BVerwG 9. Senat, Beschluss vom 08.04.2021, AZ 9 B 2/21, ECLI:DE:BVerwG:2021:080421B9B2.21.0
Verfahrensgang
vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 28. September 2020, Az: OVG 9 B 8.19, Beschluss
vorgehend VG Frankfurt (Oder), 11. Februar 2015, Az: 5 K 768/12
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 28. September 2020 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 19 805,42 € festgesetzt.
Gründe
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Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.
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1. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache liegt nicht vor. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Diese Voraussetzungen erfüllt die von der Beklagten aufgeworfene Frage,
„ob § 8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG in der Fassung bis zum 31.01.2004 wg. Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG, insbesondere dem Rechtsstaatsprinzip, dem Vertrauensschutz und der Rechtssicherheit, so auszulegen ist, daß sich die erste wirksame Beitragssatzung als Voraussetzung ihrer Wirksamkeit Rückwirkung auf das Datum des formalen Inkrafttretens der ersten, unwirksamen Beitragssatzung bzw. des Satzungsversuchs (oder den darin geregelten späteren Zeitpunkt für die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht) beimessen muß“,
nicht. Denn sie wäre in einem Revisionsverfahren nicht klärungsfähig.
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Hintergrund der Frage ist die unterschiedliche Auslegung von § 8 Abs. 7 Satz 2 des Kommunalabgabengesetzes des Landes Brandenburg in der bis zum 31. Januar 2004 geltenden Fassung (KAG a.F.) durch das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg einerseits und dem Bundesgerichtshof (und ihm folgend das Brandenburgische Oberlandesgericht) andererseits. Gemäß § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F. entstand die Beitragspflicht für Anschlussbeiträge, sobald das Grundstück an die Anlage angeschlossen werden konnte, frühestens jedoch mit Inkrafttreten der Satzung, wobei die Satzung einen späteren Zeitpunkt bestimmen konnte. Diese Regelung wurde vom Oberverwaltungsgericht für das Land Brandenburg und ihm folgend vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg in ständiger Rechtsprechung dahin ausgelegt, dass mit „Inkrafttreten der Satzung“ das Inkrafttretensdatum der ersten mit formellem Geltungsanspruch erlassenen Satzung – unabhängig von deren Wirksamkeit – gemeint war. Bei einem unwirksamen ersten Satzungsversuch konnte eine nachfolgende wirksame Satzung die Beitragspflicht daher nur begründen, soweit sie mit Rückwirkung auf diesen Zeitpunkt erlassen wurde (vgl. nur OVG Frankfurt (Oder), Urteil vom 8. Juni 2000 – 2 D 29/98.NE – LKV 2001, 132; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. Februar 2016 – 9 B 1.16 – LKV 2016, 229 <230>). Nach dieser Auffassung konnten im Falle der Nichtigkeit der ersten Beitragssatzung Anschlussbeiträge nur dann erhoben werden, wenn eine auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der ersten Satzung zurückwirkende gültige Satzung erlassen wurde, bevor die Festsetzungsfrist verstrichen war; andernfalls trat die sogenannte hypothetische Festsetzungsverjährung ein (vgl. dazu auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. November 2015 – 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 – NVwZ 2016, 300 Rn. 45). Demgegenüber hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass entgegen der Ansicht des Oberverwaltungsgerichts § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F. nicht anders auszulegen war als die später vom Gesetzgeber geschaffene Neufassung der Vorschrift und es danach für das Entstehen der Beitrittspflicht auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der ersten formell und materiell wirksamen Beitragssatzung ankam (BGH, Urteil vom 27. Juni 2019 – III ZR 93/18 – NVwZ 2019, 1696 Rn. 18 ff.). Dieser Auffassung hat sich das Brandenburgische Oberlandesgericht angeschlossen (vgl. etwa OLG Brandenburg an der Havel, Urteil vom 11. Februar 2020 – 2 U 67/17 – juris LS 1 und Rn. 7).
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In dem angefochtenen Beschluss hat das Oberverwaltungsgericht unter ausdrücklicher Ablehnung der Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs an seiner bisherigen Rechtsprechung zu § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F. festgehalten (so schon OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 4. September 2019 – 9 S 18.18 – juris Rn. 17 ff. und Urteil vom 12. November 2019 – 9 B 40.18 – juris Rn. 18).
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Mit seiner Grundsatzrüge möchte der Beklagte im Interesse der Rechtseinheit und Rechtssicherheit eine Klärung der zwischen dem Oberverwaltungsgericht und dem Bundesgerichtshof strittigen Auslegungsfrage herbeiführen. Dieses Ziel kann er jedoch nicht erreichen, weil die Auslegung und Anwendung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F. durch das Oberverwaltungsgericht in einem Revisionsverfahren nicht zu überprüfen wäre, so dass es an einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache fehlt.
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Die unterschiedliche Rechtsauslegung durch ein Oberverwaltungsgericht einerseits und ein – nicht im Sinne der Divergenzrüge nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO divergenzfähiges – oberstes Bundesgericht andererseits kann zwar Anlass zu einer Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geben; dies gilt jedoch nicht für Fragen der Auslegung von Landesrecht, die sich wegen Fehlens der Revisibilität einer Klärung durch das Bundesverwaltungsgericht entziehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Juni 1984 – 8 B 121.83 – Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 225 S. 15 f.). So liegt der Fall hier.
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Die Auslegung und Anwendung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F. in Bezug auf den Zeitpunkt des Entstehens der Beitragspflicht ist eine Frage des Landesrechts, auf dessen Verletzung eine Revision nach § 137 Abs. 1 VwGO nicht gestützt werden kann. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher in einem Revisionsverfahren an die Auslegung dieser Vorschrift durch das Oberverwaltungsgericht nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO gebunden (vgl. zu § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F. schon BVerwG, Urteil vom 23. Januar 2019 – 9 C 2.18 – BVerwGE 164, 212 Rn. 22).
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Soweit der Beklagte meint, die Wirkungen zum Entstehen und Erlöschen der Ansprüche aus dem Beitragsverhältnis richteten sich direkt nach den bundesrechtlichen Normen der Abgabenordnung, trifft das nicht zu. Die durch die landesrechtliche Verweisungsregelung des § 12 KAG für anwendbar erklärten Vorschriften der (an sich bundesrechtlichen) Abgabenordnung werden kraft des Rechtsanwendungsbefehls des Landesgesetzgebers in das Landesrecht inkorporiert und teilen dessen Rechtscharakter, sind also insoweit ebenfalls nicht revisibel (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 14. August 2019 – 9 B 13.19 – Buchholz 346 LandesVerwVollstrR Nr. 6 Rn. 6 m.w.N.).
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Unergiebig für die Revisibilität der aufgeworfenen Rechtsfrage ist auch der Hinweis des Beklagten auf verfassungsrechtliche Vorgaben und Maßstäbe, auf die sich die Gerichte bei ihren divergierenden Auslegungen von § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F. jeweils beriefen. Aus den Ausführungen der Beschwerde ergibt sich nicht, dass sich gerade im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Normen und Grundsätze wie Vertrauensschutz, Rechtssicherheit und das Rechtsstaatsprinzip klärungsbedürftige Fragen stellen würden. Dass die Auslegung und Anwendung des Landesrechts mit Bundes- oder Verfassungsrecht in Übereinstimmung stehen muss, macht das Landesrecht selbst noch nicht revisibel. Mit der Rüge einer fehlenden oder unzureichenden Beachtung von Bundes(verfassungs)recht bei der Auslegung und Anwendung von Landesrecht lässt sich die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nur dann begründen, wenn gerade die Auslegung der bundesrechtlichen Normen ungeklärte Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 28. Juli 2015 – 9 B 17.15 – NVwZ-RR 2015, 906 Rn. 5 m.w.N.). Dazu trägt die Beschwerde nichts vor.
