BVerwG Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs 2 VwGO, Beschluss vom 19.04.2021, AZ 20 F 9/20, ECLI:DE:BVerwG:2021:190421B20F9.20.0
Verfahrensgang
vorgehend Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, 26. August 2020, Az: 9 AS 2/20, Beschluss
Tenor
Die Beschwerden der Beklagten und der Beigeladenen zu 1 und zu 2 werden zurückgewiesen.
Die Beklagte, die Beigeladene zu 1 und die Beigeladene zu 2 tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu je einem Drittel. Alle Beteiligten tragen ihre eigenen außergerichtlichen Kosten selbst.
Gründe
I
1
In dem diesem Zwischenverfahren zugrunde liegenden verwaltungsrechtlichen Hauptsacheverfahren verlangt die Klägerin auf der Grundlage des Hamburgischen Transparenzgesetzes (HmbTG) von der beklagten Fachhochschule die Vorlage der Bachelorarbeit der Beigeladenen zu 1, der Masterarbeit der Beigeladenen zu 2 sowie von Prüfervoten und Zwischenberichten hierzu.
2
Die Klägerin ist ein auf dem Gebiet der Arzneimittelentwicklung forschendes Unternehmen. Ihr waren … durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung Fördermittel für ein Projekt zur Arzneimittelentwicklung … bewilligt worden. Die Klägerin hatte die … (im Folgenden: A.) vertraglich in das Projekt einbezogen und mit ihr vereinbart, dass sie bisherige Forschungsergebnisse geheim halten und keine eigenen Forschungen hierzu anstellen dürfe. Die Beigeladene zu 1 war als Praktikantin und zur Anfertigung ihrer Bachelorarbeit bei der A. angestellt gewesen. Die Beigeladene zu 2 war ebenfalls Mitarbeiterin der A. und hatte von dieser für die Erstellung ihrer Masterarbeit die Bachelorarbeit der Beigeladenen zu 1 erhalten. Die Klägerin sah darin eine Verletzung der vertraglichen Vereinbarungen und machte in einem Zivilrechtsstreit vertragswidrige Verletzungen ihres geistigen Eigentums geltend. In diesem Rechtsstreit wurde die A. durch Urteil des Landgerichts B., neugefasst durch das Hanseatische Oberlandesgericht, rechtskräftig u.a. verpflichtet, die Bachelorarbeit der Beigeladenen zu 1 vorzulegen. Nachdem in der Folge Streit darüber entstand, ob die der Klägerin übersandten Versionen der Bachelorarbeit der bei der Fachhochschule eingereichten Fassung entsprachen, hat die Klägerin ein Zwangsvollstreckungsverfahren beim Landgericht B. anhängig gemacht.
3
Im verwaltungsgerichtlichen Hauptsacheverfahren erhob die Klägerin im März 2019 Klage zum Verwaltungsgericht …, nachdem die beklagte Fachhochschule ihren Auskunftsantrag mit Bescheid vom 30. Oktober 2018 abgelehnt hatte und ihr Widerspruch erfolglos blieb.
4
Nach Klageerhebung beantragten die Beigeladenen zu 1 und zu 2, die Beigeladene zu 3 zur Abgabe einer Sperrerklärung zu verpflichten. Diese gab daraufhin die Sperrerklärung vom 29. Januar 2020 ab. Die zu den Anträgen der Beigeladenen auf Erlass der Sperrerklärung anhängigen Verfahren wurden eingestellt.
5
Das Verwaltungsgericht … beschloss unter dem 20. März 2020, durch Vorlage der Bachelorarbeit der Beigeladenen zu 1, der Masterarbeit der Beigeladenen zu 2 sowie der Prüfervoten und etwaiger Zwischenberichte hierzu über die Behauptung der Beklagten und der Beigeladenen, der Vorlage der genannten Dokumente stünden Ausschlussgründe nach dem Hamburgischen Transparenzgesetz entgegen, Beweis zu erheben. Es handele sich um amtliche Informationen im Sinne von § 1 Abs. 2 HmbTG, hinsichtlich derer nach § 1 Abs. 2 HmbTG grundsätzlich ein Informationsanspruch bestehe. Ohne die Vorlage der angeforderten Dokumente könne nicht beurteilt werden, ob und in welchem Umfang dem Informationsanspruch Ausschlussgründe nach § 7 Nr. 7 Halbs. 1, § 8 Abs. 1 oder § 4 Abs. 3 HmbTG eingreifen würden.
