BVerwG 2. Senat, Beschluss vom 09.06.2021, AZ 2 B 22/20, ECLI:DE:BVerwG:2021:090621B2B22.20.0
Verfahrensgang
vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, 22. Oktober 2019, Az: 14 LB 1/18, Urteil
vorgehend Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, 7. Juni 2018, Az: 17 A 10/15, Urteil
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 22. Oktober 2019 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
1
Die auf Divergenz und Verfahrensmängel gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist unbegründet.
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1. Der 1961 geborene Beklagte stand seit 1978 im Polizeidienst des klagenden Landes, seit 2001 als Polizeihauptmeister (Besoldungsgruppe A 9). Mit Ablauf des Monats August 2014 wurde er aus gesundheitlichen Gründen in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Er bezieht ein Unfallruhegehalt aus der Endstufe der Besoldungsgruppe A 11.
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Mit rechtskräftig gewordenem amtsgerichtlichen Urteil war der Beklagte im Jahre 2005 wegen fahrlässiger Körperverletzung im Amt in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit einer Nötigung, zu einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt worden. Das wegen dieser Taten eingeleitete Disziplinarverfahren wurde eingestellt. Mit weiterem rechtskräftig gewordenem amtsgerichtlichem Strafurteil wurde der Beklagte im Jahre 2013 wegen Untreue in zwei Fällen und gewerbsmäßiger Untreue in 129 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten und 3 Wochen verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das von dem Arzt Dr. T. während der Hauptverhandlung mündlich erstattete Gutachten war zuvor zu dem Ergebnis gelangt, dass beim Beklagten eine schwere Persönlichkeitsstörung und eine Psychose vorlägen, die die Voraussetzungen einer verminderten Schuldfähigkeit nicht ausschlössen. Schuldunfähigkeit liege aber nicht vor.
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Auf die vom Kläger erhobene Disziplinarklage hat das Verwaltungsgericht dem Beklagten das Ruhegehalt aberkannt. Die vom Beklagten dagegen eingelegte Berufung hat das Oberverwaltungsgericht mit der Begründung zurückgewiesen, der Beklagte habe als Notgeschäftsführer und Testamtsvollstrecker über einen Nachlass im Zeitraum zwischen Oktober 2004 und August 2007 in weit über 100 Einzelverstößen Geld im Gesamtwert von über 66 000 € veruntreut. Durch dieses besonders schwerwiegende außerdienstliche Dienstvergehen und unter weiterer Berücksichtigung seiner disziplinaren Vorbelastung sei er als Polizeibeamter untragbar geworden. Mildernde Umstände von solchem Gewicht, die trotz der Schwere des Dienstvergehens die Verhängung der Höchstmaßnahme als unangemessen erscheinen ließen, lägen nicht vor. Insbesondere seien Schuldunfähigkeit oder eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Beklagten nach den schlüssigen Feststellungen des im Disziplinarprozess gutachtlich tätig gewordenen medizinischen Sachverständigen, Prof. Dr. H., zu verneinen. Die gegenteilige Einschätzung des im Strafverfahren bestellten medizinischen Sachverständigen Dr. T. beruhe auf einer mangelhaften Tatsachengrundlage. Auch der Milderungsgrund der Entgleisung während einer negativen, inzwischen überwundenen Lebensphase liege nicht vor. Dem Nachtatverhalten des Beklagten zur Schadenswiedergutmachung komme kein wesentliches Gewicht zu, weil der Ausgleich erst im Rahmen der strafrechtlichen Aufarbeitung erfolgt sei.
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2. Die Revision ist nicht wegen Divergenz nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, § 41 Abs. 1 Satz 1 des Landesdisziplinargesetzes Schleswig-Holstein (LDG SH) vom 18. März 2003 (GVOBl. Schl.-H. S. 154) i.V.m. § 69 BDG zuzulassen.
