Beschluss des BVerwG 2. Senat vom 26.10.2021, AZ 2 B 12/21

BVerwG 2. Senat, Beschluss vom 26.10.2021, AZ 2 B 12/21, ECLI:DE:BVerwG:2021:261021B2B12.21.0

Verfahrensgang

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, 17. Dezember 2020, Az: 14 LB 1/20, Urteil
vorgehend Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, 1. Juli 2020, Az: 17 A 3/18, Urteil

Tenor

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 17. Dezember 2020 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1

Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 41 Abs. 1 Satz 1 LDG SH, § 69 BDG und § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision ist zulässig, aber nicht begründet.

2

1. Der 1961 geborene Beklagte steht als Oberamtsrat (Besoldungsgruppe A 13) im Dienst der klagenden Stadt. Im Mai 2016 stellte das Landeskriminalamt Baden-Württemberg fest, dass von einer dem Beklagten zuzuordnenden IP-Adresse in einem speziellen Netzwerk mehrfach Dateien anderen Personen zugänglich gemacht wurden. Bei der Durchsuchung der Wohnung des Beklagten wurden auf einem Laptop kinder- und jugendpornographische Bilddateien festgestellt. Mit rechtskräftigem Strafbefehl vom 10. April 2017 wurde der Beklagte wegen des Besitzes von kinder- und jugendpornographischen Schriften sowie des öffentlichen Zugänglichmachens kinderpornographischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Im sachgleichen Disziplinarverfahren hat das Verwaltungsgericht den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Beklagten gegen dieses Urteil zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:

3

Den vorsätzlichen Besitz kinder- und jugendpornographischer Schriften habe der Beklagte eingeräumt. Bei Betrachtung aller Umstände sei allerdings davon auszugehen, dass der Beklagte die im Strafbefehl bezeichneten kinderpornographischen Videodateien auch vorsätzlich der Öffentlichkeit zugänglich gemacht habe. Er habe es zumindest billigend in Kauf genommen, dass die betreffenden Videodateien einen grundsätzlich unbeschränkten, im Einzelnen nicht überschaubaren Personenkreis zugänglich gemacht worden seien. Durch das außerdienstliche Dienstvergehen habe der Beklagte das Vertrauen seiner Dienstherrin und der Allgemeinheit endgültig verloren. Der für die Bestimmung der Schwere des Dienstvergehens maßgebliche Orientierungsrahmen reiche hier bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. Dies ergebe sich bereits aus dem Umstand, dass der Strafrahmen für den Besitz kinderpornographischer Schriften mit Gesetz vom 21. Januar 2015 auf eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren angehoben worden sei. Unabhängig davon reiche der Orientierungsrahmen hier auch deshalb bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, weil der Beklagte nicht nur kinderpornographische Schriften besessen, sondern diese auch öffentlich zugänglich gemacht habe. Das Strafgesetzbuch sehe für dieses Vorgehen eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren vor. Dieser höhere Strafrahmen sei bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme erschwerend zu berücksichtigen, sodass der Orientierungsrahmen bis zur Dienstentfernung reiche.

4

2. Der Senat hat – nach Anhörung der Beteiligten – das Aktivrubrum von Amts wegen dahingehend geändert, dass im Streitfall die Klägerin die Landeshauptstadt Kiel als Dienstherrin des beklagten Kommunalbeamten ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. März 2021 – 2 B 76.20 – NVwZ-RR 2021, 583 Rn. 13 ff.), während das von den Vorinstanzen als Kläger angeführte Landesministerium (lediglich) die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Kommunalaufsichtsbehörde ist, die für die Anstellungskörperschaft als Vertreterin handelt (vgl. § 34 Abs. 2, § 47 Satz 1 LDG SH und § 121 Abs. 2 GO SH).

5

3. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr der Beklagte beimisst.

6

Grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine – vom Beschwerdeführer zu bezeichnende – grundsätzliche, bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder einer Weiterentwicklung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf und die für die Entscheidung des Revisionsgerichts erheblich sein wird (stRspr, BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 – 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90 <91 f.>). Das ist hier nicht der Fall.

