Einscheidung des Einzelrichters am Bundesgerichtshof über den Antrag auf Festsetzung des Wertes des Gegenstands (Beschluss des BGH Großer Senat für Zivilsachen)

BGH Großer Senat für Zivilsachen, Beschluss vom 09.08.2021, AZ GSZ 1/20, ECLI:DE:BGH:2021:090821BGSZ1.20.0

§ 1 Abs 3 RVG, § 33 Abs 1 RVG, § 33 Abs 8 S 1 Halbs 1 RVG, § 33 Abs 8 S 1 Halbs 2 RVG, § 139 Abs 1 GVG

Leitsatz

Über einen Antrag nach § 33 Abs. 1 RVG auf Festsetzung des Wertes des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit ist nach Inkrafttreten von § 1 Abs. 3 RVG auch beim Bundesgerichtshof nach § 33 Abs. 8 Satz 1 Halbsatz 1 RVG durch den Einzelrichter zu entscheiden.

Tenor

Über einen Antrag nach § 33 Abs. 1 RVG auf Festsetzung des Wertes des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit ist nach Inkrafttreten von § 1 Abs. 3 RVG auch beim Bundesgerichtshof nach § 33 Abs. 8 Satz 1 Halbsatz 1 RVG durch den Einzelrichter zu entscheiden.

Gründe

A.

1

I. Der Kläger hat den Antragsteller mit seiner Vertretung im Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in einem Berufungsurteil vom 14. Mai 2018 beauftragt. Mit der Nichtzulassungsbeschwerdebegründung hat der Kläger nur einen Teil der Berufungsanträge weiterverfolgt. Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 7. Januar 2020 die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers zum Teil als unzulässig verworfen und im Übrigen zurückgewiesen und den Gegenstandswert auf bis 35.000 € festgesetzt.

2

Der Antragsteller beantragt gemäß § 33 Abs. 1 RVG, den Wert des Gegenstandes seiner anwaltlichen Tätigkeit im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren auf den Betrag festzusetzen, der der gesamten sich aus dem Berufungsurteil ergebenden Beschwer des Klägers entspricht, da der Kläger den Antragsteller beauftragt hatte, die Erfolgsaussichten einer Nichtzulassungsbeschwerde in vollem Umfang zu prüfen.

3

II. Der XI. Zivilsenat möchte eine gesonderte Wertfestsetzung gemäß § 33 Abs. 1 RVG vornehmen, da sich im vorliegenden Verfahren die Gebühren für die anwaltliche Tätigkeit nicht nach dem für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert, sondern nach dem Wert berechnen, der die Grundlage für den Auftrag zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde bildete und damit der gesamten sich aus dem Berufungsurteil ergebenden Beschwer des Klägers entspricht.

4

Der XI. Zivilsenat möchte über den Antrag – wie bisher – in der Besetzung von fünf Mitgliedern gemäß § 139 Abs. 1 GVG entscheiden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. Februar 2016 – XI ZR 60/15, juris, vom 19. September 2017 – XI ZB 17/15, BGHZ 216, 37 Rn. 75 ff. und vom 23. Oktober 2018 – XI ZB 3/16, BGHZ 220, 100 Rn. 81 ff.; ebenso BGH, Beschlüsse vom 16. Juni 2016 – V ZR 49/15, AGS 2017, 136, vom 26. Juli 2016 – II ZR 137/15, juris Rn. 1 f., vom 24. November 2016 – I ZB 52/15, GRUR-RR 2017, 127, vom 2. Februar 2017 – V ZR 49/15, juris, vom 9. Januar 2018 – II ZB 14/16, WM 2018, 556 Rn. 67, vom 2. Mai 2018 – IV ZR 238/17, juris, vom 30. Mai 2018 – IV ZR 461/15, juris, vom 10. Juli 2018 – II ZB 24/14, WM 2018, 2225 Rn. 156 f., vom 20. Juli 2018 – I ZB 68/17, juris, vom 7. November 2018 – IV ZR 238/17, juris, vom 12. Februar 2020 – IX ZR 108/18, juris und vom 22. Juli 2020 – XII ZR 29/19, juris).

