Beschluss des BPatG München 28. Senat vom 12.05.2021, AZ 28 W (pat) 58/20

BPatG München 28. Senat, Beschluss vom 12.05.2021, AZ 28 W (pat) 58/20, ECLI:DE:BPatG:2021:120521B28Wpat58.20.0

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2017 110 324.0

hat der 28. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 12. Mai 2021 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Kortbein und der Richter Hermann und Schödel

beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Das Zeichen

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NATURWAGEN

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ist am 12. Oktober 2017 zur Eintragung als Wortmarke in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register für nachfolgende Waren und Dienstleistungen angemeldet worden:

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Klasse 12:  Wohnwagen; Campingwagen; Campinganhänger; Boote; Hausboote;

5

Klasse 35: Einzelhandels- und Großhandelsdienstleistungen im Zusammenhang mit Wohnwagen, Booten, Hausbooten, Hütten und Zelten;

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Klasse 39: Vermietung von Campingfahrzeugen, Wohnwagen, Booten, Hausbooten, Hütten und Zelten.

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Die Anmeldung wird unter der Nummer 30 2017 110 324.0 beim DPMA geführt.

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Mit Beschluss vom 27. Februar 2019 hat die Markenstelle für Klasse 12 des DPMA durch eine Beamtin des gehobenen Dienstes die Anmeldung wegen fehlender Unterscheidungskraft gemäß §§ 37 Abs. 1, 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die beanspruchten Waren und Dienstleistungen wendeten sich an Gewerbetreibende und Verbraucher. Das Anmeldezeichen sei sprachüblich gebildet und setze sich aus den beiden Substantiven „Natur“ und „Wagen“ zusammen. Der vorangestellte Bestandteil „NATUR“ beschreibe ein besonderes Merkmal des Sachbegriffs „WAGEN“ dahingehend, dass dieser zur Verwendung in der Natur bestimmt und geeignet sei oder aus natürlichen bzw. naturbelassenen Materialien hergestellt werde. Im letztgenannten Sinn werde der Begriff „Natur“ auf zahlreichen Warengebieten in der Werbung verwendet. Die mangelnde lexikalische Nachweisbarkeit könne dem Anmeldezeichen nicht zur Schutzfähigkeit verhelfen. In Verbindung mit den Waren der Klasse 12 entnähmen die angesprochenen Verkehrskreise dem Zeichen den bloßen Sachhinweis, dass die so gekennzeichneten Wagen zum Verweilen in der Natur geeignet und bestimmt seien oder aus naturbelassenen Materialien bestünden. Zudem weise das Zeichen beschreibend darauf hin, dass sich die beanspruchten Dienstleistungen der Klassen 35 und 39 auf derartige Waren bezögen.

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Auf die Erinnerung des damaligen Anmelders hat das DPMA, Markenstelle für Klasse 12, mit Beschluss vom 19. Juni 2020 den Beschluss vom 27. Februar 2019 aufgehoben, soweit die Anmeldung für folgende Waren und Dienstleistungen zurückgewiesen worden ist:

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Klasse 12:  Boote; Hausboote;

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Klasse 35: Einzelhandels- und Großhandelsdienstleistungen im Zusammenhang mit Booten, Hausbooten, Hütten und Zelten;

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Klasse 39: Vermietung von Booten; Vermietung von Hausbooten; Vermietung von Hütten und Zelten.

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Im Übrigen wurde die Erinnerung zurückgewiesen. Zur Begründung wird ausgeführt, dass (Haus-)Boote, Hütten und Zelte üblicherweise nicht als „Wagen“ bezeichnet würden. Ansonsten handele es sich bei dem Anmeldezeichen um eine Bestimmungs-, Beschaffenheits- oder Gegenstandsangabe.

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Hiergegen richtet sich die Beschwerde der jetzigen Anmelderin. Sie vertritt die Ansicht, das angemeldete Wortzeichen sei nicht sprachüblich gebildet und inhaltsleer. Es werde bisher ausschließlich von der Anmelderin verwendet. Im Gegensatz zu diesem seien Komposita mit dem Begriff „Wagen“ wie „Jahreswagen“, „Sperrwagen“, „Stellwagen“, „Sturmwagen“ usw. stets exakt definiert. Das Wort „Natur“ könne im Zusammenhang mit dem technischen Begriff „Wagen“ nicht im Sinne von „natürlich“ oder „naturbelassen“ verstanden werden, da die Waren „Wohnwagen; Campingwagen; Campinganhänger“ künstlich geschaffene Gegenstände seien. Es sei auch nicht ersichtlich, dass diese Waren für die Verwendung in der Natur besonders geeignet seien.

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Die Anmelderin beantragt sinngemäß,

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die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 12 des DPMA vom 27. Februar 2019 und 19. Juni 2020 aufzuheben, soweit die Anmeldung zurückgewiesen worden ist.

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Mit gerichtlichem Schreiben vom 19. Januar 2021 ist die Beschwerdeführerin darauf hingewiesen worden, dass das angemeldete Wortzeichen nicht für schutzfähig erachtet werde.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

19

Die gemäß § 66 Abs. 1 MarkenG statthafte Beschwerde ist zulässig, hat aber keinen Erfolg.

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1. Der Eintragung des angemeldeten Wortzeichens „
NATURWAGEN“ als Marke steht in Verbindung mit den beschwerdegegenständlichen Waren und Dienstleistungen

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Klasse 12:  Wohnwagen; Campingwagen; Campinganhänger;

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Klasse 35: Einzelhandels- und Großhandelsdienstleistungen im Zusammenhang mit Wohnwagen;

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Klasse 39:  Vermietung von Campingfahrzeugen, Wohnwagen

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das absolute Schutzhindernis der fehlenden Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG entgegen. Die Markenstelle hat dem Anmeldezeichen daher insoweit zu Recht die Eintragung versagt (§ 37 Abs. 1 MarkenG).

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a) Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese Waren oder Dienstleistungen somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet (EuGH GRUR 2015, 1198, Rdnr. 59 f. – Nestlé/Cadbury [Kit Kat]; BGH GRUR 2018, 932, Rdnr. 7 – #darferdas?; GRUR 2018, 301, Rdnr. 11 – Pippi-Langstrumpf-Marke; GRUR 2016, 934, Rdnr. 9 – OUI). Denn die Hauptfunktion der Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen zu gewährleisten (EuGH GRUR 2010, 228, Rdnr. 33 – Audi AG/HABM [Vorsprung durch Technik]; BGH, a. a. O. – #darferdas?; a. a. O. – OUI). Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden (BGH, a. a. O. – Pippi-Langstrumpf-Marke). Ebenso ist zu berücksichtigen, dass der Verkehr ein als Marke verwendetes Zeichen in seiner Gesamtheit mit allen Bestandteilen so aufnimmt, wie es ihm entgegentritt, ohne es einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (EuGH GRUR 2004, 428, Rdnr. 53 – Henkel; BGH, a. a. O., Rdnr. 15 – Pippi-Langstrumpf-Marke).

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Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft zum relevanten Anmeldezeitpunkt (BGH GRUR 2013, 1143, Rdnr. 15 – Aus Akten werden Fakten) sind einerseits die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen und andererseits die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise, wobei auf die Wahrnehmung des Handels und/oder des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers der fraglichen Waren oder Dienstleistungen abzustellen ist (EuGH GRUR 2006, 411, Rdnr. 24
– Matratzen Concord/Hukla; BGH GRUR 2014, 376, Rdnr. 11 – grill meister).

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Ausgehend hiervon besitzen Wortzeichen dann keine Unterscheidungskraft, wenn ihnen die angesprochenen Verkehrskreise lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen (EuGH GRUR 2004, 674, Rdnr. 86 – Postkantoor; BGH, a. a. O., Rdnr. 8 – #darferdas?; GRUR 2012, 270, Rdnr. 11 – Link economy) oder wenn sie aus gebräuchlichen Wörtern oder Wendungen der deutschen Sprache oder einer bekannten Fremdsprache bestehen, die vom Verkehr – etwa auch wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung – stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werden (BGH, a. a. O. – #darferdas?; a. a. O., Rdnr. 12 – OUI; GRUR 2014, 872, Rdnr. 21 – Gute Laune Drops). Darüber hinaus besitzen keine Unterscheidungskraft vor allem Angaben, die sich auf Umstände beziehen, die die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen zwar selbst nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird und deshalb die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Verkehr den beschreibenden Begriffsinhalt ohne weiteres erfasst und in der Bezeichnung kein Unterscheidungsmittel für deren Herkunft sieht (BGH, a. a. O. – #darferdas?; a. a. O. – Pippi-Langstrumpf-Marke). Hierfür reicht es aus, dass ein Wortzeichen, selbst wenn es bislang für die beanspruchten Waren und Dienstleistungen nicht beschreibend verwendet wurde oder es sich gar um eine sprachliche Neuschöpfung handelt, in einer seiner möglichen Bedeutungen ein Merkmal dieser Waren und Dienstleistungen bezeichnen kann (EuGH GRUR 2004, 146, Rdnr. 32
– DOUBLEMINT; BGH GRUR 2014, 569, Rdnr. 18 – HOT). Dies gilt auch für ein zusammengesetztes Zeichen, das aus mehreren Begriffen besteht, die nach diesen Vorgaben für sich genommen schutzunfähig sind. Der Charakter einer Sachangabe entfällt bei der Zusammenfügung beschreibender Begriffe jedoch dann, wenn die beschreibenden Angaben durch die Kombination eine ungewöhnliche Änderung erfahren, die hinreichend weit von der Sachangabe wegführt (EuGH MarkenR 2007, 204, Rdnr. 77 f. – CELLTECH; BGH GRUR 2014, 1204, Rdnr. 16  – DüsseldorfCongress).

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Diesen Anforderungen an die Unterscheidungskraft im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG genügt das angemeldete Wortzeichen „
NATURWAGEN“ nicht. Die angesprochenen inländischen Verkehrskreise haben es in Verbindung mit den verfahrensgegenständlichen Waren und Dienstleistungen schon zum Anmeldezeitpunkt, dem 12. Oktober 2017, ausschließlich als Sachangabe verstanden, so dass es sich insoweit nicht als Hinweis auf die Herkunft aus einem bestimmten Unternehmen eignet.

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b) Das sprachregelkonform gebildete Anmeldezeichen setzt sich aus den beiden Bestandteilen „NATUR“ und „WAGEN“ zusammen. Der Begriff „NATUR“ bezeichnet „alles, was an organischen und anorganischen Erscheinungen ohne Zutun des Menschen existiert oder sich entwickelt“ bzw. die „[Gesamtheit der] Pflanzen, Tiere, Gewässer und Gesteine als Teil der Erdoberfläche oder eines bestimmten Gebietes [das nicht oder nur wenig von Menschen besiedelt oder umgestaltet ist]“ (vgl. „www.duden.de“, Suchbegriff „Natur“). Das zweite Zeichenelement „Wagen“ ist ein u. a. „dem Transport von Personen oder Sachen dienendes, auf Rädern rollendes Fahrzeug“ (vgl. „www.duden.de“, Suchbegriff: „Wagen“).

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In seiner Gesamtheit werden die angesprochenen Durchschnittsverbraucher wie auch die Fachkreise im Bereich des Wohnwagen- und Campingfahrzeughandels das Anmeldezeichen ohne analysierende Betrachtungsweise dahingehend auffassen, dass es einen Wagen bezeichnet, der entweder aus naturbelassenen Materialien hergestellt worden ist oder sich für die Verwendung in der Natur in besonderem Maße eignet. Diese begriffliche Unschärfe kann dem Zeichen nicht zur Schutzfähigkeit verhelfen, denn auch relativ vage und allgemeine Informationen können als eine an die angesprochenen Verkehrskreise gerichtete Sachinformation zu bewerten sein. Eine gewisse Allgemeinheit und Unschärfe ist bei eher „reklamehaften“ Informationen sogar unvermeidbar, um den gewünschten, möglichst breiten Bereich waren- bzw. dienstleistungsbezogener Eigenschaften beschreibend erfassen zu können (vgl. BGH GRUR 2008, 900, Rdnr. 13 – SPA II; GRUR 2009, 952, Rdnr. 17 – Willkommen im Leben; BPatG 24 W (pat) 532/14  – Futuring). Auch die Neuheit einer Wortbildung ist weder eine unabdingbare Voraussetzung für deren Eintragungsfähigkeit, noch begründet sie für sich gesehen eine hinreichende Unterscheidungskraft. Daher ist für die Annahme des Schutzhindernisses nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG auch kein lexikalischer oder sonstiger Hinweis erforderlich, dass das Zeichen bereits im Verkehr geläufig ist oder verwendet wird (vgl. Ströbele in Ströbele/Hacker/Thiering, Markengesetz, 13. Auflage, § 8, Rdnr. 173 f.).

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c) In Verbindung mit den verfahrensgegenständlichen Waren und Dienstleistungen weist das Anmeldezeichen einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt oder zumindest einen engen beschreibenden Bezug auf.

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Die Waren der Klasse 12 „
Wohnwagen; Campingwagen; Campinganhänger“, etwa deren Wände, Decken oder Böden, können aus naturbelassenem Material hergestellt sein. In Betracht kommen beispielsweise unbehandelte heimische Hölzer, Pflanzenöle oder Bienenwachs für deren Schutz bzw. Baumharze zum Abdichten. So werden ausweislich des dem Beanstandungsbescheid des DPMA vom 26. Februar 2018 beigefügten Internetbelegs „www.zirkuswagenbau.info“ als „Naturwagen“ bezeichnete Zirkus- und Schäferwagen angeboten, die ausschließlich aus Kiefern-, Lärchen- oder Eichenholz bestehen. Weitere Naturmaterialien wie Hanf und Holzfasern zur Dämmung sind denkbar. Ferner ist es möglich, durch den Einbau von besonders leichten Naturmaterialien die CO
2-Emissionen beim Betrieb der Waren zu verringern.

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Des Weiteren können sich vorgenannte Waren in besonderem Maße für eine Verwendung in der Natur eignen, etwa dergestalt, dass die Wohnwagen, Campingwagen und Campinganhänger über ein besonders naturschonendes Abwasser- bzw. Wasseraufbereitungssystem verfügen oder aber vergleichbare ökologische Vorteile aufweisen.

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Die verfahrensgegenständlichen Dienstleistungen der Klasse 35 „
Einzelhandels- und Großhandelsdienstleistungen im Zusammenhang mit Wohnwagen“ und der Klasse 39 „
Vermietung von Campingfahrzeugen, Wohnwagen“ können den Handel bzw. die Vermietung vorgenannter Waren zum Gegenstand haben. Wenn ein Zeichen für eine Ware beschreibend ist, führt dies regelmäßig auch zur Schutzunfähigkeit für die entsprechenden Einzel- und Großhandelsdienstleistungen, da zwischen diesen Tätigkeiten und den Waren, mit denen Handel getrieben werden soll, eine funktionelle Nähe besteht (vgl. BPatG 29 W (pat) 28/16 – Bodenarena; 29 W (pat) 41/12 – CAMOMILLA; 29 W (pat) 525/10 – fashion.de; 29 W (pat) 196/10 – Küchenzauber; 29 W (pat) 62/10 – winestyle; 29 W (pat) 505/10 – Klebewelten.de; 29 W (pat) 43/04 – print24). Nichts Anderes gilt für die Dienstleistung der Vermietung.

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2. Da es dem angemeldeten Wortzeichen hinsichtlich der beschwerdegegenständlichen Waren und Dienstleistungen an jeglicher Unterscheidungskraft mangelt, kann dahingestellt bleiben, ob seiner Eintragung auch ein schutzwürdiges Interesse der Mitbewerber an seiner freien Verwendbarkeit entgegensteht (§ 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG).