Hat das Oberlandesgericht in einem Musterverfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz das Feststellungsziel… (Beschluss des BGH 11. Zivilsenat)

BGH 11. Zivilsenat, Beschluss vom 12.10.2021, AZ XI ZB 26/19, ECLI:DE:BGH:2021:121021BXIZB26.19.0

§ 20 Abs 1 S 1 KapMuG, § 577 Abs 2 ZPO

Leitsatz

Hat das Oberlandesgericht in einem Musterverfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz das Feststellungsziel 1 als unbegründet zurückgewiesen und den Vorlagebeschluss hinsichtlich des Feststellungsziels 2 für gegenstandslos erklärt, kann das Rechtsbeschwerdegericht – auf eine Rechtsbeschwerde auf Seiten des Musterklägers hin, mit der die Feststellungsziele 1 und 2 weiterverfolgt werden – die Entscheidung dahingehend abändern, dass es das Feststellungsziel 2 als unbegründet zurückweist und den Vorlagebeschluss hinsichtlich des Feststellungsziels 1 für gegenstandslos erklärt.

Verfahrensgang

vorgehend BGH, 12. Januar 2021, Az: XI ZB 26/19, Beschluss
vorgehend OLG Celle, 12. Dezember 2018, Az: 9 Kap 1/17

vorgehend LG Stade, 17. Juli 2017, Az: 3 OH 8/17

Tenor

Die Beitritte der Musterbeklagten zu 2 und 3 werden als unzulässig zurückgewiesen.

Auf die Rechtsbeschwerden der Musterrechtsbeschwerdeführerin und der Rechtsbeschwerdeführer zu 1 bis 3 sowie zu 5 bis 7 wird der Musterentscheid des Oberlandesgerichts Celle vom 12. Dezember 2018, berichtigt durch Beschluss vom gleichen Tag, aufgehoben, soweit das Oberlandesgericht die Feststellungsziele 1a, 1b, 1c und 1f als unbegründet zurückgewiesen und den Vorlagebeschluss des Landgerichts Stade vom 17. Juli 2017 hinsichtlich des Feststellungsziels 2 für gegenstandslos erklärt hat. Das Feststellungsziel 2 wird als unbegründet zurückgewiesen. Der Vorlagebeschluss des Landgerichts Stade vom 17. Juli 2017 ist hinsichtlich der Feststellungsziele 1a, 1b, 1c und 1f gegenstandslos.

Im Übrigen werden die Rechtsbeschwerden zurückgewiesen.

Die Gerichtskosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und die außergerichtlichen Kosten der Musterbeklagten zu 1 tragen die Musterrechtsbeschwerdeführerin und die Rechtsbeschwerdeführer zu 1 bis 3 sowie zu 5 bis 7 wie folgt:

  • Musterrechtsbeschwerdeführerin
  • 26,13 %
  • Rechtsbeschwerdeführer zu 1
  • 5,22 %
  • Rechtsbeschwerdeführerin zu 2
  • 7,84 %
  • Rechtsbeschwerdeführer zu 3
  • 14,82 %
  • Rechtsbeschwerdeführer zu 5
  • 13,73 %
  • Rechtsbeschwerdeführer zu 6
  • 24,44 %
  • Rechtsbeschwerdeführer zu 7
  • 7,82 %

Ihre außergerichtlichen Kosten tragen die Musterrechtsbeschwerdeführerin, die Rechtsbeschwerdeführer zu 1 bis 3 und zu 5 bis 7 sowie die Musterbeklagten zu 2 und 3 jeweils selbst.

Der Streitwert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird hinsichtlich der Gerichtskosten auf bis zu 750.000 € festgesetzt.

Der Gegenstandswert für die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird für die Prozessbevollmächtigten der Musterrechtsbeschwerdeführerin sowie der Rechtsbeschwerdeführer zu 1 bis 3 und zu 5 bis 7 auf 203.163 € und für die Prozessbevollmächtigten der Musterbeklagten auf bis zu 750.000 € festgesetzt.