5

Er sieht sich hieran allerdings durch verschiedene seit März 2017 ergangene Entscheidungen anderer Zivilsenate gehindert, die von der funktionellen Zuständigkeit des Einzelrichters gemäß § 33 Abs. 8 Satz 1 Halbsatz 1 RVG ausgehen (BGH, Beschlüsse vom 8. März 2017 – X ZB 11/16, JurBüro 2017, 310, vom 27. März 2018 – X ZB 3/15, GRUR 2018, 654 Rn. 12, vom 12. Juli 2018 – III ZR 187/17, juris Rn. 2, vom 9. Oktober 2018 – VII ZR 228/16, juris, vom 11. April 2019 – I ZR 168/17, juris, vom 1. Juli 2019 – VII ZR 168/17, juris, vom 30. Oktober 2019 – V ZR 299/14, AGS 2020, 33, 34, vom 6. November 2019 – VIII ZR 325/18, juris Rn. 5, vom 30. Januar 2020 – II ZB 13/18, AGS 2020, 239, vom 7. April 2020 – VIII ZR 383/18, juris Rn. 14 und vom 15. April 2020 – I ZB 25/18, juris Rn. 4 ff. sowie I ZB 26/18, juris Rn. 4 ff.).

6

Angesichts der uneinheitlichen Rechtsprechung der verschiedenen Zivilsenate hat der XI. Zivilsenat die Sache dem Großen Senat für Zivilsachen gemäß § 132 Abs. 4 GVG zur Entscheidung folgender Rechtsfrage vorgelegt:

Ist über einen Antrag nach § 33 RVG auf Festsetzung des Wertes des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nach Inkrafttreten von § 1 Abs. 3 RVG weiterhin durch den Senat in der Besetzung gemäß § 139 Abs. 1 GVG zu entscheiden?

B.

7

I. Die Vorlage des XI. Zivilsenats ist gemäß § 132 Abs. 4 GVG zulässig. Die aufgeworfene Frage ist angesichts der unterschiedlichen Auslegung von § 33 Abs. 1 und 8 Satz 1 Halbsatz 1 RVG durch die Zivilsenate des Bundesgerichtshofs von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung und erfordert eine Entscheidung des Großen Senats zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.

8

II. Der Große Senat entscheidet die Vorlagefrage des XI. Zivilsenats dahin, dass über einen Antrag nach § 33 Abs. 1 RVG auf Festsetzung des Wertes des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit nach Inkrafttreten von § 1 Abs. 3 RVG auch beim Bundesgerichtshof nach § 33 Abs. 8 Satz 1 Halbsatz 1 RVG durch den Einzelrichter zu entscheiden ist.

9

1. Nach § 33 Abs. 1 RVG setzt das Gericht des Rechtszugs den Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit auf Antrag durch Beschluss selbstständig fest, wenn sich die Gebühren in einem gerichtlichen Verfahren nicht nach dem für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert bestimmen oder es an einem solchen Wert fehlt. Gemäß § 33 Abs. 8 Satz 1 Halbsatz 1 RVG entscheidet das Gericht über den Antrag durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter; dies gilt gemäß § 33 Abs. 8 Satz 1 Halbsatz 2 RVG auch für die Beschwerde, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter oder einem Rechtspfleger erlassen wurde.

10

2. Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut von § 33 Abs. 1 und 8 Satz 1 Halbsatz 1 RVG hat über einen Antrag auf Festsetzung des Wertes des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit das Gericht des Rechtszugs durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter zu entscheiden. Die Regelung gilt nach ihrem Wortlaut für alle Rechtszüge ohne Einschränkung. Gericht des Rechtszugs im Sinne von § 33 Abs. 1 RVG ist jeweils das Gericht, das in dem Verfahren zuständig war, für das die Wertfestsetzung begehrt wird (N. Schneider in Schneider/Herget, Streitwert-Kommentar, 14. Aufl., 1. Teil Rn. 702), im hier in Rede stehenden Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren also der Bundesgerichtshof.

