BGH 10. Zivilsenat, Beschluss vom 20.04.2021, AZ X ARZ 562/20, ECLI:DE:BGH:2021:200421BXARZ562.20.0
Verfahrensgang
vorgehend AG Hamburg, 21. November 2020, Az: 46 C 300/18
Tenor
Zuständiges Gericht ist das Verwaltungsgericht Hamburg.
Gründe
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I. Der Kläger nimmt den Beklagten auf Zahlung von Abschleppkosten und Standgebühren in Anspruch.
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Der Kläger betreibt ein Autohaus und einen Abschleppdienst. Im Juli 2017 verursachte die Lebensgefährtin des Beklagten mit dessen Fahrzeug einen Verkehrsunfall. In dessen Folge blieb das Fahrzeug fahruntauglich am Unfallort zurück. Der Beklagte erklärte gegenüber den hinzugezogenen Polizeibeamten, dass er das Fahrzeug am Folgetag selbst abschleppen möchte. Die Polizeibeamten erklärten, sie wüssten nicht, ob dies ein Sicherheitsrisiko begründe. Der Beklagte übergab den Polizeibeamten daraufhin die Autoschlüssel.
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Ohne weitere Rücksprache mit dem Beklagten kontaktierten die Polizeibeamten die Abschleppzentrale Niedersachsen-Bremen. Daraufhin schleppte der Kläger das Fahrzeug auf sein Firmengelände. Wegen des hierfür anfallenden Entgelts nimmt er den Beklagten in Anspruch.
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Nach Anhörung beider Parteien hat das Amtsgericht Hamburg den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Hamburg verwiesen.
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Das Verwaltungsgericht Hamburg hat den Rechtsstreit an das Amtsgericht Hamburg zurückverwiesen.
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Daraufhin hat das Amtsgericht Hamburg die Sache dem Bundesgerichtshof zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
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II. Das zuständige Gericht ist in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu bestimmen.
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1. Bei negativen Kompetenzkonflikten zwischen Gerichten verschiedener Gerichtszweige ist § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO entsprechend anwendbar.
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Obwohl ein nach § 17a GVG ergangener und unanfechtbar gewordener Beschluss, mit dem ein Gericht den beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verwiesen hat, nach dem Gesetz keiner weiteren Überprüfung unterliegt, ist eine regelmäßig deklaratorische Zuständigkeitsbestimmung entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit geboten, wenn es innerhalb eines Verfahrens zu Zweifeln über die Bindungswirkung der Verweisung kommt und deshalb keines der in Frage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten, oder wenn die Verfahrensweise eines Gerichts die Annahme rechtfertigt, dass der Rechtsstreit von diesem nicht prozessordnungsgemäß gefördert werden wird, obwohl er gemäß § 17b Abs. 1 GVG vor ihm anhängig ist (BGH, Beschluss vom 19. August 2019 – X ARZ 329/19, DGVZ 2019, 258 Rn. 5; Beschluss vom 24. Oktober 2017 – X ARZ 326/17, NJW-RR 2018, 250 Rn. 7; Beschluss vom 11. Juli 2017 – X ARZ 76/17, WM 2017, 1755 Rn. 4 mwN).
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So liegt der Fall hier. Sowohl das Amtsgericht als auch das Verwaltungsgericht haben eine inhaltliche Befassung mit der Sache abgelehnt.
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2. Der Bundesgerichtshof ist für die Entscheidung zuständig.
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Sofern zwei Gerichte unterschiedlicher Rechtswege ihre Zuständigkeit verneint haben, obliegt die Bestimmung des zuständigen Gerichts demjenigen obersten Gerichtshof des Bundes, der zuerst darum angegangen wird (BGH, DGVZ 2019, 258 Rn. 6; NJW-RR 2018, 250 Rn. 8; Beschluss vom 29. April 2014 – X ARZ 172/14, NJW 2014, 2125 Rn. 7).