Gründe

A.

1

Die Parteien streiten im Rahmen eines Verfahrens nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) im Wesentlichen darüber, ob der bei der Emission des Fonds P.          GmbH & Co. KG (im Folgenden: Fondsgesellschaft) am 24. September 2007 aufgelegte Prospekt fehlerhaft ist und ob die Musterbeklagten hierfür aufgrund bürgerlich-rechtlicher Prospekthaftung im weiteren Sinne in Anspruch genommen werden können. Gegenstand des Unternehmens der Fondsgesellschaft war der Betrieb des Seeschiffs MS „P.  M.     „. Hierbei handelt es sich um einen Massegutfrachter (Bulkcarrier) der Super-Handymax-Klasse mit einer Tragfähigkeit von 53.000 tdw (tons deadweight), der den Panamakanal bereits vor dessen Erweiterung nutzen konnte.

2

Die Musterbeklagte zu 1 (damals noch I.          AG) ist (Rechtsnachfolgerin der) Gründungskommanditistin mit einer Kommanditeinlage von 20.000 €. Zudem gab sie eine Platzierungsgarantie ab. Die Musterbeklagte zu 2 ist Treuhandkommanditistin und Gründungskommanditistin mit einer Kommanditeinlage von 5.000 €. Bei der Musterbeklagten zu 3 handelt es sich um eine Gründungskommanditistin mit einer Kommanditeinlage von 10.000 € sowie um die Vertragsreederin.

3

Seit dem Jahr 2016 haben zahlreiche Anleger Klagen gegen die Musterbeklagten anhängig gemacht. In den Ausgangsverfahren verlangen der Musterkläger und die Beigeladenen die Erstattung der Zeichnungssumme zuzüglich entgangenen Gewinns abzüglich erhaltener Ausschüttungen sowie die Freistellung von etwaigen Nachteilen der Zeichnung.

4

Das Landgericht hat mit Beschluss vom 17. Juli 2017 dem Oberlandesgericht Feststellungsziele zum Zwecke der Herbeiführung eines Musterentscheids vorgelegt. Mit diesen werden mehrere Prospektfehler geltend gemacht. Diese betreffen – soweit im Rechtsbeschwerdeverfahren noch von Bedeutung – die im Prospekt enthaltene Betriebskostenprognose (Feststellungsziel 1a) und den fehlenden Hinweis auf die Erweiterung des Panamakanals und deren mögliche Folgen für die Fondsgesellschaft (Feststellungsziel 1b). Im Prospekt werde zudem fehlerhaft verschwiegen, dass der Wettbewerbsvorteil des MS „P.         „, den Panamakanal im Gegensatz zu einem Capesize Bulkcarrier passieren zu können, mit der Erweiterung des Panamakanals entfalle (Feststellungsziel 1c). Es werde auch das Risiko verschwiegen, dass Gläubiger des Charterers wegen offener Forderungen gegen diesen das MS „P.   M.     “ beschlagnahmen könnten, obwohl die Fondsgesellschaft Eigentümerin des Schiffs sei (Feststellungsziel 1f). Ferner wird die Feststellung begehrt, dass die Musterbeklagten als potentielle Haftungsschuldner aus Prospekthaftung im weiteren Sinne verpflichtet gewesen seien, alle Anleger vollständig und richtig über die Beteiligung an der Fondsgesellschaft aufzuklären (Feststellungsziel 2), und dass die Musterbeklagten bei der Veröffentlichung des Prospekts der Fondsgesellschaft nach den Grundsätzen der Prospekthaftung im weiteren Sinne schuldhaft gehandelt hätten (Feststellungsziel 3).

