BPatG München 30. Senat, Beschluss vom 09.12.2021, AZ 30 W (pat) 5/18, ECLI:DE:BPatG:2021:091221B30Wpat5.18.0
Tenor
In der Beschwerdesache
…
Verfahrensbevollmächtigte: … & Partner, Patent- und Markenanwälte, …, … München,
hat der 30. Senat (Marken- und Design-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 9. Dezember 2021 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Hacker sowie des Richters Dr. Meiser und der Richterin Dr. Weitzel
beschlossen:
I. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Markenabteilung 3.2 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 22. September 2017 aufgehoben.
II. Die Sache wird zur Veröffentlichung des neuen Hauptantrags in der Fassung vom 15. November 2021 an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückverwiesen.
Gründe
I.
1
Die Antragstellerin hat am 14. April 2015 beim Deutschen Patent-und Markenamt für das Erzeugnis
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„Klasse 1.1: Fleisch (Geflügelfleisch und Produkte aus Geflügelfleisch)“
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für die Bezeichnung
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„Dithmarscher Gans“
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einen Antrag auf Eintragung als geografische Angabe in das Register der geschützten geografischen Angaben und der geschützten Ursprungsbezeichnungen eingereicht, das von der Europäischen Kommission geführt wird.
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Die Antragstellerin hat mit dem Antrag eine Spezifikation und am 20. November 2015 eine überarbeitete Spezifikation eingereicht, auf die wegen ihrer Einzelheiten Bezug genommen wird.
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Die Markenabteilung 3.2 des Deutschen Patent-und Markenamtes hat nach § 130 Abs. 3 MarkenG Stellungnahmen sachkundiger und interessierter Stellen eingeholt.
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Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 12. August 2016 einen Prüfbericht der F… GmbH vom 24. Mai 2016 (Anlage 7) sowie einen Testbericht (MTD – Internationaler Test für Gänseelterntiere vom 7. September 2015, Anlage 8) vorgelegt. Mit Schriftsatz vom 26. Oktober 2016 hat sie weitere Unterlagen eingereicht, nämlich ein Anlagenkonvolut mit Rückmeldungen von Kunden (Anlage 9) sowie ein Schreiben des Handelsunternehmens B… gesellschaft mbH & Co KG aus K… (Anlage 10). Die Anlagen bestätigten, dass die “
Dithmarscher Gans“ einen besonderen Ruf und eine besondere Wertschätzung bei den Verbrauchern genieße.
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Der Antrag ist am 24. März 2017 im Markenblatt (S. 7766) veröffentlicht worden. Ein Einspruch ist nicht eingelegt worden.
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Mit Beschluss vom 22. September 2017 hat die Markenabteilung 3.2 des Deutschen Patent-und Markenamtes den Antrag zurückgewiesen.
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Zur Begründung ist ausgeführt, der Antrag sei unbegründet, weil die angemeldete Bezeichnung die Voraussetzungen für den Schutz als geografische Angabe (g. g. A.) gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1151/2012 (im Folgenden zitiert als: VO 1151/2021) nicht erfülle. Die Frage, ob der Antragstellerin überhaupt eine Einzelantragsbefugnis gemäß Art. 49 Abs. 1 Unterabsatz 2 VO 1151/2012 zukomme, was zweifelhaft erscheine, könne im Ergebnis dahinstehen.
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Gemäß Art. 5 Abs. 2 Buchst. b und c VO 1151/2012bezeichne der Ausdruck „geografische Angabe“ einen Namen, der zur Bezeichnung eines Erzeugnisses verwendet werde, dessen Qualität, Ansehen oder eine andere Eigenschaft wesentlich auf diesen geografischen Ursprung zurückzuführen ist (Buchst. b) und bei dem wenigstens einer der Produktionsschritte in dem abgegrenzten geografischen Gebiet erfolgt (Buchst. c). Nach der von der Antragstellerin vorgelegten Spezifikation finde aber nur die Elterntierhaltung und der Schlupf der Gössel im Gebiet Dithmarschen statt. Nach dem Schlüpfen der Gössel könne die weitere Aufzucht und Haltung auch in anderen norddeutschen Regionen, nämlich in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern oder Brandenburg erfolgen. Diese Regionen unterschieden sich aber im Klima, in der Bodenbeschaffenheit (z.B. im Salzgehalt des Bodens) sowie in Bezug auf die Pflanzenwelt und damit die Futterbereitstellung von dem Raum Dithmarschen, so dass keine homogenen natürlichen Faktoren vorlägen.