6
Mit Schriftsätzen vom 17. März und vom 30. Juni 2020 beantragte die Klägerin, die Verweigerung der Aktenvorlage durch die Beklagte zu überprüfen, die Rechtswidrigkeit der Sperrerklärung festzustellen und diese aufzuheben.
7
Mit Beschluss vom 26. August 2020 hat der Fachsenat des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts die Rechtswidrigkeit der Sperrerklärung vom 29. Januar 2020 festgestellt und den Antrag im Übrigen abgelehnt. Zwar sei die Sperrerklärung von der hierfür zuständigen Behörde abgegeben worden. Sie sei aber materiell rechtswidrig, weil sie sich zu Unrecht auf die Geheimhaltungspflicht nach einem Gesetz im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 VwGO berufe. Die Begründung sei nicht tragfähig, weil dies nur mit einer Norm des Hamburgischen Transparenzgesetzes begründet werde, die den Informationsanspruch im Hauptsacheverfahren einschränke oder ausschließe. Es sei nicht von Amts wegen zu prüfen, ob die Sperrerklärung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO aufrechterhalten werden könne. Der Fachsenat überprüfe die Sperrerklärung in der Form, in der sie abgegeben worden sei. Soweit in der Sperrerklärung ergänzend zum Schutz personenbezogener Daten ausgeführt werde, sei dies § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 VwGO zuzuordnen. Sinngemäß mache die Beigeladene zu 3 den Ausschlussgrund des § 4 Abs. 3 HmbTG geltend und berufe sich damit ebenfalls allein auf eine den Informationsanspruch im Hauptsacheverfahren ausschließende Vorschrift. Die Ausführungen der Beigeladenen zu 3 im Zwischenverfahren würden keine andere Bewertung rechtfertigen. Zu berücksichtigen seien allein die in der Sperrerklärung selbst geltend gemachten Gründe. Spätere Erklärungen könnten diese nur klarstellen. Der Antrag auf Aufhebung der Sperrerklärung sei nicht statthaft. Der auf Überprüfung der Verweigerung der Aktenvorlage gerichtete Antrag habe sich damit erledigt.
8
Gegen diesen Beschluss richten sich die fristgerecht erhobenen Beschwerden der Beigeladenen zu 1 und zu 2 und der Beklagten, die beantragen, den Beschluss abzuändern und auch den Feststellungsantrag der Klägerin abzulehnen.
9
Die Beigeladenen zu 1 und zu 2 machen geltend, sie hätten analog § 99 Abs. 2 VwGO einen Anspruch auf Erlass der Sperrerklärung. Einschlägig seien die Weigerungsgründe nach § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 und 3 VwGO. Es müsse berücksichtigt werden, dass die Beigeladene zu 3 ihnen gegenüber im Sinne einer Ermessensreduzierung auf Null zum Erlass der Sperrerklärung verpflichtet gewesen sei. Die Ausschlussgründe des Hamburgischen Transparenzgesetzes begründeten die Geheimhaltungsbedürftigkeit kraft Gesetzes. Wegen des privaten Geheimnisschutzes seien die Vorgänge zudem ihrem Wesen nach geheim zu halten.
10
Die Beklagte führt im Wesentlichen aus, der Antrag der Klägerin nach § 99 Abs. 2 VwGO sei mangels ordnungsgemäßer Verlautbarung der Entscheidungserheblichkeit der Unterlagen durch das Gericht der Hauptsache unzulässig. Das Verwaltungsgericht hätte sich jedenfalls nach dem Vortrag der Beigeladenen zu 1 und zu 2 sowie der Beklagten zu den Ausschlusstatbeständen des Hamburgischen Transparenzgesetzes nach dem Ergehen des Beweisbeschlusses die Entscheidungserheblichkeit erneut prüfen bzw. seine Aufklärungsmittel ausschöpfen müssen.