5

Das Oberlandesgericht hat mit Musterentscheid vom 12. Dezember 2018, berichtigt mit Beschluss vom gleichen Tag, die genannten Feststellungsziele unter 1 zurückgewiesen. Hinsichtlich der Feststellungsziele 2 und 3 hat es festgestellt, dass der Vorlagebeschluss des Landgerichts insoweit gegenstandslos ist.

6

Gegen den Musterentscheid haben sieben Beigeladene Rechtsbeschwerde eingelegt. Sie wenden sich gegen die Zurückweisung der Feststellungsziele 1a, 1b, 1c und 1f als unbegründet und gegen die Gegenstandsloserklärung des Vorlagebeschlusses hinsichtlich der Feststellungsziele 2 und 3. Insoweit verfolgen sie ihr Feststellungsbegehren weiter.

7

Durch Eintragung in das Klageregister ist am 30. Januar 2019 öffentlich bekannt gemacht worden, dass gegen den Musterentscheid durch Beigeladene auf Seiten des Musterklägers Rechtsbeschwerde eingelegt worden ist. Innerhalb der Beitritts- und Beitrittsbegründungsfrist haben die Prozessbevollmächtigen der Musterbeklagten ihre jeweilige Vertretung der Musterbeklagten angezeigt und beantragt, die Rechtsbeschwerde der Beigeladenen zurückzuweisen. Rechtsbeschwerdeerwiderungen haben am 10. Juli 2019 der Prozessbevollmächtigte der Musterbeklagten zu 3 und am 2. September 2019 der Prozessbevollmächtigte der Musterbeklagten zu 1 und 2 bei Gericht eingereicht. Mit Beschluss vom 12. Januar 2021 (juris) hat der Senat – der das Verfahren aufgrund seiner alleinigen Zuständigkeit für die spezialgesetzliche Prospekthaftung vom II. Zivilsenat übernommen hat (siehe auch Klöhn, NZG 2021, 1063, 1070 f.) – die Beigeladene zu 4 zur Musterrechtsbeschwerdeführerin und die Musterbeklagte zu 1 zur Musterrechtsbeschwerdegegnerin bestimmt und ausgeführt, dass die Beigeladenen zu 1 bis 3 sowie zu 5 bis 7 als Rechtsbeschwerdeführer am Rechtsbeschwerdeverfahren beteiligt bleiben. Zugleich hat er die Musterbeklagten zu 2 und 3 darauf hingewiesen, dass sie selbst bei Auslegung der Vertretungsanzeigen ihres jeweiligen Prozessbevollmächtigten als Beitritt wegen der Versäumung der Frist zur Begründung des Beitritts nicht mehr am Rechtsbeschwerdeverfahren beteiligt seien. Die Musterbeklagten zu 2 und 3 haben sich mit Schriftsätzen vom 11. Februar 2021 (Musterbeklagte zu 3) bzw. vom 16. Februar 2021 (Musterbeklagte zu 2) hiergegen gewandt, vorsorglich nochmals den Beitritt auf Seiten der Musterbeklagten zu 1 erklärt und zur Begründung des Beitritts auf ihre Rechtsbeschwerdeerwiderungen Bezug genommen.

B.

8

Die Beitritte der Musterbeklagten zu 2 und 3 sind unzulässig, was der Senat zugleich mit der instanzbeendenden Entscheidung aussprechen kann. Die Musterbeklagten zu 2 und 3 haben ihre Beitritte auf Seiten der Musterbeklagten zu 1 nicht innerhalb der Frist des § 20 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 KapMuG begründet, da sie innerhalb der Frist lediglich beantragt haben, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

9

§ 20 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 KapMuG gilt auch für den Musterbeklagten, der nicht zum Musterrechtsbeschwerdegegner bestimmt wird (vgl. ausführlich Senatsbeschlüsse vom 1. Dezember 2020 – XI ZB 27/19, juris Rn. 2 ff. und vom 23. Februar 2021 – XI ZB 29/19, WM 2021, 1047 Rn. 19 ff.).

10

Entgegen der Ansicht der Musterbeklagten zu 3 beginnt die Frist zur Begründung des Beitritts nicht erst, wenn die Bestimmung des Musterrechtsbeschwerdegegners aus den Musterbeklagten gemäß § 21 Abs. 1 Satz 2 KapMuG erfolgt ist. Vielmehr ist der Beitritt nach § 20 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 KapMuG innerhalb eines Monats ab Zustellung der Benachrichtigung über den Eingang der Rechtsbeschwerde nach § 20 Abs. 2 KapMuG zu begründen. Dem steht nicht entgegen, dass ein Musterbeklagter bei Einlegung der Rechtsbeschwerde durch den Musterkläger oder durch einen oder mehrere Beigeladene auf Seiten des Musterklägers bei einer Mehrheit von Musterbeklagten im Falle einer Benachrichtigung über den Eingang der Rechtsbeschwerde nach § 20 Abs. 2 KapMuG ohne gleichzeitige Bestimmung des Musterrechtsbeschwerdegegners nach § 21 Abs. 1 Satz 2 KapMuG nicht wissen kann, ob er als Musterrechtsbeschwerdegegner bestimmt wird. Denn jeder Musterbeklagte kann vorsorglich auf Seiten des Rechtsbeschwerdegegners beitreten und ggf. nach § 20 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 KapMuG, § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 ZPO die Verlängerung der Frist für die Begründung seines Beitritts beantragen. Wird er später als Musterrechtsbeschwerdegegner ausgewählt, erledigt sich sein Beitritt (Senatsbeschluss vom 19. Januar 2021 – XI ZB 35/18, BGHZ 228, 237 Rn. 8; BGH, Beschluss vom 4. November 2019 – II ZB 2/18, BeckRS 2019, 54251 Rn. 1).

11

Aus dem von den Musterbeklagten zu 2 und 3 für ihre abweichende Auffassung zitierten Senatsbeschluss vom 29. Mai 2018 (XI ZB 3/18, juris Rn. 2) ergibt sich nichts anderes. Der Senat hat weder dort noch an anderer Stelle den (unzutreffenden) Rechtssatz aufgestellt, die Frist des § 20 Abs. 3 Satz 2 KapMuG beginne erst mit der Bestimmung eines Musterbeklagten zum Musterrechtsbeschwerdegegner. Aus dem von der juris GmbH vergebenen und von den Musterbeklagten zu 2 und 3 zitierten Orientierungssatz – nicht: Leitsatz – zu diesem Senatsbeschluss, der ohnehin keine irgendwie verbindliche Interpretation der Senatsrechtsprechung bieten könnte, folgt abweichendes nicht (Senatsbeschluss vom 23. Februar 2021 – XI ZB 29/19, WM 2021, 1047 Rn. 21).

12

Anders als die Musterbeklagte zu 3 meint, führt die Rechtsprechung des Senats nicht zu einem einseitigen Rechtsbeschwerdeverfahren ohne Rechtsbeschwerdegegner, wenn kein Beteiligter auf Seiten des Musterrechtsbeschwerdegegners innerhalb der in § 20 Abs. 3 KapMuG genannten Frist den Beitritt erklärt und begründet. Das Rechtsbeschwerdegericht bestimmt gemäß § 21 Abs. 1 Satz 2 KapMuG nach billigem Ermessen durch Beschluss den Musterrechtsbeschwerdegegner aus den Musterbeklagten unabhängig davon, ob sie zu diesem Zeitpunkt am Rechtsbeschwerdeverfahren beteiligt waren oder nicht.

13

Der Senat kann die Entscheidung über die Zulässigkeit des Beitritts der Musterbeklagten zugleich mit der Endentscheidung über die Rechtsbeschwerde treffen, ohne dass es vorab einer Zwischenentscheidung bedürfte. § 71 ZPO findet keine entsprechende Anwendung (Senatsbeschluss vom 19. Januar 2021 – XI ZB 35/18, BGHZ 228, 237 Rn. 11 mwN).

