BGH 12. Zivilsenat, Beschluss vom 23.06.2021, AZ XII ZB 51/21, ECLI:DE:BGH:2021:230621BXIIZB51.21.0
Leitsatz
Wurde in einer Ehesache dem Antragsgegner schon das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht ordnungsgemäß zugestellt und hat er sich auch nicht auf das Verfahren eingelassen, wird für ihn die Frist des § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG nicht durch eine anderweitig erlangte Kenntnis von dem Verfahren in Gang gesetzt (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 21. Juli 2010 – XII ZB 135/09, FamRZ 2010, 1646).
Verfahrensgang
vorgehend Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, 17. Dezember 2020, Az: 2 UF 64/20
vorgehend AG Hamburg, 24. September 2019, Az: 281 F 32/19
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des 2. Familiensenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 17. Dezember 2020 zu Ziffer I, II und IV aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Wert: 14.500 €
Gründe
I.
1
Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 6. Februar 2019 beantragt, die Ehe der Beteiligten zu scheiden. Eine Zustellung der Antragsschrift an den Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners, der diesen in einem früheren familiengerichtlichen Verfahren vertreten hatte, ist von dem Rechtsanwalt mit der Begründung zurückgewiesen worden, dass das Mandat durch den Antragsgegner bereits im August 2018 gekündigt worden sei. Daraufhin hat das Amtsgericht auf Antrag der Antragstellerin die öffentliche Zustellung der Antragsschrift an den Antragsgegner angeordnet. Auch die Ladung des Antragsgegners zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 24. September 2019 hat das Amtsgericht öffentlich zugestellt. Im Anschluss an die mündliche Verhandlung, zu der der Antragsgegner nicht erschienen ist, hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 24. September 2019 die Ehe der Beteiligten geschieden und ausgesprochen, dass ein Versorgungsausgleich nicht stattfindet. Auch dieser Beschluss ist dem Antragsgegner öffentlich zugestellt worden.
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Am 25. Oktober 2019 erfuhr der Antragsgegner von seinem früheren Verfahrensbevollmächtigten, dass die Antragstellerin einen Scheidungsantrag eingereicht hat. Nachdem seinem Verfahrensbevollmächtigten am 7. April 2020 Akteneinsicht gewährt worden war, hat der Antragsgegner mit einem am 29. April 2020 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Beschwerde gegen den Scheidungsbeschluss eingelegt. Zudem hat er die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe sowie vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist beantragt. Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde wegen Versäumung der Beschwerdefrist als unzulässig verworfen; den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat es zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners.
II.
3
Die Rechtsbeschwerde hat im eingelegten Umfang Erfolg.
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1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 113 Abs. 1 Satz 2, 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG iVm §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO). Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Senats (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der angefochtene Beschluss verletzt den Antragsgegner in seinem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip), welches es den Gerichten verbietet, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (Senatsbeschluss vom 8. Mai 2019 – XII ZB 520/18 – FamRZ 2019, 1337 Rn. 5 mwN).
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2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
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a) Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung Folgendes ausgeführt:
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Die Beschwerde sei unzulässig, weil die Beschwerdefrist des § 63 Abs. 1 FamFG nicht eingehalten sei. Dies gelte selbst dann, wenn die öffentliche Zustellung des Scheidungsbeschlusses deshalb fehlerhaft und unwirksam gewesen sei, weil die Antragstellerin und das Gericht zuvor nicht versucht hätten, über die Mobilfunknummer des Antragsgegners und dessen gültige E-Mail-Adresse Kontakt zu diesem aufzunehmen und ihn zur Bekanntgabe einer zustellfähigen Adresse zu veranlassen.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Lauf der Beschwerdefrist bei einer fehlgeschlagenen oder unterbliebenen Zustellung beginne gemäß § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG in diesen Fällen die einmonatige Beschwerdefrist grundsätzlich fünf Monate nach dem wirksamen Erlass der Entscheidung zu laufen. Da die Entscheidung am 24. September 2019 verkündet worden sei, sei die am 29. April 2020 eingegangene Beschwerde verfristet gewesen.