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Die Elterntierhaltung und der Schlupf der Gössel im Gebiet Dithmarschen sei, wenngleich es sich um einen wichtigen Baustein für die Produktion von „Dithmarscher Gänsen“ handele, nicht ausreichend für die erforderliche Konnektierung zwischen dem geografischen Herkunftsgebiet und dem Erzeugnis. Denn bei Fleischerzeugnissen spielten nicht nur die genetischen Voraussetzungen eine Rolle, sondern auch die Bedingungen, unter denen die Tiere gehalten und aufgezogen würden. Dies habe das Max-Rubner-Institut in seiner Stellungnahme bestätigt, wonach für die Qualität von Geflügel neben der Genetik der Tiere auch das entsprechende Haltungsmanagement sowie das Fütterungsregime der Nutztiere erhebliche Einflussfaktoren darstellten. Auch in den Spezifikationen von bereits geschützten geografischen Angaben für Geflügel, wie beispielsweise der französischen Herkunftsangaben „Poularde du Périgord“, „poulet de l´Ardèche“ und „Poulet des Cevennes“, erfolge die Haltung und Aufzucht im geografischen Gebiet und würden die besonderen Eigenschaften der Erzeugnisse auf die Aufzucht im geografischen Gebiet zurückgeführt.
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Die Voraussetzung des Art. 5 Abs. 2 Buchst. b Alt.1 VO 1151/2012, wonach die Qualität des Erzeugnisses wesentlich auf den geografischen Ursprung zurückzuführen sein muss, sei damit nicht erfüllt. Auch ein die Schutzfähigkeit begründendes herkunftsbezogenes Ansehen (Art. 5 Abs. 2 Buchst. b Alt. 2 VO 1151/2012), das sich vorliegend nur auf die Abstammung von Elterntieren aus der Region und den Schlupf der „Gössel“ in Dithmarschen beziehen könne, sei nicht hinreichend belegt.
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Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin.
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Sie hat im Beschwerdeverfahren neu gefasste Anträge vorgelegt, zuletzt – auf die Hinweise des Senats in der mündlichen Verhandlung vom 14. Oktober 2021 – einen neuen Hauptantrag sowie einen „Hilfsantrag 1“, beide in der Fassung vom 15. November 2021, auf die wegen ihrer Einzelheiten Bezug genommen wird.
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Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
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den Beschluss der Markenabteilung 3.2 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 22. September 2017 aufzuheben.
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In der mündlichen Verhandlung vom 14. Oktober 2021 hat der Senat auf Antrag der Antragstellerin den Übergang ins schriftliche Verfahren angeordnet.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Aktenlage Bezug genommen.
II.
21
Die zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
22
Der angefochtene Beschluss der Markenabteilung ist auf der Grundlage des im Beschwerdeverfahren eingereichten neuen Hauptantrags vom 15. November 2021 aufzuheben und die Sache zum Zweck der Neuveröffentlichung dieses Hauptantrags an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückzuverweisen.
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1. Die Markenabteilung hat die Zurückweisung des Antrags auf Eintragung als geografische Angabe wegen Fehlens der Schutzvoraussetzungen nach Art. 5 Abs. 2 VO 1151/2012 im Wesentlichen damit begründet, dass nach der vom Patentamt zu prüfenden Spezifikation nur die Elterntierhaltung und der Schlupf der Gössel im Gebiet Dithmarschen stattfinde, was aber für die erforderliche Konnektierung zwischen dem geografischen Herkunftsgebiet und dem Erzeugnis “
Dithmarscher Gans“ nicht ausreiche. Vielmehr komme es insoweit maßgeblich auch auf die Haltung und Aufzucht der Gänse im geografischen Gebiet an.
