BFH 8. Senat, Beschluss vom 15.10.2021, AZ VIII B 130/20, ECLI:DE:BFH:2021:B.151021.VIIIB130.20.0
§ 193 Abs 1 AO, § 5 AO, § 76 FGO, § 102 FGO, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO
Leitsatz
1. NV: Die von den Besonderheiten des Einzelfalls abstrahierte Frage, ob bei einem Freiberufler eine dritte Anschlussprüfung zulässig ist, ist nach Maßgabe der Rechtsprechung des BFH zu bejahen.
2. NV: Die Beantwortung der Frage, ob die Finanzbehörde bei Anordnung einer dritten Anschlussprüfung ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab; sie ist daher nicht im Allgemeininteresse klärungsfähig.
Verfahrensgang
vorgehend FG Köln, 9. Oktober 2020, Az: 3 K 2390/18, Urteil
Tenor
Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 09.10.2020 – 3 K 2390/18 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Gründe
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Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung –;FGO–). Sofern Zulassungsgründe in einer den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Form geltend gemacht wurden, liegen sie nicht vor.
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1. Die Revision war nicht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
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a) Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO verlangt substantiierte Ausführungen insbesondere zur Klärungsbedürftigkeit einer hinreichend bestimmten Rechtsfrage, die im konkreten Streitfall voraussichtlich auch klärbar ist und deren Beurteilung von der Klärung einer zweifelhaften oder umstrittenen Rechtslage abhängig ist. Hierzu muss sich die Beschwerde insbesondere mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), den Äußerungen im Schrifttum sowie mit den ggf. veröffentlichten Verwaltungsmeinungen auseinandersetzen. Darüber hinaus ist auch auf die Bedeutung der Klärung der konkreten Rechtsfrage für die Allgemeinheit einzugehen. An der Darlegung der Klärungsbedürftigkeit fehlt es u.a. dann, wenn die vom Beschwerdeführer als grundsätzlich bedeutsam erachtete Frage nach Maßgabe einer entsprechenden Würdigung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls zu entscheiden ist (z.B. BFH-Beschlüsse vom 14.09.2007 – VIII B 20/07, BFH/NV 2008, 25; vom 22.07.2014 – XI B 29/14, BFH/NV 2014, 1780, und vom 03.02.2016 – V B 122/15, BFH/NV 2016, 1062, m.w.N.). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
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b) Soweit der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) eine Vielzahl von Entscheidungen des BFH referiert und geltend macht, über die Zulässigkeit einer dritten Anschlussprüfung bzw. einen mit dem Streitfall identischen Sachverhalt sei bisher nicht entschieden, legt er keine grundsätzliche Bedeutung dar.
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Allein der Vortrag, eine bestimmte Frage sei vom BFH bislang noch nicht entschieden worden, genügt nicht zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung (z.B. BFH-Beschlüsse vom 21.08.2014 – X B 159/13, BFH/NV 2014, 1743, und vom 13.03.2019 – XI B 97/18, BFH/NV 2019, 711, m.w.N.). Darüber hinaus ist die von den Besonderheiten des Einzelfalls abstrahierte Frage, ob eine dritte Anschlussprüfung zulässig ist, nach Maßgabe der bereits vorhandenen Rechtsprechungsgrundsätze zu bejahen.
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aa) Nach § 193 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) ist eine Außenprüfung u.a. bei Steuerpflichtigen zulässig, die –wie im Streitfall der Kläger– freiberuflich tätig sind. Höchstrichterlich geklärt ist in diesem Zusammenhang u.a., dass § 193 Abs. 1 AO keine weiteren Anforderungen enthält; es handelt sich um eine tatbestandlich voraussetzungslose Prüfungsermächtigung. Im Rahmen des § 193 Abs. 1 AO sind daher Außenprüfungen in den Grenzen des Verhältnismäßigkeitsprinzips und des Willkürverbots grundsätzlich unbeschränkt zulässig. Weder der AO noch der Betriebsprüfungsordnung (BpO 2000) vom 15.03.2000 (BStBl I 2000, 368) ist zu entnehmen, dass Außenprüfungen nur in einem bestimmten Turnus oder mit zeitlichen Abständen erfolgen dürfen (z.B. BFH-Urteil vom 15.06.2016 – III R 8/15, BFHE 254, 203, BStBl II 2017, 25, m.w.N.). Dies gilt nicht nur für Großbetriebe, sondern auch für Mittelbetriebe (s. hierzu BFH-Urteil in BFHE 254, 203, BStBl II 2017, 25) sowie Klein- und Kleinstbetriebe (z.B. BFH-Beschlüsse vom 16.02.2011 – VIII B 246/09, BFH/NV 2011, 748; vom 14.03.2006 – IV B 14/05, BFH/NV 2006, 1253, und vom 14.07.2014 – III B 8/14, BFH/NV 2014, 1880, m.w.N.; vgl. auch Klein/Rüsken, AO, 15. Aufl., § 194 Rz 30, m.w.N.).
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bb) Danach sind Anschlussprüfungen grundsätzlich zulässig. Weder die AO noch die BpO 2000 schließen weitere Anschlussprüfungen aus (vgl. jeweils zur zweiten Anschlussprüfung BFH-Beschluss vom 09.11.2010 – VIII S 8/10, BFH/NV 2011, 297; BFH-Urteil in BFHE 254, 203, BStBl II 2017, 25).
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c) Von der von den Besonderheiten des Einzelfalls abstrahierten Frage der Zulässigkeit einer dritten Anschlussprüfung zu unterscheiden ist hingegen die Frage, ob die Finanzbehörde bei Anordnung einer solchen dritten Anschlussprüfung ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat. Die Beantwortung dieser Frage hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, sie ist daher nicht im Allgemeininteresse klärungsfähig.
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aa) Nach der Rechtsprechung des BFH sind im Rahmen des § 193 Abs. 1 AO Außenprüfungen in den Grenzen des Verhältnismäßigkeitsprinzips und des Willkürverbots grundsätzlich unbeschränkt zulässig (vgl. z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2014, 1880, m.w.N.).
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bb) Ob und in welchem Umfang bei einem Steuerpflichtigen nach § 193 AO eine Außenprüfung angeordnet wird, ist eine Ermessensentscheidung, die vom Gericht nach § 102 FGO nur darauf zu überprüfen ist, ob die gesetzlichen Grenzen der Ermessensvorschrift eingehalten wurden und ob die Behörde das ihr eingeräumte Ermessen unter Beachtung des Gesetzeszweckes (§ 5 AO) fehlerfrei ausgeübt hat (z.B. BFH-Urteil in BFHE 254, 203, BStBl II 2017, 25, m.w.N.). Die Frage, ob die Finanzbehörde bei Anordnung einer zweiten oder auch dritten Anschlussprüfung ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat, ist anhand aller Umstände des Einzelfalls zu überprüfen und deshalb nicht im Allgemeininteresse klärungsfähig (z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2011, 297, zur zweiten Anschlussprüfung). Daher lassen sich für den Erlass einer Prüfungsanordnung auch keine konkreten und allgemeingültigen Maßstäbe zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit und Beachtung des Willkür- und Schikaneverbots entwickeln (BFH-Beschluss in BFH/NV 2011, 748). Gleiches gilt für die Frage, ob der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt –FA–) die Ausübung des Auswahlermessens im Streitfall konkreter hätte begründen müssen bzw. ob aufgrund der lückenlosen Anordnung von Anschlussprüfungen nach den Umständen des Streitfalls eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung i.S. des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes vorliegt (vgl. BFH-Beschluss vom 13.12.2018 – VIII B 114/18, BFH/NV 2019, 385).
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d) Der Kläger hat nicht hinreichend dargetan, dass die von ihm aufgeworfenen weiteren Rechtsfragen einer erneuten bzw. weitergehenden Klärung durch den BFH bedürfen bzw. dass sie im Allgemeininteresse klärungsfähig sind.
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aa) Nach den dargelegten Grundsätzen bedarf die vom Kläger als grundsätzlich bedeutsam erachtete Frage, „welche Maßstäbe für die Wahrung der Verhältnismäßigkeit und die Beachtung des Willkür- und Schikaneverbots gelten“, keiner weiteren Klärung durch den BFH. Für den Erlass einer Prüfungsanordnung lassen sich keine konkreten und allgemeingültigen Maßstäbe zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit und Beachtung des Willkür- und Schikaneverbots entwickeln (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2011, 748).
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bb) Auch die vom Kläger aufgeworfene Frage, „ob das Auswahlermessen im Rahmen der Verhältnismäßigkeit dann ordnungsgemäß ausgeübt wurde, wenn bei einem Betrieb im Rahmen der Anordnung einer dritten Anschlussprüfung lediglich auf mögliche Prüffelder hingewiesen wurde“, führt nicht zur Zulassung der Revision. Ihre Beantwortung hängt nach Maßgabe der dargelegten Rechtsprechungsgrundsätze von den Umständen des Einzelfalls ab. Darüber hinaus lassen die Ausführungen des Klägers nicht erkennen, dass die aufgestellten Rechtsprechungsgrundsätze insoweit einer Ergänzung oder weiteren Klärung bedürfen.