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Soweit der Bundesgerichtshof § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG einschränkend auslege, wenn ein von der Entscheidung Betroffener überhaupt nicht zum Verfahren hinzugezogen worden sei, greife diese Ausnahme hier nicht ein. Der Antragsgegner habe seit dem 25. Oktober 2019 Kenntnis von der Existenz des eingeleiteten Ehescheidungsverfahrens, da ihn sein Verfahrensbevollmächtigter darüber informiert habe. Spätestens ab diesem Zeitpunkt habe für den Antragsgegner Veranlassung bestanden, sich nach dem Stand des Verfahrens zu erkundigen, zumal er bereits vor Einleitung des Scheidungsverfahrens Kenntnis davon gehabt habe, dass die Antragstellerin ein Scheidungsverfahren habe einleiten wollen und er selbst angekündigt habe, sich in diesem Verfahren von seinem jetzigen Verfahrensbevollmächtigten vertreten zu lassen.
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Aber selbst wenn man zugunsten des Antragsgegners davon ausginge, dass die Beschwerdefrist des § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG spätestens mit Kenntnis, hier also am 25. Oktober 2019, zu laufen begonnen habe, stelle sich die Beschwerdeeinlegung am 29. April 2020 als verspätet dar. Deshalb sei die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
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Der Wiedereinsetzungsantrag sei zurückzuweisen, da er nicht innerhalb der Frist von 14 Tagen nach Wegfall des Hindernisses gestellt worden sei.
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b) Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
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aa) Gemäß dem auch in Ehe- und Familienstreitsachen anwendbaren § 63 Abs. 1 FamFG (vgl. §§ 113, 117 FamFG) beginnt die Beschwerdefrist von einem Monat grundsätzlich mit der schriftlichen Bekanntgabe des in vollständiger Form abgefassten Beschlusses an die Beteiligten. Nach § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG beginnt die (Monats-)Frist allerdings spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach Erlass des Beschlusses, wenn die schriftliche Bekanntgabe an einen Beteiligten nicht bewirkt werden kann. Dabei tritt in Ehe- und Familienstreitsachen an Stelle des Erlasses die Verkündung der Entscheidung, § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG und §§ 329 Abs. 1, 310 f. ZPO (Senatsbeschluss vom 11. März 2015 – XII ZB 571/13 – FamRZ 2015, 839 Rn. 10 mwN). Warum die Bekanntgabe unterblieben ist, ist dabei ohne Belang (Senatsbeschluss vom 11. März 2015 – XII ZB 571/13 – FamRZ 2015, 839 Rn. 26 ff.). Deshalb greift § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG auch dann, wenn die Zustellung der Entscheidung mit Mängeln behaftet ist (vgl. Senatsbeschluss vom 10. Juli 2013 – XII ZB 411/12 – FamRZ 2013, 1566 Rn. 17 f.). Nachdem der angefochtene Scheidungsbeschluss am 24. September 2019 verkündet worden ist, wäre danach die erst am 29. April 2020 bei Gericht eingegangene Beschwerde auch bei Anwendung der Beschwerdefrist des § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG verfristet.
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bb) Wie das Oberlandesgericht bei seiner weiteren Beurteilung nicht verkannt hat, unterliegt die Anwendung des § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG jedoch Einschränkungen, die sich aus dem Grundgedanken der Regelung ergeben.
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(1) Der Vorschrift des § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG liegt ebenso wie der vergleichbaren Regelung in § 517 Halbs. 2 ZPO der Gedanke zugrunde, dass eine Partei, die vor Gericht streitig verhandelt hat, mit dem Erlass einer Entscheidung rechnen muss und es ihr deshalb zugemutet werden kann, sich danach zu erkundigen, ob und mit welchem Inhalt eine Entscheidung ergangen ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11. März 2015 – XII ZB 571/13 – FamRZ 2015, 839 Rn. 37 und vom 21. Juli 2010 – XII ZB 135/09 – FamRZ 2010, 1646 Rn. 14 mwN). Trifft dieser Grundgedanke im Einzelfall nicht zu, beginnt ausnahmsweise die Fünfmonatsfrist nicht zu laufen, was etwa dann der Fall ist, wenn die beschwerte Partei im Verhandlungstermin nicht vertreten und zu diesem Termin auch nicht ordnungsgemäß geladen war (vgl. Senatsbeschlüsse vom 21. Juli 2010 – XII ZB 135/09 – FamRZ 2010, 1646 Rn. 14 mwN und vom 7. Juli 2004 – XII ZB 12/03 – FamRZ 2004, 1478, 1479).
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(2) Danach ist vorliegend die Frist des § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG durch die Verkündung des Scheidungsbeschlusses nicht in Gang gesetzt worden. Nachdem das Oberlandesgericht es offengelassen hat, ob die vom Amtsgericht angeordneten öffentlichen Zustellungen unzulässig waren, ist für das Rechtsbeschwerdeverfahren zugunsten des Antragsgegners zu unterstellen, dass die Voraussetzungen der öffentlichen Zustellungen nicht vorgelegen haben. Damit ist für das Rechtsbeschwerdeverfahren auch davon auszugehen, dass der Antragsgegner zu dem vom Amtsgericht anberaumten Termin nicht ordnungsgemäß geladen worden ist. Zudem war der Antragsgegner im Verhandlungstermin, der dem Verkündungstermin vorausging, weder anwesend noch durch einen Bevollmächtigten vertreten.
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cc) Rechtsfehlerhaft ist allerdings die Auffassung des Oberlandesgerichts, die Frist des § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG sei dadurch in Gang gesetzt worden, dass der Antragsgegner anderweitig Kenntnis von dem Scheidungsverfahren erlangt habe.
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Dabei kann dahinstehen, ob einen Verfahrensbeteiligten, der anderweitig von der Existenz des Verfahrens Kenntnis erhalten hat, grundsätzlich die Verpflichtung treffen kann, sich nach dem weiteren Fortgang des Verfahrens zu erkundigen (vgl. zum Versorgungsausgleich Senatsbeschluss vom 15. Februar 2017 – XII ZB 405/16 – FamRZ 2017, 727 Rn. 13 ff., 24). Jedenfalls in Fällen, in denen dem Antragsgegner schon das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht zugestellt wurde und er sich auch nicht auf das Verfahren eingelassen hat, ist eine solche Erkundigungspflicht nicht gegeben. Denn der Verfahrensbeteiligte muss sich auf das Verfahren nicht einlassen, wenn es bereits an einer ordnungsgemäßen Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks fehlt (vgl. Senatsbeschluss vom 21. Juli 2010 – XII ZB 135/09 – FamRZ 2010, 1646 Rn. 17). Ihm ist es daher unbenommen, auch dann untätig zu bleiben, wenn er auf anderem Weg von dem laufenden Verfahren Kenntnis erlangt hat. Würde in diesem Fall mit dem Zeitpunkt der Kenntniserlangung die Frist des § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG in Gang gesetzt, würde die oben genannte Befugnis des Verfahrensbeteiligten, sich auf das Verfahren nicht einzulassen, in ihr Gegenteil verkehrt (vgl. Senatsbeschluss vom 21. Juli 2010 – XII ZB 135/09 – FamRZ 2010, 1646 Rn. 18).
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Der vom Oberlandesgericht vertretenen Auffassung, dass auch die ohne Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks erlangte Kenntnis dem Antragsgegner Veranlassung gegeben habe, sich nach dem Stand des Verfahrens zu erkundigen, kann daher nicht gefolgt werden.
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3. Der angefochtene Beschluss ist somit aufzuheben und die Sache ist an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen, das nun zu prüfen haben wird, ob die öffentlichen Zustellungen des Scheidungsantrags vom 6. Februar 2019 sowie der Terminsladung wirksam waren.
- Dose
- Schilling
- Günter
- Nedden-Boeger
- Guhling