11

3. Der Regelungszusammenhang von § 33 Abs. 1 und 8 Satz 1 RVG mit § 1 Abs. 3 RVG sowie § 139 Abs. 1 GVG steht der Annahme nicht entgegen, dass nach § 33 Abs. 8 Satz 1 Halbsatz 1 RVG auch beim Bundesgerichtshof der Einzelrichter über Anträge auf Wertfestsetzung für die Rechtsanwaltsgebühren entscheidet.

12

a) Nach § 1 Abs. 3 RVG gehen die Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes über die Erinnerung und die Beschwerde den Regelungen der für das zugrundeliegende Verfahren geltenden Verfahrensvorschriften vor.

13

b) Die hier in Rede stehende Regelung des § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG enthält in ihrem Halbsatz 1 eine Vorschrift über den Antrag und in ihrem Halbsatz 2 eine Vorschrift über die Beschwerde. § 33 Abs. 8 Satz 1 Halbsatz 1 RVG bestimmt, dass das Gericht über den Antrag durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter entscheidet; § 33 Abs. 8 Satz 1 Halbsatz 2 RVG regelt, dass dies auch für die Beschwerde gilt, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter oder einem Rechtspfleger erlassen wurde.

14

Soweit es sich bei dem Gericht des Rechtszugs um den Bundesgerichthof handelt, weicht die Vorschrift des § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG, wonach über den Antrag oder die Beschwerde der Einzelrichter entscheidet, von der Regelung der für das zugrundeliegende Verfahren geltenden Verfahrensvorschrift des § 139 Abs. 1 GVG ab. Danach entscheiden die Senate des Bundesgerichtshofs in der Besetzung von fünf Mitgliedern einschließlich des Vorsitzenden. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs kommt allerdings allein über den Antrag auf Wertfestsetzung für die Rechtsanwaltsgebühren und nicht über die Beschwerde gegen eine Entscheidung über einen solchen Antrag in Betracht. Eine Beschwerde an einen obersten Gerichtshof des Bundes findet nach § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG nicht statt. Über die weitere Beschwerde entscheidet nach § 33 Abs. 6 Satz 3 RVG das Oberlandesgericht.

15

c) Zwar bestimmt § 1 Abs. 3 RVG lediglich, dass die Vorschriften dieses Gesetzes über die Erinnerung und die Beschwerde (§ 33 Abs. 8 Satz 1 Halbsatz 2 RVG) den Regelungen der für das zugrundeliegende Verfahren geltenden Verfahrensvorschriften (§ 139 Abs. 1 GVG) vorgehen. Daraus ist aber nicht im Wege eines Umkehrschlusses zu schließen, dass die Vorschriften dieses Gesetzes über den Antrag (wie § 33 Abs. 8 Satz 1 Halbsatz 1 RVG) den für das zugrundeliegende Verfahren geltenden Verfahrensvorschriften (wie § 139 Abs. 1 GVG) nicht vorgehen und die Senate des Bundesgerichtshofs daher über den Antrag auf Wertfestsetzung für die Rechtsanwaltsgebühren (§ 33 Abs. 1 RVG) nicht durch den Einzelrichter, sondern in der Besetzung von fünf Mitgliedern einschließlich des Vorsitzenden entscheiden.

16

aa) Ein solcher Schluss wäre nur zwingend, wenn § 1 Abs. 3 RVG bestimmte, dass allein die Verfahrensvorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes über die Erinnerung und die Beschwerde den Regelungen der für das zugrundeliegende Verfahren geltenden Verfahrensvorschriften vorgehen. Das ist aber nicht der Fall.

