Beschluss des BGH 8. Zivilsenat vom 14.12.2021, AZ VIII ZR 94/20

BGH 8. Zivilsenat, Beschluss vom 14.12.2021, AZ VIII ZR 94/20, ECLI:DE:BGH:2021:141221BVIIIZR94.20.0

§ 305c BGB, § 535 BGB, § 578 BGB

Verfahrensgang

vorgehend LG Berlin, 12. März 2020, Az: 67 S 268/19
vorgehend AG Spandau, 31. Oktober 2019, Az: 10 C 226/19

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Revision der Klägerin durch einstimmigen Beschluss nach § 552a ZPO zurückzuweisen.

Gründe

I.

1

1. Die Parteien streiten um die Wirksamkeit der Kündigung eines Mietvertrags über einen Kraftfahrzeugstellplatz.

2

Die Klägerin mietete mit schriftlichem Vertrag vom 12. April 1995 von einer Rechtsvorgängerin der Beklagten eine in einem Mehrfamilienhaus gelegene Wohnung in Berlin. Der Vertrag enthält in Nr. 26 der Allgemeinen Vertragsbedingungen (im Folgenden: AVB) folgende Regelung:

„Dem Mieter ist die Benutzung des Parkplatzes zum Abstellen eines Personenkraftfahrzeugs gestattet. Diese Genehmigung ist jederzeit widerruflich. Ein Rechtsanspruch kann daraus nicht hergeleitet werden […]

Auf reservierte Plätze besteht kein Anspruch.“

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Im März 2006 schloss die Klägerin mit dem Rechtsnachfolger der Vermieterin, der eine Kostenpflicht für die auf dem Grundstück der Wohnanlage vorhandenen Stellplätze einführte und eine Schranke an deren Zufahrt anbrachte, einen „Mietvertrag über KFZ-Abstellplatz“ betreffend den zur Wohnanlage gehörenden Stellplatz Nr. 60, der es ihr gestattete, den Stellplatz gegen Zahlung von monatlich 23 € zu nutzen. § 2 Abs. 2 dieses Vertrags lautet:

„Jeder Vertragspartner kann bis zum dritten Werktag eines Kalendermonats für den Ablauf des übernächsten Kalendermonats schriftlich kündigen, unbeschadet des Rechts zur fristlosen Kündigung.“

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Anfang des Jahres 2019 kündigte die Beklagte, die inzwischen Eigentümerin der Wohnanlage geworden war, sämtliche Stellplatzmietverträge, unter anderem auch – mit Schreiben vom 22. Februar 2019 – den von der Klägerin angemieteten Stellplatz.

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Mit der vorliegenden Klage hat die Klägerin zuletzt die Feststellung begehrt, dass die Kündigung des Mietvertrags über den Stellplatz unwirksam ist und der Stellplatzmietvertrag ungekündigt fortbesteht. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin ist beim Landgericht erfolglos geblieben.

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2. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

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Bei einem schriftlichen Wohnungsmietvertrag und einem – wie hier – getrennt davon abgeschlossenen Stellplatzmietvertrag spreche nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine tatsächliche Vermutung für die rechtliche Selbständigkeit der beiden Vereinbarungen. Die Tatsache, dass sich der Stellplatz auf demselben Grundstück befinde wie die vermietete Wohnung, rechtfertige eine andere Beurteilung ebenso wenig wie der Umstand, dass die Klägerin in den ersten Jahren ihrer Mietzeit nach Nr. 26 der AVB einen zur Wohnanlage gehörenden Stellplatz kostenlos habe nutzen können. Letztere Regelung bestimme ausdrücklich, dass sich aus der Gestattung ein vertraglicher Anspruch auf Überlassung eines Stellplatzes nicht entnehmen lasse. Der im März des Jahres 2006 geschlossene Stellplatzmietvertrag nehme an keiner Stelle auf den Wohnraummietvertrag aus dem Jahr 1995 Bezug und enthalte darüber hinaus eine Kündigungsvereinbarung, die von den Kündigungsregelungen für die Wohnung abweiche.