11
Die Sperrerklärung habe sich auch auf die Ausschlussgründe des Hamburgischen Transparenzgesetzes stützen dürfen. Das Prüfprogramm für die prozessuale Entscheidung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO sei faktisch weitgehend den fachgesetzlichen Vorgaben der Hauptsache angenähert, so dass die Gründe, die im Hauptsacheverfahren die Weigerung der Aktenvorlage rechtfertigten, auch die Sperrerklärung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtfertigten. Wären die gesetzlichen Ausschluss- und Hinderungsgründe in Fällen wie dem vorliegenden nicht in Verbindung mit § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 und 3 VwGO anwendbar, würden sie leerlaufen. Die Sperrerklärung genüge formellen Anforderungen an Inhalt und Begründung. Sie sei materiell rechtmäßig, da die Beigeladene zu 3 zu ihrem Erlass nach § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 und 3 VwGO i.V.m. § 5 Nr. 7, § 4 Abs. 1 Satz 1, § 9 Abs. 1 HmbTG und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 5 Abs. 3, Art. 12 Abs. 1 GG verpflichtet gewesen sei.
12
Die Klägerin verteidigt den angegriffenen Beschluss.
13
Die Beigeladene zu 3 verteidigt die Sperrerklärung, zu deren Erlass sie als oberste Aufsichtsbehörde zuständig sei. Die Sperrerklärung sei sowohl auf § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 VwGO als auch auf § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO gestützt. Es handele sich zum einen um Vorgänge, die nach einem Gesetz, nämlich § 5 Nr. 7 HmbTG, geheim zu halten seien. Zum anderen seien die Vorgänge ihrem Wesen nach geheim zu halten. Aus den vom Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit in seinem Tätigkeitsbericht 2018/2019 vorgelegten Gründen und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union seien Prüfungsleistungen personenbezogene Daten des Prüflings. Im Rahmen der Ermessensausübung sei die rechtsschutzverkürzende Wirkung der Verweigerung der Aktenvorlage gegen das Geheimhaltungsinteresse der Beigeladenen zu 1 und zu 2 abgewogen worden, wobei Letzteres überwogen habe. Daher sei das Ermessen zum Erlass der Sperrerklärung auf Null reduziert gewesen.
II
14
Die zulässigen Beschwerden sind unbegründet. Der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts hat im Ergebnis zu Recht die Sperrerklärung der Beigeladenen zu 3 für rechtswidrig erklärt.
15
1. Der Antrag der Klägerin, die Rechtswidrigkeit der Sperrerklärung festzustellen, ist teilweise zulässig.
16
a) Aus der durch § 99 VwGO vorgegebenen Aufgabenverteilung zwischen dem Fachsenat und dem Gericht der Hauptsache folgt, dass zunächst das zur Sachentscheidung berufene Hauptsachegericht zu prüfen und förmlich darüber zu befinden hat, ob und gegebenenfalls welche Informationen aus den Akten für eine Sachentscheidung erforderlich sind, bevor die oberste Aufsichtsbehörde über die Freigabe oder Verweigerung der in Rede stehenden Aktenteile befindet; hat das Gericht der Hauptsache die Entscheidungserheblichkeit in einem Beschluss geprüft und bejaht, ist der Fachsenat grundsätzlich an dessen Rechtsauffassung gebunden; eine andere Beurteilung durch den Fachsenat kommt nur dann in Betracht, wenn die Rechtsauffassung des Gerichts der Hauptsache offensichtlich fehlerhaft ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 21. Februar 2008 – 20 F 2.07 – BVerwGE 130, 236 Rn. 13 und vom 3. Juni 2013 – 20 F 9.13 – juris Rn. 8). Eine Bindungswirkung entfällt darüber hinaus auch dann, wenn das Gericht der Hauptsache seiner Verpflichtung nicht genügt, die ihm nach dem Amtsermittlungsgrundsatz zur Verfügung stehenden Mittel zur Aufklärung des Sachverhalts zu erschöpfen, um auf dieser Grundlage über die Erforderlichkeit der ungeschwärzten Aktenvorlage zu entscheiden (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Januar 2016 – 20 F 2.15 – NVwZ 2016, 467 Rn. 4 m.w.N.).