17

bb) Der Annahme, aus § 1 Abs. 3 RVG ergebe sich, dass allein die Verfahrensvorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes über die Erinnerung und die Beschwerde den Regelungen der für das zugrundeliegende Verfahren geltenden Verfahrensvorschriften vorgehen, steht entgegen, dass § 33 Abs. 8 Satz 1 Halbsatz 1 RVG keinen Anwendungsbereich hätte, wenn diese Annahme zuträfe. Der Regelungsgehalt dieser Vorschrift erschöpft sich darin, in Abweichung von den für das zugrundeliegende Verfahren geltenden Verfahrensvorschriften (wie § 139 Abs. 1 GVG) die Zuständigkeit des Einzelrichters für die Entscheidung über einen Antrag auf Wertfestsetzung für die Rechtsanwaltsgebühren zu bestimmen. Diese Vorschrift liefe leer, wenn ihr die für das zugrundeliegende Verfahren geltenden Vorschriften vorgingen, die die Zuständigkeit zur Entscheidung über Anträge regeln.

18

4. Der Entstehungsgeschichte der hier in Rede stehenden Regelungen in § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG und § 1 Abs. 3 RVG sowie der Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 3 RVG ist zu entnehmen, dass die besonderen Verfahrensvorschriften des Kostenrechts wie § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG nach dem Inkrafttreten von § 1 Abs. 3 RVG den für das jeweilige Verfahren geltenden allgemeinen Verfahrensvorschriften wie § 139 Abs. 1 GVG als speziellere Vorschriften vorgehen sollen.

19

a) Der für das Verfahren der Wertfestsetzung von Rechtsanwaltsgebühren geltende § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG ist durch das Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718) geschaffen worden und am 1. Juli 2004 in Kraft getreten. Durch dieses Gesetz ist auch § 4 Abs. 7 Satz 1 JVEG geschaffen worden, der für das Verfahren der Festsetzung der Vergütung, der Entschädigung oder des Vorschusses (vgl. § 1 Abs. 1 bis 4 JVEG) – gleichlautend mit § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG – bestimmt, dass das Gericht über den Antrag durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter entscheidet und dies auch für die Beschwerde gilt, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter oder einem Rechtspfleger erlassen wurde. Ferner sind durch dieses Gesetz § 66 Abs. 6 Satz 1 GKG, § 81 Abs. 6 Satz 1 GNotKG und durch das Gesetz über Gerichtskosten in Familiensachen vom 17. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2586, 2666) der am 1. September 2009 in Kraft getretene § 57 Abs. 5 Satz 1 FamGKG geschaffen worden, die für das Verfahren des Ansatzes von Gerichtskosten in den jeweiligen Gerichtsverfahren (vgl. § 1 Abs. 1 bis 4 GKG, § 1 Abs. 1 bis 5 GNotKG, § 1 Abs. 1 FamGKG) regeln, dass das Gericht über die Erinnerung gegen den Kostenansatz und die Beschwerde (wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter oder einem Rechtspfleger erlassen wurde) durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter entscheidet.

20

Es entsprach der einhelligen Auffassung aller Zivilsenate des Bundesgerichtshofs, dass der Gesetzgeber mit diesen Vorschriften keine gegenüber § 139 Abs. 1 GVG vorrangige Spezialregelung der funktionellen Zuständigkeit beim Bundesgerichtshof eingeführt hat (zu § 33 Abs. 8 RVG: BGH, Beschlüsse vom 8. Februar 2007 – IX ZB 266/05, JurBüro 2007, 315, vom 2. März 2010 – II ZR 62/06, WM 2010, 823 Rn. 3, vom 30. September 2010 – Xa ZR 34/08, juris und vom 11. Dezember 2012 – II ZR 233/09, AGS 2013, 238; zu § 66 Abs. 6 GKG: BGH, Beschluss vom 13. Januar 2005 – V ZR 218/04, NJW-RR 2005, 584 sowie z.B. BGH, Beschlüsse vom 17. August 2010 – I ZB 7/10, juris Rn. 2, vom 12. März 2007 – II ZR 19/05, NJW-RR 2007, 1148 Rn. 2, vom 25. September 2008 – III ZR 198/05, juris, vom 4. Mai 2011 – IV ZR 247/10, juris Rn. 2, vom 7. Oktober 2008 – VI ZR 53/08, juris, vom 1. August 2013 – VII ZR 33/13, juris Rn. 1, vom 18. Mai 2010 – VIII ZB 86/09, juris Rn. 2, vom 10. September 2012 – IX ZB 49/12, juris Rn. 1, vom 16. Dezember 2010 – Xa ZB 2/10, juris Rn. 1, vom 30. Mai 2007 – XI ZR 229/06, juris Rn. 1 und vom 13. April 2005 – XII ZR 35/05, juris; zu § 57 Abs. 1FamGKG: BGH, Beschluss vom 29. September 2010 – XII ZB 308/10, juris Rn. 3 ff.).

21

b) Mit dem Zweiten Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts vom 23. Juli 2013 (BGBl. I S. 2586), das am 1. August 2013 in Kraft getreten ist, sind § 1 Abs. 3 RVG, § 1 Abs. 5 GKG, § 1 Abs. 6 GNotKG und § 1 Abs. 2 FamGKG eingefügt worden, in denen gleichlautend bestimmt ist, dass die Vorschriften des jeweiligen Gesetzes über die Erinnerung und die Beschwerde den Regelungen der für das zugrundeliegende Verfahren geltenden Verfahrensvorschriften vorgehen. In dem mit dem Zweiten Kostenrechtsmodernisierungsgesetz ebenfalls eingefügten § 1 Abs. 5 JVEG heißt es, dass die Vorschriften dieses Gesetzes über die gerichtliche Festsetzung und die Beschwerde den Regelungen der für das zugrundeliegende Verfahren geltenden Verfahrensvorschriften vorgehen.

22

aa) Vor dem Hintergrund der Neuregelung in § 1 Abs. 5 GKG hat der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs entschieden (Beschluss vom 23. April 2015 – I ZB 73/14, NJW 2015, 2194 Rn. 6 f.), dass für Rechtsmittelverfahren, die nach dem 31. Juli 2013 beim Bundesgerichtshof eingeleitet worden sind, an der bisherigen Rechtsprechung zur funktionellen Zuständigkeit des mit fünf Mitgliedern besetzten Senats für die Entscheidung über die Erinnerung gegen den Kostenansatz nach § 66 Abs. 1 Satz 1 GKG nicht mehr festgehalten werden kann, weil die Neuregelung nach der Gesetzesbegründung der Klarstellung dient, dass der Einzelrichter in den kostenrechtlichen Erinnerungs- und Beschwerdeverfahren auch dann zuständig ist, wenn eine Einzelrichterentscheidung institutionell nicht vorgesehen ist. Dem sind alle Zivilsenate des Bundesgerichtshofs gefolgt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. September 2017 – II ZR 59/16, juris Rn. 2, vom 7. August 2015 – III ZB 65/15, juris Rn. 2, vom 19. März 2019 – IV ZR 30/18, juris Rn. 1, vom 11. August 2016 – V ZR 158/15, juris, vom 13. November 2018 – VI ZR 305/18, juris Rn. 2, vom 8. November 2016 – VII ZR 99/14, juris Rn. 4, vom 1. Februar 2016 – VIII ZB 62/15, juris Rn. 1, vom 8. Juni 2015 – IX ZB 52/14, NJW-RR 2015, 1209 Rn. 1, vom 19. Oktober 2015 – X ZR 54/11, MDR 2016, 241 Rn. 4 und vom 15. Dezember 2015 – XI ZB 12/12, WM 2016, 256 Rn. 6; ebenso zur Erinnerung gegen den Kostenansatz nach § 57 Abs. 1 Satz 1 FamGKG: BGH, Beschlüsse vom 15. Juni 2015 – XII ZB 622/14, juris Rn. 1 und XII ZB 57/15, juris Rn. 1).