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Ein anderes Ergebnis lasse sich auch aus der Vorschrift des § 305c Abs. 2 BGB, wonach Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen zu Lasten des Verwenders gingen, nicht herleiten. Zwar handele es sich bei sämtlichen in Rede stehenden vertraglichen Vereinbarungen um vermieterseits gestellte Allgemeine Geschäftsbedingungen. Es fehle aber an der Tatbestandsvoraussetzung des § 305c Abs. 2 BGB, dass nach Ausschöpfung aller in Betracht kommenden Auslegungsmethoden ein nicht behebbarer Zweifel über den Inhalt der Regelung bestehe und mindestens zwei Auslegungen rechtlich vertretbar seien. Denn eine für die Klägerin günstige Auslegung dahin, dass es sich bei beiden Vertragswerken um eine nur gemeinsam kündbare Vereinbarung handele, sei nicht vertretbar.

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3. Das Berufungsgericht hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen und zur Begründung ausgeführt, „in den bisherigen einschlägigen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs [habe] die Anwendung des § 305c Abs. 2 BGB für die Frage der Auslegung von Stellplatzverträgen keine Rolle gespielt“. Die Beantwortung der „damit in Zusammenhang stehenden abstrakten Rechtsfragen [sei] für eine unbestimmte Vielzahl von Verträgen von Bedeutung“.

II.

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1. Ein Grund für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 2 ZPO liegt – entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts – nicht vor.

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a) Insbesondere ist die Rechtssache im Hinblick auf die Vorschrift des § 305c Abs. 2 BGB, wonach Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen zu Lasten des Verwenders gehen, bereits deshalb nicht von grundsätzlicher Bedeutung, weil die vom Berufungsgericht aufgeworfene Rechtsfrage nicht entscheidungserheblich ist.

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Zwar handelt es sich sowohl bei dem Stellplatzmietvertrag als auch bei dem Wohnraummietvertrag nach den rechtsfehlerfreien und insoweit unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts jeweils um vorformulierte Verträge, die von Vermieterseite verwendet und der Klägerin gestellt wurden, mithin um Allgemeine Geschäftsbedingungen nach § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB.

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Auch trifft es zu, dass eine Vertragsklausel bei ihrer Auslegung nicht aus einem für ihre Beurteilung mit beeinflussenden Zusammenhang gerissen werden darf und deshalb vor dem Hintergrund des gesamten Formularvertrags zu interpretieren ist (st. Rspr.; vgl. etwa Senatsurteile vom 8. September 2021 – VIII ZR 97/19, juris Rn. 23; vom 10. Juni 2020 – VIII ZR 289/19, WM 2020, 1840 Rn. 30; vom 18. Juli 2012 – VIII ZR 337/11, BGHZ 194, 121 Rn. 18; jeweils mwN). Der Rahmen, innerhalb dessen der Bedeutungsgehalt einer Klausel im vorbezeichneten Sinne zu ermitteln ist, wird jedoch von dem Formularvertrag definiert und begrenzt, in dessen Regelungskontext sie steht (vgl. Senatsurteile vom 10. Juni 2020 – VIII ZR 289/19, aaO; vom 18. Juli 2012 – VIII ZR 337/11, aaO).

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Um eine derartige Klauselinterpretation geht es im Streitfall nicht. Vorliegend ist vielmehr die hiervon zu unterscheidende Frage zu beantworten, ob der Stellplatzmietvertrag aus dem Jahr 2006 zu dem Regelungskontext des Wohnraummietvertrags aus dem Jahr 1995 zählt, mit der Folge, dass beide Vertragswerke als zusammengehörende Vereinbarungen anzusehen wären, die als rechtliche Einheit nur ein einheitliches rechtliches Schicksal haben könnten. Für die Entscheidung dieser Frage ist § 305c Abs. 2 BGB ohne Bedeutung.

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b) Nach der Rechtsprechung des Senats spricht bei einem schriftlichen Wohnraummietvertrag und einem separat hiervon abgeschlossenen Mietvertrag über eine Garage oder – wie hier – einen Stellplatz eine tatsächliche Vermutung für die rechtliche Selbständigkeit beider Vereinbarungen. Es bedarf dann der Widerlegung dieser Vermutung durch besondere Umstände des Einzelfalls, welche die Annahme rechtfertigen, dass die Mietverhältnisse über die Wohnung und die Garage oder den Stellplatz nach dem Willen der Beteiligten eine rechtliche Einheit bilden sollen (vgl. Senatsurteil vom 12. Oktober 2011 – VIII ZR 251/10, NJW 2012, 224 Rn. 13 f.; Senatsbeschlüsse vom 9. April 2013 – VIII ZR 245/12, WuM 2013, 421 Rn. 3; vom 4. Juni 2013 – VIII ZR 422/12, NJW-RR 2013, 1355 Rn. 1, 3; vom 3. September 2013 – VIII ZR 165/13, juris Rn. 1 f.; vom 8. Oktober 2013 – VIII ZR 254/13, juris Rn. 1, 3; vom 11. März 2014 – VIII ZR 374/13, juris Rn. 1, 3). Von dieser Rechtsprechung ist das Berufungsgericht ersichtlich ausgegangen. Darüberhinausgehenden grundsätzlichen Klärungsbedarf wirft der Streitfall nicht auf. Auch andere Revisionszulassungsgründe sind nicht ersichtlich.