7

Der Beklagte sieht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache in der Frage,

„(ob) die disziplinarische Höchstmaßnahme wegen Verbreitung oder öffentlicher Zugänglichmachung zweier kinderpornographischer Dateien unabhängig von dem Tätigkeitsfeld des beschuldigten Beamten geboten (ist).“

8

Die so formulierte Frage hat keine grundsätzliche Bedeutung, weil sie einer rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich ist (vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 5. Juli 2016 – 2 B 24.16 – Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 38 Rn. 11). Die Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist nach § 13 Abs. 1 LDG SH unter Würdigung aller be- und entlastenden Umstände des konkreten Einzelfalls zu bestimmen. Ergibt die Bewertung dieser konkreten Einzelumstände, dass der Beamte das Vertrauen seines Dienstherrn oder der Allgemeinheit verloren hat, ist er zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen.

9

Auch wenn die Frage so zu verstehen sein sollte, dass sie sich nicht auf die Bemessung der konkreten Disziplinarmaßnahme i.S.v. § 13 LDG SH, sondern auf die Festlegung des Orientierungsrahmens bezieht, wäre die Revision nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Denn die so verstandene Frage ist bereits in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Sinne der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts geklärt.

10

Nach § 13 Abs. 1 LDG SH ist die Entscheidung über die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens und unter angemessener Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des Beamten sowie des Umfangs der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit zu treffen. Die Schwere des Dienstvergehens ist danach Ausgangspunkt und richtungsweisendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme (BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2013 – 1 D 1.12 – BVerwGE 148, 192 Rn. 39 f.). Dies beruht auf dem Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die auch im Disziplinarverfahren Anwendung finden (BVerfG, Kammerbeschluss vom 8. Dezember 2004 – 2 BvR 52/02 – BVerfGK 4, 243 <257>). Die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (BVerwG, Urteile vom 20. Oktober 2005 – 2 C 12.04 – BVerwGE 124, 252 <258 f.>, vom 10. Dezember 2015 – 2 C 6.14 – BVerwGE 154, 10 Rn. 12 und vom 16. Juni 2020 – 2 C 12.19 – BVerwGE 168, 254 Rn. 19).

11

Als Orientierung für die Schwere des Dienstvergehens dient der zum Tatzeitpunkt geltende Strafrahmen. Mit der gesetzlichen Strafandrohung hat der Gesetzgeber seine Einschätzung zum Unwert eines Verhaltens eines Beamten verbindlich zum Ausdruck gebracht. Diese grundsätzliche Ausrichtung am gesetzlichen Strafrahmen gewährleistet eine nachvollziehbare und gleichmäßige disziplinarrechtliche Ahndung der Dienstvergehen und verhindert, dass die Disziplinargerichte ihre jeweils eigene Einschätzung des Gehalts eines Dienstvergehens an die Stelle der Bewertung des Gesetzgebers setzen. Maßgeblich ist damit die Einschätzung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers, nicht die Vorstellung des jeweiligen Disziplinargerichts (BVerwG, Urteil vom 16. Juni 2020 – 2 C 12.19 – BVerwGE 168, 254 Rn. 21).

12

Setzt sich das Dienstvergehen aus mehreren Aspekten zusammen, so bestimmt sich auch der Orientierungsrahmen in erster Linie nach der schwersten Verfehlung. Dies ist hier das vom Oberverwaltungsgericht festgestellte vorsätzliche öffentliche Zugänglichmachen von kinderpornographischen Schriften. Hierfür sieht das Strafgesetzbuch in § 184b Abs. 1 eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren vor. Hieraus folgt, dass der Orientierungsrahmen bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis eröffnet ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Januar 2014 – 2 B 52.13 – juris Rn. 8). Im Übrigen folgt auch aus der erhöhten Strafandrohung für den Besitz kinderpornographischer Schriften in der Fassung des Gesetzes vom 21. Januar 2015 (BGBl. I S. 10) – § 184b Abs. 3 StGB Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe -, dass der Orientierungsrahmen bis zur disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme reicht.

13

Für die Festlegung des Orientierungsrahmens ist in diesen Fällen mithin die Anzahl der einschlägigen Dateien ebenso ohne Bedeutung wie das Tätigkeitsfeld des betroffenen Beamten. Im Übrigen kommt es für den Amtsbezug bei außerdienstlich begangenen Pflichtverstößen eines Beamten nicht auf die von ihm zuletzt wahrgenommenen Aufgaben, sondern auf sein Statusamt an (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2015 – 2 C 9.14 – BVerwGE 152, 228 Rn. 16).

14

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 41 Abs. 1 Satz 1 LDG SH, § 77 Abs. 1 BDG und § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil für das Beschwerdeverfahren entsprechend der Verweisung von § 41 Abs. 1 Satz 1 LDG SH auf Teil 4 des Bundesdisziplinargesetzes Festgebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 78 BDG erhoben werden.