23

bb) Desgleichen gilt mit Blick auf die Neuregelung in § 1 Abs. 3 RVG für Rechtsmittelverfahren, die nach dem 31. Juli 2013 beim Bundesgerichtshof eingeleitet worden sind, dass an der bisherigen Rechtsprechung zur funktionellen Zuständigkeit des mit fünf Mitgliedern besetzten Senats für Entscheidungen über den Antrag auf Festsetzung des Werts der anwaltlichen Tätigkeit nach § 33 Abs. 1 GKG nicht mehr festgehalten werden kann. Die Begründung zu § 1 Abs. 3 RVG, nach der dieser Absatz der Klarstellung dient(BT-Drucks. 17/11471 [neu] S. 266), verweist (ebenso wie die Begründungen zu § 1 Abs. 2 FamGKG und § 1 Abs. 5 JVEG, BT-Drucks. 17/11471 [neu] S. 250 und 258) auf die Begründung zu § 1 Abs. 6 GNotKG. Danach soll die vorgeschlagene Neuregelung die gelegentlich auftretende Frage nach dem Verhältnis der Verfahrensvorschriften des Kostenrechts zu den Verfahrensvorschriften der für das jeweilige Verfahren geltenden Vorschriften dahingehend klären, dass die kostenrechtlichen Vorschriften als die spezielleren Vorschriften vorgehen (BT-Drucks. 17/11471 [neu] S. 154). Dass dieser Vorrang allein für die in § 1 Abs. 3 RVG genannten Verfahren der Erinnerung und der Beschwerde und nicht auch für das in § 33 Abs. 1 und 8 Satz 1 Halbsatz 1 geregelte Antragsverfahren gelten soll, ist dieser Begründung nicht zu entnehmen. Deshalb ist davon auszugehen, dass mit den hier in Rede stehenden Neuregelungen des Zweiten Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes geklärt werden sollte, dass die spezielleren Verfahrensvorschriften des Kostenrechts generell – und damit nicht nur für die Erinnerung und die Beschwerde, sondern auch für etwaige Anträge – den für das jeweilige Verfahren geltenden Verfahrensvorschriften vorgehen (vgl. BGH, Beschluss vom 15. April 2020 – I ZB 25/18, juris Rn. 8; vgl. auch BGH, Beschluss vom 23. April 2015 – I ZB 73/14, NJW 2015, 2194 Rn. 6). Nach Inkrafttreten von § 1 Abs. 3 RVG ist daher für die Entscheidung über einen Antrag nach § 33 Abs. 1 RVG auch beim Bundesgerichtshof gemäß § 33 Abs. 8 Satz 1 Halbsatz 1 RVG der Einzelrichter zuständig.

24

5. Die Strafsenate des Bundesgerichtshofs, die auch nach Inkrafttreten von § 1 Abs. 3 RVG wie zuvor Entscheidungen über Anträge nach § 33 Abs. 1 RVG weiterhin durch den Senat in der Besetzung von fünf Mitgliedern getroffen haben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. März 2018 – 3 StR 163/15, StraFo 2018, 446, vom 6. Juni 2018 – 2 StR 337/14, NStZ-RR 2018, 263, vom 29. November 2018 – 3 StR 625/17, NStZ-RR 2019, 127, 128, vom 22. Mai 2019 – 1 StR 471/18, juris, vom 29. Juni 2020 – 1 StR 1/20, juris und vom 8. September 2020 – 6 StR 95/20, juris), haben bei ihrer informatorischen Anhörung erklärt, dem Beschluss des Großen Senats nicht entgegenzutreten.

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