einem anderen Licht erscheinen lassen. Entsprechend ist im Strafverfahren das Gericht bei der Urteilsfällung an den im Strafbefehl enthaltenen Ausspruch nicht gebunden, soweit Einspruch eingelegt ist (§ 411 Abs. 4 StPO). Dies gilt trotz des Umstands, dass das Gericht den Strafbefehl selbst erlassen und dabei bereits eine tatsächliche und rechtliche Bewertung der Tat vorgenommen hat. Demgegenüber liegt dem Bußgeldbescheid allein die Bewertung der ihn erlassenden Verwaltungsbehörde zugrunde, an der das Gericht nicht beteiligt war.
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Für Kartellbußgeldverfahren gilt nichts Abweichendes. Auch hier lassen sich die umfassende gerichtliche Sachaufklärung und die Verböserungsmöglichkeit nicht trennen (vgl. Breuer/Friedrich in Bien/Käseberg/Klumpe/Körber/Ost, Die 10. GWB-Novelle, Kap. 3, Kartellrechtsdurchsetzung im Bußgeldverfahren, §§ 81-86 GWB Rn. 57; Ost/Breuer, NZKart 2019, 119, 122). An diesen Grundsätzen hat auch der Gesetzgeber der 10. GWB-Novelle festgehalten und hervorgehoben, dass Kartellbehörden und Gerichte jeweils eigenständige Zumessungsentscheidungen treffen, so dass unterschiedliche Zumessungsergebnisse in der Natur der Sache liegen und dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht immanent sind (vgl. BT-Drucks. 19/23492 S. 127). Er hat dabei auch auf die – bereits zuvor umgesetzten – Vorgaben aus Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie (EU) 2019/1 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 zur Stärkung der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten im Hinblick auf eine wirksamere Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften und zur Gewährleistung des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts (ABl. L 11 S. 3) verwiesen, wonach bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße, die wegen einer Zuwiderhandlung gegen Art. 101 oder Art. 102 AEUV verhängt werden soll, sowohl die Schwere der Zuwiderhandlung als auch deren Dauer zu berücksichtigen sind (vgl. BT-Drucks. 19/23492 S. 127).
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d) Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts rechtfertigt auch die Möglichkeit des Gerichts, die Vertreter der Nebenbetroffenen vom persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, mit der von ihm angenommenen Folge, dass der Nebenbetroffenen die gezielte Erwirkung einer Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG dann nicht mehr möglich sei, keine abweichende Entscheidung.
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aa) Schon im Ausgangspunkt stellt sich für die nebenbetroffene juristische Person oder Personenvereinigung nicht die Frage, ob sie in der Hauptverhandlung „anwesend“ sein muss. Sie ist ein nicht körperlicher, von der Rechtsordnung geschaffener Rechtsträger. Das Verhalten ihrer Organe stellt für sie kein Eigenhandeln dar, dieses entsteht allein durch Zurechnung (vgl. Altmeppen, GmbHG, 10. Aufl., § 35 Rn. 7; Beurskens in Baumbach/Hueck, GmbHG, 22. Aufl., § 35 Rn. 20; Oetker in Henssler/Strohn, GmbHG, 5. Aufl., § 35 Rn. 37; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, GmbHG, 3. Aufl., § 35 Rn. 44; Wisskirchen/Kuhn/Hesser in BeckOK GmbHG, 49. Ed. [Stand: 1. August 2021], § 35 Rn. 4). Fraglich kann deshalb allenfalls sein, ob die nebenbetroffene juristische Person oder Personenvereinigung in der Hauptverhandlung wirksam vertreten wird. Dies ist nicht nur organschaftlich, sondern gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 444 Abs. 2 Satz 2, § 428 Abs. 1 StPO in jeder Lage des Verfahrens auch rechtsgeschäftlich möglich, insbesondere durch einen Rechtsanwalt mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht.
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So lag es hier. Vorliegend ist die Nebenbetroffene im Termin vor dem Oberlandesgericht von ihren dort erschienenen bevollmächtigten Prozessvertretern wirksam vertreten worden, denn eine entsprechend weitreichende Verfahrensvollmacht hatte sie ihren Verteidigern erteilt. Es blieb deshalb ohne jede Auswirkung für ihre Vertretung, dass zwei ihrer Geschäftsführer unentschuldigt ausgeblieben sind.
