Beschluss des BGH 8. Zivilsenat vom 19.10.2021, AZ VIII ZR 160/20

BGH 8. Zivilsenat, Beschluss vom 19.10.2021, AZ VIII ZR 160/20, ECLI:DE:BGH:2021:191021BVIIIZR160.20.0

§ 47 GKG, § 23 RVG, § 32 RVG, § 33 Abs 1 RVG

Verfahrensgang

vorgehend LG Köln, 14. Mai 2020, Az: 29 S 204/19
vorgehend AG Leverkusen, 6. September 2019, Az: 20 C 226/17

Tenor

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit des Antragstellers im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren der Beklagten wird auf 89.052,23 € festgesetzt.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

1

Die Klägerin hat die Beklagten nach Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses als Gesamtschuldner auf Zahlung einer Nutzungsentschädigung und offener Betriebskosten in Höhe von insgesamt 44.028,55 € nebst Zinsen und vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Anspruch genommen. Die Beklagten haben die Ansprüche in Abrede gestellt und Gegenansprüche auf Ersatz von Reparaturkosten in Höhe von 3.137,03 € und auf Wertersatz für Umbaumaßnahmen am Mietobjekt in Höhe von 45.000 € im Wege der (Hilfs-)Aufrechnung geltend gemacht. Das Amtsgericht hat der Klage in Höhe von 42.957,60 € nebst Zinsen und Rechtsanwaltskosten stattgegeben; die Hilfsaufrechnungen der Beklagten hat es als nicht durchgreifend angesehen. Das Landgericht hat die Berufung der Beklagten – ebenso wie die Anschlussberufung der Klägerin – zurückgewiesen.

2

Die Beklagten haben den Antragsteller mit ihrer Vertretung im Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision beauftragt. Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde haben sie für den Fall der Revisionszulassung angekündigt, ihre Verurteilung lediglich unter Hinweis auf die von ihnen erklärte Hilfsaufrechnung wegen einer Forderung in Höhe von 45.000 € zu Fall bringen zu wollen.

3

Mit Beschluss vom 3. August 2021 hat der Senat die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten zurückgewiesen und den Wert des Beschwerdeverfahrens auf 42.957,60 € festgesetzt.

4

Der Antragsteller beantragt, den Gegenstandswert seiner anwaltlichen Tätigkeit im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren festzusetzen. Er hat in seinem Antrag ausgeführt, dass sich das ihm übertragene Mandat auf die vollumfängliche Prüfung der Verteidigungsmöglichkeiten der Beklagten bezogen habe. Die hierzu angehörte Klägerin hat keine Stellungnahme abgegeben.

II.

5

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit des Antragstellers für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren der Beklagten ist auf 89.052,23 € festzusetzen.

6

1. Gemäß § 33 Abs. 1 RVG setzt das Gericht des Rechtszugs den Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit auf Antrag durch Beschluss selbstständig fest, wenn sich die Gebühren in einem gerichtlichen Verfahren nicht nach dem für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert berechnen. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben, da der Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens und der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit des Antragstellers im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nicht übereinstimmen.

7

a) Der für die Gerichtskosten maßgebende gerichtliche Streitwert im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist gemäß § 47 Abs. 3, Abs. 1 Satz 1 GKG der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert. Er bestimmt sich nach dem Antrag des Rechtsmittelführers, also danach, inwiefern der Rechtsmittelführer für den Fall der Zulassung des Rechtsmittels eine Abänderung der Entscheidung begehrt (vgl. Senatsbeschluss vom 6. November 2019 – VIII ZR 325/18, juris Rn. 6).

8

Die Beklagten haben mit der Begründung ihrer Nichtzulassungsbeschwerde zum Ausdruck gebracht, dass sie für den Fall der Revisionszulassung das Berufungsurteil allein im Hinblick auf die von ihnen hilfsweise erklärte Aufrechnung mit dem geltend gemachten Anspruch auf Wertersatz zur Überprüfung stellen, und ihr Rechtsmittel folglich auf diese Gegenforderung beschränkt (vgl. BGH, Urteil vom 30. November 1995 – III ZR 240/94, NJW 1996, 527 unter I. 2.). Den Wert des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens hat der Senat dementsprechend auf den Betrag von 42.957,60 € festgesetzt, zu dessen Zahlung die Beklagten verurteilt worden sind und den sie stattdessen mit ihrer zur Aufrechnung gestellten Forderung zu tilgen beabsichtigten.

