BGH 12. Zivilsenat, Beschluss vom 30.06.2021, AZ XII ZB 73/21, ECLI:DE:BGH:2021:300621BXIIZB73.21.0
Leitsatz
1. Ob und für welche Aufgabenbereiche ein objektiver Betreuungsbedarf besteht, bedarf der konkreten tatrichterlichen Feststellung und ist aufgrund der konkreten, gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen zu beurteilen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 21. Oktober 2020 – XII ZB 153/20, FamRZ 2021, 385).
2. Ein Einwilligungsvorbehalt für vermögensrechtliche Angelegenheiten kann nur dann angeordnet werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Vermögensgefährdung erheblicher Art vorliegen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 9. Mai 2018 – XII ZB 577/17, FamRZ 2018, 1193).
Verfahrensgang
vorgehend LG Braunschweig, 12. Januar 2021, Az: 8 T 695/20
vorgehend AG Goslar, 25. November 2020, Az: 29 XVII 15897
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird – unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen – der Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Braunschweig vom 12. Januar 2021 aufgehoben, soweit darin die Beschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Goslar vom 25. November 2020 (Verlängerung der Betreuung) zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.
Wert: 5.000 €
Gründe
I.
1
Die 52jährige Betroffene leidet nach den getroffenen Feststellungen an einer paranoiden Schizophrenie mit Residuum, wegen derer sie ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst besorgen kann.
2
Das Amtsgericht hat die seit 2013 eingerichtete Betreuung durch Beschluss vom 25. November 2020 mit dem Aufgabenkreis Gesundheitssorge (einschließlich Unterbringung), Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge, Wohnungsangelegenheiten, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der den Aufgabenkreis betreffenden Post sowie Vertretung gegenüber Einrichtungen, Behörden, Gerichten und Kostenträgern verlängert und weiterhin einen Einwilligungsvorbehalt für den Bereich der Vermögenssorge mit Ausnahme eines bestimmten Girokontos angeordnet. Mit weiterem Beschluss vom gleichen Tag hat es die Unterbringung der Betroffenen bis längstens zum 2. Mai 2021 genehmigt.
3
Das Landgericht hat die gegen beide Beschlüsse erhobenen Beschwerden der Betroffenen mit der angefochtenen Entscheidung zurückgewiesen; hiergegen richtet sich ihre – hinsichtlich der durch Zeitablauf erledigten Unterbringung auf Feststellung nach § 62 FamFG zielende – Rechtsbeschwerde.
II.
4
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist teilweise begründet.
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1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Die Chronifizierung der Erkrankung führe zu einer psychosozialen Beeinträchtigung, so dass die Betroffene im täglichen Leben auf fremde Hilfe angewiesen sei, ohne die sie verwahrlosen würde. Im Rahmen der stationären Behandlung sei es zwar zu guten Fortschritten gekommen. Eine weitere engmaschige Betreuung sei jedoch notwendig. Eine Weiterbehandlung auf einer offenen Station sei grundsätzlich möglich, jedoch habe die Betroffene angekündigt, sich dann sofort selbst zu entlassen. Somit bleibe für die notwendige Heilbehandlung nur die Unterbringung, deren Notwendigkeit zu erkennen die Betroffene nicht in der Lage sei. Aufgrund der Erkrankung sei es auch notwendig, die bestehende Betreuung in den genannten Aufgabenbereichen fortzuführen.
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2. Die angefochtene Entscheidung hält, was die Verlängerung der Betreuung betrifft, einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
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a) Nach § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB darf ein Betreuer nur bestellt werden, soweit die Betreuung erforderlich ist. Dieser Grundsatz verlangt für die Bestellung eines Betreuers die konkrete tatrichterliche Feststellung, dass sie – auch unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit – notwendig ist, weil der Betroffene auf entsprechende Hilfen angewiesen ist und weniger einschneidende Maßnahmen nicht in Betracht kommen. Die Erforderlichkeit einer Betreuung darf sich dabei nicht allein aus der subjektiven Unfähigkeit des Betroffenen ergeben, seine Angelegenheiten selbst regeln zu können (Betreuungsbedürftigkeit). Hinzutreten muss ein konkreter Bedarf für die Bestellung eines Betreuers. Ob und für welche Aufgabenbereiche ein objektiver Betreuungsbedarf besteht, ist aufgrund der konkreten, gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen zu beurteilen. Dabei genügt es, wenn ein Handlungsbedarf in dem betreffenden Aufgabenkreis jederzeit auftreten kann (st. Rspr., vgl. etwa Senatsbeschluss vom 21. Oktober 2020 – XII ZB 153/20 – FamRZ 2021, 385 Rn. 22).
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Soweit dies zur Abwendung einer erheblichen Gefahr für die Person oder das Vermögen des Betreuten erforderlich ist, ordnet das Betreuungsgericht nach § 1903 Abs. 1 BGB an, dass der Betreute zu einer Willenserklärung, die den Aufgabenkreis des Betreuers betrifft, dessen Einwilligung bedarf (Einwilligungsvorbehalt). Ob dies der Fall ist, hat das Betreuungsgericht im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht festzustellen. Auch bei einem umfangreichen Vermögen des Betreuten kann ein Einwilligungsvorbehalt allerdings nur dann angeordnet werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Vermögensgefährdung erheblicher Art vorliegen. Der Grundsatz der Erforderlichkeit bedeutet dabei auch, dass der Einwilligungsvorbehalt je nach den Umständen auf einen einzelnen Vermögensgegenstand oder eine bestimmte Art von Geschäften beschränkt werden kann (Senatsbeschluss vom 9. Mai 2018 – XII ZB 577/17 – FamRZ 2018, 1193 Rn. 16 mwN).
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b) Den vorstehenden Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht. Denn die konkreten Feststellungen des Beschwerdegerichts vermögen zwar die Betreuung in Angelegenheiten der Gesundheitssorge (einschließlich Unterbringung), Aufenthaltsbestimmung und Wohnungsangelegenheiten zu rechtfertigen. Zu den darüber hinaus bestimmten Aufgabenbereichen, namentlich der Vermögenssorge, fehlen hingegen jegliche konkreten Feststellungen sowohl für einen entsprechenden Handlungsbedarf als auch für die Aufrechterhaltung des darauf bezogenen Einwilligungsvorbehalts, den das Landgericht überhaupt nicht begründet hat.
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3. Der angefochtene Beschluss kann daher insoweit keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, da er die noch erforderlichen Feststellungen nicht selbst treffen kann.
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Von einer weiteren Begründung der Entscheidung – auch hinsichtlich der Entscheidung zur Unterbringung – wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
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