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bb) Das Argument des Oberlandesgerichts könnte aber auch sonst nicht tragen. Es verkennt, dass das Gericht die Anordnung des persönlichen Erscheinens allein am Erfordernis der Tataufklärung und Wahrheitsfindung auszurichten hat. Ob die Anwesenheit eines Vertreters der Nebenbetroffenen zur Tataufklärung erforderlich ist, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab; daran hat sich das Gericht zu orientieren (vgl. Mitsch in Karlsruher Kommentar, OWiG, 5. Aufl., § 73 Rn. 24; Gassner in Gassner/Seith, OWiG, 2. Aufl., § 73 Rn. 25; Seitz/Bauer in Göhler, OWiG, 18. Aufl., § 73 Rn. 5; Krenberger/Krumm, OWiG, 6. Aufl., § 73 Rn. 16; Bösert in Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG, 3. Aufl., 12. Lfg. April 2007, § 73 Rn. 11).
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Weiter übersieht das Oberlandesgericht, dass eine Entbindung von der Anwesenheit in der Hauptverhandlung gemäß § 73 Abs. 2 OWiG nur auf Antrag des Betroffenen stattfindet, der insoweit die Weichen für das Verfahren stellt. Bleibt ein entsprechender Antrag aus, ist die Entbindung unzulässig. Das Gericht kann die Vertreter der nebenbetroffenen juristischen Person oder Personenvereinigung nicht aus eigener Initiative mit der Zielsetzung von der Anwesenheit in der Hauptverhandlung entbinden, dieser die Verfahrensfolge der Einspruchsverwerfung gemäß § 74 Abs. 2 OWiG zu nehmen.
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cc) Das Oberlandesgericht setzt sich zudem mit seiner Bewertung, die vom Bundeskartellamt verhängte Geldbuße sei „nicht völlig unangemessen“ und habe „nicht gegen Prinzipien der materiellen Gerechtigkeit“ verstoßen, darüber hinweg, dass nach dem Gesetz eine abschließende und der Prüfung durch das Rechtsmittelgericht zuführbare Bewertung erst nach Durchführung einer Hauptverhandlung unter Wahrung der Verfahrensrechte sämtlicher Beteiligter zu erfolgen hat.
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e) Zu einer anderen Bewertung der Rechtslage speziell für den Bereich des Kartellbußgeldverfahrens gibt auch § 82 Abs. 6 GWB keinen Anlass. Die Argumentation des Oberlandesgerichts, ein Risiko missbräuchlicher Rechtsmitteleinlegung bestehe bei Kartellbußgeldverfahren aufgrund der in § 82 Abs. 6 GWB vorgesehenen Verzinsungspflicht nicht, greift zu kurz. Denn es hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab, ob die drohende Verböserung der Buße durch eine gerichtliche Sachentscheidung von der Höhe der anfallenden Zinslast aufgefangen wird. Daran kann es jedenfalls fehlen, wenn – wie gerade in Kartellbußgeldverfahren denkbar – eine erhebliche Erhöhung der Geldbuße droht.
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f) Soweit die Nebenbetroffene eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) darin sieht, dass ein Betroffener als natürliche Person durch sein beabsichtigt unentschuldigtes Ausbleiben in der Hauptverhandlung die Verwerfung des Einspruchs erzwingen könne, während ihr als juristischer Person dies verwehrt sei, kann dem nicht zugestimmt werden.
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Eine Ungleichbehandlung kommt von vorneherein nur dann in Betracht, wenn eine natürliche Person der Hauptverhandlung ohne ausreichende Entschuldigung fernbleibt, die vom persönlichen Erscheinen nicht entbunden worden ist. Nur dieser steht die Möglichkeit offen, durch zielgerichtet unentschuldigtes Fernbleiben von der Hauptverhandlung die Verwerfung des Einspruchs zu bewirken. In diesem Fall kann die natürliche Person ein Urteil des Gerichts und damit eine für sie im Vergleich zum Bußgeldbescheid vielleicht ungünstigere Bewertung der Tat verhindern. Allerdings verzichtet sie damit zugleich auf die Möglichkeit einer günstigeren Bewertung durch das Gericht. Zudem können für natürliche Personen mit dem Einspruch individuelle persönliche Belastungen verbunden sein, welche sich auf diese regelmäßig intensiver auswirken als auf die Vertreter juristischer Personen (vgl. BVerfG, NZKart 2013, 62 Rn. 50, 56 f. [zur Verzinsungspflicht kartellbehördlicher Geldbußen]).