C.

14

Die zulässigen Rechtsbeschwerden der Musterrechtsbeschwerdeführerin und der weiteren Rechtsbeschwerdeführer haben im Ergebnis keinen Erfolg.

I.

15

Die Rechtsbeschwerden sind zulässig. Sie sind rechtzeitig eingelegt und begründet worden (§ 20 Abs. 1 Satz 1 KapMuG i.V.m. § 575 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ZPO). Die Rechtsbeschwerden formulieren einen ordnungsgemäßen Rechtsbeschwerdeantrag (§ 20 Abs. 1 Satz 1 KapMuG i.V.m. § 575 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Der Antrag, den angefochtenen Beschluss hinsichtlich bestimmter Feststellungsziele teilweise aufzuheben und insoweit nach den „Schlussanträgen der Rechtsbeschwerdeführer im Kapitalanlegermusterverfahren zu entscheiden“, benennt mit den Feststellungszielen 1a, 1b, 1c, 1f, 2 und 3 die angegriffenen Teile des Musterentscheids und lässt insoweit erkennen, welche Abänderungen beantragt werden (vgl. Senatsbeschlüsse vom 21. Oktober 2014 – XI ZB 12/12, BGHZ 203, 1 Rn. 54 zu § 15 KapMuG aF, vom 22. November 2016 – XI ZB 9/13, BGHZ 213, 65 Rn. 44 und vom 23. Oktober 2018 – XI ZB 3/16, BGHZ 220, 100 Rn. 35 mwN).

II.

16

Die Rechtsbeschwerden der Musterrechtsbeschwerdeführerin und der weiteren Rechtsbeschwerdeführer haben im Ergebnis keinen Erfolg. Sie führen nur dazu, dass das Feststellungsziel 2 und nicht die Feststellungsziele 1a, 1b, 1c und 1f als unbegründet zurückgewiesen werden und dass der Vorlagebeschluss hinsichtlich der Feststellungsziele 1a, 1b, 1c, 1f und 3 gegenstandslos ist.

17

1. Das Oberlandesgericht hat zur Begründung des Musterentscheids – soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren noch von Interesse – im Wesentlichen ausgeführt und im Einzelnen dargelegt:

18

Die Feststellungsanträge seien in der Sache zurückzuweisen, weil der insofern darlegungs- und beweisbelastete Musterkläger Prospektfehler (Feststellungsziele unter 1) nicht dargetan habe und weil dadurch der Vorlagebeschluss hinsichtlich der Feststellungsziele 2 und 3 gegenstandslos geworden sei.

19

2. Es kann dahingestellt bleiben, ob das Oberlandesgericht zu Recht davon ausgegangen ist, dass keine Prospektfehler vorliegen. Denn die Rechtsbeschwerden haben bereits aus einem anderen Grund im Ergebnis keinen Erfolg. Das Feststellungsziel 2 ist wegen des Vorrangs der spezialgesetzlichen Prospekthaftung als unbegründet zurückzuweisen. Somit ist der Vorlagebeschluss nicht nur – wie vom Oberlandesgericht bereits festgestellt – hinsichtlich des Feststellungsziels 3, sondern auch hinsichtlich der Feststellungsziele 1a, 1b, 1c und 1f gegenstandslos.

20

a) Durch das Feststellungsziel 2 sollte nur eine Haftung der Musterbeklagten nach den Grundsätzen der „Prospekthaftung im weiteren Sinne“ durch Verwenden eines unrichtigen oder unvollständigen Verkaufsprospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung festgestellt werden. Das Feststellungsziel 2 enthält zwar keine derartige Einschränkung bei der Aussage, dass die Beklagten verpflichtet waren, alle Anleger richtig und vollständig aufzuklären. Das Feststellungsziel 3 bezieht sich hingegen ausdrücklich auf ein schuldhaftes Handeln „bei der Veröffentlichung des Prospekts“. Auch aus dem Vorlagebeschluss ergibt sich, dass es jeweils um die Haftung für den Inhalt des Prospekts geht. Beide Feststellungsziele stellen ausdrücklich auf die Prospekthaftung im weiteren Sinne ab. Im Feststellungsziel 2 geht es um die Passivlegitimation der Musterbeklagten und das Vorliegen einer Pflichtverletzung, im Feststellungsziel 3 um das Verschulden. Das Feststellungsziel 2 ist daher im Einklang mit dem Feststellungsziel 3 so auszulegen, dass auch die im Feststellungsziel 2 angesprochene Pflichtverletzung nur in der Verwendung eines unrichtigen oder unvollständigen Verkaufsprospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung bestehen kann. Zudem sind Feststellungsziele so auszulegen, dass ein prozessual zulässiges Ergebnis erreicht wird. Feststellungen zu einem Schadensersatzanspruch, der nicht an eine falsche, irreführende oder unterlassene öffentliche Kapitalmarktinformation als Mittel der schriftlichen Aufklärung anknüpft, wären im Kapitalanleger-Musterverfahren unstatthaft (Senatsbeschluss vom 19. Januar 2021 – XI ZB 35/18, BGHZ 228, 237 Rn. 21).

21

b) Die begehrte Feststellung ist nicht zu treffen, weil eine Haftung der Musterbeklagten als (Rechtsnachfolger der) Gründungsgesellschafter aus § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB nicht auf die Verwendung eines Prospekts als solche gestützt werden kann. Ein Anspruch auf dieser Grundlage wird – was der Senat bereits entschieden hat (Senatsbeschluss vom 19. Januar 2021 – XI ZB 35/18, BGHZ 228, 237 Rn. 22 ff.) – vielmehr durch die Regelungen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung verdrängt.

22

Auf den am 24. September 2007 veröffentlichten Prospekt findet die Regelung des § 8g VerkProspG in der vom 1. Juli 2005 bis zum 31. Mai 2012 geltenden Fassung (im Folgenden: aF) in Verbindung mit § 32 Abs. 2 Satz 1 VermAnlG Anwendung. Damit ist auch der Anwendungsbereich der § 13VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG in der bis zum 31. Mai 2012 geltenden Fassung (im Folgenden: aF) eröffnet.

23

Nach § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG aF haften neben denjenigen, die für den Prospekt im Sinne des § 8g VerkProspG aF die Verantwortung übernommen haben, im Falle von dort enthaltenen unrichtigen oder unvollständigen wesentlichen Angaben auch diejenigen, von denen der Erlass des Prospekts ausgeht (§ 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG aF). Damit sollen die Personen und Unternehmen getroffen werden, von denen die wirtschaftliche Initiative ausgeht und die hinter dem Prospekt stehen und seine eigentlichen Urheber sind (Senatsbeschluss vom 19. Januar 2021 – XI ZB 35/18, BGHZ 228, 237 Rn. 24 mwN). Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG aF ist von einer Prospektverantwortlichkeit eines Hintermannes als Prospektveranlasser unter anderem dann auszugehen, wenn dieser auf die Konzeption des konkreten, mit dem Prospekt beworbenen und vertriebenen Modells maßgeblich Einfluss genommen hat und damit letztendlich auch für die Herausgabe des Prospektes verantwortlich ist. Dabei können die gesellschaftsrechtliche Funktion des Hintermannes sowie ein erhebliches wirtschaftliches Eigeninteresse für eine Einflussnahme auf die Konzeption des Modells sprechen. Nicht entscheidend ist, ob eine Mitwirkung unmittelbar bei der Gestaltung des Prospektes gegeben ist; ausschlaggebend dagegen ist, ob der Prospekt mit Kenntnis des Verantwortlichen in den Verkehr gebracht worden ist (Senatsbeschluss vom 19. Januar 2021 – XI ZB 35/18, aaO).