17
b) Diesen Anforderungen genügt der Beweisbeschluss des Verwaltungsgerichts nicht, soweit er die Bachelorarbeit der Beigeladenen zu 1 und die Masterarbeit der Beigeladenen zu 2 betrifft. Nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts erfasst der Ausschlussgrund der grundlagen- und anwendungsbezogenen Forschung (§ 5 Nr. 7 Halbs. 1 Alt. 1 HmbTG) auch wissenschaftliche Arbeiten von Studenten, die im Rahmen von Bachelor- und Masterprüfungen vorgelegt werden. Denn Forschung sei jede ernsthafte planmäßige Tätigkeit mit dem Ziel, in methodischer, systematischer und nachprüfbarer Weise neue Erkenntnisse zu gewinnen (vgl. BVerfG, Urteil vom 29. Mai 1973 – 1 BvR 424/71 u.a. – juris Rn. 92 f.). Dies gelte auch für Zweck-, Auftrags- oder Ressortforschung (vgl. OVG Münster, Urteil vom 18. August 2015 – 15 A 97/13 – juris Rn. 47).
18
Zur Bachelorarbeit der Beigeladenen zu 1 führt das Verwaltungsgericht aus, sie liege ihm bereits in zwei Versionen vor. Danach ziele die Arbeit darauf ab, unter Anwendung einer bestimmten wissenschaftlichen Methode (der sog. statistischen Versuchsplanung) einen biotechnologischen Entwicklungsvorgang (…) zu optimieren. Bei diesem Unterfangen dürfte es sich nach oben genannter Definition geradezu um ein Paradebeispiel der anwendungsbezogenen naturwissenschaftlichen Forschung im Bereich der Biotechnologie handeln. Wenn das Verwaltungsgericht dann ausführt, die Vorlage der Originalversion der Bachelorarbeit sei zur Klärung der Frage vonnöten, ob überhaupt ein Fall des § 5 Nr. 7 Halbs. 1 Alt. 1 HmbTG vorliege, ist dies nicht schlüssig. Denn es wird nicht dargelegt, welches Kriterium für das Vorliegen einer anwendungsbezogenen Forschungsarbeit im Sinne dieser Vorschrift überhaupt noch klärungsbedürftig ist.
19
Zur Masterarbeit der Beigeladenen zu 2 führt das Verwaltungsgericht aus, dass ihm nur der Titel der Arbeit „…“ bekannt sei. Dies lasse erwarten, dass die Arbeit ebenso eindeutig dem Forschungsbegriff unterfalle. Auch hier erläutert das Verwaltungsgericht nicht, welche vernünftigen Zweifel am Vorliegen einer anwendungsbezogenen Forschungsarbeit noch bestehen und aus welchen Gründen diese Zweifel nicht durch Einholung einer Auskunft über die verwendete Methodik und die Anwendungsbezogenheit der Forschungsarbeit überwunden werden können. Dass eine entsprechende Plausibilisierung der Geheimhaltungsgründe des § 5 Nr. 7 Halbs. 1 Alt. 1 HmbTG nicht möglich wäre, ist jedenfalls nicht ersichtlich (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 23. Mai 2016 – 7 B 47.15 – juris Rn. 9).
