BGH 6. Zivilsenat, Urteil vom 29.06.2021, AZ VI ZR 130/20, ECLI:DE:BGH:2021:290621UVIZR130.20.0
§ 31 BGB, § 293 BGB, § 826 BGB
Leitsatz
Zu den Voraussetzungen des Annahmeverzuges bei der Haftung eines Automobilherstellers nach §§ 826, 31 BGB gegenüber dem Käufer des Fahrzeugs in einem sogenannten Dieselfall.
Verfahrensgang
vorgehend OLG Karlsruhe, 21. Januar 2020, Az: 17 U 342/19
vorgehend LG Mannheim, 9. April 2019, Az: 11 O 328/18
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 21. Januar 2020 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als darin festgestellt worden ist, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs SEAT Alhambra mit der Fahrzeugidentifikationsnummer VSSZZZ7NZFV524384 in Annahmeverzug befindet. Auch insoweit wird auf die Berufung der Beklagten das Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Mannheim vom 9. April 2019 abgeändert und die Klage abgewiesen.
Die Kosten der ersten Instanz tragen der Kläger zu 40% und die Beklagte zu 60%, die Kosten der zweiten Instanz tragen der Kläger zu 25% und die Beklagte zu 75%.
Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt der Kläger.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung eines Kraftfahrzeugs auf Schadensersatz und Feststellung des Annahmeverzugs in Anspruch.
2
Der Kläger erwarb am 30. Juni 2015 von einem Autohaus einen SEAT Alhambra zum Gesamtbetrag von 32.790,01 €. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA189 ausgestattet, in dem eine Software zur Abgassteuerung installiert wurde. Diese Software verfügt über zwei unterschiedliche Betriebsmodi, welche die Abgasrückführung steuern. Bei „Modus 1“, der beim Durchfahren des für die amtliche Bestimmung der Fahrzeugemissionen maßgeblichen Neuen Europäischen Fahrzyklus automatisch aktiviert wird, kommt es zu einer höheren Abgasrückführungsrate, wodurch die gesetzlich geforderten Grenzwerte für Stickoxidemissionen eingehalten werden. Bei im normalen Straßenverkehr anzutreffenden Fahrbedingungen ist der „Modus 0“ aktiviert, der zu einer geringeren Abgasrückführungsrate und damit zu einem höheren Stickoxidausstoß führt. Der Dieselmotor wurde auf Veranlassung des Vorstands der Beklagten nicht nur in diversen Fahrzeugtypen der Beklagten, sondern auch in solchen der zum VW-Konzern gehörenden Unternehmen verbaut, unter anderem in von der SEAT S.A. hergestellten Fahrzeugen.
3
Mit Rechtsanwaltsschreiben vom 23. November 2018 forderte der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 7. Dezember 2018 „zur Zahlung von Schadenersatz i.H. des Kaufpreises von 32.790,01 € zzgl. Zinsen i.H.v. 4 % aus § 849 BGB seit dem 30.06.2015 auf, Zug-um-Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs sowie Zahlung einer Nutzungsentschädigung“.
4
Das Landgericht hat unter Abweisung der Klage im Übrigen die Beklagte verurteilt, an den Kläger 25.403,93 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 8. Dezember 2018 Zug-um-Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs zu zahlen, und festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs seit 8. Dezember 2018 in Annahmeverzug befindet.
5
Auf die Berufungen des Klägers und der Beklagten hat das Oberlandesgericht unter Zurückweisung des Rechtsmittels der Beklagten im Übrigen das Urteil des Landgerichts abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 23.149,89 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 8. Dezember 2018 Zug-um-Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs und Zinsen in Höhe von vier Prozent aus 32.790,01 € seit dem 1. Juli 2015 bis zum 7. Dezember 2018 zu zahlen, sowie festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
6
Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen. Die Beklagte verfolgt mit ihrer Revision das Ziel der Klageabweisung weiter, soweit das Berufungsgericht den Annahmeverzug festgestellt hat. Soweit die Revision weiter geltend gemacht hat, dass das Berufungsgericht die Beklagte zu Unrecht verurteilt habe, an den Kläger Zinsen in Höhe von vier Prozent aus 32.790,01 € für den Zeitraum vom 1. Juli 2015 bis zum 7. Dezember 2018 zu zahlen, hat der Kläger seine Klage in der Revisionsinstanz mit Zustimmung der Beklagten zurückgenommen.
Entscheidungsgründe
I.
7
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung – soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse – im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
8
Aufgrund der seit dem Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz mit dem Fahrzeug zusätzlich zurückgelegten Strecke mindere sich der Schadensersatzanspruch um weitere 1.464,65 €, sodass dem Kläger die von dem Landgericht zuerkannten Ansprüche nur teilweise zuständen; für den Zeitraum von 8. Dezember 2018 bis zum Schluss mündlicher Verhandlung in erster Instanz seien zudem weitere 789,39 € in Abzug zu bringen, da auch während des Annahmeverzugs Nutzungen anzurechnen seien. Die Berechnung des Landgerichts sei nur insoweit zutreffend, als es bei einem Kilometerstand am Tag des Ablaufs der vorprozessual gesetzten Frist einen Nutzungsersatzanspruch bis dahin errechnet habe. Dabei hätte es jedoch nicht stehenbleiben dürfen. Denn auch für die Zeit bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz seien weitere 789,30 € für die bis dahin gefahrenen Kilometer angefallen. Zudem sei der Kläger bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungssenat gefahren, sodass ein Nutzungsersatzanspruch von weiteren 1.464,65 € auf den Kaufpreis von 32.790,01 € anzurechnen und die Klage in Höhe von 2.254,04 € auf die Berufung der Beklagten abzuweisen sei.
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Die Beklagte befinde sich in Annahmeverzug. Dabei sei unschädlich, dass der Kläger im vorprozessualen Schreiben noch die Rückzahlung des Kaufpreises ohne Anrechnung eines konkret bezifferten Nutzungsersatzanspruchs gefordert und die Rückgabe des Fahrzeugs nur unter dieser Bedingung angeboten habe. Zwar führe eine Zuvielforderung des Schuldners grundsätzlich weder zur Begründung von Schuldnerverzug hinsichtlich der Kaufpreisrückzahlung noch zur Begründung von Annahmeverzug des Gläubigers. Allerdings sei der Kläger in der Berufungsinstanz – wie seine Anfechtung des landgerichtlichen Urteils nur hinsichtlich des aberkannten Zinsanspruchs belege – bereit, eine um die vom Landgericht errechnete Nutzungsentschädigung reduzierte Zahlung anzunehmen. Diesen zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz reduzierten Antrag des Klägers habe die Beklagte zurückgewiesen.
II.
10
Die Revision der Beklagten ist begründet.
11
1. Mit der teilweisen Klagerücknahme ist das Urteil des Berufungsgerichts, soweit die Beklagte zur Zahlung von Deliktszinsen verurteilt worden ist, wirkungslos (§ 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO) und die Revision der Beklagten insoweit gegenstandslos geworden. Die Revision der Beklagten richtet sich nach der teilweisen Klagerücknahme noch gegen die Feststellung des Annahmeverzugs.
12
2. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ist der Ausspruch über die Feststellung des Annahmeverzugs von der Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht umfasst.
13
a) Enthält die Entscheidungsformel des Berufungsurteils – wie im Streitfall – keine Beschränkung der Revisionszulassung, ist dennoch von einer beschränkten Revisionszulassung auszugehen, wenn sich dies aus den Gründen des Urteils klar ergibt. Das ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn sich die vom Berufungsgericht als zulassungsrelevant angesehene Frage nur für einen eindeutig abgrenzbaren selbständigen Teil des Streitstoffs stellt, der Gegenstand eines Teilurteils oder eines eingeschränkt eingelegten Rechtsmittels sein kann (vgl. Senat, Urteil vom 29. September 2020 – VI ZR 445/19, juris Rn. 11; BGH, Urteil vom 13. Mai 2020 – VIII ZR 222/18, NJW 2020, 3258 Rn. 9 mwN).
14
b) Das Berufungsgericht hat zur Begründung der Zulassung der Revision ausgeführt, die höchstrichterlich noch nicht entschiedene Rechtsfrage einer Haftung der Beklagten gemäß § 826 BGB habe im Hinblick auf die enorme Anzahl der bundesweit gegen die Beklagte anhängigen Klagen grundsätzliche Bedeutung. Zudem werde eine Haftung der Beklagten gemäß § 826 BGB in der obergerichtlichen Rechtsprechung kontrovers beurteilt. Da die Entscheidung über den Annahmeverzug jedoch nur ein rechtlich unselbständiges Element der Hauptleistungsverpflichtung und damit – auch – von dieser abhängig ist, wird sie schon deshalb von der insoweit ausgesprochenen Zulassung der Revision erfasst (vgl. dazu Senat, Urteil vom 2. Februar 2021 – VI ZR 449/20, NJW-RR 2021, 316 Rn. 6 mwN).
15
3. Die Revision der Beklagten ist begründet. Der Feststellungsausspruch des Berufungsgerichts, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet (§§ 293 ff. BGB), hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
16
Die Forderung jedenfalls eines nicht nur unerheblich höheren als des geschuldeten Betrags schließt ein ordnungsgemäßes Angebot der Zug-um-Zug zu erbringenden Leistung aus (vgl. Senat, Urteile vom 20. April 2021 – VI ZR 521/19, juris Rn. 7; vom 23. März 2021 – VI ZR 3/20, juris Rn. 15; vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 85). Der für diese Beurteilung maßgebliche Zeitpunkt ist der Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz (vgl. Senat, Urteile vom 20. April 2021 – VI ZR 521/19, juris Rn. 7; vom 13. April 2021 – VI ZR 274/20, juris Rn. 24; vom 23. März 2021 – VI ZR 3/20, juris Rn. 15; vom 2. Februar 2021 – VI ZR 449/20, juris Rn. 9). Durch die Verteidigung einer erstinstanzlichen Zug-um-Zug-Verurteilung macht ein Kläger regelmäßig ein entsprechendes wörtliches Angebot (vgl. Senat, Urteil vom 13. April 2021 – VI ZR 274/20, juris Rn. 24).
17
Das Landgericht hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger 25.403,93 € Zug-um-Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs zu zahlen. Der Kläger hat beantragt, die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückzuweisen. Damit hat er – was das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend erkannt hat – ein entsprechendes wörtliches Angebot gemacht. Demgegenüber beläuft sich ausweislich des insoweit rechtskräftigen Berufungsurteils der Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte auf nur 23.149,89 €. Die sich daraus ergebende Differenz von 2.254,04 € führt zur Forderung eines deutlich höheren als des geschuldeten Betrags. Ob der Kläger sein Angebot darüber hinaus, wie die Revision meint, von der Zahlung von Deliktszinsen abhängig gemacht hat, kann angesichts dessen dahinstehen.
18
4. Daher ist insoweit das Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 3 ZPO).
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