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Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber die von ihm gewählte Differenzierung tragfähig begründet hat. Die geltende Fassung der §§ 73, 74 OWiG dient dem erklärten Ziel der dringend gebotenen Entlastung der Gerichte, wobei der Änderungsgesetzgeber zuvorderst die in der gerichtlichen Praxis vorherrschenden Verkehrsordnungswidrigkeiten natürlicher Personen im Blick hatte (vgl. BT-Drucks. 13/5418 S. 1: „verhältnismäßig geringfügige Sachen“ u. Anlage 1 [Entwicklung der Eingangszahlen in OWi-Sachen]; BT-Drucks. 13/8655 S. 1; BR-Drucks. 392/96 S. 1). Spezialgesetzliche Ordnungswidrigkeiten, insbesondere Kartellbußgeldverfahren, die vielfach nicht gegen natürliche Personen, sondern gegen juristische Personen und Personenvereinigungen geführt werden, machen demgegenüber einen zahlenmäßig weit untergeordneten Anteil aus (vgl. BVerfG, NZKart 2013, 62 Rn. 52). Die hierauf aufsetzende typisierende Betrachtung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG, NZKart 2013, 62 Rn. 48, zu der in § 81 f GWB geregelten Verzinsungspflicht, die ausschließlich juristische Personen und Personenvereinigungen, nicht aber natürliche Personen trifft).
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g) Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts ergibt sich aus dem gesetzlichen Regelungsmechanismus auch dann kein Wertungswiderspruch, wenn im Rahmen eines einheitlichen Verfahrens der Einspruch eines unentschuldigt nicht erschienenen Betroffenen gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen werden müsste, das Verfahren gegen eine nebenbetroffene juristische Person oder Personenvereinigung, bei der das persönliche Erscheinen des gesetzlichen Vertreters angeordnet worden ist, bei dessen unentschuldigtem Ausbleiben aber weiterzuführen ist. Es trifft zwar zu, dass gesetzliche Vertreter der Nebenbetroffenen und Betroffene nicht selten personenidentisch sind. Diese Verfahrenslage war dem Gesetzgeber des OWiG-Änderungsgesetzes indes bekannt; einen Gleichlauf der Verfahrensfolge hat er dennoch nicht vorgesehen.
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Anders als das Oberlandesgericht meint, ergibt sich insoweit auch aus dem für das einheitliche Verfahren aus § 444 StPO, § 30 Abs. 4 Satz 1 OWiG abzuleitenden Grundsatz, dass die Entscheidung über die gegen den Verband einerseits und die beschuldigte natürliche Person andererseits zu verhängende Sanktion einheitlich ergehen soll (vgl. Schmidt in Karlsruher Kommentar, StPO, 8. Aufl., § 444 Rn. 1; Scheinfeld/Langlitz in Münchener Kommentar, StPO, 1. Aufl., § 444 Rn. 6; Gürtler/Thoma in Göhler, OWiG, 18. Aufl., § 30 Rn. 28; Rogall in Karlsruher Kommentar, OWiG, 5. Aufl., § 30 Rn. 162), nichts anderes. Denn dieser erfasst die vorliegende Fallgestaltung gar nicht. Gelangt gegenüber dem Betroffenen die Verwerfungsfolge des § 74 Abs. 2 OWiG zur Anwendung, verhängt das Gericht gegen diesen keine Sanktion mehr. Die Verwerfung des Einspruchs hat vielmehr zur Konsequenz, dass es bei der von der Verwaltungsbehörde im Bußgeldbescheid festgesetzten Sanktion sein Bewenden hat; eine eigene Bewertung der Tat durch das Gericht findet nicht statt. Die Gefahr sich widersprechender gerichtlicher Entscheidungen, welcher der Grundsatz der einheitlichen Entscheidung entgegenwirken soll (vgl. Scheinfeld/Langlitz in Münchener Kommentar, StPO, 1. Aufl., § 444 Rn. 9; Kudlich/Schur in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 3. Aufl., § 444 Rn. 3), besteht dann nicht. Zugleich entfallen etwaige prozessökonomische Gründe für eine einheitliche Entscheidung.
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4. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung an einen anderen Kartellsenat des Oberlandesgerichts, der mit der Sache noch nicht befasst gewesen ist.
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