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cc) Die weitere, vom Kläger als grundsätzlich bedeutsam angesehene Frage, „ob eine dritte Anschlussprüfung nur bei einem Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Willkür- und Schikaneverbot unzulässig sein kann“, ist nach Maßgabe der dargelegten Grundsätze ebenfalls geklärt. Die Ausführungen des Klägers, nach denen für die Anordnung einer dritten Anschlussprüfung andere Kriterien gelten sollen als für die Anordnung einer zweiten Anschlussprüfung, lassen keinen weitergehenden Klärungsbedarf erkennen. Die Frage, ob die Finanzbehörde bei der Anordnung einer dritten Anschlussprüfung ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat, ist jeweils nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalls zu beantworten. Dabei kann zwar auch der Größenklasse des geprüften Betriebes Bedeutung zukommen (vgl. BFH-Beschluss vom 22.12.2011 – VIII B 251/09, BFH/NV 2012, 443). Allerdings ist auch eine aus Sicht des Finanzamts bestehende Prüfungsbedürftigkeit des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen. Diese war –wie sich insbesondere aus den Darlegungen auf S. 16 bis 18 des Urteils ergibt– auch nach Auffassung des Finanzgerichts (FG) gegeben.
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dd) Auch die vom Kläger formulierte Frage, „ob nach dem Normzweck des § 193 Abs. 1 AO das einzig sachgerechte Ermessensrichtmaß die Prüfungsbedürftigkeit sein darf (§ 102 FGO)“, kann keine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung begründen. Nach der Rechtsprechung des BFH sowie dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelungen der §§ 193 ff. AO und der BpO 2000 ist –wie das FG angenommen hat– jenseits der Routine- und Zufallsprüfungen die Prüfungsbedürftigkeit das ausschlaggebende Kriterium für eine anlassbezogene Prüfung des Steuerpflichtigen. Ob im konkreten Streitfall eine hinreichende Prüfungsbedürftigkeit des Steuerpflichtigen gegeben ist, kann nicht abstrakt, sondern nur unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls beantwortet werden.
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ee) Schließlich kommt auch der Frage, „ob eine Prüfungsanordnung bereits aufgrund des ungleichen, willkürlichen Gesetzesvollzugs nichtig ist“, keine grundsätzliche Bedeutung zu (vgl. BFH-Beschluss vom 14.01.2020 – XI B 52/19, nicht veröffentlicht). Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass das FG –wie schon das FA– im Streitfall eine konkrete Prüfungsbedürftigkeit des Klägers bejaht hat, weil sich aus den Vorprüfungen eine ganze Reihe von Fragen und Unklarheiten mit ganz erheblichen steuerlichen Auswirkungen ergeben hatten (vgl. S. 16 bis 18 des FG-Urteils).
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2. Soweit der Kläger die mangelnde Sachaufklärung wegen Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes durch das FG (§ 76 FGO) rügt, kann die Beschwerde ebenfalls keinen Erfolg haben. Denn es fehlt jedenfalls an der erforderlichen Darlegung dazu, aus welchen genau bezeichneten Gründen sich dem FG die Notwendigkeit einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts oder einer Beweiserhebung auch ohne einen entsprechenden Antrag hätte aufdrängen müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer weiteren Sachaufklärung oder Beweisaufnahme voraussichtlich ergeben hätten und inwieweit eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 03.05.2005 – X B 2/05, BFH/NV 2005, 1601). Der Verweis darauf, dass das FG auf S. 18 seiner Entscheidung ausgeführt hat, „dass zumindest nicht ausgeschlossen werden kann, dass auch in den Folgejahren diese steuerlichen Regeln nicht beachtet wurden“ und die damit verbundene Rüge, das FG habe im Rahmen der Überprüfung des Auswahlermessens nicht ohne jegliche Prüfung den Ausführungen des FA folgen dürfen, genügt hierfür nicht. Dies gilt auch in Anbetracht der Tatsache, dass das FG (insbesondere auf S. 16 bis 18 seiner Entscheidung) umfassend dargelegt hat, dass es sich um eine Anlassprüfung handelt, deren Anordnung durch die Prüfungsfeststellungen in dem unmittelbar vorangehenden Prüfungszeitraum in jeder Hinsicht nachvollziehbar, einsichtig und damit gerechtfertigt ist.
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3. Mit seinen weitergehenden Einwendungen gegen die Ausführungen des FG zur Zulässigkeit der Prüfungsanordnung legt der Kläger keinen Revisionszulassungsgrund dar, sondern rügt die falsche materielle Rechtsanwendung durch das FG, die grundsätzlich nicht zur Zulassung der Revision führt (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 15.04.2016 – X B 155/15, BFH/NV 2016, 1139, und vom 18.07.2017 – XI B 24/17, BFH/NV 2018, 60).
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4. Von einer Darstellung des Sachverhaltes sowie einer weiteren Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO abgesehen.
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5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.