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Mit dem im Beschwerdeverfahren vorgelegten neuen Hauptantrag vom 15. November 2021 hat die Antragstellerin diese Hindernisse, die zur Zurückweisung des Schutzantrags geführt haben, jedoch beseitigt und zugleich „wesentliche Änderungen“ der Produktspezifikation (vgl. § 130 Abs. 5 Satz 4 MarkenG; Art. 53 Abs. 2 UAbs 3 VO 1151/2012) vorgenommen, im Einzelnen:
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a) Nach der im Beschwerdeverfahren zu prüfenden, geänderten Spezifikation in der Fassung des Hauptantrages vom 15. November 2021 handelt es sich bei der “
Dithmarscher Gans“ um eine alte Landgänseart, welche vor etwa 150 Jahren auf einem kleinen, eng begrenzten Landstrich zwischen Elbe und Eider, nämlich der Region Dithmarschen, begründet wurde. Die Dithmarscher Gans ist eine robuste Gans, die in der Aufzucht in bäuerlicher Freilandhaltung zumindest in der ersten Produktionsstufe bis zum 21. Lebenstag der Küken und in der Haltung der Elterntiere von den weitläufigen feuchten Wiesen und Marschen dieser Region Dithmarschen profitiert. Sie ist eine relativ schwere Gans, die sich durch eine hohe Weidetüchtigkeit und einen wohlgerundeten und gut geschlossenen Schlachtkörper auszeichnet. Durch die Abstammung von dieser alten Landgänseart und eine Züchtung in Kombination mit weiteren Landgänsen dänischer Herkunft hat sich über Jahrzehnte eine besonders schmackhafte und robuste Gänseart herausgebildet, die durch ein festes Muskelfleisch mit sehr geringem Fettansatz sowie einen hohen Anteil an Edelfleischanteilen und an ungesättigten Fettsäuren gekennzeichnet ist (vgl. den Hauptantrag vom 15. November 2021´in der Reinschrift, Seite 1 f. („b) Beschreibung“) sowie Seite 7 („f) Zusammenhang mit dem geografischen Gebiet“)).
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b) Mit der geänderten Spezifikation in der Fassung des Hauptantrages vom 15. November 2021 hat die Antragstellerin des Weiteren die drei maßgeblichen Produktionsstufen der “
Dithmarscher Gans“ wie folgt definiert:
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aa) Der erste Produktionsschritt umfasst das Legen und Ausbrüten der Bruteier, den Schlupf der Gössel (Gänseküken) sowie deren Aufzucht in bäuerlicher Freilandhaltung bis zum 21. Lebenstag im geografischen Gebiet „Dithmarschen“. Die Elterntiere müssen von der alten Landrasse “
Dithmarscher Gans“ in den Blutlinien abstammen und werden ausschließlich in bäuerlicher Freilandhaltung nach EU-Standard (gemäß der Verordnung (EG) Nr. 543/2008) in Dithmarschen gehalten. Sowohl für die Elterntiere als auch für die Gössel wird ausschließlich Futter mit mindestens 70 % Getreide oder Grünfutter aus dem Gebiet Dithmarschen eingesetzt.
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Durch diese Vorgaben zum ersten Produktionsschritt ist in Bezug auf die qualitätsstiftenden Merkmale, die auf das Ursprungsgebiet zurückzuführen sind, neben dem Haltungs- und Fütterungsregime insbesondere sichergestellt, dass die “
Dithmarscher Gans“ in ihrer Genetik (d. h. in ihrer genetischen Abstammung von der alten Landrasse, mit besonderen Qualitäts- und Geschmacksmerkmalen des Muskelfleisches) erhalten bleibt. Hierzu trifft die Spezifikation in der Fassung des neuen Hauptantrags vom 15. November 2021 weitere detaillierte Vorgaben.
