Urteil des BGH 2. Strafsenat vom 28.04.2021, AZ 2 StR 223/20

BGH 2. Strafsenat, Urteil vom 28.04.2021, AZ 2 StR 223/20, ECLI:DE:BGH:2021:280421U2STR223.20.0

§ 239b StGB, § 224 Abs 1 Nr 2 StGB

Verfahrensgang

vorgehend LG Marburg, 25. Februar 2020, Az: 4 Js 6396/19 – 1 KLs

Tenor

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Marburg vom 25. Februar 2020 wird verworfen.

2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten verurteilt. Die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg.

I.

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1. Nach den Feststellungen des Landgerichts kam es am 19. April 2019 zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau zu einem Streit, infolgedessen der Angeklagte das gemeinsam bewohnte Haus mit einem Koffer verließ, jedoch im Laufe des Tages zurückkehrte. Der Streit wurde beigelegt. Für den nächsten Tag plante die Familie einen Familienbesuch in den Niederlanden. Am Morgen des 20. April 2019 kam es erneut zu einem Streit zwischen den Eheleuten, da     H.   , die Ehefrau des Angeklagten, entgegen einer zuvor getroffenen Absprache ihren Ehemann nicht bei der Durchführung eines geplanten Ölwechsels begleiten, sondern nunmehr die Wohnung reinigen und anschließend für die Reise packen wollte. Anlässlich dieses Streits und aufgrund der Befürchtung, von seiner Ehefrau betrogen zu werden, ließ der Angeklagte sein Handy in der Wohnung zurück und schaltete die Tonaufnahmefunktion ein. Sodann fuhr er mit dem PKW fort, um den Ölwechsel vorzunehmen. Zwei Stunden später kehrte er zurück und nahm anschließend das Handy wieder an sich. Anschließend fuhren die Eheleute einkaufen. Nachdem sie wieder zurückgekehrt waren, verließ der Angeklagte unter einem Vorwand das Haus und hörte das Handy ab. Hierbei gelangte er zu der Überzeugung, auf der Tonaufnahme seien Stimmen und Geräusche zu hören, die darauf schließen ließen, dass ihn seine Ehefrau mit einem anderen Mann betrüge.

3

Der Angeklagte ging ins Haus zurück und begab sich ins Badezimmer, wo seine Ehefrau den Sohn A.    wusch. Diesen zerrte er aus dem Bad heraus, so dass er sich mit seiner Ehefrau alleine dort befand. „Anschließend schloss er die Badezimmertür von innen ab und zog ein mitgeführtes Küchenmesser. Er konfrontierte seine Frau unter Vorhalt desselben mit seinem Verdacht, dass sie ihn mit einem anderen Mann betrüge, und sagte zu ihr, dass er sie umbringen werde, wenn sie diesbezüglich nicht die Wahrheit sagen würde.“ Unter fortwährendem Vorhalt des Messers forderte der Angeklagte seine Ehefrau sodann auf, sich auf den Rand der Badewanne zu setzen und sich die von ihm mit seinem Handy gefertigte Tonaufnahme anzuhören.

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   H.   erklärte, auf der Aufnahme nur Kinderstimmen zu hören, und schwor bei Gott, ihren Ehemann nicht zu betrügen. Daraufhin schlug der Angeklagte sie mit der flachen Hand ins Gesicht und stach mit dem Messer mehrfach auf sie ein. Er fügte ihr insgesamt acht Schnitt- und Stichverletzungen zu, wobei sie bereits nach der ersten Schnittverletzung am Unterarm ohnmächtig wurde. Zu weiteren Schnitt-/Stichverletzungen kam es im Brust- und Schulterbereich. Anschließend schloss der Angeklagte die Badezimmertür wieder auf und verließ – ohne weiter auf die Einräumung des erhobenen Vorwurfs der Untreue zu drängen – mit den Kindern das Haus.

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   H.    gelangte wieder zu Bewusstsein und legte sich anschließend im Wohnzimmer auf ein Sofa. Als der Angeklagte nach Hause zurückgekehrt war, fragte er seine Ehefrau erneut, ob sie nicht endlich alles sagen wolle. Dabei führte er das zuvor verwendete Messer nicht mehr bei sich. Sodann verließ er erneut das Haus und fuhr mit den Kindern im PKW fort. In Sorge um die Kinder verließ auch     H.   , die den Angeklagten hatte wegfahren hören, das Haus. Auf der Straße wurde sie von Nachbarn aufgegriffen und unverzüglich erstversorgt. Diese verständigten auch Rettungskräfte, die nach ihrem Eintreffen die weitere Versorgung übernahmen.

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Während seiner Fahrt rief auch der Angeklagte den Notruf an und teilte mit, dass seine Frau Hilfe benötigen würde. Er telefonierte auch mit einem Verwandten, der wiederum seinen Onkel anrief und diesen aufforderte, nach     H.    zu schauen, was diese auch taten.

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    H.    wurde im Krankenhaus operativ versorgt. Ohne die Operation hätten die mit dem Messer zugefügten Verletzungen – insbesondere ein Hämatopneumothorax und die Eröffnung des Bauchraums mit Verletzung des Dünndarms und arteriellen Blutungen – binnen weniger Stunden zu ihrem Tod geführt.

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2. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Geiselnahme gemäß § 239b Abs. 1 Var. 2 StGB verurteilt, weil er sich der Zeugin H.    bemächtigt habe, indem er sie unter Vorhalt eines Messers im Badezimmer eingeschlossen habe. Die insofern geschaffene stabile Bemächtigungslage habe er – wie von Anfang an beabsichtigt – ausgenutzt, ihr unter Vorhalt eines Messers mit dem Tode zu drohen, um so zu erreichen, dass die Zeugin ein außereheliches Verhältnis einräume. Zudem habe er tateinheitlich den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB verwirklicht.

II.

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Die Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg.

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1. Der Schuldspruch weist keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Insbesondere die Verurteilung wegen Geiselnahme hält rechtlicher Nachprüfung stand. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe durch das Einschließen im Badezimmer eine stabile Bemächtigungslage geschaffen, die er – wie von Anfang an beabsichtigt – zu einer qualifizierten Nötigung ausgenutzt habe, begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

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a) Der Tatbestand der Geiselnahme setzt ein Entführen oder Sich-Bemächtigen eines Menschen voraus. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt ein Sich-Bemächtigen vor, wenn der Täter die physische Herrschaft über einen anderen erlangt, wobei weder eine Ortsveränderung erforderlich ist, noch der Tatbestand der Freiheitsberaubung erfüllt sein muss (vgl. BGH NStZ 2006, 448 f. mwN). Diese Bemächtigung muss zu einer „gewissen Stabilisierung“ der Lage des Opfers geführt haben. Denn nur dann kann der Täter gerade – wie es der Tatbestand des § 239b StGB verlangt (BGHSt 40, 350, 355) – die von ihm geschaffene Lage zur (weiteren) Nötigung ausnutzen. Die „stabilisierte“ Bemächtigungslage muss deshalb für die nachfolgende Nötigung eine eigenständige Bedeutung haben; es muss sich gerade aus dieser stabilen Bemächtigungslage über die mit jeder Bemächtigung verbundenen Beherrschungssituation hinaus eine weitergehende Drucksituation auf das Opfer ergeben (BGHSt 40, 350, 359; vgl. ferner BGH NStZ 2006, 448, 449; NStZ 2007, 32).

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b) Gemessen daran liegen die Voraussetzungen einer Geiselnahme nach § 239b Abs. 1 1. Hs. 2. Var. StGB vor.

13

Der Angeklagte hat sich – entgegen der Annahme des Landgerichts – nicht erst, als er die Badezimmertür verschlossen hat (vgl. zum Verschließen einer Tür als Sich-Bemächtigen Senat, Urteil vom 27. Januar 2016 – 2 StR 438/15), sondern hier bereits in dem Augenblick, als er seinen Sohn A.    aus dem Badezimmer gezerrt hatte und dort mit seiner Ehefrau allein war, ihrer bemächtigt. Mit dem anschließenden Abschließen der Tür ist es     H.   sodann unmöglich geworden, das Badezimmer ohne Weiteres zu verlassen. Hierzu hätte sie nicht nur den zu erwartenden Widerstand ihres Ehemannes überwinden, sondern auch noch die verschlossene Tür öffnen müssen. Damit ist zwar binnen kurzer Zeit, aber doch in deutlicher zeitlicher Abfolge eine stabile Bemächtigungssituation entstanden, aus der sich für die Ehefrau des Angeklagten über die sich mit jeder Bemächtigung verbundene Beherrschungslage hinaus eine besondere Drucksituation ergeben hat. Von ausschlaggebender Bedeutung für die Annahme einer stabilen Bemächtigungslage ist insoweit insbesondere die Intensität der Bemächtigungslage, die hier wesentlich durch das Einsperren herbeigeführt wurde (vgl. BGH NStZ 2007, 32, 33). Die eingetretene Stabilisierung diente aus der Sicht des zielgerichtet vorgehenden Angeklagten auch „als Basis für die folgende weitere Nötigung“ (vgl. BGH NStZ 2006, 448, 449; StV 1996, 266), mit der er seine auf dem Badewannenrand sitzende Ehefrau unter Vorhalt eines Messers bei gleichzeitigem Vorspielen der von ihm gefertigten Tonaufnahmen und ausgesprochener Todesdrohung zu Angaben hinsichtlich einer von ihm vermuteten Beziehung zu einem anderen Mann veranlassen wollte. Der Angeklagte versprach sich gerade auch durch das Einsperren seiner Ehefrau Erfolg hinsichtlich der von ihm während der stabilen Bemächtigungssituation ausgesprochenen qualifizierten Drohung; er hat damit die Bemächtigungslage zu einer Drohung mit dem Tode im Sinne von § 239b Abs. 1 Var. 1 StGB ausgenutzt.

14

2. Auch der Strafausspruch begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Wie der Generalbundesanwalt bereits in seiner Zuschrift zutreffend ausgeführt hat, ist es nicht zu beanstanden, dass das Landgericht den Umständen, die zur Annahme eines minder schweren Falles geführt haben, im Rahmen der konkreten Strafzumessung geringeres Gewicht beigemessen haben, als wenn sie innerhalb des Regelstrafrahmens abzuwägen gewesen wären (Senat, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Gesamtbewertung 1).

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