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2. Die Revision hat auch keine Aussicht auf Erfolg.

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Das Berufungsgericht hat die Feststellungsklage zu Recht als unbegründet abgewiesen und dabei rechtsfehlerfrei angenommen, dass der im März 2006 geschlossene Mietvertrag über den Stellplatz von der Beklagten wirksam gekündigt wurde.

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a) Die vom rechtlichen Ausgangspunkt auf der (oben unter II 1 b) wiedergegebenen Rechtsprechung des Senats beruhende Wertung des Berufungsgerichts, aus dem Umstand, dass es sich um zwei Vertragsurkunden handele, leite sich eine tatsächliche Vermutung für die rechtliche Selbständigkeit von Wohnraummietvertrag einerseits und Stellplatzmietvertrag andererseits ab mit der Folge, dass beide Vereinbarungen unabhängig voneinander kündbar seien, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

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b) Entgegen der Auffassung der Revision ist revisionsrechtlich auch nichts dagegen zu erinnern, dass das Berufungsgericht im Streitfall besondere Umstände nicht erkennen konnte, die die Vermutung der rechtlichen Selbständigkeit beider Vereinbarungen entkräfteten.

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Zwar mag die – nach den Feststellungen des Berufungsgerichts im Streitfall vorliegende und von ihm in seiner Würdigung berücksichtigte – Tatsache, dass der Stellplatz sich auf demselben Grundstück befindet wie die vermietete Wohnung, regelmäßig die Annahme rechtfertigen, dass dessen Vermietung nach dem Willen der Parteien in den Wohnraummietvertrag einbezogen sein soll (vgl. Senatsurteil vom 12. Oktober 2011 – VIII ZR 251/10, aaO Rn. 16; Senatsbeschlüsse vom 4. Juni 2013 – VIII ZR 422/12, aaO Rn. 3; vom 8. Oktober 2013 – VIII ZR 254/13, aaO Rn. 3). Zwingend ist dies indes jedenfalls dann nicht, wenn es andere Umstände gibt, die die tatsächliche Vermutung für zwei separate Verträge bekräftigen.

21

Solche Umstände hat das Berufungsgericht hier darin gesehen, dass der Stellplatzmietvertrag an keiner Stelle auf den Wohnraummietvertrag Bezug nimmt und nicht unter denselben Voraussetzungen wie dieser ordentlich gekündigt werden kann. Hierzu hat das Berufungsgericht ausgeführt, zwar unterschieden sich die Kündigungsmöglichkeit für den Mieter in beiden Verträgen nicht, für den Vermieter indes erheblich, da der Stellplatzmietvertrag gekündigt werden könne, ohne dass hierfür – anders als bei einer ordentlichen Kündigung des Wohnraummietvertrags gemäß § 573 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB – ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses vorliegen müsse. Dies lasse auf den Willen der Parteien schließen, dass es sich bei dem Stellplatzmietvertrag um ein separates, für beide Parteien unabhängig vom Vorliegen eines berechtigten Interesses kündbares Mietverhältnis habe handeln sollen. Diese tatrichterliche Beurteilung ist vertretbar und aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

22

Soweit die Revision rügt, das Berufungsgericht habe bei dieser Beurteilung nicht berücksichtigt, dass hier nicht eine kurze, von einem Wohnraummietverhältnis abweichende Kündigungsfrist, sondern – entsprechend dem Wohnraummietvertrag – (auch für den Mieter) eine dreimonatige Kündigungsfrist vereinbart worden sei, vermag dies das vom Berufungsgericht gefundene Ergebnis nicht in Frage zu stellen. Denn die Länge der Kündigungsfrist ist gegenüber dem weit gewichtigeren, vom Berufungsgericht zu Recht als erheblich gewerteten Umstand, dass für die Kündigung des Stellplatzmietvertrags durch den Vermieter ein berechtigtes Interesse nicht erforderlich ist, von untergeordneter Bedeutung. Soweit dies die Revision anders bewertet, setzt sie – revisionsrechtlich unbehelflich – nur ihre Sicht der Dinge an die Stelle der vertretbaren Würdigung des Berufungsgerichts.

23

c) Das Berufungsgericht hätte – entgegen der Auffassung der Revision – auch nicht aufgrund anderer Gegebenheiten des hier vorliegenden Einzelfalls zu einer der Klägerin günstigeren Wertung kommen müssen.

24

aa) Das Berufungsgericht hat ausgeführt, aus der im Wohnraummietvertrag aufgeführten Regelung der Nr. 26 Satz 1 AVB, wonach die Klägerin von 1995 bis 2006 – soweit tatsächlich verfügbar – einen Stellplatz habe kostenlos nutzen können, ergebe sich nicht, dass der Stellplatzmietvertrag vom 21. März 2006, der diese Regelung abgelöst habe, nun ebenfalls als Bestandteil des Wohnraummietvertrags angesehen werden müsse, der nur zusammen mit diesem gekündigt werden könne. Zur Begründung hat es ausgeführt, in Nr. 26 Satz 3 AVB sei ausdrücklich bestimmt, dass sich aus der Gestattung der kostenlosen Nutzung des hier in Rede stehenden Stellplatzes ein Rechtsanspruch auf die (entgeltliche) Nutzung des Stellplatzes nicht ableiten lasse. Vielmehr sei die kostenlose Gestattung im Jahr 2005 gemäß Nr. 26 Satz 2 AVB widerrufen und eine Schranke angebracht worden. Dass die Stellplatznutzung danach nur noch Personen gestattet gewesen sei, die einen Mietvertrag über einen bestimmten Stellplatz abgeschlossen hätten, spreche vielmehr für die rechtliche Selbständigkeit der beiden Verträge. Diese tatrichterliche Beurteilung ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Soweit die Revision dies anders beurteilt, setzt sie erneut lediglich ihre Wertung der Geschehnisse an die Stelle der vertretbaren Würdigung des Berufungsgerichts.

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bb) Die Auffassung der Revision, die Aufnahme einer eigenen Kündigungsregelung in § 2 Nr. 2 des Stellplatzvertrags habe – was das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft unberücksichtigt gelassen habe – nur rechtstechnische Gründe gehabt, weil eine Verweisung auf die Kündigungsregelung des Wohnraummietvertrags keinen Sinn ergeben hätte, da dieser in Nr. 26 AVB bereits eine eigene Regelung über die Stellplatznutzung vorsehe, vermag das vom Berufungsgericht gefundene Ergebnis gleichermaßen nicht in Frage zu stellen. Denn wenn eine Harmonisierung mit dem Wohnraummietvertrag von den Parteien gewollt gewesen wäre, wäre es für sie – ungeachtet der Regelung in Nr. 26 AVB – unschwer möglich gewesen, eine Kündigungsregelung zu vereinbaren, die derjenigen des Wohnraummietvertrags entspricht. Dies ist gerade nicht geschehen.

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cc) Soweit die Revision meint, die Tatsache, dass auch Personen einen Stellplatz in der Wohnanlage anmieten könnten, die nicht Mieter einer Wohnung in der Anlage seien, lege – was das Berufungsgericht verkannt habe – den Schluss nahe, dass ein separater Mietvertrag nur mit Personen geschlossen werde, die nicht bereits Mieter in der Anlage seien, vermag sie damit für die Klägerin nichts zu gewinnen. Denn – wie sie selbst erkennt – spricht der angeführte Umstand – allenfalls – nicht gegen das Vorliegen eines einheitlichen Mietverhältnisses. Da mit der Existenz von zwei separaten Vertragsurkunden aber die tatsächliche Vermutung für die rechtliche Selbständigkeit beider Mietverhältnisse begründet wird, bedürfte es der Feststellung von Umständen, die diese Vermutung widerlegen. Dazu zählt die Tatsache, dass auch anlagenfremde Personen Stellplätze anmieten können, jedenfalls nicht.

III.

27

Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.

  • Dr. Bünger
  • Dr. Schneider
  • Kosziol
  • Dr. Schmidt
  • Dr. Reichelt

Hinweis:

Das Revisionsverfahren ist durch Revisionsrücknahme erledigt worden.