24

Nach diesen Grundsätzen sind die Musterbeklagten Prospektverantwortliche im Sinne von § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG aF. Sie sind – was bereits ausreicht – Gründungsgesellschafter der Fondsgesellschaft, hier mit Kommanditeinlagen von 20.000 € (Musterbeklagte zu 1), 5.000 € (Musterbeklagte zu 2) und 10.000 € (Musterbeklagte zu 3) bei einem Gesamtkommanditkapital von 65.000 €. Die Musterbeklagte zu 1 war darüber hinaus im Prospekt als 100-%ige „Gesellschafterin“ der I.             M.     F.      AG bezeichnet, welche Prospektherausgeberin und Anbieterin war (vgl. Seite 74 des Prospekts), und hatte eine Platzierungsgarantie abgegeben. Eine 100-%ige Tochtergesellschaft der Musterbeklagten zu 1 war mit dem Vertrieb beauftragt (vgl. Seite 74 des Prospekts). Die Musterbeklagte zu 2 fungierte als Treuhandkommanditistin und hatte auch die Mittelverwendung/Mittelfreigabe übernommen (vgl. Seite 59 des Prospekts). Die Musterbeklagte zu 3 war neben ihrer Stellung als Gründungskommanditistin die Vertragsreederin.

25

Sämtliche Musterbeklagten hafteten mithin als Veranlasser für unrichtige oder unvollständige wesentliche Angaben nach den Grundsätzen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung aus § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG aF. Neben dieser ist eine Haftung der Musterbeklagten unter dem Aspekt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung aufgrund der Verwendung des unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung ausgeschlossen (Senatsbeschluss vom 19. Januar 2021 – XI ZB 35/18, BGHZ 228, 237 Rn. 26). Das Feststellungsziel 2 ist daher als unbegründet zurückzuweisen.

26

c) Weil der Antrag zu dem Feststellungsziel 2 in der Sache unbegründet ist, ist der Vorlagebeschluss hinsichtlich der Feststellungsziele 1a, 1b, 1c, 1f und 3 gegenstandslos.

27

Gegenstandslos wird der dem Musterverfahren zugrundeliegende Vorlagebeschluss hinsichtlich eines Feststellungsziels, wenn die Entscheidungserheblichkeit dieses Feststellungsziels aufgrund der vorausgegangenen Prüfung im Musterverfahren entfallen ist (Senatsbeschlüsse vom 22. November 2016 – XI ZB 9/13, BGHZ 213, 65 Rn. 106, vom 19. September 2017 – XI ZB 17/15, BGHZ 216, 37 Rn. 49, vom 23. Oktober 2018 – XI ZB 3/16, BGHZ 220, 100 Rn. 61 und vom 6. Oktober 2020 – XI ZB 28/19, WM 2020, 2411 Rn. 54).

28

Das ist hier für die Feststellungsziele 1a, 1b, 1c und 1f, die jeweils Prospektfehler zum Gegenstand haben, und hinsichtlich des Feststellungsziels 3, das sich auf ein Verschulden der Musterbeklagten bezieht, der Fall. Der Vorlagebeschluss ist dahin auszulegen, dass die Prospektfehler ausschließlich als anspruchsbegründende Voraussetzung einer Haftung der Musterbeklagten unter dem Aspekt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung aufgrund der Verwendung eines unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung festgestellt werden sollen (vgl. Senatsbeschluss vom 19. September 2017 – XI ZB 17/15, BGHZ 216, 37 Rn. 54). Im Vorlagebeschluss ist ausgeführt, dass die Parteien sämtlicher Musterverfahrensanträge um Schadensersatzansprüche aus Prospekthaftung im weiteren Sinne streiten würden. Das Verschulden soll nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Feststellungsziels 3 ebenfalls nur im Hinblick auf eine Prospekthaftung im weiteren Sinn festgestellt werden. Da eine solche Haftung aus Rechtsgründen nicht gegeben ist, kommt es auf Feststellungen zu Prospektfehlern und zum Verschulden nicht mehr an.

29

d) Der Senat ist zu einer entsprechenden Änderung des Musterentscheids befugt.

30

Eine Schlechterstellung ist damit nicht verbunden. Der Musterklägerseite, die hier als einzige Rechtsbeschwerde eingelegt hat und eine Sachentscheidung hinsichtlich der von ihr weiterverfolgten Feststellungsziele begehrt, ist dadurch, dass der Vorlagebeschluss im Musterentscheid hinsichtlich des Feststellungsziels 2 für gegenstandslos erklärt worden ist, keine Rechtsposition irgendeiner Art zuerkannt worden. Damit hat das Oberlandesgericht nur zum Ausdruck gebracht, dass es dieses Feststellungsziel nicht mehr für entscheidungserheblich hält und eine Beantwortung der darin enthaltenen Tatsachen- oder Rechtsfrage daher nicht erfolgt (vgl. Senatsbeschluss vom 22. November 2016 – XI ZB 9/13, BGHZ 213, 65 Rn. 106).

31

Der Senat ist zudem weder durch den Vorlagebeschluss noch durch den Musterentscheid an eine bestimmte Prüfungsreihenfolge der Feststellungsziele gebunden (vgl. Senatsbeschluss vom 22. November 2016 – XI ZB 9/13, BGHZ 213, 65 Rn. 106).

III.

32

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens folgt aus § 26 Abs. 1 und 3 KapMuG i.V.m. §§ 91, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO entsprechend. Danach haben die Musterrechtsbeschwerdeführerin und die Rechtsbeschwerdeführer zu 1 bis 3 sowie zu 5 bis 7 die gesamten Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens – mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Musterbeklagten zu 2 und 3, deren Beitritte unzulässig sind – nach dem Grad ihrer Beteiligung zu tragen. Soweit der Senat auf die (teilweise) Gegenstandslosigkeit des Vorlagebeschlusses erkennt, ist damit eine den Rechtsbeschwerden günstige Entscheidung in der Sache, die eine Belastung der Musterbeklagten mit Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens rechtfertigte, nicht verbunden (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Oktober 2018 – XI ZB 3/16, BGHZ 220, 100 Rn. 76).

IV.

33

Die Entscheidung über die Festsetzung des Streitwerts für die Gerichtskosten folgt aus § 51a Abs. 2 GKG. Gemäß § 51a Abs. 2 GKG ist im Rechtsbeschwerdeverfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz bei der Bestimmung des Streitwerts von der Summe der in sämtlichen Ausgangsverfahren geltend gemachten Ansprüche auszugehen, soweit diese von den Feststellungszielen des Musterverfahrens betroffen sind. Infolgedessen sind bei der Streitwertbemessung auch die in den Ausgangsverfahren geltend gemachten Ansprüche der Beigeladenen zu berücksichtigen, die zwar dem Rechtsbeschwerdeverfahren nicht beigetreten sind, ihre Klage aber nicht innerhalb der Monatsfrist des § 8 Abs. 3 Nr. 2, § 24 Abs. 2 KapMuG zurückgenommen haben (vgl. Senatsbeschlüsse vom 22. November 2016 – XI ZB 9/13, BGHZ 213, 65 Rn. 117 und vom 23. Oktober 2018 – XI ZB 3/16, BGHZ 220, 100 Rn. 80). Der Gesamtwert der in sämtlichen ausgesetzten Ausgangsverfahren geltend gemachten Ansprüche beträgt vorliegend 714.807,37 €.

34

Die Festsetzung des Gegenstandswerts für die außergerichtlichen Kosten der Prozessbevollmächtigten des Rechtsbeschwerdeverfahrens beruht auf § 22 Abs. 1, § 23b RVG.

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