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III. Zuständiges Gericht ist das Verwaltungsgericht Hamburg.
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Seine Zuständigkeit ergibt sich aus der Bindungswirkung des rechtskräftigen Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Hamburg nach § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG.
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1. Ein nach § 17a GVG ergangener Beschluss, mit dem ein Gericht den zu ihm beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Gericht eines anderen Rechtswegs verwiesen hat, ist einer weiteren Überprüfung entzogen, sobald er unanfechtbar geworden ist.
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Ist das zulässige Rechtsmittel nicht eingelegt worden oder ist es erfolglos geblieben oder zurückgenommen worden, ist die Verweisung für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtswegs gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG bindend (BGH, DGVZ 2019, 258 Rn. 8; WM 2017, 1755 Rn. 8; NJW 2014, 2125 Rn. 9).
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So verhält es sich hier. Eine sofortige Beschwerde nach § 567 ZPO an das Landgericht (vgl. § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG) ist innerhalb der Rechtsmittelfrist nicht eingelegt worden.
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2. Die Korrektur einer bindenden Entscheidung kommt im Verfahren entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO allenfalls in extremen Ausnahmefällen in Betracht.
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a) Das Gesetz misst zwar der Entscheidung des Rechtsstreits durch ein Gericht des zulässigen Rechtswegs größere Bedeutung zu als der Entscheidung durch das örtlich oder sachlich zuständige Gericht. Das gesetzliche Mittel zur Sicherung einer Entscheidung durch das Gericht des zulässigen Rechtswegs ist aber allein die Eröffnung des Rechtsmittels gegen den Verweisungsbeschluss.
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Ist die örtliche oder sachliche Zuständigkeit zweifelhaft, ist die Verweisung nicht nur bindend (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO), sondern auch der Überprüfung im Rechtsmittelzug entzogen (§ 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Demgegenüber kann die Frage des Rechtswegs im Rechtsmittelzug – uneingeschränkt – überprüft werden; insoweit muss gegebenenfalls das Interesse der nicht rechtsmittelführenden Partei an einer zügigen Sachprüfung des Klagebegehrens zurücktreten. Damit hat es jedoch auch sein Bewenden: Nicht das Gericht des von dem verweisenden Gericht für zulässig erachteten Rechtswegs, sondern allein das Rechtsmittelgericht ist zu einer Überprüfung berufen.
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b) Für eine Durchbrechung der Bindungswirkung, wie sie im Anwendungsbereich des § 281 Abs. 1 ZPO insbesondere für objektiv willkürliche Entscheidungen anerkannt ist, ist deshalb grundsätzlich kein Raum.
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Nicht das Gericht, an das verwiesen wird, sondern die Parteien sollen vor willkürlichen oder sonst jeder gesetzlichen Grundlage entbehrenden Entscheidung geschützt werden, mit der ihr Streitfall dem zuständigen Gericht und damit dem gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entzogen wird. Steht den Parteien aber ein Rechtsmittel zu Gebote und wird dieses nicht genutzt, besteht grundsätzlich kein Anlass, dem Gericht des für zulässig erklärten Rechtswegs die Befugnis zuzubilligen, sich an die Stelle des Rechtsmittelgerichts zu setzen (BGH, DGVZ 2019, 258 Rn. 10; Beschluss vom 2. Oktober 2018 – X ARZ 482/18, NJOZ 2019, 487 Rn. 12; Beschluss vom 14. Mai 2013 – X ARZ 167/13, MDR 2013, 1242 Rn. 12).
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c) Der Bundesgerichtshof hat bislang offenlassen können, ob Ausnahmefälle denkbar sind, in denen die bindende Wirkung einer rechtskräftigen Verweisung zu verneinen ist und diese Frage kann auch im Streitfall offenbleiben.