9

b) Für den Gebührenanspruch des Rechtsanwalts bestimmt sich der Gegenstandswert im gerichtlichen Verfahren gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 RVG grundsätzlich nach den für die Gerichtsgebühren geltenden Wertvorschriften. Wird der für die Gerichtsgebühren maßgebende Wert gerichtlich festgesetzt, ist nach § 32 Abs. 1 RVG die Festsetzung auch für die Gebühren des Rechtsanwalts maßgebend. Das gilt allerdings nur, wenn der Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens mit dem der anwaltlichen Tätigkeit identisch ist (BGH, Urteil vom 14. Dezember 2017 – IX ZR 243/16, NJW-RR 2018, 700 Rn. 21 f.; Beschluss vom 30. Oktober 2019 – V ZR 299/14, juris Rn. 3; jeweils mwN). Fehlt es daran, etwa weil der Wert der bei der Einlegung des Rechtsmittels entfalteten anwaltlichen Tätigkeit höher als der Wert des später durchgeführten Rechtsmittelverfahrens liegt, ist der Rechtsanwalt nicht gehindert, für seine auf einem umfassenderen Auftrag beruhende Tätigkeit entsprechende Gebühren gegenüber seinen Mandanten geltend zu machen (BGH, Urteil vom 14. Dezember 2017 – IX ZR 243/16, aaO, Rn. 22; Beschluss vom 30. Oktober 2019 – V ZR 299/14, aaO, Rn. 5).

10

Vorliegend weicht der anwaltliche Gegenstandswert von dem gerichtlichen Streitwert ab. Er richtet sich nach dem Wert, der die Grundlage für den Auftrag der Beklagten zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde bildete (vgl. BGH, Urteil vom 14. Dezember 2017 – IX ZR 243/16, aaO, Rn. 29; Beschluss vom 9. Oktober 2018 – VII ZR 228/16, juris Rn. 4). Da sich das von den Beklagten übertragene Mandat nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag des Antragstellers auf die vollumfängliche Prüfung der Verteidigungsmöglichkeiten der Beklagten bezogen hat und dem Antragsteller somit ein Rechtsmittelauftrag unbeschränkt erteilt worden war, bemisst sich der Wert seiner anwaltlichen Tätigkeit nach der gesamten sich aus dem Berufungsurteil ergebenden Beschwer der Beklagten (vgl. BGH, Urteil vom 14. Dezember 2017 – IX ZR 243/16, aaO, Rn. 29; Senatsbeschluss vom 6. November 2019 – VIII ZR 325/18, juris Rn. 7 f.). Die Beklagten sind durch das Berufungsurteil in Höhe von 89.052,23 € beschwert. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus den der Klägerin zugesprochenen Forderungen auf Nutzungsentschädigung und Betriebskosten in Höhe von insgesamt 42.957,60 € sowie aus den aberkannten Gegenforderungen der Beklagten auf Ersatz von Reparaturkosten und auf Wertersatz in Höhe von insgesamt 46.094,63 € (3.137,03 € und 42.957,60 €). Über den Wertersatzanspruch hat das Berufungsgericht nur bis zur Höhe der Klageforderung rechtskraftfähig entschieden (vgl. § 322 Abs. 2 ZPO). Die Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sind als Nebenforderungen wertmäßig nicht anzusetzen (§ 4 Abs. 1 Halbs. 2 ZPO).

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2. Über den Antrag auf Festsetzung entscheidet nach dem Inkrafttreten von § 1 Abs. 3 RVG auch beim Bundesgerichtshof gemäß § 33 Abs. 8 Satz 1 Halbs. 1 RVG der Einzelrichter (BGH – Großer Senat für Zivilsachen, Beschluss vom 9. August 2021 – GSZ 1/20, juris Rn. 8).

III.

12

Die Nebenentscheidungen folgen aus § 33 Abs. 9 RVG.

Dr. Reichelt