20
Entsprechendes gilt für die Anforderung etwaiger Zwischenberichte zu den beiden Prüfungsarbeiten. Auch hier spricht nach Ansicht des Verwaltungsgerichts viel dafür, dass etwaige im Zusammenhang mit den Abschlussarbeiten der Beigeladenen erstellten Zwischenberichte dem Schutzbereich des § 5 Nr. 7 Halbs. 1 Alt. 1 HmbTG unterfielen. Darum hätte die Einholung einer Auskunft zu der Frage nahegelegen, ob in den Prüfungsakten Zwischenberichte liegen und ob in diesen Berichten inhaltliche Angaben zum Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung enthalten sind. Denn das Gericht der Hauptsache ist bei Streitigkeiten über Informationszugangsrechte gehalten, vor Erlass eines Beweisbeschlusses zunächst die ihm nach dem Amtsermittlungsgrundsatz zur Verfügung stehenden Mittel zur Aufklärung des Sachverhalts zu erschöpfen, um auf dieser Grundlage über die Erforderlichkeit der Aktenvorlage zu entscheiden (BVerwG, Beschlüsse vom 3. Juni 2013 – 20 F 9.13 – juris Rn. 8 und vom 8. März 2019 – 20 F 8.17 – juris Rn. 5).
21
Das Verwaltungsgericht hat auch nicht dargelegt, dass die Klägerin im vorliegenden Verfahren einen anderen landesrechtlichen Anspruch auf Akteneinsicht geltend gemacht hat und geltend machen kann, bei dem es auf den Anspruchsausschluss des § 5 Nr. 7 Halbs. 1 Alt. 1 HmbTG nicht ankommt (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1984 – 5 C 73.82 – BVerwGE 69, 278 <282>; BGH Kartellsenat, Beschluss vom 14. Juli 2015 – KVR 55/14 – juris Rn. 16, 30; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Aufl. 2020, § 29 Rn. 10 f.).
22
c) Hingegen ist der Beweisbeschluss des Verwaltungsgerichts nicht als unzureichend zu beanstanden, soweit er die Prüfervoten der Betreuer und Gutachter der wissenschaftlichen Arbeiten betrifft. In dem Beweisbeschluss wird eingehend begründet, dass der in § 5 Nr. 7 Halbs. 1 Alt. 2 HmbTG vorgesehene Ausschluss vom Informationszugang zu Prüfungsunterlagen nach seinem Sinn und Zweck auf gegenwärtig laufende Prüfungsverfahren beschränkt sei. Der darüberhinausgehende Wortlaut der Norm, der auch abgeschlossene Prüfungsverfahren umfasst, sei im Wege der teleologischen Reduktion zu korrigieren. Diese Rechtsauffassung ist – wie bereits das Oberverwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat – nicht offensichtlich fehlerhaft und daher für das In-camera-Verfahren bindend. Ebenso ist die Auffassung des Verwaltungsgerichts nachvollziehbar, dass die Prüfervoten nicht Ausdruck einer eigenen Forschungstätigkeit der Prüfer sind und dass ohne ihre Vorlage nicht beurteilt werden kann, ob die Ausschlussgründe von § 4 Abs. 3, § 5 Nr. 7 Halbs. 1 Alt. 1, § 8 Abs. 1 HmbTG dem Zugang zu diesen Informationen ganz oder teilweise entgegenstehen. Diese Fragen dürften auch durch Einholung einer amtlichen Auskunft nicht zufriedenstellend zu klären sein. Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten, hat das Verwaltungsgericht insofern weder seine Amtsermittlungspflicht verletzt, noch wäre es im Hinblick auf den Vortrag der Beteiligten im Zwischenverfahren gehalten gewesen, erneut darüber zu beschließen, ob es an seiner dem Beweisbeschluss zugrunde liegenden Rechtsauffassung festhält.
23
2. Der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts hat im Einklang mit § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO die Rechtswidrigkeit der Sperrerklärung festgestellt.
24
a) Die Sperrerklärung ist nicht durch eine Geheimhaltungspflicht nach einem Gesetz im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 VwGO gerechtfertigt.