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Eine Divergenz i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO setzt voraus, dass das Berufungsgericht in dem angefochtenen Urteil einen inhaltlich bestimmten, das Urteil tragenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt hat, mit dem es einem ebensolchen Rechtssatz widersprochen hat, der in einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt worden ist, und diesen nicht anwendet, weil es ihn für unrichtig hält (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 – 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14, vom 3. Juli 2007 – 2 B 18.07 – Buchholz 235.1 § 69 BDG Nr. 1 Rn. 4 und vom 6. Mai 2014 – 2 B 90.13 – ZBR 2014, 375 Rn. 10). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
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Der Beklagte beanstandet, dass das Berufungsgericht in Widerspruch zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Mai 2007 – 2 C 9.06 – (Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3) bei der disziplinaren Maßnahmebemessung nach § 13 Abs. 1 LDG SH mögliche weitere mildernde Umstände rechtsfehlerhaft außer Acht gelassen habe. Vielmehr hätte die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erforderliche Detailbefassung bei der prognostischen Gesamtwürdigung unter Einbeziehung aller entlastenden Gesichtspunkte dazu führen müssen, dass wegen des Zusammenwirkens der entlastenden Gesichtspunkte von der disziplinaren Höchstmaßnahme abzusehen sei.
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Mit diesen Ausführungen wird eine Divergenz nicht dargelegt, sondern allenfalls geltend gemacht, dass das Berufungsgericht die vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Bemessungskriterien im konkreten Einzelfall fehlerhaft angewandt habe. In Disziplinarverfahren kann eine Divergenz i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aber grundsätzlich nicht damit begründet werden, das Tatsachengericht habe die be- und entlastenden Umstände im Rahmen der Gesamtwürdigung gemäß § 13 Abs. 1 LDG SH fehlerhaft gewürdigt und gewichtet (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 3. Juli 2007 – 2 B 18.07 – Buchholz 235.1 § 69 BDG Nr. 1 Rn. 7 und vom 24. Juni 2016 – 2 B 24.15 – Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 37 Rn. 13 m.w.N.). Letztlich beanstandet der Beklagte die tatrichterliche Würdigung bei der disziplinaren Bemessung des außerdienstlichen Dienstvergehens, legt jedoch nicht dar, dass sich das Berufungsgericht dabei von einem Maßstab habe leiten lassen, der mit dem vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten unvereinbar ist. Das Berufungsgericht hat im Übrigen, wie seine Ausführungen auf Seite 36 der angegriffenen Entscheidung zeigen, das Urteil des Senats vom 3. Mai 2007 – 2 C 9.06 – ausdrücklich zur Kenntnis genommen und die darin aufgestellten Maßstäbe zur Grundlage seiner eigenen Rechtsfindung gemacht.
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3. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers der Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 41 Abs. 1 Satz 1 LDG SH i.V.m. § 69 BDG zuzulassen.
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Im gerichtlichen Disziplinarverfahren haben die Tatsachengerichte nach § 41 Abs. 1 Satz 1 LDG SH und § 86 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 58, 65 BDG grundsätzlich selbst und von Amts wegen diejenigen Tatsachen zu ermitteln und festzustellen, die für den Nachweis des Dienstvergehens und die Bemessung der Disziplinarmaßnahme von Bedeutung sind (BVerwG, Urteil vom 28. Februar 2013 – 2 C 3.12 – BVerwGE 146, 98 Rn. 20). Entsprechend § 86 Abs. 1 VwGO folgt daraus die Verpflichtung, diejenigen Maßnahmen der Sachaufklärung zu ergreifen, die sich nach Lage der Dinge aufdrängen. Dies gilt gemäß der Verweisung von § 41 Abs. 1 Satz 1 LDG SH auf § 58 Abs. 1 und § 65 Abs. 1 Satz 1 BDG auch für die Berufungsinstanz (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. Juni 2005 – 2 B 108.04 – Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 1 S. 2).
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Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erfordert die Rüge einer Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO die substantiierte Darlegung, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des Berufungsgerichts aufklärungsbedürftig waren, welche für erforderlich oder geeignet gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht kamen, welche tatsächlichen Feststellungen dabei voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern diese unter Zugrundelegung der materiell-rechtlichen Auffassung des Tatsachengerichts zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätten führen können. Die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz zu kompensieren, vor allem wenn er es unterlassen hat, einen Beweisantrag zu stellen. Deshalb muss ferner entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen (BVerwG, Urteil vom 22. Januar 1969 – 6 C 52.65 – BVerwGE 31, 212 <217 f.>; Beschlüsse vom 19. August 1997 – 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14, vom 19. Februar 2018 – 2 B 51.17 – Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 56 Rn. 6 und vom 15. Januar 2020 – 2 B 40.19 – juris Rn. 18).
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Die Verwaltungsgerichte treffen bei der Bestimmung der Disziplinarmaßnahme eine eigene Bemessungsentscheidung gemäß § 13 LDG SH. Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 LDG SH nach der Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten und des Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. Das Bemessungskriterium Persönlichkeitsbild des Beamten gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 LDG SH erfasst dessen persönliche Verhältnisse und sein sonstiges dienstliches Verhalten vor, bei und nach der Tatbegehung. Es erfordert eine Prüfung, ob das festgestellte Dienstvergehen mit dem bisher gezeigten Persönlichkeitsbild des Beamten übereinstimmt oder etwa als persönlichkeitsfremdes Verhalten in einer Notlage oder einer psychischen Ausnahmesituation davon abweicht (vgl. BVerwG, Urteile vom 20. Oktober 2005 – 2 C 12.04 – BVerwGE 124, 252 <259 f.> und vom 3. Mai 2007 – 2 C 9.06 – Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3 Rn. 14). In diesem Zusammenhang haben die Verwaltungsgerichte auch der Frage einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit i.S.d. §§ 20 und 21 StGB nachzugehen, wenn der Sachverhalt hinreichenden Anlass bietet. Lässt sich nach erschöpfender Sachaufklärung ein Sachverhalt nicht ohne vernünftigen Zweifel ausschließen, dessen rechtliche Würdigung eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Beamten ergibt, so ist dieser Gesichtspunkt nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ in die Gesamtwürdigung einzustellen. Dies trägt auch der disziplinarrechtlichen Geltung des Schuldprinzips und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung (BVerwG, Urteile vom 3. Mai 2007 – 2 C 9.06 – Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3 Rn. 30 und vom 29. Mai 2008 – 2 C 59.07 – Buchholz 235.1 § 70 BDG Nr. 3 Rn. 27).
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a) Die Rüge der Beschwerde, das Berufungsgericht habe den Sachverhalt hinsichtlich des Nachtatverhaltens des Beklagten – Schadenswiedergutmachung und Wiederaufbau von etwa verloren gegangenem Vertrauen durch nahezu siebenjährige Weiterbeschäftigung – nicht ausreichend aufgeklärt, greift nicht durch. Der Schadenswiedergutmachung hat das Berufungsgericht auf der Grundlage der Rechtsprechung des Senats (BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 2015 – 2 C 6.14 – BVerwGE 154, 10 Rn. 33) kein wesentliches Gewicht beigemessen, weil der Ausgleich erst im Rahmen der strafrechtlichen Aufarbeitung des Sachverhalts erfolgte. Dementsprechend musste sich ihm insoweit auch keine weitere Sachaufklärung aufdrängen.
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Die Entscheidung, den Beamten während des Disziplinarverfahrens weiter zu verwenden und zu beschäftigen, ist – entgegen der Auffassung des Beklagten – bemessungsneutral. Dies folgt daraus, dass es Aufgabe der Verwaltungsgerichte ist, die erforderliche Disziplinarmaßnahme unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Bindung an Wertungen des Dienstherrn zu bestimmen. Daher kann der Dienstherr die Maßnahmebemessung nicht durch Entscheidungen für oder gegen den Einsatz des beschuldigten Beamten beeinflussen. Führt die verwaltungsgerichtliche Gesamtwürdigung nach § 13 Abs. 1 LDG SH zu dem Ergebnis, dass die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten ist, vermag daran die weitere Dienstausübung während des Disziplinarverfahrens grundsätzlich nichts zu ändern. Das Vertrauensverhältnis, dessen Fortbestand für den Verbleib im Beamtenverhältnis erforderlich ist, bezieht sich auf den allgemeinen Status als Beamter, nicht auf die Dienstleistung. Die Entscheidung des Dienstherrn zur Weiterbeschäftigung kann danach auf Umständen beruhen, die für die vom Gericht zu bestimmende Maßnahme nicht von Bedeutung sind. Insbesondere kann sich der Dienstherr aus finanziellen Gründen für eine Weiterbeschäftigung entschieden haben, weil der Beamte auch während des laufenden Verfahrens weiterhin alimentiert wird (stRspr, BVerwG, Urteile vom 20. Januar 2004 – 1 D 33.02 – BVerwGE 120, 33 <49 f.> [= Buchholz 232 § 54 Satz 3 BBG Nr. 35 S. 76] und vom 28. Februar 2013 – 2 C 3.12 – BVerwGE 146, 98 <110> sowie Beschluss vom 27. September 2017 – 2 B 6.17 – Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 45 Rn. 7).
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Im Übrigen fällt auch eine langjährige Dienstleistung ohne Beanstandungen, womöglich mit überdurchschnittlichen Beurteilungen, jedenfalls bei gravierenden Dienstpflichtverletzungen neben der Schwere des Dienstvergehens in aller Regel nicht mildernd ins Gewicht. Denn jeder Beamte ist verpflichtet, dauerhaft bestmögliche Leistungen bei vollem Einsatz der Arbeitskraft zu erbringen und sich innerhalb und außerhalb des Dienstes achtungs- und vertrauenswürdig zu verhalten. Die langjährige Erfüllung dieser Verpflichtung kann nicht dazu führen, dass die Anforderungen an das inner- und außerdienstliche Verhalten abgesenkt werden. Weder die langjährige Beachtung der Dienstpflichten noch überdurchschnittliche Leistungen sind geeignet, schwere Pflichtenverstöße in einem milderen Licht erscheinen zu lassen (BVerwG, Urteile vom 23. November 2006 – 1 D 1.06 – juris Rn. 40, vom 7. Februar 2008 – 1 D 4.07 – juris Rn. 28, vom 19. Juni 2008 – 1 D 2.07 – juris Rn. 76 und vom 28. Februar 2013 – 2 C 3.12 – BVerwGE 146, 98 Rn. 43; Beschlüsse vom 23. Januar 2013 – 2 B 63.12 – juris Rn. 13 und vom 28. August 2018 – 2 B 4.18 – Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 59 Rn. 48 f.; stRspr).
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b) Auch die mit der Beschwerde im Hinblick auf die geltend gemachte „etwaige Spielsucht“ des Beklagten erhobene Rüge, das Berufungsgericht habe es verfahrensfehlerhaft unterlassen, eine zusätzliche ergänzende sachverständige Stellungnahme einzuholen, greift nicht durch. Denn die Beschwerdebegründung zeigt nicht auf, dass das Berufungsgericht nach diesen Grundsätzen gehalten war, eine ergänzende sachverständige Stellungnahme zur Frage einer „etwaigen Spielsucht“ einzuholen. Gegen die Annahme, es hätte sich dem Berufungsgericht auch ohne entsprechenden Antrag des Beklagten die Einholung einer solchen Stellungnahme aufdrängen müssen, spricht zunächst das Verhalten des Beklagten in der Berufungsverhandlung. Ausweislich der Niederschrift über die Berufungsverhandlung befragte der damalige Prozessbevollmächtigte des Beklagten die Sachverständigen und hatte zudem die Möglichkeit, zum Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung zu nehmen. Einen entsprechenden Beweisantrag hat er gleichwohl nicht gestellt.
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Dass beim Beklagten im Zeitraum seiner etwaigen Spielsucht eines der Eingangsmerkmale der §§ 20, 21 StGB erfüllt gewesen sei, hat das Berufungsgericht auf der Grundlage der plausiblen Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen Prof. Dr. H. verneint. Mit den eingehenden Erwägungen des Berufungsgerichts zu einer Persönlichkeitsstörung (UA S. 26-34), die das Eingangsmerkmal einer schweren anderen seelischen Abartigkeit oder einer anderen erheblichen psychischen Störung im Tatzeitraum – Oktober 2004 bis August 2007 – erfüllt und die das Berufungsgericht beim Beklagten als nicht gegeben ansieht, befasst sich die Beschwerdebegründung nicht substantiiert. Insbesondere geht die Beschwerde nicht auf die Feststellung des Berufungsgerichts ein, dass der Sachverständige sämtliche Belastungsmomente im Tatzeitraum zur Kenntnis genommen habe, diese aber anders als der Beklagte gewichte (UA Bl. 32). Hinzu kommt, dass das Berufungsgericht ein relevantes Alkohol- und Suchtproblem des Beklagten während des Tatzeitraums unter Hinweis auf die Aussagen der vernommenen Zeugen – Kollegen und Vorgesetzte des Beklagten – im Rahmen tatrichterlich plausibler Würdigung verneint hat. Die Darlegungen in der Beschwerdebegründung zum Gesichtspunkt einer etwaigen Spielsucht führen nicht dazu, dass sich dem Berufungsgericht auch ohne einen entsprechenden Beweisantrag des Beklagten die Einholung einer ergänzenden sachverständigen Stellungnahme zur Frage seiner Schuldunfähigkeit oder verminderten Schuldfähigkeit infolge etwaiger Spielsucht hätte aufdrängen müssen.
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c) Soweit die Beschwerde rügt, dass Berufungsgericht habe als Zeugen nur Kollegen und Vorgesetzte des Beklagten – nicht aber auch Personen aus seinem nahen Umfeld, wie seine Ehefrau und/oder Angehörige – vernommen, um Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung seiner psychosozialen Leistungsfähigkeit im Tatzeitraum nachzuweisen, ist dem entgegenzuhalten, dass es auch insoweit an einem entsprechenden Beweisantrag des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am 10. September 2019 und 22. Oktober 2019 fehlt.
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Auch im Übrigen legt die Beschwerde eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht nicht dar. Der Beschwerdevortrag bewegt sich im Hinblick auf den überaus vagen tatsächlichen Anknüpfungspunkt für eine erhebliche Beeinträchtigung der psychosozialen Leistungsfähigkeit des Beklagten – er sei „überwiegend Einzelgänger“ – auf der Ebene eines Beweisermittlungs- oder -ausforschungsantrags. Beweisanträge, die so unbestimmt sind, dass im Grunde erst die Beweisaufnahme selbst die entscheidungserheblichen Tatsachen und Behauptungen aufdecken könnte, legen dem Gericht eine Beweisaufnahme nicht nahe (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 29. März 1995 – 11 B 21.95 – Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 266 S. 10 f. und vom 27. Juni 2014 – 2 B 76.13 – Buchholz 449 § 3 SG Nr. 75 Rn. 17).
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d) Nichts anderes gilt für die Rüge der Beschwerde, dem Berufungsgericht sei eine fehlerhafte Sachaufklärung vorzuhalten, weil es die Kollegen und Vorgesetzten des Beklagten als Zeugen vernommen habe, ohne gleichzeitig die mit dem Fall befassten psychiatrischen Sachverständigen – Prof. Dr. H. und Dr. T. – zu dem Termin zu laden. Das Berufungsgericht vernimmt die Zeugen (§ 96 Abs. 1 Satz 2 VwGO), Sachverständiger bedarf es dazu nicht. Deshalb hätte sich dem Berufungsgericht eine Ladung der Sachverständigen zum Termin für die Zeugenvernehmungen auch nicht von Amts wegen aufdrängen müssen. An einem Beweisantrag des Beklagten vor dem Berufungsgericht fehlt es auch insoweit (vgl. Niederschrift über die öffentliche Sitzung des Berufungsgerichts vom 10. September 2019 Bl. 353 ff. OVG-Akte und vom 22. Oktober 2019, Bl. 382 ff. OVG-Akte).
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e) Soweit die Beschwerde eine fehlerhafte Sachaufklärung des Berufungsgerichts im Hinblick auf den Milderungsgrund der Entgleisung während einer negativen, inzwischen überwundenen Lebensphase und in Bezug auf eine „fehlerhafte Gesamtabwägung aller be- und entlastenden Umstände“ rügt, wendet sie sich abermals allein gegen die konkrete materiell-rechtliche Würdigung des Tatsachengerichts, ohne einen Verfahrensfehler aufzuzeigen.
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4. Im Übrigen ergibt sich nichts anderes, wenn die Beschwerde dahin zu verstehen sein sollte, dass sie auch eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO geltend macht. Die Beschwerde rügt, dass das Berufungsgericht das Nachtatverhalten im Hinblick auf die Nichtaufklärung einer etwaigen Spielsucht des Beklagten nicht richtig bewertet habe. Der Abschluss der Testamentsvollstreckung mit der Mitteilung an die Erben, dass bestimmte Beträge zur Verfügung ständen, habe auch für den Beklagten den Abschluss des Zeitraumes dargestellt, während dessen er sich außerdienstlich fehlverhielt.
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Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Daraus folgt auch die Verpflichtung, der Überzeugungsbildung den im Verfahren festgestellten Sachverhalt vollständig und richtig zugrunde zu legen. Das Gericht darf nicht einzelne erhebliche Tatsachenfeststellungen oder Beweisergebnisse bei seiner rechtlichen Würdigung außer Acht lassen, insbesondere Umstände übergehen, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung hätte aufdrängen müssen. In solchen Fällen fehlt es an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die innere Überzeugungsbildung des Gerichts, auch wenn die darauf basierende rechtliche Würdigung als solche nicht zu beanstanden ist. Darüber hinaus liegt ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO vor, wenn das Gericht einen allgemeinen Erfahrungssatz, ein Gebot der Logik (Denkgesetz) oder der rationalen Beurteilung nicht beachtet (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschlüsse vom 20. Dezember 2013 – 2 B 35.13 – Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 21 Rn. 19, vom 9. Oktober 2014 – 2 B 60.14 – Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 26 Rn. 41 f. m.w.N. und vom 25. November 2020 – 2 B 15.20 – juris Rn. 6). Gemessen daran benennt die Beschwerde keinen Verfahrensverstoß.
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Der Vorwurf der Beschwerde zum Nachtatverhalten geht an der tatrichterlichen Würdigung vorbei; er erfasst ihren Inhalt nicht. Das Berufungsgericht ist ausgehend von dem Ermittlungsstand im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zu der entscheidungserheblichen Überzeugung gelangt, dass selbst dann wenn eine schwere depressive Störung oder sonstige Erkrankung beim Beklagten im Tatzeitraum vorgelegen haben sollte, diese wegen fehlender Antriebslosigkeit nicht kausal für die begangenen Vermögensdelikte gewesen sei. Zudem seien die vom Beklagten geltend gemachten Belastungsfaktoren frühestens ab dem Jahr 2005 belegt; zu den ersten Untreuehandlungen des Beklagten sei es aber bereits ab Oktober 2004 gekommen. Dem Nachtatverhalten des Beklagten hat das Berufungsgericht dagegen rechtsfehlerfrei (vgl. oben 3a, Rn. 13) kein wesentliches, entscheidungserhebliches Gewicht beigemessen.
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5. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 4, 41 LDG SH und § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil für das Beschwerdeverfahren entsprechend der Verweisung von § 41 LDG SH auf Teil 4 des Bundesdisziplinargesetzes Festgebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 78 BDG erhoben werden.