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Eine Durchbrechung der Bindungswirkung kommt allenfalls bei, wie es das Bundesverwaltungsgericht formuliert hat (BVerwG, Beschluss vom 8. November 1994 – 9 AV 1/94, NVwZ 1995, 372), „;extremen Verstößen“ gegen die den Rechtsweg und seine Bestimmung regelnden materiell- und verfahrensrechtlichen Vorschriften in Betracht (BGH, DGVZ 2019, 258 Rn. 11; Beschluss vom 16. April 2019 – X ARZ 143/19, ZInsO 2019, 260 Rn. 13; BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2017 – X ARZ 326/17, NJW-RR 2018, 250 Rn. 19 mwN).
25
Ein solcher Rechtsverstoß liegt im Streitfall nicht vor.
26
aa) Das Amtsgericht hat entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts keinen Vortrag des Klägers zum Ablauf des Abschleppvorgangs übergangen.
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Das Amtsgericht ist auf der Grundlage des Klagevortrags zu dem Ergebnis gelangt, der Abschleppvorgang sei trotz der Übergabe der Fahrzeugschlüssel an die Polizeibeamten nicht auf der Grundlage eines privatrechtlichen Rechtsverhältnisses erfolgt, sondern als polizeirechtliche Vollstreckungsmaßnahme. Damit hat es das Vorbringen des Klägers nicht übergangen, sondern abweichende rechtliche Schlussfolgerungen daraus gezogen.
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Ob die vom Amtsgericht vertretene Rechtsauffassung zutrifft, ist im vorliegenden Zusammenhang unerheblich. Sie lässt jedenfalls keinen extremen Rechtsverstoß im oben genannten Sinne erkennen.
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bb) Gegenteiliges ergibt sich nicht daraus, dass das Amtsgericht davon abgesehen hat, zur weiteren Sachverhaltsaufklärung den polizeilichen Unfallbericht beizuziehen.
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Zu einer Beiziehung des Unfallberichts hatte das Amtsgericht im Streitfall keinen Anlass. Die Rechtswegzuständigkeit ist zwar in erster Instanz grundsätzlich von Amts wegen zu prüfen (Zöller/Lückemann, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 13 GVG Rn. 51;Wieczorek/Schütze/Schreiber, ZPO Band 13/1, 4. Aufl. 2018, § 13 GVG Rn. 4). Eine Prüfung von Amts wegen bedeutet aber keine Amtsermittlung. Sie beschränkt sich vielmehr auf den dem Gericht unterbreiteten oder offenkundigen Prozessstoff und erforderlichenfalls auf die Erteilung von Hinweisen gemäß § 139 Abs. 3 ZPO (BGH, Urteil vom 31. Januar 1991 – III ZR 150/88, NJW 1991, 3095, 3096; Urteil vom 20. Januar 1989 – V ZR 173/87, NJW 1989, 2064, 2065).
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Diesen Anforderungen wird die Vorgehensweise des Amtsgerichts gerecht. Das Amtsgericht hat die Parteien darauf aufmerksam gemacht, dass nach seiner Ansicht der Verwaltungsrechtsweg eröffnet sei. Es hätte danach an den Parteien gelegen, weitere Einzelheiten vorzutragen und gegebenenfalls auf den Polizeibericht Bezug zu nehmen.
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Demnach war eine Beiziehung des polizeilichen Unfallberichts auch nach § 273 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nicht veranlasst. Auch diese Vorschrift ermächtigt nicht zur Amtsermittlung. Zulässig wäre eine Aktenanforderung nur dann gewesen, wenn und soweit sich eine Partei unter Angabe der erheblichen Aktenteile auf den behördlichen Vorgang bezogen hätte (vgl. zu diesem Erfordernis BGH, Urteil vom 12. November 2003 – XII ZR 109/01, NJW 2004, 1324, 1325; BVerfG, Beschluss vom 6. März 2014 – 1 BvR 3541/13, NJW 2014, 1581 Rn. 22).
- Bacher
- Grabinski
- Hoffmann
- Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Marx ist wegen der Covid-
19-Pandemie an der
Unterschrift gehindert. - Kober-Dehm
- Bacher