25
Der Tatbestand der Geheimhaltung nach einem Gesetz ist nicht bereits dann gegeben, wenn eine gesetzlich angeordnete Pflicht zur Verschwiegenheit besteht. Der Begriff ist vielmehr eng auszulegen und betrifft nur wenige besondere Fälle. Ob ein besonderes gesetzlich geschütztes Geheimnis im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 VwGO vorliegt, orientiert sich nicht daran, ob nach den einschlägigen fachgesetzlichen Vorgaben zwischen allgemeinen und besonderen, bereichsspezifischen Verschwiegenheitspflichten unterschieden wird. Es genügt nicht, dass der Gesetzgeber über die allgemeine Verschwiegenheitspflicht hinaus nach materiell-rechtlichen Kriterien die Geheimhaltungsbedürftigkeit bestimmter Informationen normiert hat. Auch aus dem Umstand der Strafbewehrung gemäß § 203 StGB folgt kein Geheimhaltungsgrund im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 VwGO. Maßgeblich ist vielmehr der besondere Schutzzweck der Norm. Gesetzliche Geheimhaltungsgründe im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 VwGO dienen dem Schutz besonders sensibler Grundrechtsbereiche. Die Abgrenzung zur Tatbestandsalternative der wesensmäßigen Geheimhaltungsbedürftigkeit erhellt, dass es indes nicht genügt, dass eine Fallkonstellation grundrechtlicher Drittbetroffenheit vorliegt. Vielmehr muss es sich wie im Fall des Post- und Fernmelde-, des Sozial- oder des Steuergeheimnisses um grundrechtlich geschützte Lebensbereiche von hoher Bedeutung handeln, für die gilt, dass Einschränkungen an qualifizierte Anforderungen geknüpft sind und nicht weitergehen dürfen als es zum Schutze öffentlicher Interessen unerlässlich ist (BVerwG, Beschluss vom 23. Juni 2011 – 20 F 21.10 – Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 64 Rn. 12 m.w.N., ferner Toßbach, Öffentlichkeit und Geheimhaltung im Verwaltungsprozess, 2019, S 93 ff., 145 f.).
26
Die Gründe, die eine Sperrerklärung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 VwGO rechtfertigen können, sind von denjenigen Gründen zu unterscheiden, die im Verfahren der Hauptsache zur Verweigerung der Aktenvorlage angeführt werden, soweit die Aktenvorlage – wie hier – auch Gegenstand des Rechtsstreits selbst ist; da die Sperrerklärung als Erklärung des Prozessrechts auf die Prozesslage abgestimmt sein muss, in der sie abgegeben wird, genügt es grundsätzlich nicht, in ihr lediglich auf die die Sachentscheidung tragenden Gründe des – je nach Fachgesetz im Einzelnen normierten – Geheimnisschutzes zu verweisen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 21. Februar 2008 – 20 F 2.07 – BVerwGE 130, 236 Rn. 19 und vom 19. Januar 2009 – 20 F 23.07 – Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 52 Rn. 8). So sind etwa Regelungen wie § 3 Nr. 2, 4 und 6, § 5 Abs. 1 und 2 sowie § 6 Satz 2 IFG weder in grundrechtlicher noch in verfassungsrechtlich-institutioneller Hinsicht den oben genannten besonders qualifizierten Fallgruppen vergleichbar (BVerwG, Beschluss vom 17. März 2020 – 20 F 3.18 – juris Rn. 20). Der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts geht zutreffend davon aus, dass für § 5 Nr. 7 HmbTG nichts Anderes gilt.
27
b) Die Sperrerklärung ist auch nicht nach § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO rechtmäßig. Denn hierauf ist sie nicht gestützt.
28
aa) Der Fachsenat überprüft im Zwischenverfahren die Rechtmäßigkeit der Vorlageverweigerung anhand der Sperrerklärung in der Form, in der sie von der obersten Aufsichtsbehörde abgegeben worden ist (BVerwG, Beschluss vom 17. März 2020 – 20 F 3.18 – juris Rn. 22). Die Abgabe der Sperrerklärung liegt in der Verantwortung der obersten Aufsichtsbehörde. Der Fachsenat kann deren Einschätzung und Ermessensausübung, nicht zuletzt aus Gründen der Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Judikative, nur kontrollieren, nicht aber ersetzen. Dies gilt auch für die Behebung von Mängeln der Sperrerklärung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. April 2010 – 20 F 13.09 – BVerwGE 136, 345 Rn. 32).
29
bb) Die unter dem 29. Januar 2020 abgegebene Sperrerklärung ist nach Auslegung ihres Inhaltes aus der Sicht eines objektiven Dritten nicht auf den Geheimhaltungsgrund des § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO gestützt.
30
Zwar würde die Bezugnahme auf § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO ohne nähere Eingrenzung der dort angeführten Alternativen auf Seite 2 der Sperrerklärung eine auch die Alternative 3 erfassende Interpretation der Erklärung ermöglichen. Jedoch kann sich eine solche Beschränkung auch – wie hier – aus der zur Begründung angeführten Argumentation ergeben. Hier ist durch die unter der Überschrift „Begründung“ angeführten inhaltlichen Erwägungen ein Rückgriff auf § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO ausgeschlossen. Unter Punkt I der Sperrerklärung sind ausschließlich Darlegungen zur Zuständigkeit für den Erlass der Sperrerklärung angeführt, die keinen Rückschluss auf den konkret zu ihrer materiell-rechtlichen Begründung in Bezug genommenen Geheimhaltungsgrund erlauben. Die materiell-rechtlichen Erwägungen leitet vielmehr Punkt II mit dem Satz „Die Vorgänge sind nach einem Gesetz geheim zu halten“ ein. Mit diesem Satz ist eindeutig § 99 Abs. 1 Satz Alt. 2 VwGO in Bezug genommen. Die unter diesem Punkt ausgeführten Erwägungen begründen durch den Verweis auf § 5 Nr. 7 HmbTG die Erläuterungen, welche von dessen Alternativen einschlägig sei, und die Darlegungen zur Rückausnahme von § 5 Nr. 7 Halbs. 2 HmbTG den in Anspruch genommenen Geheimhaltungsgrund der Geheimhaltungsbedürftigkeit nach einem Gesetz. Ihnen ist daher keine Aussage über einen der anderen Geheimhaltungsgründe des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu entnehmen.
31
Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus Punkt III der Sperrerklärung. Denn dort wird offengelassen, ob andere Geheimhaltungsgründe – und zwar solche des Urheberrechtsschutzes oder des Schutzes von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen – eingreifen, weil die Beigeladene zu 3 in den in Rede stehenden Dokumenten „eindeutig“ „transparenzrechtlich geschützte Leistungsbeurteilungen und Prüfungen“ sieht. Mit dieser Wortwahl nimmt sie erneut Bezug auf § 5 Nr. 7 Halbs. 1 Alt. 2 HmbTG und bringt zum Ausdruck, wegen des Eingreifens dieser Norm, die durch den ersten Satz von Punkt II der Sperrerklärung dem Geheimhaltungsgrund des § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 VwGO zugeordnet ist, weitere Geheimhaltungsgründe nicht geprüft zu haben. Unabhängig von der Frage, ob die hiermit offengebliebenen weiteren Geheimhaltungsgründe überhaupt andere als im Hamburgischen Transparenzgesetz angeführte Gründe sind, stellt die ausdrückliche Offenhaltung ihres Vorliegens eindeutig keine Feststellung des kumulativen Vorliegens der Geheimhaltungsgründe von § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO dar. Eine solche Feststellung lässt sich auch Punkt IV der Sperrerklärung nicht entnehmen. Zwar werden dort personenbezogene Daten der Beigeladenen zu 1 und zu 2 sowie der Prüfer angeführt. Solche Daten können – wie die Beklagte zutreffend anführt – als ihrem Wesen nach geheim zu haltende Vorgänge von § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO erfasst sein. Dass auch unter einen anderen Geheimhaltungsgrund subsumierbare Aspekte angeführt werden, ist aber kein hinreichender Grund, der Sperrerklärung eine entsprechende Feststellung zu entnehmen. Vielmehr kann sich – wie hier – aus dem Kontext etwas Anderes ergeben. Denn Punkt IV der Sperrerklärung nimmt in diesem Kontext ausschließlich zustimmend den Ausgangs- und Widerspruchsbescheid in Bezug. Damit können nur die den Gegenstand des Hauptsacheverfahrens bildenden Bescheide vom 30. Oktober 2018 und vom 1. März 2019 gemeint sein. Diese Bescheide prüfen den Auskunftsanspruch der Klägerin nach Maßgabe der Bestimmungen des Hamburgischen Transparenzgesetzes. Sie enthalten weder faktisch Feststellungen zum Vorliegen der Geheimhaltungsgründe nach § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO, noch käme der Beklagten die Zuständigkeit für entsprechende Feststellungen zu.
32
cc) Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus schriftsätzlichen Erklärungen der Beigeladenen zu 3 im Hauptsache-, Zwischen- oder Beschwerdeverfahren. Zwar können Ergänzungen von bereits in der Sperrerklärung angeführten Verweigerungsgründen um tatsächliche Angaben und Erläuterungen vorgenommen werden (BVerwG, Beschlüsse vom 18. September 2019 – 20 F 4.18 – Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 80 Rn. 8 und vom 20. September 2019 – 20 F 12.17 – Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 81 Rn. 9). Ebenso ist die Ergänzung von Ermessenserwägungen bei § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO wie sonst nach allgemeinem Verwaltungsverfahrensrecht möglich, wenn die neuen Gründe schon bei Erlass des Verwaltungsaktes vorlagen, dieser nicht in seinem Wesen verändert und der Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt wird (vgl. BVerwG, Urteile vom 20. Juni 2013 – 8 C 46.12 – BVerwGE 147, 81 Rn. 32 und vom 11. November 2015 – 6 C 58.14 – BVerwGE 153, 192 Rn. 61). Ohne rechtliche Bedeutung sind jedoch rein prozessbegleitende Rechtsausführungen, mit denen der in der Ermessensbegründung der Sperrerklärung zugrunde gelegte Prüfungsmaßstab ausgetauscht werden soll (BVerwG, Beschluss vom 7. April 2020 – 20 F 2.19 – juris Rn. 27). Die Ergänzung eines in der Sperrerklärung noch nicht angeführten Verweigerungsgrundes ist jedoch unzulässig.
33
Etwas Anderes ergibt sich auch nicht dann, wenn die Beigeladenen zu 1 und zu 2 gegen die Beigeladene zu 3 einen Anspruch auf Erlass einer Sperrerklärung hätten und das Ermessen der letzteren auf Null reduziert wäre. Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens ist nicht ein Anspruch der Beigeladenen zu 1 und 2 gegen die Beigeladene zu 3, sondern die von Letzterer unter dem 29. Januar 2020 abgegebene Sperrerklärung in ihrer konkreten Form. Nur in dieser Form war sie Gegenstand der Entscheidung, die mit der Beschwerde angegriffen worden ist. Nur in dieser Form kann sie daher auch Gegenstand der Beschwerdeentscheidung sein. Wenn die Beigeladenen zu 1 und zu 2 geltend machen, einen Anspruch auf eine Sperrerklärung anderen Inhalts zu haben, müssen sie diesen Anspruch gegenüber der Beigeladenen zu 3 durchsetzen. Die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Sperrerklärung der Beigeladenen zu 3 hindert diese nicht, ggf. eine neue Sperrerklärung abzugeben (BVerwG, Beschluss vom 19. Februar 2020 – 20 F 7.19 – juris Rn. 12 m.w.N.).
34
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 2, § 159 Abs. 1 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO. Die Beigeladene zu 3, die keinen eigenen Antrag gestellt und kein Rechtsmittel eingelegt hat und damit kein Kostenrisiko eingegangen ist (§ 154 Abs. 3 VwGO), trägt ihre notwendigen Aufwendungen selbst (§ 162 Abs. 3 VwGO).