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Auch das vom Beklagten angeführte Interesse an einer einheitlichen Rechtsprechung und das Gebot effektiven Rechtsschutzes können eine revisionsgerichtliche Überprüfung des nicht revisiblen Landesrechts nicht begründen. Das unterschiedliche Verständnis von § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F. in der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg einerseits und des Bundesgerichtshofs andererseits mag zwar die Rechtseinheit und damit die Rechtssicherheit beeinträchtigen und dazu führen, dass Primär- und Sekundärrechtsschutz bei Rechtsstreitigkeiten von Altanschließern in bestimmten Konstellationen zu abweichenden Ergebnissen kommen. Eine Verpflichtung, der Auslegung des Landesrechts durch die jeweils andere Gerichtsbarkeit zu folgen, besteht jedoch weder für die Zivilgerichte noch für die Verwaltungsgerichte; die Rechtspflege ist vielmehr aufgrund der in Art. 97 GG garantierten Unabhängigkeit der Richter konstitutionell uneinheitlich (vgl. gerade in Bezug auf die divergierenden Auslegungen zu § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F. BVerfG, Kammerbeschluss vom 1. Juli 2020 – 1 BvR 2838/19 – NVwZ 2020, 1744 Rn. 20). Aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip ergibt sich kein subjektivrechtlich geschütztes Vertrauen auf Auslegungsübereinstimmung über einen Gerichtszweig hinweg. Nach Art. 95 Abs. 3 GG ist eine Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung nur zwischen den obersten Gerichtshöfen vorgesehen. Dieser Weg ist vorliegend jedoch nicht eröffnet, weil dem Bundesverwaltungsgericht als Revisionsgericht eine Prüfung des Kommunalabgabengesetzes des Landes Brandenburg gemäß § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO entzogen ist (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 1. Juli 2020 – 1 BvR 2838/19 – NVwZ 2020, 1744 Rn. 22 und vom 10. Dezember 2020 – 1 BvR 908/20 u.a. – juris Rn. 3). Über diese gesetzgeberische Entscheidung kann sich das Bundesverwaltungsgericht nicht hinwegsetzen.
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2. Soweit der Beklagte die begehrte Zulassung der Revision auf die Verletzung seines Rechts auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und eine Verletzung des Justizgewährungsanspruchs sowie des Grundsatzes der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG stützt, weil das Oberverwaltungsgericht die Nichtzulassung der Revision nicht nachvollziehbar begründet und § 132 Abs. 2 VwGO willkürlich angewandt habe, kann dies der Beschwerde für sich genommen nicht zum Erfolg verhelfen. Maßgeblich für die Begründetheit der Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht, ob die Nichtzulassungsentscheidung des Berufungsgerichts rechtsfehlerhaft war, sondern ob die vom Beschwerdeführer den Anforderungen von § 133 Abs. 3 VwGO entsprechend geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegen. Sollte der Beklagte einen Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geltend machen wollen, ist nicht ersichtlich, inwieweit die Sachentscheidung des Oberverwaltungsgerichts darauf beruhen könnte.
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Es ist zudem auch nicht zutreffend, dass eine Zulassung der Revision durch das Oberverwaltungsgericht nahegelegen hätte oder zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes sogar geboten gewesen wäre. Das vom Beklagten verfolgte Ziel, „die sich (schlichtweg) ausschließende Rechtsprechung der beiden Gerichtszweige wieder zu vereinen“, kann durch eine Anrufung des Bundesverwaltungsgerichts nicht erreicht werden, weil dieses – wie dargelegt – an die Auslegung des Landesrechts durch das Oberverwaltungsgericht gebunden ist und folglich auch eine Befassung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes nicht möglich ist (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 10. Dezember 2020 – 1 BvR 908/20 u.a. – juris Rn. 3; s. auch Brüning, JZ 2020, 1027 <1035 f.>).
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.