Beschluss des BVerwG 4. Senat vom 22.04.2021, AZ 4 BN 59/20

BVerwG 4. Senat, Beschluss vom 22.04.2021, AZ 4 BN 59/20, ECLI:DE:BVerwG:2021:220421B4BN59.20.0

Verfahrensgang

vorgehend Oberverwaltungsgericht des Saarlandes, 20. August 2020, Az: 2 C 264/19, Urteil

Tenor

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem auf die mündliche Verhandlung vom 20. August 2020 ergangenen Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 15 000 € festgesetzt.

Gründe

1

Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

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1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, die ihr die Beschwerde beimisst.

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Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 – 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90 <91> und vom 14. Oktober 2019 – 4 B 27.19 – ZfBR 2020, 173 Rn. 4).

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Die Beschwerde möchte grundsätzlich geklärt wissen,

ob für die Pflicht, in einem Bebauungsplanverfahren bei der Zusammenstellung des Abwägungsmaterials ein Bodengutachten einholen zu müssen, allein der Umstand ausreicht, dass ein vormals gewerblich genutztes Grundstück überplant werden soll, ohne dass weitere konkrete Anhaltspunkte bestehen, die auf das Vorliegen einer Altlast schließen lassen.

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Diese Frage führt nicht zur Zulassung der Revision, weil sie sich dem Oberverwaltungsgericht in dieser Form nicht gestellt hat (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 5. Oktober 2009 – 6 B 17.09 – Buchholz 442.066 § 24 TKG Nr. 4 Rn. 7 und vom 6. Mai 2010 – 6 B 73.09 – Buchholz 448.0 § 29 WPflG Nr. 24 = juris Rn. 4) und sie sich im Übrigen einer rechtsgrundsätzlichen Klärung entzieht.

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§ 1 Abs. 7 BauGB bestimmt, dass bei der Aufstellung der Bauleitpläne die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen sind. § 2 Abs. 3 BauGB ergänzt dieses materiell-rechtliche Abwägungsgebot um die Verfahrensanforderung (siehe § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB), dass die abwägungserheblichen Belange zu ermitteln und zu bewerten sind. Zu ermitteln, bewerten und gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen sind alle Belange, die in der konkreten Planungssituation nach Lage der Dinge in die Abwägungsentscheidung eingestellt werden müssen. Belange, die für die Gemeinde bei der Entscheidung über einen Bauleitplan nicht erkennbar waren, sind nicht abwägungsbeachtlich. Die Ermittlungspflichten des § 2 Abs. 3 BauGB erstrecken sich deshalb nicht auf Umstände, deren Ermittlung der Gemeinde unmöglich ist (BVerwG, Beschlüsse vom 30. Juni 2014 – 4 BN 38.13 – BauR 2014, 1745 <juris Rn. 6> und vom 12. Juni 2018 – 4 B 71.17 – ZfBR 2018, 601 <juris Rn. 5 ff.> m.w.N.).

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Welche Belange abwägungserheblich sind und welche Ermittlungspflichten die planende Gemeinde treffen, sind Fragen des jeweiligen Einzelfalls. Die Beschwerde unterstellt insofern Umstände, die nicht festgestellt sind. Das Oberverwaltungsgericht hat nicht angenommen, dass konkrete Anhaltspunkte für eine Bodenkontamination fehlen, sondern hat aus der Niederschrift der Sitzung des Gemeinderats vom 21. Juni 2018 und der Beschlussfassung zur Einholung eines Bodengutachtens geschlossen, dass der Gemeinderat eine Bodenkontaminierung für möglich hält, weitere Aufklärung für geboten erachtet und mögliche Altlasten als abwägungserheblichen Belang angesehen hat (UA S. 20 und 22). Ferner hat es auf die konkrete Art der baulichen Nutzung – eine Gärtnerei – hingewiesen (UA S. 19). Die Beschwerde zeigt nicht auf, inwiefern gleichwohl fallübergreifender Klärungsbedarf besteht.

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2. Eine Abweichung von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist nicht dargelegt.

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Eine die Revision eröffnende Divergenz ist nur dann gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten, die Entscheidung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 – 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26). Dabei müssen die nach Auffassung der Beschwerde divergierenden Rechtssätze unter Angabe der höchstrichterlichen Entscheidung, von der abgewichen sein soll, präzise gegenübergestellt werden. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht in der Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge nicht (stRspr, BVerwG, Beschlüsse vom 17. Dezember 2010 – 8 B 38.10 – ZOV 2011, 45 und vom 17. Februar 2015 – 1 B 3.15 – juris Rn. 7).

10

Diesen Anforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht. Sie will der Rechtsprechung des Senats unter Hinweis auf eine Vielzahl von Entscheidungen entnehmen, dass bei Verwirklichung eines Bebauungsplans ein Rechtsschutzbedürfnis nicht mehr vorliegt, wenn die Bebauung des Nachbargrundstücks auch bei Unwirksamkeit des Bebauungsplans hätte genehmigt werden müssen (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss des Senats vom 22. September 1995 – 4 NB 18.95 – Buchholz 310, § 47 VwGO Nr. 108). Es kann dahinstehen, ob damit ein abstrakter Rechtssatz bezeichnet ist. Das Oberverwaltungsgericht hat jedenfalls keinen entgegenstehenden Rechtssatz aufgestellt, sondern ist davon ausgegangen, dass die rechtliche Situation bezüglich des Nachbargrundstücks noch nicht geklärt ist (UA S. 16). Soweit die Beschwerde dem ihre eigene rechtliche Bewertung entgegenhält, vermag dies eine Divergenz nicht zu begründen.

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Eine Divergenz ist auch nicht aufgezeigt, sofern die Beschwerde der Rechtsprechung des Senats den Rechtssatz entnehmen will, dass der Antragsteller seine Rechtsstellung durch einen erfolgreichen Angriff auf den Bebauungsplan in der Regel nicht mehr verbessern kann, sofern der Bebauungsplan durch genehmigte oder genehmigungsfreie Maßnahmen vollständig verwirklicht ist (vgl. hierzu BVerwG, Beschlüsse 29. September 2015 – 4 BN 25.15 – Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 205 <juris Rn. 6> und vom 29. Januar 2019 – 4 BN 15.18 – juris Rn. 5; siehe auch Urteil vom 25. Juni 2020 – 4 CN 5.18 – BauR 2020, 1726 <juris Rn. 19 f.> m.w.N.). Das Oberverwaltungsgericht ist zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Verbesserung der Rechtsstellung der Antragsteller im vorliegenden Fall nicht ausgeschlossen ist, weil die Antragsteller die Baugenehmigungen auf dem Nachbargrundstück angefochten haben und über diese Klagen noch nicht entschieden ist. Dies steht mit der Rechtsprechung des Senats im Einklang (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juni 2020 – 4 CN 3.19 – Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 220 <juris Rn. 17>; Beschlüsse vom 28. August 1987 – 4 N 3.86 – BVerwGE 78, 85 <91 f.> und vom 9. Februar 1989 – 4 NB 1.89 – Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 37 <juris Rn. 6>).

12

Es liegt auch keine Divergenz zu dem Urteil des Senats vom 29. September 1978 – 4 C 30.76 – (BVerwGE 56, 283) und dem Beschluss des Senats vom 25. Februar 1997 – 4 NB 40.96 – (Buchholz 406.11 § 215 BauGB Nr. 9) vor. Fragen der Änderung der Sach- und Rechtslage nach Beschlussfassung über den Bebauungsplan sind vorliegend nicht aufgeworfen. Das Oberverwaltungsgericht hat der Sitzungsniederschrift des Gemeinderats vom 21. Juni 2018 und dem Beschluss über die Einholung eines Bodengutachtens entnommen, dass der Gemeinderat die Frage der Altlasten für abwägungserheblich gehalten hat, gleichwohl aber darauf verzichtet hat, diesen Umstand vor der Beschlussfassung über den Bebauungsplan aufzuklären (UA S. 20).

13

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.