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Demnach baut die Basiszucht auf der alten Landrasse der aus Dithmarscher Linien abstammenden Gänseart auf. Die Konservierung und Bearbeitung der “
Dithmarscher Gans“ muss „in geschlossenen Linien“ kontinuierlich nach überprüfbaren Kriterien der Vereinigungen für Gänsezucht und Geflügelhaltung und –züchtung erhalten bleiben. Über die Selektion und Erhaltung der Eigenschaften muss ein ordnungsgemäßes Zuchtbuch durch den Tierhalter geführt werden und ein jährlicher Bericht erstellt werden. Die Erhaltung der Zuchtlinien erfolgt in einem extra dafür eingerichteten zentralen Betrieb im Dithmarschen. In mindestens einem Betrieb in der Region Dithmarschen ist eine ständige Genreserve aufzustellen. Die Linien der Gänseart “
Dithmarscher Gans“ dürfen in ihren Eigenschaften nicht wesentlich verändert werden. Die Zucht ist nachweislich wissenschaftlich zu betreuen. Die Selektion der Gänsetiere für die Zucht erfolgt unter Berücksichtigung der vorgeschriebenen Haltungsform (bäuerliche Freilandhaltung) nach festgelegten Kriterien (Vitalität, Lauffreudigkeit, Körpermasse und/oder Brustauflagendicke bei der männlichen Linie; Fruchtbarkeitsmerkmale wie Legeleistung und Befruchtung in den weiblichen Linien), wobei die Daten bei den Zuchtbetrieben in Dithmarschen mindestens jährlich erfasst und in einem Archiv zur Weiterverwendung dokumentiert werden. Die Herkunft der Gössel aus der alten Landrasse “
Dithmarscher Gans“ ist über eine neutrale Kontrolle durch das Unternehmen Orgainvent oder ein vergleichbares spezialisiertes Unternehmen nachzuweisen.
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bb) Im zweiten Produktionsschritt, der mit dem 22. Lebenstag der Gössel beginnt und bis zur Überführung der Gänse zur Schlachtung (dritter Produktionsschritt) andauert, werden die Tiere entweder in der Region Dithmarschen oder in anderen norddeutschen Regionen weiter aufgezogen. Das Mindestschlachtalter einer Gans liegt bei 20 Wochen, dasjenige einer jungen Gans bei 16 Wochen. Über den gesamten Zeitraum der zweiten Produktionsstufe werden die Haltungsbedingungen „bäuerliche Freilandhaltung“ nach den Standards der Verordnung (EG) Nr. 543/2008, verbunden mit einer natürlichen Tierhaltung in alter Form von Bauernbetrieben und mit Weideaufzucht, sowie das Fütterungsregime beibehalten. Verfüttert wird weiterhin, wie schon in der ersten Produktionsstufe, hauptsächlich aus der Region Dithmarschen stammendes Getreide oder Grünfutter (mit einem Anteil von mindestens 70 %, bezogen auf den gesamten Futteranteil). Die restlichen 30 % des Futtermittels sind zu 100 % pflanzlicher Art mit gegebenenfalls Beimischung von Mineralien und Vitaminen, jedoch ohne leistungsfördernde Stoffe oder prophylaktische Medikamentenzugaben. Die Einhaltung der artgerechten Fütterung unterliegt der Kontrolle der zuständigen Landesbehörde. Kontrolleinrichtung gemäß der Spezifikation ist das Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume Schleswig-Holstein.
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cc) Im dritten Produktionsschritt werden die „Dithmarscher Gänse“ zur schonenden Schlachtung überführt. Die „Dithmarscher Gänse“ werden schonend für den Abtransport verladen und es erfolgt ein tiergerechter Transport ausschließlich in den späten Abendstunden und Nachtstunden durch geschultes Personal. Die “
Dithmarscher Gans“ wird in einem besonderen Schlachtverfahren verarbeitet, dem sogenannten Trockenschlachtverfahren. Es erfolgt kein Lebendrupf. Das Trockenschlachtverfahren ist durch eine manuelle Verarbeitung gekennzeichnet und gewährleistet einen hohen Qualitätsstandard der Fleischprodukte.
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c) In der Gesamtwürdigung des neuen Hauptantrags vom 15. November 2021 sind die qualitätsstiftenden Merkmale der
„Dithmarscher Gans“ in der ersten Produktionsstufe nunmehr klar und eindeutig mit dem geografischen Herkunftsgebiet verbunden. Neben dem Haltungs- und Fütterungsregime ist wie dargelegt insbesondere sichergestellt, dass die “
Dithmarscher Gans“ in ihrer Genetik, d.h. in ihrer genetischen Abstammung von der alten Landrasse, verbunden mit deren besonderen Qualitäts- und Geschmacksmerkmalen des Muskelfleisches, erhalten bleibt.
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Darüber hinaus sind die weiteren Produktionsschritte jedenfalls so detailliert geregelt, dass die auf den geografischen Ursprung zurückzuführenden qualitätsstiftenden Merkmale erhalten bleiben. Soweit die Markenabteilung im angefochtenen Beschluss darauf hingewiesen hat, dass für die Qualität von Geflügel neben der Genetik auch das Haltungsmanagement sowie das Fütterungsregime erhebliche Einflussfaktoren darstellen, enthält die Spezifikation in der Fassung vom 15. November 2021 hierzu detaillierte Regelungen. Demnach ist klargestellt, dass sowohl die „bäuerliche Freilandhaltung“ (nach den Standards der Verordnung (EG) Nr. 543/2008) als auch das Fütterungsregime (pflanzliche Futtermittel mit einem Anteil von mindestens 70 % von aus der Region Dithmarschen stammendem Getreide oder Grünfutter) auch in der gesamten zweiten Produktionsstufe bis zum Erreichen der Schlachtreife beibehalten werden, was die Erhaltung der auf den geografischen Ursprung zurückgehenden qualitätsstiftenden Merkmale sicherstellt.
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2. Ausgehend hiervon handelt es sich bei dem neuen Hauptantrag vom 15. November 2021 um eine begründete Änderung der Spezifikation, die auch noch im Beschwerdeverfahren möglich ist (vgl. BPatG BlPMZ 2011, 28, 30 – Bayerischer Süßer Senf; Ströbele/Hacker/Thiering, MarkenG, 13. Aufl., § 130 Rn. 102 ff., 104). Die Änderungen der Spezifikation betreffen zudem „wesentliche Merkmale“ im Sinne von Art 53 Abs. 2 UAbs 3 Buchst. a VO 1151/2012 (siehe auch § 130 Abs. 5 Satz 4 MarkenG).
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Art. 53 VO 1151/2012 unterscheidet zwischen „geringfügigen Änderungen“, für die nach Art. 53 Abs. 2 UAbs 2 VO 1151/2012 ein vereinfachtes Verfahren vor der Kommission – ohne Einspruchsverfahren auf Unionsebene sowie im vorgeschalteten nationalen Verfahren (Ströbele/Hacker/Thiering, a. a. O., § 132 Rn. 7, 14 bis 15) – vorgesehen ist, und „wesentlichen Änderungen“, die wie ein Neuantrag zu behandeln sind, weshalb Art. 53 Abs. 2 UAbs. 1 VO 1151/2012 insoweit auf die Verfahrensvorschriften der Art. 49 bis 52 VO 1151/2012 verweist (Ströbele/Hacker/Thiering, a. a. O., § 132 Rn. 6). „Wesentlich“ sind alle Änderungen, die in der abschließenden Bestimmung des Art. 52 Abs. 2 UAbs. 3 VO 1151/2012 aufgeführt sind; darunter fallen u. a. Änderungen, die wesentliche Merkmale des Erzeugnisses betreffen (vgl. Art. 53 Abs. 2 UAbs. 3 Buchst. a VO 1151/2012) oder die den Zusammenhang zwischen den Eigenschaften des Erzeugnisses mit dem geografischen Gebiet verändern (Art. 53 Abs. 2 UAbs. 3 Buchst. b i. V. m. Art. 7 Abs. 1 Buchst f. VO 1151/2012; zu den weiteren Fallgruppen vgl. Ströbele/Hacker/Thiering, a. a. O., § 132 Rn. 5).
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Vorliegend betreffen die Änderungen der Spezifikation gemäß dem neuen Hauptantrag vom 15. November 2021 unmittelbar die qualitätsstiftenden Merkmale der “
Dithmarscher Gans“ und somit „wesentliche Merkmale“ des Erzeugnisses im Sinne von Art. 53 Abs. 2 UAbs 3 Buchst. a VO 1151/2012, und sie sind überdies geeignet, den Zusammenhang zum abgegrenzten geografischen Gebiet herzustellen (Art. 53 Abs 2 UAbs 3 Buchst. b iVm Art. 7 Abs. 1 Buchst. f Ziffern i, ii VO 1151/2012).
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Da die Änderungen somit „wesentlich“ sind, führt dies zwingend zur Aufhebung des Beschlusses des Patentamts und zur Zurückverweisung der Sache an dieses, damit von dort aus die Veröffentlichung des neuen Hauptantrags in der Fassung vom 15. November 2021 gemäß § 130 Abs. 5 Satz 4 MarkenG durchgeführt werden kann (vgl. BPatG 30 W (pat) 30/14 – Treuchtlinger/Altmühlfränkische Bratwurst, juris; Ströbele/Hacker/Thiering, a. a. O., § 130 Rn. 105).
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3. Vor Veröffentlichung des neuen Hauptantrags in der Fassung vom 15. November 2021 ist – neben redaktionellen Änderungen – ein offensichtlicher Fehler im Text der Spezifikation zu berichtigen. So heißt es auf Seite 8 im zweiten Absatz, Zeilen 16 bis 22 der Reinschrift des Hauptantrages (Hervorh. d. d. Senat):
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„Wie in der freien Natur, so können diese Gänse der Dithmarscher Gans unter Einhaltung vorgegebener Haltungsparameter, wie großzügige Bereitstellung von Grünflächen, Futter mit einem Mindestanteil von 70% an heimischem Getreide und/oder Grünfutter in sämtlichem Produktionsstufen,
nach einem Schlüpfen im Dithmarschen auch in anderen norddeutschen Regionen, nämlich in Schleswig- Holstein, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern oder Brandenburg, weiter nach den definierten Kriterien
aufgezogen und gehalten werden.“
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Diese Textpassage ist offensichtlich der ursprünglichen Spezifikation entnommen. Sie steht in Widerspruch dazu, dass nach dem Inhalt des neuen Hauptantrags vom 15. November 2021 die Aufzucht der Gössel bis zu deren 21. Lebenstag im geografischen Gebiet „Dithmarschen“ zu erfolgen hat, und ist daher entsprechend zu korrigieren.
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Ungenau ist des Weiteren die Formulierung auf Seite 3, Zeilen 7 und 8 der Reinschrift des Hauptantrags:
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„Die Dithmarscher Gans wird zumindest in einem ersten Schritt der Aufzucht, nämlich vom Schlüpfen der Gössel
bis zur vierten Lebenswoche, in der Region Dithmarschen gehalten (…).“
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Gemeint ist hier offensichtlich der Zeitraum vom Schlüpfen der Gössel „bis zu deren 21. Lebenstag“ (einschließlich dieses Tages), was entsprechend klargestellt werden sollte.
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4. Im Übrigen sieht der Senat in der Gesamtwürdigung – vorbehaltlich eines Einspruchsverfahrens und der dort eventuell vorgebrachten Einwendungen – die Voraussetzungen für den Schutz der Bezeichnung “
Dithmarscher Gans“ als geschützte geografische Angabe gemäß Art. 5 Abs. 2 VO 1151/2012 auf Grundlage des neuen Hauptantrags vom 15. November 2021 als erfüllt an.
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5. Nach alledem ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache ist zur Veröffentlichung des neuen Hauptantrags vom 15. November 2021 an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückzuverweisen.